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31B. Konstellationsanalyse: Konfliktstrukturen in der irischen Kolonialgesellschaft im 18. Jahrhundert I. Einleitung

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B. Konstellationsanalyse: Konfliktstrukturen in der irischen Kolonialgesellschaft im 18. Jahrhundert

I. Einleitung

„Nationalistische Ideologie ist weder der Ausdruck einer nationalen Identität (zumindest gibt es keinen rationalen Weg, um nachzuweisen, daß dies der Fall ist) noch die willkürliche Erfindung von Nationalisten für politische Zwecke. (...) Genau weil ihre [nationalen – MR] Annahmen nicht rein will-kürlicher Natur sind, müssen sie eine mehr oder weniger plausible Verbin-dung mit existierenden sozialen Arrangements und Bedürfnissen, mit tatsäch-lichen Überzeugungen und mit oftmals weit verbreiteten politischen Mißständen aufweisen.“1

Der zentrale Gesichtspunkt dieser These JOHN BREUILLYS liegt in der Annahme, daß nationale Ideologien nicht willkürlich, sondern in Abhängigkeit von und An-lehnung an konkrete, präexistente gesellschaftliche Sachverhalte entstehen. Mit dieser Position steht Breuilly keineswegs allein, sie reflektiert vielmehr eine all-gemeine Grundannahme, die zumindest seit ERNEST RENANS lakonischer Feststel-lung, daß der Mensch sich selbst nicht aus dem Stegreif erfinden kann,2 in der Nationalismusforschung implizit oder explizit opinio communis ist.3 Wenn jedoch Nationalismus und nationale Ideologien auf der Basis gesellschaftlicher und histo-rischer Realitäten entstehen, dann müssen sie, wie ERIC HOBSBAWM schreibt, „im Kontext dieser Realitäten erklärt werden.“4

Dazu bedarf es zweierlei: Erstens muß das generelle Verhältnis zwischen dem gesellschaftlichen Entstehungskontext des Nationalismus5 und dem tatsächlichen Entstehungsprozeß im Vorgriff geklärt werden, bevor im zweiten Schritt der auf diese Weise umrissene Rahmen mit Inhalt gefüllt und nach den spezifischen

1

J. Breuilly, Nationalism and the State, Manchester 19932, S. 63. (meine Übersetzung)

2

Renan, Nation, S. 34.

3

Vgl. exemplarisch K.W. Deutsch, Nation und Welt, in: H.A. Winkler (Hg.) Nationalismus, Königstein 19852, S. 49-66; B. Anderson, Imagined Communities, Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, London 1991; A.D. Smith, National Identity, Harmondsworth 1991; E. Gellner, Nationalismus und Moderne, Hamburg 1995 (engl. Originalausg. 1983); E.J. Hobsbawm, Nationen und Nationalismus seit 1780, Mythos und Realität seit 1780, Frankfurt/M. 19922 (engl. Originalausg. 1990).

4

Hobsbawm, Nationen, S. 20.

5

‚Der Nationalismus’ wird hier als generischer Begriff für die gesamte Bandbreite spezifischer Nationalismen (d.h. der spezifischen Ausprägungen des übergreifenden Phänomens ‘Nationalis-mus) verstanden.

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zialen Arrangements", die im Kontext des konkreten Untersuchungsgegenstands relevant werden, gefragt werden kann.

a) Das Verhältnis zwischen Entstehungskontext und Entstehungsprozeß des Nationalismus. Der überwiegende Teil der Nationalismusforschung, der von der

These ausgeht, daß es sich beim Nationalismus um ein Phänomen moderner Ge-sellschaften handelt, das erst im Laufe des 18. Jahrhunderts, an der Schwelle zur Neuzeit entsteht,6 sieht einen Zusammenhang zwischen der Entstehung des Nati-onalismus einerseits und gewissen gesamtgesellschaftlichen Wandlungsprozessen andererseits.7 Letztere werden wahlweise mit den Stichworten ‘staatliche Zentra-lisierung’, ‘Säkularisierung’, ‘IndustriaZentra-lisierung’, ‘soziale Mobilität’, Durchset-zung der ‘Marktwirtschaft’, Entstehung einer ‘Hochkultur’ samt der dazugehöri-gen staatlichen Bildungsinstitutionen, ‘technologischer Fortschritt’ und ‘neuen Kommunikationsformen’ umrissen.8 Die Akzentuierung der einzelnen Faktoren unterscheidet sich zwar ebenso von Autor zu Autor wie die Nachdrücklichkeit, mit der einige Autoren einen bestimmten Nexus zwischen gesellschaftlichem Ent-stehungskontext und der tatsächlichen Genese des Nationalismus hervorzuheben versuchen, aber angesichts des Tableaus gesellschaftlicher Referenzpunkte ist ein modernisierungs-theoretischer Bezugsrahmen dieser Autoren schlechterdings nicht von der Hand zu weisen. Sie gehen ausnahmslos alle davon aus, daß gewisse gesellschaftliche Bedingungen erfüllt sein müssen, bevor Nationalismus über-haupt entstehen kann.

Andererseits muß RENANS Hinweis, daß der Mensch sich nicht aus dem Stegreif erfindet, und daß ,die‘ Nation – wie der Einzelne – der Endpunkt einer langen Vergangenheit von Anstrengungen, Opfern und Hingabe darstellt, ernstgenom-men werden.9 Auch die Nation kann der Mensch nicht aus dem Stegreif erfinden, er muß zu diesem Zweck auf präexistentes, kulturelles ,Rohmaterial’ zurückgrei-fen.10 A. D. SMITH hat hierfür die einprägsame Formulierung gefunden, daß der

Nationalismus, einem Chamäleon gleich, die Farbe seines Kontextes annimmt.11

6

Autoritativ hierzu Langewiesche, Nation/Forschungsstand, S. 200-204.

7

Vgl. O. Dann, Nation und Nationalismus in Deutschland, 1770-1990, München 1993, S. 14; P. Alter, Nationalismus, Frankfurt/M. 1985, S. 10; Winkler, Nationalismus, S. 6.

8

Vgl. exemplarisch Deutsch, Nation, S. 51-53; Anderson, Imagined Communities, S. 9-46; Smith, National Identity, S. 59-61; Gellner, Nationalismus, S. 34-97; Hobsbawm, Nationen, S. 20-24.

9

Renan, Nation, S. 34.

10

Vgl. Gellner, Nationalismus, S. 77.

11

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Diesen Ergebnissen der modernen Nationalismusforschung zufolge gibt es also einen doppelten Nexus zwischen der Genese des Nationalismus und seinem ge-sellschaftlichen Entstehungskontext:

1.) Bedingungsebene. Gewisse strukturelle Voraussetzungen müssen in einer Gesellschaft erfüllt sein, bevor einerseits ‘die Nation’ denkbar, kommuni-zierbar und schließlich sensuell erfahrbar gemacht werden und bevor an-dererseits eine Nachfrage nach nationalistischen Orientierungsmustern entstehen kann. Ohne eine politische Öffentlichkeit beispielsweise ist die Genese eines Nationalismus kaum vorstellbar. Andererseits sind diese strukturellen Voraussetzungen bloß als notwendige, nicht aber als

hinrei-chende Entstehungsbedingungen eines Nationalismus zu betrachten: So

kann – um beim Beispiel zu bleiben – die Entstehung einer politischen Öf-fentlichkeit zwar die Genese eines Nationalismus nach sich ziehen, sie muß es aber nicht. Mit deterministischen Setzungen im Stil einer Rezeptur für die Genese des Nationalismus kommt man also nicht weiter, es bedarf notwendig der empirischen Überprüfung am Einzelfall, wenn man die un-entbehrlichen Vorbedingungen für die Genese eines spezifischen Nationa-lismus ergründen will.

2.) Konstruktionsebene. Nationalisten konstruieren ‘ihre’ Nation unter Rückgriff auf gesellschaftliche Werte, Wahrnehmungs- und Deutungsmus-ter und mit Hilfe von Symbolen und sozialen Praktiken, die sie aus der Asservatenkammer gesellschaftlich-kultureller Artefakte entlehnen. Auf-grund der Mobilisierungserwartungen und -hoffnungen von Nationalisten, die sie bei zweckrationalem Vorgehen dazu veranlassen, ‘ihre’ Nation maßgeschneidert zu den antizipierten Erwartungen der potentiellen Ge-folgschaft zu entwerfen, ist die spezifische Form, die einem Nationalismus verliehen wird, also nur im kulturellen Kontext seiner Entstehungsgesell-schaft zu entschlüsseln.

Angesichts des doppelten Nexus empfiehlt es sich, zunächst mit der Untersuchung des historischen Hintergrunds und der Entstehungsbedingungen des republikani-schen Nationalismus in Irland zu beginnen, um den Rahmen für die weitere Ana-lyse abzustecken. Neben einer allgemeinen Einführung des Lesers in die irische Geschichte des 18. Jahrhunderts dient dieses Kapitel vor allem dem Zweck, Kon-fliktpotentiale und mögliche Bruchstellen in der irischen Gesellschaft zu

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identifi-zieren, die entweder Barrieren oder Ansatzpunkte für nationalistische Identifikati-onsprozesse bilden konnten und zugleich entscheidenden Einfluß auf Vergemein-schaftungsprozesse in der irischen Gesellschaft hatten.12 Im Zentrum der folgen-den Konstellationsanalyse steht also eine konflikttheoretisch fundierte Analyse gesellschaftlicher Fragmentierungsprozesse (oder positiv gewendet: innergesell-schaftlicher Gruppenbildungsprozesse).13 Diese Fokussierung der Konstellations-analyse ist hochgradig präjudizierend und daher erklärungsbedürftig. Der Grund für diese Vorentscheidung liegt im zentralen Spezifikum der Genese des republi-kanischen Nationalismus in Irland – seinem kolonialen Entstehungskontext. Wir beenden also an dieser Stelle den allgemeinen Vorgriff und beginnen damit, den abgesteckten analytischen Bezugsrahmen an den konkreten Untersuchungsge-genstand anzubinden.

b) Der koloniale Entstehungskontext des republikanischen Nationalismus in Irland. Von MAX WEBER stammt die Erkenntnis, daß

„»Nation« (...) ein Begriff [ist], der, wenn überhaupt eindeutig, dann jeden-falls nicht nach empirischen gemeinsamen Qualitäten der ihr Zugerechneten definiert werden kann. Er besagt, im Sinne derer, die ihn jeweilig brauchen, zunächst unzweifelhaft: daß gewissen Menschengruppen ein spezifisches So-lidaritätsempfinden anderen gegenüber zuzumuten sei, gehört also der Wert-sphäre an. Weder darüber aber, wie jene Gruppen abzugrenzen seien, noch darüber, welches Gemeinschaftshandeln aus jener Solidarität zu resultieren habe, herrscht Übereinstimmung.„14

Demnach können also über den empirisch nachprüfbaren Einzelfall hinaus keine verläßlichen Aussagen über den mit einer Nation verbundenen Handlungshori-zont, ihre tatsächlichen Demarkationslinien oder Zugehörigkeitskriterien gemacht

12

In Anlehnung an Max Weber wird hierunter eine soziale Beziehung verstanden, deren „Einstel-lung des sozialen Handelns (...) auf subjektiv gefühlter (affektueller oder traditionaler) Zusam-mengehörigkeit der Beteiligten beruht.“ Vgl. M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Grundriß der verstehenden Soziologie, Tübingen 19805, S. 21. (Fortan zitiert als WG)

13

Auf eine einfache Formel gebracht, geht die Konflikttheorie davon aus, daß Konflikte „in allen Gesellschaften vorfindbare Prozesse der Auseinandersetzung [sind], die auf unterschiedlichen Interessen sozialer Gruppierungen beruhen und die in unterschiedlicher Wese institutionalisiert sind und ausgetragen werden.“ B. Schäfers (Hg.), Grundbegriffe der Soziologie, Opladen 19985, S. 182. Hinsichtlich der gesellschaftlichen Funktionalität oder Dysfunktionalität von Konflikten herrscht Uneinigkeit. In der Tradition G. Simmels bewerten Strukturfunktionalisten Konflikte als positive Erscheinungen, die zur Aneignung neuer sozialer Normen und damit dem gesellschaftli-chen Wandel dienen. Im Gegensatz dazu bewertete R. Dahrendorf Konflikte als Gefahr für das gesellschaftliche Gefüge und machte die sozial integrative Wirkung der Konfliktregelung gegen-über den potentiell explosiven Effekten der Konfliktaustragung stark. Letztlich wird man wohl anhand der Intensität der Konflikte und der applizierten Konfliktregelungsmechanismen bzw. der Art der Konfliktaustragung entscheiden müssen, ob es sich um ein funktionales oder dysfuntkio-nales Phänomen handelt. Vgl. ebd. 183f. Der entscheidende Pluspunkt einer konflikttheoretischen Herangehensweise besteht in der Fokussierung auf Interessen und Machtpotentiale, mittels derer diese Interessen umgesetzt werden bzw. werden können.

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werden. Gleichwohl richtet WEBERS These die Aufmerksamkeit auf zwei

Aspek-te, die allen Nationalismen gemein sind: Erstens handelt es sich um Abgrenzun-gen – also um die Klassifizierung der Welt in die Gruppe der ZugehöriAbgrenzun-gen (‚die Eigenen’) und der Nichtzugehörigen (‚die Fremden’) auf der Basis von nur im Einzelfall zu ermittelnden Differenzbestimmungen15 – und zweitens beinhaltet das Konzept ‚Nation’ sui generis eine Handlungsaufforderung. Es ist diese not-wendige Klassifizierung in das ‚Eigene’ und das ‚Fremde’ nebst ihren Implikatio-nen,16 die im kolonialen Entstehungskontext eines Nationalismus zu spezifischen Problemen führt.

Kolonisten und Kolonisierte stehen in ständigem Austausch miteinander und glei-chen sich so im Laufe der Zeit tendenziell aneinander an (ohne daß damit behaup-tet werden soll, daß diese Entwicklung automatisch Konsequenzen für den hierar-chischen Aufbau einer Kolonialgesellschaft nach sich zieht). Das Ergebnis solcher kolonialer Interaktionsprozesse ist, daß ‚der Kolonist’ nicht mehr einfach als ‚Fremder’ stigmatisiert werden kann, er ist aus der Sicht der Kolonisierten ein ‚vertrauter Fremder’, der im Laufe von mehreren Generationen durchaus begin-nen kann, sich von seiner kolonialen Muttergesellschaft zu entfremden und sich in der Kolonie als ‚Einheimischer’ zu fühlen. Klassische Beispiele für dieses Prob-lem der Beziehungen zwischen koloniaProb-lem Zentrum und kolonialer Peripherie sind im 18. Jahrhundert neben den englischen Kolonisten in Irland vor allem die englischen Kolonisten in Amerika. Der entscheidende Gesichtspunkt ist, daß in einem solchen Fall typische Mechanismen der nationalen Integration nach innen durch Abgrenzung nach außen, wie sie etwa MICHAEL JEISMANN am

deutsch-französischen und LINDA COLLEY am britischen Beispiel diskutiert hat,17 nicht mehr funktionieren. Nationalistisch motivierter Widerstand bedeutet im kolonia-len Kontext zwangsläufig Widerstand gegen das koloniale Mutterland (den

14

WG, S. 528.

15

B. Giesen, Die Intellektuellen und die Nation, Eine deutsche Achsenzeit, Frankfurt/M. 1993, S. 86-101. So auch Canetti, Masse, S. 186: „Denn es ist eitel, von Nationen zu sprechen, wenn man sie nicht in ihren Unterschieden bestimmt.“

16

Vgl. R. Koselleck, Vergangene Zukunft, Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt/M. 19922, S. 212: „Eine politische oder soziale Handlungseinheit [also auch eine Nation – MR] kon-stituiert sich erst durch Begriffe, kraft derer sie sich eingrenzt und damit andere ausgrenzt, und d.h. kraft derer sie sich selbst bestimmt.“ Notabene: Die Klassifizierung in das ‚Eigene’ und das ‚Fremde’ ist keine differentia specifica des Nationalismus, sondern ubiquitär. Vgl. ders., Feind-begriffe, in: Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, Jahrbuch 1993, S. 83-90, S. 83.

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ren Feind) und eine normalerweise in der ‚eigenen’ gesellschaftlichen Hierarchie

hoch angesiedelte Kolonistengruppe (den inneren Feind). Innere Feinde sind aber stets ambivalenter Natur, sie sperren sich gegen polare, dichotomische Klassifi-zierungen (‚das Eigene’/‚das Fremde’, ‚Freund’/‚Feind’), weil generell die Mög-lichkeit besteht, daß sie die Seiten wechseln und im Widerstand gegen das koloni-ale Mutterland zu Verbündeten avancieren.18

Das zweite Problem, das zwar nicht für den kolonialen Entstehungskontext eines Nationalismus spezifisch ist, aber hier in besonders ausgeprägter Form auftritt, ist, daß die inhärente Homogenitätsfiktion des Nationalismus, mittels derer Nationa-listen Gemeinschaft zu stiften versuchen, nachhaltig in Frage gestellt wird. Keins der üblichen, potentiell Gemeinsamkeitsglauben und Solidaritätsempfinden stif-tenden Kriterien greift im kolonialen Kontext. Zur Erhärtung dieser These kann der von A.D.SMITH entwickelte Kriterienkatalog aufgegriffen und diskutiert

wer-den.19

¾ Gemeinsame Abstammung. Nationalisten haben es im kolonialen Kon-text stets mit mindestens zwei Abstammungsgemeinschaften zu tun. Diese Schwierigkeit taucht auch in anderen Gesellschaften auf – man denke nur an Vielvölkerstaaten wie Österreich oder das russische Reich –, aber im Unterschied zu den Vielvölkerstaaten kann sie in einer Kolonialgesell-schaft nicht dadurch gelöst werden, daß man numerisch unterlegene ethni-sche Bevölkerungsgruppen als Minderheiten deklariert und einer hegemo-nialen (als ‚national’ apostrophierten) ethnischen Bevölkerungsgruppe un-terordnet. Im kolonialen Kontext ist es nämlich in der Regel die numerisch unterlegene Kolonistenschicht, die den kolonialen Staatsapparat dominiert und zur Verteidigung ihrer hegemonialen Position einsetzt. Also stellt sich hier das aus den Vielvölkerstaaten bekannte Muster auf den Kopf: In ei-nem kolonialen Regime wird die Mehrheit der Kolonisierten durch die Minderheit der Kolonisten marginalisiert.

17

M. Jeismann, Das Vaterland der Feinde, Studien zum nationalen Feindbegriff und Selbstver-ständnis in Deutschland und Frankreich 1792-1918, Stuttgart 1992; L. Colley, Britons, Forging the Nation 1707-1837, London 1992.

18

Koselleck, Feindbegriffe, S. 89, weist am Beispiel der Bürgerkriege – dem extremsten Fall innerer Feindschaft – auf das paradoxe Wesen des ‚inneren Feindes’ hin: „Die meisten und viel-leicht die brutalsten Bürgerkriege werden dort ausgetragen, wo sich beide oder alle Parteien mit derselben Sprache als Feinde definieren und dementsprechend ermorden. Ein Blick in die Zeit der religiösen Bürgerkriege oder heute nach Jugoslawien genügt.“

19

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¾ Gemeinsame historische Erfahrungen und Erinnerungen kann es in einem kolonialen Kontext nicht geben, weil die Kolonisierten den im Ver-gleich zur Vorgeschichte relativ kurzen Erfahrungszeitraum, den sie mit den Kolonisten teilen (also die Geschichte der Kolonisation), als Entrech-tungs-, Leidens- und Unterdrückungsgeschichte (Geschichte der ‚Opfer’) lesen, während die Kolonisten ihn als Geschichte legitimer Eroberung o-der legitimer Zivilisationsprojekte interpretieren (Geschichte o-der ‚Sieger’). Insofern hat man es immer mit mindestens zwei konfligierenden Ge-schichtsauffassungen und zwei Bedingungssets kollektiver Erinnerung zu tun, die zwar potentiell über die gleichen Referenzpunkte in den res gestae verfügen, sie aber diametral entgegengesetzt deuten.

¾ Ein oder mehrere Elemente einer gemeinsamen Kultur sind im koloni-alen Kontext ebenfalls eher unwahrscheinlich. Im Einzelfall kann nicht ausgeschlossen werden, daß es im kolonialen Kontext Elemente gemein-samer Kultur gibt (wie etwa die konfessionelle Gemeinsamkeit zwischen Kolonisten und Kolonisierten im von Österreich besetzten Teil Polens), aber in Irland war dies dezidiert nicht der Fall: Es gab keine Sprachge-meinschaft zwischen der gälisch sprechenden autochthonen Bevölkerung und den englischen Kolonisten, keine konfessionelle Gemeinschaft zwi-schen Katholiken und Anglikanern, eigene kollektive Selbst- und Fremd-bezeichnungen20, keine geteilte Tradition, keinen gemeinsamen Her-kunftsmythos.

¾ Gleiche Rechte und Pflichten, rechtliche oder politische Gleichheit scheiden aus offensichtlichen Gründen im kolonialen Kontext ebenfalls als Referenzpunkte für die Konstruktion einer nationalen Homogenitätsfiktion aus, denn das zentrale Merkmal kolonialer Herrschaft besteht eben darin, Kolonisten gegenüber den Kolonisierten rechtlich, politisch, ökonomisch, sozial oder kulturell zu privilegieren. Unter diesen Umständen taugen auch

gemeinsame Institutionen wie eine Verfassung oder ein Parlament nicht

20

Die gälische Bevölkerung bezeichnete sich selbst als ‚Gael’, die Kolonisten dagegen als ‚Gall’ (= Fremde), wobei sie zwischen normannischen Siedlern (‚Séan Gall’ = ‚alte Fremde’) und engli-schen Siedlern (‚Núa Gall’ = ‚neue Fremde’) unterschied. Ähnlich aufschlußreich sind in diesem Zusammenhang die gälischen Bezeichnungen für Schotten (Albanach) und Engländer (Sasanach = Sachsen), die gleichzeitig zur Bezeichnung der ethnischen wie der konfessionellen Zugehörigkeit dienten, die Schotten also als Presbyterianer und die Engländer als Anglikaner auswiesen.

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als potentielle Integrationskerne, weil der Zugang zu diesen Institutionen für Kolonisten und Kolonisierte grundsätzlich ungleich geregelt ist.

Aus diesen Gründen ist die Konstruktion einer gesellschaftlichen Integrationsin-stanz wie ‚der Nation’ im kolonialen Kontext noch prekärer als ohnedies schon. Um es mit einem Satz zusammenzufassen: Das Wesen einer kolonialen Gesell-schaft ist fundamental durch ein hohes Ausmaß an Fragmentierung geprägt, die der Genese eines Nationalismus – verstanden als eine Integrationsideologie, wel-che eines gesellschaftliwel-chen Konsenses oder Solidaritätsempfindens bedarf oder auf dessen Affirmation abzielt – potentiell eher hinderlich ist. Genau in dieser Fragmentierung liegt der Grund für eine konflikttheoretische Fundierung der Ana-lyse. Aufgrund der kolonialen Präfiguration ist die Entstehung eines freiwilligen gesellschaftlichen Konsenses höchst unwahrscheinlich. Gleichzeitig ist die kolo-niale Lagerbildung von gesamtgesellschaftlicher Tragweite, weil sie tendenziell alle gesellschaftlichen Bereiche erfaßt und situative, kleinräumigere Interessen-konflikte überformt. Sozialökonomische Gegensätze und politische Konflikte werden auf diese Weise von den Zeitgenossen in einem kolonialen Bezugsrahmen wahrgenommen, gedeutet und entschieden und können so eine distinktiv kolonia-le Gestalt annehmen.21 Auch die Beurteilung des cui bono wurde von Zeitgenos-sen in der Regel kolonial vorstrukturiert. Neue Gesetze werden nicht danach beur-teilt, inwiefern sie zum Nutzen der Gesamtgesellschaft, sondern nur inwiefern sie zum Nutzen der eigenen kolonialen Großgemeinschaft sind.22

21

Folgendes Beispiel mag diese Struktur verdeutlichen: In den 1790er Jahren kam es in den Randgebieten Ulsters zu erheblichen agrarischen Unruhen, deren Ursache in einem beträchtlichen Bevölkerungswachstum und einer daraus folgenden relativen Verknappung der Ressource Land bestand. Die Grundherren reagierten auf diese Situation, indem sie die Pachten bis an die Schmerzgrenze erhöhten und die Pachtbedingungen für Kleinpächter verschlechterten. Andernorts hätte das zu einer Verschärfung des Klassengegensatzes zwischen Landbesitzern und Landpäch-tern und zu agrarischem Protest gegen die Landbesitzer geführt. Nicht so jedoch in Ulster. Hier wurde der Konflikt von den Kleinpächtern kolonial und konfessionell gedeutet: Protestantische Pächter sahen sich von der katholischen Konkurrenz in die Ecke gedrängt, die aufgrund eines niedrigeren Lebensstandards schlechtere Pachtbedingungen akzeptieren konnte, und setzten sich zur Wehr, indem sie Geheimbünde gründeten und die katholischen Pächter durch Drangsalierung aus den als angestammt ‚protestantisch’ betrachteten Siedlungsgebieten Ulsters in den ‚katholi-schen’ Westen abzudrängen versuchten. Die katholischen Pächter setzten sich mit den gleichen Mitteln zur Wehr und im Nu entspann sich eine auf die Randgebiete Ulsters begrenzte Auseinan-dersetzung, die Züge eines „ethnic cleansing“ annahm. Vgl. R. Kee, The Most Distressful Country (The Green Flag, Bd. 1), Harmondsworth 1972, S. 43f., 57-61; J. Smyth, The Men of No Property, Irish Radicals and Popular Politics in the Late 18th Century, Dublin 1992, S.46-50.

22

So beschwerten sich etwa die anglo-irischen Protestanten über das von England 1699 verhängte Wollexportverbot mit der kolonial fundierten Begründung, daß davon vorwiegend die anglo-irische Gemeinschaft und insbesondere anglo-anglo-irische Wollweber betroffen seien. D. Dickson, New

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Unter solchen Rahmenbedingungen nimmt die Herstellung eines in der Zielper-spektive gesamtgesellschaftlichen – also auch eines nationalen – Konsenses not-wendigerweise die Gestalt einer Sammlungspolitik an. Im Zentrum dieser Samm-lungspolitik steht die Frage, wem es gelingt, auf der Basis postulierter gemeinsa-mer Interessen oder zumindest ausreichender Zugeständnisse an die Partikularin-teressen einzelner Gruppen – aber auch durchaus brachial, auf der Basis schierer Einschüchterung und Repression – genug gesellschaftliche Gruppen um sich zu sammeln, um „den eigenen [in diesem Fall: ‚nationalen’ – MR] Willen auch ge-gen Widerstreben durchzusetzen.“23 Der Verweis auf ‚Einschüchterung’ und ‚Re-pression’ deutet bereits an, wo das Zentrum einer solchen Sammlungspolitik zu verorten ist – in der Sphäre der Macht. Der springende Punkt ist, daß Legitimati-onsstrategien wie etwa die Postulierung gemeinsamer Interessen zwar flankierend als vertrauensbildende Maßnahme von Bedeutung sind24 und unter Umständen die Überwindung von Lagern erleichtern können, daß es aber letztlich um die Macht-frage geht. Schließlich müssen gemeinsame Interessen nicht vorhanden sein, son-dern nur vorläufig wechselseitig glaubhaft gemacht werden, schließlich müssen Zugeständnisse nicht realiter gemacht, sondern vorerst nur glaubhaft für die Zu-kunft angekündigt werden. Somit hängt die Verwirklichung dieser Postulate und Ankündigungen zunächst notwendig davon ab, ob die Macht vorhanden ist, sie umzusetzen – und im zweiten Schritt davon, ob nach dem Machterwerb noch Be-reitschaft besteht, die Absprachen einzulösen (was ggf. wieder Konsequenzen für das Machtpotential einer solchen Allianz hat, weil die Gefahr einer Refragmentie-rung besteht). Mit einem Wort: Sammlungspolitik zielt grundsätzlich immer auf

Machtakkumulation ab, während der Zweck, zu dem das generierte

Machtpotenti-al eingesetzt werden soll, ebenso verhandelbar ist wie die Legitimation für den Akkumulationsversuch situativ begründet. Daher ist die Genese eines Nationalis-mus im kolonialen Kontext – gleichviel wie die Referenzpunkte einer konkreten nationalen Integrationsideologie gesetzt werden – stets eine politische Angele-genheit, wenn man in Anlehnung an WEBER unter ‚Politik’ „Streben nach

Foundations: Ireland 1660-1800, Dublin 1987, S. 48; J.C. Beckett, The Making of Modern Ire-land, 1603-1923, London 1966, S. 156.

23

WG, S. 28: „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“

24

‚Vertrauensbildende Maßnahmen’ implizieren aber notwendig, daß dieses Vertrauen zunächst nicht existiert, sondern erst mühsam durch die Tat (d.h. die Einhaltung der vereinbarten Überein-künfte) aufgebaut werden muß und daher an ihr in der Folgezeit immer zu messen ist.

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anteil oder nach Beeinflussung der Machtverteilung, sei es zwischen Staaten, sei es innerhalb eines Staates zwischen den Menschengruppen, die er umschließt“25 versteht.

Konstellationsanalyse: Konzeption und Umfang. Vor dem Hintergrund dieser

Erwägungen dient die Konstellationsanalyse dazu, der Fragmentierung der iri-schen Kolonialgesellschaft inhaltliche Plastizität zu verleihen. Welche antagonis-tischen Potentiale bauten sich in der irischen Gesellschaft auf, welche gegensätz-lichen Lager formierten sich? Wie veränderten sich die Konturen der Ausgangs-konstellation, welche Annäherungs- und Entfremdungstendenzen lassen sich beo-bachten? Welche Machtmittel brachten die gegnerischen Parteien unter ihre Kon-trolle? Die Relevanz dieser Fragestellungen liegt darin, daß sie den unmittelbaren Bedingungshintergrund für die Genese des republikanischen Elitennationalismus in Irland und den direkten Argumentationszusammenhang für die Agitation iri-scher, republikanischer Nationalisten bildeten, deren Anfänge sich bis kurz nach „Grattan’s Revolution“ von 1782 zurückverfolgen lassen. Aus diesem Grund bil-det das Jahr 1782 den Endpunkt des Zeitraums, der in der Konstellationsanalyse abgedeckt werden muß. Den Anfang macht dagegen das Jahr 1691, weil dies die chronologische Zäsur zwischen der kompletten Etablierung der englischen Kolo-nialherrschaft in Irland im 17. und ihrer Ausübung im 18. Jahrhundert darstellt.26

Untersuchungsebenen. Aus Gründen der Darstellbarkeit und Übersichtlichkeit

werden die inneririschen, endogenen Entwicklungen in die vier Ebenen

‘politi-sche Herrschaft’, ‘Wirtschaft’, ‘soziale Ungleichheit’ und ‘Kultur’

aufgefä-chert, wobei ‚Wirtschaft’ und ‚soziale Ungleichheit’ wegen ihrer offensichtlichen Überlappungen zusammen diskutiert werden, um Redundanzen zu vermeiden. Diese offensichtliche Anlehnung an das gesellschaftsgeschichtliche Konzept H.-U. WEHLERS könnte den Anschein erwecken, daß es sich bei dieser Konstellati-onsanalyse um den Versuch handelt, eine allgemeine, irische Geschichte des 18. Jahrhunderts zu schreiben.27 Nichts wäre weiter von den vergleichsweise beschei-denen Zielsetzungen des Autors entfernt: Es geht hier lediglich um eine

25

M. Weber, Politik als Beruf, in: Gesammelte Politische Schriften, hrsg. v. Marianne Weber, München 1921, S.396-450. S. 397.

26

Diesem Konzept eines ‚langen’ 18. Jahrhunderts zwischen 1691 und 1800 folgen – wie schon im Titel augenfällig wird – auch T.W. Moody/W.E. Vaughan (Hgg.), A New History of Ireland, Bd. 4 (18th-Century Ireland, 1691-1800), Oxford 1986.

27

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tisch motivierte Übernahme erprobter Kategorien, die helfen sollen, die Herange-hensweise zu strukturieren und die Informationen übersichtlich zu ordnen.28

Wiederum wegen des kolonialen Kontextes kann sich die Konstellationsanalyse jedoch nicht mit einer Untersuchung inneririscher Entwicklungen begnügen, son-dern muß auch exogenen Faktoren Beachtung schenken. Ganz offensichtlich gilt das für die Beziehungen Englands zu Irland, denn die Interventionen des kolonia-len Mutterlands hatten beträchtliche Konsequenzen für die inneririschen Verhält-nisse. Insofern muß Englands Irlandpolitik also unbedingt in die Betrachtung integriert werden – zumal in diesem Aspekt die Grenze zwischen ‚Innen’ und ‚Außen’ verschwimmt und zu einer Standpunktfrage wird: Von der Warte des britischen Empire betrachtet handelte es sich bei der Irlandpolitik um imperiale Kolonial- und Innenpolitik, aus der irischen – insbesondere der irisch-nationalen – Perspektive dagegen um Außenpolitik. Daher ist es allenfalls möglich, analytisch zwischen diesen beiden Perspektiven sauber zu unterscheiden. Diesem Umstand wird in der Konstellationsanalyse Rechnung getragen, indem der Bereich briti-scher Einflußnahme als prägender Faktor inneriribriti-scher Gesellschaftsentwicklung der Diskussion der vier gesellschaftlichen Dimensionen zugeschlagen wird und die Motive und Gründe, welche die britische Kolonialmacht zu ihrer spezifischen Einflußnahme veranlaßten, als externe Faktoren in einem eigenen Kapitel behan-delt werden.

Darüber hinaus sind mit der Amerikanischen und der Französischen

Revoluti-on zwei „Außenereignisse“ in die KRevoluti-onstellatiRevoluti-onsanalyse mitaufzunehmen, die für

die Selbstverortung und die Einschätzungen gesellschaftlicher Realität durch die irischen Zeitgenossen nachweislich von besonderer Bedeutung waren.29 Hier ent-standen Modelle und Präzedenzfälle, die in den Äußerungen und Argumenten irischer Nationalisten und Radikaler immer wieder aufgegriffen und reflektiert wurden. Wenn es also darum geht, unmittelbare Bedingungshintergründe und

28

Gleichwohl besteht kein Grund, die von Wehler entwickelten Definitionen der vier gesell-schaftlichen Dimensionen – vgl. ebd., S. 10f. – zu ändern, sie sind beim Lesen der von ihm ent-lehnten Begriffe gleichsam mitzudenken.

29

Vgl. O.D. Edwards, The Impact of the American Revolution on Ireland, in: The Impact of the American Revolution Abroad, Papers Presented at the Fourth Symposium, May 8 and 9, 1975, Washington 1976, S. 127-159; M.R. O'Connell, Irish Politics and Social Conflict in the Age of the American Revolution, Philadelphia 1965; C.J. Woods, Ireland and the French Revolution, in: Éire-Ireland 7 (1973), S. 34-41; M. Elliott, Partners in Revolution, The United Irishmen and France, New Haven 1982; L. Swords, The Green Cockade, The Irish in the French Revolution,

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Argumentationszusammenhänge zu analysieren, dürfen diese beiden exogenen Bezugspunkte inneririscher Entwicklung nicht unterschlagen werden.

Thematische Schwerpunktsetzungen der Konstellationsanalyse. Um dem

Au-sufern vorzubeugen und zu verhindern, wider Willen doch in den Ruch zu gera-ten, allgemeine Geschichtsschreibung treiben zu wollen, ist es notwendig, die Konstellationsanalyse durch strikte Selektion nach der übergreifenden Fragestel-lung (nach den Entstehungsbedingungen des republikanischen Elitennationalis-mus) auszurichten und verstärkt solche Aspekte zu behandeln, die in diesem Kon-text relevant sind. Angesichts des theoretischen Vorgriffs kann es nicht überra-schen, daß sich dahinter primär eine Fokussierung auf die kolonialen Strukturen der irischen Gesellschaft verbirgt. So wird sich etwa der Bereich ‘Politische Herr-schaft’ vor allem auf politische Gruppenbildungsprozesse, auf das Regiment des Kolonialregimes und die Entstehung oppositioneller Regungen gegen das kolonia-le Establishment konzentrieren. Im Feld ‘Wirtschaft’ wird die koloniakolonia-le Wirt-schaftsordnung und ihre Rückwirkungen auf die Sozialstruktur und interne Grup-penbildungsprozesse im Vordergrund stehen. In Hinsicht auf die ‘soziale Un-gleichheit’ wird vor allem Wert auf die Entstehung sozialer Konfliktpotentiale und ihre koloniale Überformung gelegt. Hier werden Agrarkonflikte von der Pau-perisierung der ländlichen Unterschichten bis zur Landflucht als Ausdruck einer kolonialen Fragmentierung der ländlichen Gesellschaft, die politisierenden Effek-te der Migrationsströme vom Land in die StädEffek-te und vice versa, die EntsEffek-tehung des Bürgertums (insbesondere der neuen katholischen Mittelschicht) und das spannungsgeladene, ebenfalls kolonial fundierte Verhältnis zwischen der über-wiegend anglikanischen Großgrundbesitzerschicht und dem konfessionell hetero-gen zusammengesetzten kommerziellen Sektor aus Kaufleuten, Produzenten und Unternehmern diskutiert. In der Domäne ‘Kultur’ werden schließlich Themen aufgegriffen, die auf den ersten Blick einen disparaten Eindruck vermitteln, aber ebenfalls durch die koloniale Zentralperspektive miteinander verbunden sind. In diesem Teil geht es um die Alphabetisierung und Schulbildung der breiten Bevöl-kerung (als Voraussetzung für ihre etwaige Politisierung), den Einfluß der Kir-chen, die Hochkultur als Manifestation des Herrschaftsanspruches der Kolonial-elite, sowie die friktionsreiche Koexistenz verschiedener Kulturtraditionen, die 1789-1815, Dublin 1989; H. Gough/D. Dickson (Hgg.), Ireland and the French Revolution, Dub-lin 1990.

(13)

ihrerseits für die Teilhabe an nationalpolitischen Debatten und für die Schwierig-keiten einer nationalen Mobilisierung von Bedeutung waren. Mithin wird im kul-turellen Feld auf zwei Ebenen – jener der staatlich-institutionalisierten Kultur (Kirchen, Schulbildung) und jener der Kultur der ‚kleinen Leute’30 – argumen-tiert.

Auch die Untersuchung exogener Einflüsse wird auf die allgemeine Fragestellung der Arbeit zugeschnitten. So wird etwa mit Bezug auf die Amerikanische und Französische Revolution danach gefragt, welche kulturellen und politischen Im-pulse von diesen internationalen Großereignissen für die irische Gesellschaft aus-gingen, wie etwa Ideen der beiden Revolutionen politische Debatten in Irland beeinflußten. Zugleich ist nach den nationalpolitischen Handlungsmöglichkeiten und -barrieren zu fragen, die sich in Irland wegen der gesetzlichen und politi-schen Rahmenbedingungen ergaben, die von der englipoliti-schen Kolonialpolitik ge-setzt wurden. Gemäß der gängigen Formel „Englands Schwierigkeit ist Irlands Chance“ muß nicht zuletzt auch nach den Einflüssen internationaler und innereng-lischer Konstellationen auf die nationalpolitischen Handlungsmöglichkeiten in Irland gefragt werden: Wie wirkten sich etwa die wiederholten militärischen Kon-flikte zwischen England und Frankreich oder der Kolonialkrieg in Amerika auf den politischen Handlungsspielraum in Irland aus, wie die Konflikte zwischen der englischen Regierung und der englischen Reformbewegung? Welche Rolle spiel-ten die Auseinandersetzungen zwischen der englischen Regierung und den engli-schen Katholiken? Anhand dieser Fragen verdeutlicht sich noch einmal, daß dem englischen Einfluß auf die irischen Verhältnisse ein Sonderstatus innerhalb der exogenen Einflußfaktoren zugestanden werden muß, der die geographische Nähe der beiden Länder, ihre jahrhundertealten politischen, ökonomischen und kulturel-len Beziehungen, vor allem aber ihre faktisch spätestens seit 1691 existierende Kolonialverbindung reflektiert. Es ist also a priori davon auszugehen, daß ameri-kanische und französische Einflüsse in Irland während des 18. Jahrhunderts –

30

‚Kultur der kleinen Leute’ ist eine etwas holprige Übersetzung des angelsächsischen Terminus ‚popular culture’. Dennoch ist diesem Begriff vor der Alternative ‚Volkskultur’ wegen dessen Nähe zur Lingua Tertii Imperii der Vorzug zu geben. Gemeint ist damit in Anlehnung an P. Burke „the culture of the non-elite“, wobei Kultur als ein „system of shared meanings, attitudes, and values, and the symbolic forms (performances, artefacts) in which they are expressed or embod-ied“ definiert wird. P. Burke, Popular Culture in Early Modern Europe, London 1978, S. ix.; vgl. auch J.R.R. Adams, The Printed Word and the Common Man: Popular Culture in Ulster 1700-1900, Belfast 1987, S. 1-7 u. J.S. Donnelly Jr./K. A. Miller (Hgg.), Irish Popular Culture,

(14)

1650-gesamtgesellschaftlich betrachtet – dem englischen Einfluß erkennbar nachgeord-net waren.

1850, Dublin 1998, S. xi-xxxi, wo unter direktem Rekurs auf Burke sein Konzept am irischen Beispiel konkretisiert wird.

(15)

II. Die innerirische Dimension

1. Konfliktstrukturen englischer Kolonialherrschaft in Irland (1691-1782)

Während des 18. Jahrhunderts wurde der politische Bereich von zwei zentralen Themenkomplexen beherrscht: der konfessionellen und der konstitutionellen Fra-ge. Erstere drehte sich um die politische Monopolstellung der anglo-irischen Ko-lonialelite (Ascendancy)31 in Irland. Ihre Alleinherrschaft setzte die Ascendancy mit Hilfe einer konfessionell gestaffelten Marginalisierung der anderen Bevölke-rungsteile – der presbyterianischen Iren schottischer Herkunft und der katholi-schen Iren gälischer und normanno-irischer Herkunft – um, die zwar äußerlich konfessionell legitimiert wurde, unterschwellig aber durch koloniale, machtsche Interessen geprägt war. Hinter der Etablierung und Absicherung der politi-schen Monopolstellung der Ascendancy, welche die Machtverteilung in der iri-schen Gesellschaft determinierte und somit entscheidend zur Genese einer gesell-schaftliche Hierarchie zwischen den drei großen kolonialen Bevölkerungsgruppen

31

Der Begriff ‘Ascendancy’ ist ein zeitgenössischer anglikanisscher Kampfbegriff, der im Jahr 1792 vom Dubliner Stadtrat (Dublin Corporation) in einer Adresse an die Protestanten Irlands erstmals verwendet wurde. Er bezeichnete ursprünglich eine Staatsauffassung, die von einem anglikanischen Machtmonopol im irischen Staat und einer staatlichen Verbindung zwischen Irland und Großbritannien ausgeht. Im Beschluß der Dublin Corporation von 1792 heißt es: "Resolved, That we consider the Protestant Ascendancy to consist in A PROTESTANT KING OF IRELAND, A PROTESTANT PARLIAMENT, A PROTESTANT HIERARCHY, PROTESTANT ELECTORS AND GOVERNMENT, THE BENCHES OF JUSTICE, THE ARMY AND THE REVENUE, Through all their Branches and Details, PROTESTANT; And this system supported by a Connection with the PROTESTANT REALM OF BRITAIN." Zitiert nach Catholics of Dublin, Proceedings at the Catholic Meeting of Dublin, duly convened on Wednes-day, Oct. 31, 1792, at the Exhibition Room, Exchequer Str. With the letter of the corporation of Dublin, to the Protestants of Ireland. Annexed is the Declaration Adopted by the General Commit-tee, March 17, 1792, and subscribed by the Catholics of Ireland. Also the Letter and Plan of the Sub-committee for the Appointment of delegates. Dublin (H. Fitzpatrick) 1792, S. 5. In der iri-schen Geschichtsschreibung hat sich überdies eingebürgert, den Begriff ‚Ascendancy’ auch retro-spektiv und avant la lettre als Bezeichnung für die Trägerschicht dieser Staatsauffassung zu ver-wenden. Vgl. J.C. Beckett, Literature in English, 1691-1800, in: Moody/Vaughan, History of Ireland 4, S. 424-470, S. 459; J.L. McCracken, Protestant Ascendancy and the Rise of Colonial Nationalism, 1714-60, in: ebd., S. 105-122, S. 105-108; A. Helle, Ulster: Die blockierte Nation, Nordirlands Protestanten zwischen britischer Identität und irischem Regionalismus (1868-1922), Frankfurt/M. 1999, S. 19; J.G. Simms, Protestant Ascendancy, 1691-1714, in: Moody/Vaughan, History of Ireland 4, S. 1-30, passim. In diesem Sinn stellt ‚Ascendancy’ sowohl ein Synonym für den Begriff „Protestant Nation“ dar (verstanden als ‚politische Nation’, d.h. als die anglo-irische, anglikanische Bevölkerungsgruppe mit politischen Partizipationsrechten) oder – sozial exklusiver aufgefaßt – für ‚anglo-irische Kolonialelite’ (d.h. die anglo-irischen, anglikanischen Aristokraten, Latifundienbesitzer, Parlamentarier und anderen Amts- und Würdenträger des anglo-irisch domi-nierten Staatsapparats und der anglikanischen Church of Ireland). Nachfolgend wird der Begriff analytisch als Bezeichnung für die anglo-irische Kolonialelite verwendet.

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in Irland beitrug, stand daher ein grundlegender Konfessionalisierungsprozeß der politischen Herrschaft.

Im Gegensatz dazu ging es bei der konstitutionellen Frage um die Machtvertei-lung zwischen der Ascendancy und der britischen Kolonialmacht. Hier drehte sich alles um die Frage, wem es von Rechts wegen zustand, welchen Teil der Souverä-nität in Irland auszuüben. Die Spannbreite dieses Konfliktfeldes erstreckte sich von der verfassungstheoretischen Frage, ob Irland als eine dem britischen Reich untergeordnete Kolonie oder als unabhängiges Königreich anzusehen sei, das le-diglich vom englischen König in Personalunion mitregiert wurde, bis in die kleinsten Verästelungen des Kolonialregimes, wo die Ascendancy mit den Reprä-sentanten der englischen Krone hartnäckig um die Kontrolle über Herrschafts-rechte und -aufgaben in Irland stritt. Die anglo-irische Kolonialelite befand sich also – soviel kann jetzt schon festgehalten werden – in einer doppelten Frontstel-lung: Einerseits gegen die anderen Bevölkerungsgruppen in Irland selbst, die mit der Ascendancy konkurrierten, und andererseits gegen das koloniale Mutterland, gegen dessen Interventionen sich die Ascendancy zur Wehr setzen mußte, um ihr Machtmonopol in Irland tatsächlich ausüben zu können.

Diese beiden Themenkomplexe waren unmittelbar miteinander und mit der end-gültigen Durchsetzung der britischen Kolonialherrschaft in Irland am Ende des 17. Jahrhunderts verschränkt. Um sie verstehen zu können, muß man daher min-destens bis zum Frieden von Limerick (3.10.1691) zurückgreifen, der das Ende des Stuart-Erbfolgekriegs (1689-1691) markierte.32

Dieser Krieg hatte eine europäische, eine englische und eine irische Bedeutungs-dimension. Von europäischer Warte lediglich ein Nebenschauplatz der Auseinan-dersetzung zwischen Ludwig XIV. und der Großen Allianz um die Hegemonie in Kontinentaleuropa, bestätigte der Ausgang des Krieges im britischen Bedeutungs-zusammenhang das Resultat der „Glorious Revolution“ von 1688.33 Im irischen

32

Zum Stuart-Erbfolgekrieg vgl. J.G. Simms, The Restoration and the Jacobite War (1660-1691), in: T.W. Moody/F.X. Martin (Hgg.), The Course of Irish History, Cork 19872, S. 209-216. Älter, aber dafür sehr viel ausführlicher: J.G. Simms, Jacobite Ireland, 1685-91, London 1969.

33

Vgl. Beckett, Making, S. 146; M. Maurer, Kleine Geschichte Irlands, Stuttgart 1998, S. 133f. Bemerkung zum Begriff „Glorious Revolution“: Diese überhöhende Bezeichnung der Ereignisse von 1688 stammt aus der Whig-Tradition, die in dem Arrangement von 1688 einen Fortschritt der politischen und religiösen Freiheit zu erblicken glaubte. Vgl. M. Maurer, Kleine Geschichte Eng-lands, Stuttgart 1997, S. 227f. Da es sich um einen zeitgenössischen Kampfbegriff handelt, dessen faktischer Wahrheitsgehalt zweifelhaft ist, wird der Begriff nur verwendet, weil er sich allgemein durchgesetzt hat. Zur Distanzierung werden Anführungszeichen verwendet.

(17)

Kontext – der hier ausschlaggebend ist – handelte es sich bei dem Krieg um eine Auseinandersetzung zwischen den katholischen Gaelic-Irish und Old English auf der einen und den protestantischen New English und Scotch-Irish, die mit einem Sieg der protestantischen Partei endete.34 Die irischen Katholiken hatten gehofft, daß eine Wiedereinsetzung Jakob Stuarts ihnen eine katholische Restauration be-scheren würde, welche die Cromwell’schen Landenteignungen von 1652/53 revi-dieren würde.35 Nach ihrer Niederlage trat jedoch das Gegenteil ein: Die protes-tantischen Seite konnte nun – ohne Widerstand erwarten zu müssen – daran ge-hen, ihre neue Vormachtposition in Irland abzusichern und auf Dauer zu stellen.

a) Die Konfessionalisierung der politischen Herrschaft

Als Resultat des Stuarterbfolgekrieges standen sich in Irland zunächst zwei Grup-pen gegenüber: Sieger und Besiegte. Hinter dem Begriff ‚Sieger’ verbarg sich eine Allianz aus anglo-irischen Anglikanern und schottisch-irischen Presbyteria-nern, die sich erst im Laufe des 17. Jahrhunderts in Irland angesiedelt hatten. Die ‚Besiegten’ dagegen rekrutierten sich aus gälisch-irischen und normanno-irischen Katholiken (Old English), die aber vom kolonialen Mutterland und den englischen und schottischen Neuankömmlingen des 17. Jahrhunderts zunehmend als Einheit wahrgenommen und behandelt wurden, weil beide Bevölkerungsgruppen katho-lisch waren und sich zusammen gegen die Ansiedlungsprogramme des 17. Jahr-hunderts zur Wehr gesetzt hatten.36 Zu dieser Verschmelzung von gälischen Iren und Old English in der Wahrnehmung der Sieger des Erbfolgekrieges gehörte auch, daß sie die militärischen Auseinandersetzungen zwischen 1689 und 1691 nicht so sehr als Folgewirkung der „Glorious Revolution“ in Irland, sondern als eine weitere katholische Rebellion interpretierten und eine Kontinuität zwischen

34

Bemerkung zur Terminologie: Hinter dem Begriff ‘Gaelic-Irish’ verbirgt sich die indigene Bevölkerung Irlands, ‘Old English’ bezeichnet die katholischen, normanno-englischen Siedler, die sich in Irland vor der englischen Reformation – dem Erlaß des Suprematsgesetzes von 1534 – niederließen, mit ‘New English’ sind die anglikanischen Anglo-Iren gemeint, die während der Ulster Plantation von 1608-10 nach Irland kamen, mit ‘Scotch-Irish’ alle Iren schottischer Her-kunft und insbesondere die presbyterianischen Schotten, die sich ebenfalls im Zuge der Ulster Plantation in Irland ansiedelten.

35

Kee, Most Distressful Country, S. 17.

36

(18)

dem katholischen Aufstand von 1641 und dem Erbfolgekrieg sahen.37 Entschei-dend ist, daß sich aus dieser Kontinuitätsannahme eine katholische Bedrohung für die protestantische Bevölkerung Irlands konstruieren ließ,38 die zur Legitimation sehr weitreichender, präventiver Gegenmaßnahmen ins Feld geführt werden konn-te. Faktisch tat das anglo-irisch beherrschte Parlament jedoch mehr als zum Schutz der protestantischen Bevölkerung notwendig gewesen wäre: Es nutzte die Gunst der Stunde, um unter dem Deckmantel des Selbstschutzes ein konfessionel-les Apartheidsystem zu installieren, das in der Folgezeit primär dazu diente, das politische Machtmonopol der anglikanischen Minderheit zu zementieren. Daß das Schutzargument zumindest teilweise vorgeschoben war ist bereits daran erkenn-bar, daß sich die Maßnahmen nicht allein gegen die katholische Bevölkerungs-gruppe, sondern – allerdings in abgeschwächter Form – auch gegen die ehemali-gen Verbündeten der Anglikaner im Erbfolgekrieg, die schottisch-irischen Presby-terianer, richteten.39 Außerdem ist es bezeichnend, daß sich die praktische Voll-streckung der Strafgesetze weniger auf die religiösen, als auf die politischen, öko-nomischen und besitzrechtlichen Regelungen konzentrierte.40 Proselytische Ab-sichten, wie sie einige Würdenträger der Church of Ireland anfangs verfolgten,

37

Bezeichnend sind hierfür die Gerüchte um einen ‚popish plot‘, die in Krisenzeiten regelmäßig in der protestantischen Bevölkerung kursierten. Vgl. J. Lydon, The Making of Ireland, From An-cient Times to the Present, London 1998, S. 208.

38

Der faktische Gehalt der anglikanischen Bedrohungsthese ist mehr als zweifelhaft: Die über-zeugten Jakobiten waren nach dem Frieden von Limerick in einem Massenexodus Jakob II. nach Frankreich ins Exil gefolgt. Vgl. S. Scott, The French Revolution and the Irish Regiments in France, in: Gough/Dickson, Ireland, S. 14-27, S. 14. Allein 12.000 jakobitische Soldaten verließen Irland unmittelbar nach dem Friedensschluß von Limerick. Vgl. J.G. Simms, The Irish on the Continent, 1691-1800, in: Moody/Vaughan, History of Ireland 4, S. 629-656, hier S. 630f. Lecky spricht sogar von 14.000 und zitiert Abbé MacGeoghegan mit der Bemerkung, daß zwischen 1691 und 1745 allein 450.000 Iren in französischen Diensten gefallen seien. Lecky beeilt sich hinzuzu-fügen, daß diese Zahl vollkommen unglaublich sei, gibt aber andere Quellen an, welche die Zahl sogar noch höher ansetzen. Vgl. W.E.H. Lecky, A History of Ireland in the 18th Century 1, Lon-don 1892 (Nachdr. New York 1969), S. 248f. und Anm. 3, S. 248. Es darf also als gesichert gel-ten, daß deutlich mehr als Zehntausend Jakobiten emigrierten. Überdies verhielten sich die iri-schen Katholiken während der jakobitiiri-schen Aufstände in Schottland (1715 und 1745) geradezu demonstrativ ruhig. Vgl. Lecky, ebd., S. 142-144. Vgl. auch Lydon, ebd., S. 219, der die Ge-samtzahl der irischen Katholiken, die in der franzöischen Armee dienten, mit bis zu 20.000 Mann beziffert und für die 1720er und 1730er Jahre noch jährliche Rekrutierungsraten von ca. 1.000 Mann angibt.

39

M. Wall, The Penal Laws 1691-1760, in: G. O'Brien/T. Dunne (Hgg.), Catholic Ireland in the 18th Century: Collected Essays of Maureen Wall, Dublin 1989, S. 1-60, S. 5.

40

(19)

traten deutlich hinter das primäre Motiv der anglikanischen Herrschaftsabsiche-rung zurück.41

Die Marginalisierung der katholischen Bevölkerungsmehrheit. Als ‚Besiegte’

und als von den Anglikanern als ‚Erzfeind’ wahrgenommene Bevölkerungsgrup-pe, bekamen die irischen Katholiken die ganze Unerbittlichkeit der Kolonialelite zu spüren. Durch die drakonischen Strafgesetze (Penal Laws) – ein Konglomerat verschiedener anti-katholischer Gesetze, die nach englischen Vorbild42 zwischen 1695 und 1728 erlassen wurden – wurde die katholische Bevölkerungsmehrheit politisch, ökonomisch, sozial und kulturell unterdrückt. W.E.H. LECKY (1838-1903), der Doyen der irischen Geschichtsschreibung über das 18. Jahrhundert,43 der als Anglo-Ire eines katholischen Bias unverdächtig ist, hat die Penal Laws als Ausdruck einer „religiösen Klassentyrannei“44 bezeichnet und die Funktion der Strafgesetze wie folgt umrissen:

So wie er tatsächlich ausgeführt wurde, wurde der Penal Code weniger durch Fanatismus inspiriert als durch Habgier, er war weniger gegen die katholi-sche Religion gerichtet als gegen den Besitz und den Fleiß der Katholiken. Er sollte sie arm machen und arm halten, in ihnen jede Regung des Unter-nehmungsgeistes zerstören, sie zu einer servilen Kaste degradieren, die nie-mals hoffen konnte, ihren Unterdrückern wieder ebenbürtig zu werden.“45

Da die Strafgesetze alle Lebensbereiche der katholischen Bevölkerung betrafen, ist es an dieser Stelle nicht angebracht, einen Aufriß aller Regelungen zu geben. Sie werden uns im weiteren Verlauf der Arbeit noch häufiger begegnen. Hier

41

Dezidiert anderer Meinung ist in diesem Gesichtspunkt T. Bartlett, The Fall and Rise of the Irish Nation, The Catholic Question, 1690-1830, Dublin 1992, S. 17-29, der diese Interpretation als zu „oberflächlich“ und „simplizistisch“ bezeichnet und dafür plädiert, den anglikanischen Missionierungswillen ernstzunehmen. Allerdings muß selbst er widerwillig einräumen, daß die anglikanische Oberschicht kein Interesse an der massenhaften katholischen Konversion hatte (S. 27) und seine These, daß die Strafgesetze nicht durch eine zielgerichtete, anti-katholischen Ab-sicht entstanden seien, sondern durch die Interaktion diverser Parteien, die zur Eskalation der Strafgesetzgebung geführt hätte (S. 20), ist wenig überzeugend, denn die anti-katholische Strafge-setzgebung in Irland orientierte sich in der Tat am englischen Modell. Vgl. J.G. Simms, The Es-tablishment of Protestant Ascendancy, 1691714, in: Moody/Vaughan, History of Ireland 4, S. 1-30, S. 16. Selbst wenn es also keine planmäßige Implementation der Strafgesetzgebung gab, die angesichts der konstitutionellen Zustände in Irland in der Tat zweifelhaft ist, so ist sicher, daß es einen breiten anti-katholischen Konsens gab, der von Anglo-Iren und Engländern gleichermaßen getragen wurde.

42

Vgl. Wall, Penal Laws, S. 8; Simms, ebd. 43

Zu einem konzisen Überblick über Lecky als Historiker vgl. B. Stuchtey, Die Irische Historio-graphie im 19. Jahrhundert und Leckys Geschichtskonzeption, in: Comparativ 3 (1995), S. 83-98, sowie ausführlicher in ders., W.E.H. Lecky (1838-1903), Historisches Denken und politisches Urteilen eines anglo-irischen Gelehrten (Veröffentlichungen des DHI London, 41), Göttingen 1997.

44

(20)

werden jetzt nur diejenigen Passagen der Strafgesetze diskutiert, welche die

poli-tische Marginalisierung der Katholiken zur Folge hatten.

Die politisch relevanten Strafgesetze. Die Implementation anti-katholischer

Ge-setze begann bereits mit dem Zusammentritt des irischen Parlaments im Oktober 1692. In diesem Parlament saß bereits kein einziger katholischer Ire mehr, weil die Abgeordneten des Ober- und Unterhauses seit Ende 1691 durch ein in Eng-land erlassenes, aber auch in IrEng-land gültiges Gesetz dazu verpflichtet waren, einen Eid abzulegen, in dem die weltliche Autorität des Papstes, die Transsubstantiati-onslehre und andere spezifisch katholische Doktrinen negiert wurden.46

Landenteignungen und politisches Gewicht. Das Parlament von 1692 ging

um-gehend daran, die Regelungen des Friedensvertrages von Limerick zu unterlaufen, die in den Augen der anglikanischen Abgeordnetenschaft viel zu mild waren. Die Delegierten insistierten, Enteignungsmaßnahmen gegen katholische Jakobiten auszudehnen und die von Wilhelm III. bereits zugesicherte freie Religionsaus-übung für Katholiken rückgängig zu machen.47 Mit beiden Anliegen konnten sie sich 1697 durchsetzen, aber für den politischen Bereich ist nur die Ausweitung der Land-enteignungen wichtig: Infolge der ‚Williamite confiscations‘ ging der Anteil des katholischen Landbesitzes von 22 % (im Jahr 1688) auf 14 % (im Jahr 1703) zurück.48 Da das aktive Wahlrecht an Landbesitzqualifikationen gebunden war,49 wurde mit diesen Enteignungen der politische Einfluß der Katholiken fast halbiert und die numerische Mehrheit der Katholiken endgültig in eine unbedeu-tende Besitzminderheit überführt. Die anglikanische „Rachsucht“ – wie die Lord-richter in Dublin die Stimmung des Parlaments 1692 beschrieben50 – war damit jedoch noch nicht befriedigt. Durch die Einführung geeigneter Erbgesetze in den „Popery Acts“ von 1704 und 1709 gelang es der Ascendancy sicherzustellen, daß

45

Ebd., S. 152. (meine Übersetzung)

46

Vgl. Maurer, Geschichte Irlands, S. 141; Beckett, Making, S. 151; Lydon, Making, S. 219; Dickson, New Foundations, S. 40.

47

Vgl. Beckett, ebd., S. 151, J.I. McGuire, The Irish Parliament of 1692, in: T. Bartlett/D.W. Hayton (Hgg.), Penal Era and Golden Age, Essays in Irish History, 1690-1800, Belfast 1979, S. 1-31, S. 3, 6, 15-17.

48

Vgl. Simms, Establishment, S. 12; M. Wall, The Age of the Penal Laws (1691-1778), in: Moody/Martin, Course, S. 217-231, S. 219f., Lydon, Making, S. 223.

49

S.J. Connolly, The Oxford Companion to Irish History, Oxford 1998, S. 205.

50

(21)

sich 1778 nur noch 5 % des Landbesitzes in katholischen Händen befand – mit entsprechenden Konsequenzen für das politisches Gewicht der Katholiken.51

Ausschluß der Katholiken aus öffentlichen und politischen Ämtern. Der

näch-ste Schritt der Ascendancy zielte darauf ab, Katholiken aus allen öffentlichen und politischen Ämtern sowie aus dem Militär fernzuhalten. Hierzu diente die Einfüh-rung des Sacramental Test von 1704, der vorsah, daß nur diejenigen Personen ein öffentliches Amt bekleiden durften, die zuvor einen Treueschwur auf die Krone geleistet und das Abendmahl nach anglikanischem Ritus gefeiert hatten. Dadurch wurde zum einen gewährleistet, daß Katholiken nicht in den Stadträten

(Corpora-tions) sitzen konnten – was insofern auch direkte Auswirkung auf die politische

Partizipation hatte, als die Stadträte in 55 der 117 Wahlbezirke (den Corporation

Boroughs) bestimmten, wer das aktive Wahlrecht erhielt.52 Mit diesem Schritt wurden die Katholiken also nicht nur aus der kommunalen Selbstverwaltung aus-geschlossen, sondern überdies auch von der Wahl von mehr als einem Drittel der Abgeordneten des irischen Unterhauses.53 Zum anderen wurde so sichergestellt, daß Katholiken in der Verwaltung, der Judikative und Exekutive keinen Einfluß nehmen konnten. Die Entfernung aus dem Militär erreichte die Ascendancy schließlich dadurch, daß sie Katholiken verbot, Waffen zu besitzen.54 Das Haus eines Katholiken konnte jederzeit auf Anweisung eines Sheriffs, Richters oder Bürgermeisters nach Waffen durchsucht werden und wenn auch nur eine verroste-te alverroste-te Vogelflinverroste-te entdeckt wurde, bekam der betreffende Katholik eine Geld- oder Gefängnisstrafe, wurde ausgepeitscht oder mußte an den Pranger.55

Wahlverbot für Katholiken. Zur Abrundung der politischen Marginalisierung

der katholischen Bevölkerung fehlte jetzt nur noch ein generelles Wahlverbot, denn unter günstigen Bedingungen gelang es immer noch einigen wenigen katho-lischen Adeligen und Großgrundbesitzern, in einzelnen Grafschaften die

51 Vgl. Wall, Age, S. 220. 52 Connolly, Companion, S. 205. 53

Im irischen Unterhaus saßen 300 Abgeordnete, von denen jeweils zwei von den 32 Grafschaf-ten, den 117 Wahlbezirken und vom Trinity College gewählt wurden. Durch den Ausschluß vom aktiven Wahlrecht in den Corporation Boroughs waren die Katholiken von der Wahl von 110 Abgeordneten (= 36, 67 % der gesamten Abgeordnetenschaft) ausgeschlossen. Vgl. Connolly, Companion, S. 205.

54

Lecky, History of Ireland 1, S, 146.

55

(22)

gebnisse mit Hilfe der Wahlberechtigten ihrer Güter zu beeinflußen.56 Per Gesetz vom 6.5. 1728, das den Katholiken nun auch das aktive Wahlrecht entzog, wurde hier ein Riegel vorgeschoben.57

Damit war die umfassende politische Marginalisierung der katholischen Bevölke-rung abgeschlossen: Alle Bereiche des öffentlichen Lebens – Legislative, Exeku-tive, JudikaExeku-tive, Administration, Militär – waren „katholikenfrei“ und befanden sich fest in der Hand der anglikanischen Kolonialoligarchie. Das auffälligste Merkmal dieses Prozesses besteht darin, daß die Kolonialelite die Marginalisie-rung der Katholiken weniger durch direkte Verbote als vielmehr über einen Um-weg – durch die Errichtung konfessioneller Barrieren – ins Werk setzte. Einerseits ließ dieses Vorgehen den irischen Katholiken prinzipiell immer den Ausweg of-fen, sich der Strafgesetzgebung durch Konversion entziehen, andererseits machte aber just dieser Gesichtspunkt die Perfidie des konfessionellen Apartheidsystems aus: Es setzte gläubige Katholiken der ständigen Versuchung aus, ihr Seelenheil gegen weltliches Vorankommen einzutauschen. Die grundsätzliche Hypokrisie der Ascendancy bestand darin, die katholische Bevölkerung erst politisch zu mar-ginalisieren – in der Hoffnung, daß sie größtenteils bei ihrem Glauben bleiben würden, weil eine katholische Massenkonversion das koloniale Machtmonopol der Ascendancy zum Einsturz gebracht hätte – und ihnen anschließend achselzu-ckend zu erklären, daß sie an ihrer Situation letztlich selbst schuld seien, da sie doch die Möglichkeit zur Konversion hätten.

Die politische Degradierung der Dissenter58

. Im Anschluß an den Stuart-Erbfolgekrieg differenzierte sich der duale Antagonismus zwischen ‚Siegern’ und ‚Besiegten’ bald zu einer dreifachen Frontstellung aus, da die Ascendancy ihre presbyterianischen Verbündeten in Ulster, die Dissenter, Schritt für Schritt zu Kolonisten zweiter Klasse degradierte.59 Der Konflikt zwischen Presbyterianern und Anglikanern hatte – im Gegensatz zum katholisch-protestantischen Gegensatz

56

J.L. McCracken, The Political Structure, 1714-60, in: Moody/Vaughan, History of Ireland 4, S. 57-83, S. 77.

57

J.E. Dogherty/D.J. Hickey, A Chronology of Irish History since 1500, Dublin 1989, S. 74; Dickson, New Foundations, S. 73.

58

‘Dissenter’ (wörtlich: „Abweichler“) ist ein anglikanischer Sammelbegriff für alle protestanti-schen Glaubensgemeinschaften, die nicht mit den Doktrinen der anglikaniprotestanti-schen Staatskirche über-einstimmten. In Irland stellt der Begriff gegen Ende des 18. Jahrhunderts schlicht ein Synonym für ‚schottisch-irischer Presbyterianer’ dar. Vgl. Connolly, Companion, S. 149f.

(23)

– nichts mit dem Krieg von 1686-1691 zu tun: Hier handelte es sich um eine Aus-einandersetzung zwischen zwei Kolonistengruppen um die koloniale Hegemonie. Der Hintergrund dafür war folgender: Wegen einer ökonomischen Krise in Schottland wanderten in der letzten Dekade des 17. Jahrhunderts mehr als 50.000 schottische Familien ins benachbarte Ulster aus, wo durch die Enteignung katho-lischer Jakobiten Farmland zu günstigen Konditionen zu haben war. Durch diesen Immigrationsschub entwickelte sich Ulster zu einem Bollwerk der schottisch-irischen Bevölkerung, die überwiegend presbyterianisch war. Durch die Einwan-derung näherte sich die presbyterianische der anglo-irischen Bevölkerung nume-risch immer weiter an und begann daher der anglo-inume-rischen Vormachtstellung gefährlich zu werden. 60 Erschwerend kam hinzu, daß die presbyterianische Kir-che der anglikanisKir-chen institutionell überlegen war, daß der regionale Zusam-menhalt der Presbyterianer größer war als derjenige der Anglikaner, die – vom zentralen Siedlungsgebiet in der Pale61 abgesehen – über das ganze Land ver-streut waren, und daß die Presbyterianer wegen ihrer Kontakte nach Schottland und zu den englischen Whigs auch als politische Gegner nicht zu unterschätzen waren.62 Da sie überdies die Forderung erhoben, daß – dem schottischen Beispiel folgend – die anglikanische Kirche zugunsten einer prinzipiellen Gleichstellung mit der presbyterianischen Kirche vom Staat getrennt werden sollte,63 stellten sie in zweifacher Hinsicht eine Gefahr für das anglikanische Kolonialregime dar: Zum einen bedrohte ihre numerische Stärke unmittelbar die Machtbasis der

As-cendancy, zum anderen attackierte ihre Forderung nach Gleichstellung die

legiti-mativen Grundfesten des „Ascendancy interest“, die axiomatisch von einer un-trennbaren Einheit vom irischen Staat und der anglikanischen Kirche ausging.64

59

Wall, Penal Laws, S. 5.

60

Simms, Establishment, S. 23; J.L. McCracken, The Social Structure and Social Life, 1714-60, in: Moody/Vaughan, History of Ireland 4, S. 31-56, S. 39f.

61

‘The Pale’: Gebiet zwischen Dublin und den Wicklow Mountains im Süden, dem Lough Owel im Westen und Dundalk im Norden, etwa deckungsgleich mit dem unter Geographen geläufigen Begriff des „östlichen Dreiecks“ (eastern triangle), einer weniger regenreichen, fruchtbaren Ge-gend ohne Moore und Gebirge, die Ausgangspunkt für alle Eroberungsversuche in Irland – von den Kelten über die Wikinger und Normannen bis zu den Engländern – war. Vgl. J.H. Andrews, A Geographer’s View of Irish History, in: Moody/Martin, Course, S. 17-29, S. 19-21; Connolly, Companion, S. 424f.

62

McCracken, Social Structure, S. 39-41; Zwischen 1707 und 1716 stieg parallel die Anzahl der presbyterianischen Gemeinden um 30 Prozent. Vgl. Dickson, New Foundations, S. 57.

63

Simms, Establishment, S. 22.

64

Dabei rückte die anglikanische Propaganda die Dissenter in die Nähe der Katholiken: Beide Konfessionen verträten die Doktrin, daß es ein Gott gegebenes Recht gebe, häretische Herrscher

(24)

Entsprechend schnell einigten sich die anglikanischen Kirchenfürsten und Groß-grundbesitzer, die beiden Säulen der Ascendancy, daß den presbyterianischen Wünschen nach mehr Autonomie ein Riegel vorgeschoben werden müsse.65 In der Regierungszeit Königin Annes (1702-1714), die dem Dissent ebenfalls nicht wohlgesonnen war,66 kam ihnen dabei zugute, daß auch Großbritannien nicht zu-gunsten der Presbyterianer intervenierte.

Der Sacramental Test. Analog zur Marginalisierung der Katholiken griff die Ascendancy zunächst die politische Partizipationsrechte der Presbyterianer an und

versuchte, ihnen jeden Weg zur aktiven öffentlichen Einflußnahme zu versperren. Durch die Einführung des Sacramental Test von 1704 gelang ihnen das umfas-send: Niemand durfte fürderhin ein politisches Amt bekleiden, ohne zuvor das Abendmahl nach anglikanischem Ritus empfangen zu haben und beim Treueeid die Bibel geküßt zu haben. Beides war mit presbyterianischen Vorstellungen nicht zu vereinbaren67 und so waren die Presbyterianer – wie die Katholiken – von allen öffentlichen Ämtern automatisch ausgeschlossen. Nach demselben Muster erfolg-te der Ausschluß aus den Stadträerfolg-ten (und damit – wie bereits bekannt – von der Wahl von mehr als einem Drittel der Abgeordneten des Unterhauses).68 Es ent-behrt nicht einer gewissen Pikanterie, daß die Petition, auf die hin das irische Un-terhaus entschied, daß die Sacramental Tests auch für die Ämter im Stadtrat gel-ten sollgel-ten, von Anglikanern aus Belfast, dem Zentrum des presbyterianischen Siedlungsgebiets, eingereicht wurde. Hier ging es also ganz offensichtlich darum, den Presbyterianern in ihrem ureigensten Gebiet eine rein anglikanische Stadt-verwaltung vor die Nase zu setzen. Zu allem Überfluß minimierten auch die auf Landbesitz beruhenden Wahlqualifikationen den Einfluß der Presbyterianer, die vorwiegend Pächter und Kaufleute waren.69 Obwohl sie also – im Gegensatz zu abzusetzen. Vgl. T.C. Barnard, Identities, Ethnicity and Tradition among Irish Dissenters c. 1650-1750, in: K. Herlihy (Hg.), The Irish Dissenting Tradition, 1650-1650-1750, Dublin 1995, S. 29-48, S. 32.

65

Bartlett, Fall, S. 31.

66

Vgl. J.G. Simms, The Making of a Penal Law (2 Anne, c. 6), in: IHS 12, 46 (1960), S. 105-118; P. Brooke, Ulster Presbyterianism, The Historical Perspective, 1610-1970, Dublin 1987, S. 66f.

67

Vgl. P. Tesch, Presbyterian Radicalism, in: Dickson, United Irishmen, S. 33-48, S. 44. Der Sacramental Test wurde erst im Zuge von Grattan’s Revolution im Jahr 1782 wieder aufgehoben.

68

McCracken, Social Structure, S. 40.

69

In den Grafschaften Antrim, Down und Tyrone (den presbyterianischen Kernsiedlungsgebieten) gab es nach einer pro-presbyterianischen Quelle von 1751 nicht mehr als 60 Landbesitzer, deren Einkommen sich per capita zwischen 200 und 1.400 £ bewegte. Und selbst wenn es sich dabei nicht um eine Übertreibung handelt, so waren die Einkommen im Vergleich alles andere als

(25)

be-den Katholiken – weder vom aktiven noch vom passiven Wahlrecht per se ausge-schlossen wurden, gelang es der Ascendancy, auf dem Umweg über die Tests si-cherzustellen, daß die Dissenter im öffentlichen Leben keine zentrale Rolle spiel-ten.

Maßnahmen gegen die presbyterianische Kirche. Zweitens richteten sich die

Attacken der Ascendancy gegen die presbyterianische Kirche und Konfession. Wie die Katholiken wurden auch die Dissenter gezwungen, durch die Zahlung von Tithes (Zehntabgaben) an die anglikanische Kirche ein aus ihrer Perspektive heterodoxes Kirchenregiment zu finanzieren.70 Gleichzeitig blockierten die angli-kanischen Kirchenfürsten im irischen Oberhaus wiederholt Versuche, ein Tolerie-rungsgesetz für die Dissenter durchzusetzen, das sich im Rahmen des englischen

Toleration Act von 1689 bewegte. Erst unter britischem Druck – Georg I.

verfolg-te gegenüber den Dissenverfolg-tern eine deutlich mildere Politik als seine Amtsvorgän-gerin Anne – wurde im irischen Parlament 1719 ein Tolerierungsgesetz verab-schiedet, das den Dissentern das Recht auf freie Religionsausübung prinzipiell zugestand.71 Wie widerwillig dieses Recht jedoch gewährt wurde, läßt sich deut-lich daran ablesen, daß religiöse Restriktionen bezügdeut-lich des presbyterianischen Heirats- und Bestattungsritus trotz dieses Gesetzes bis in die 1730er Jahre fortbe-standen.72 Auch sonst ließ die Ascendancy keine Gelegenheit aus, um die presby-terianische Religionsausübung zu behindern. So war es etwa Usus in Pachtverträ-gen zwischen presbyterianischen Pächtern und anglikanischen Landbesitzern

ex-pressis verbis festzuhalten, daß auf dem gepachteten Land keine Bethäuser

errich-tet werden durften.73

Regium Donum. Darüber hinaus versuchte die Ascendancy auch, das Regium Donum, einen bescheidenen jährlichen Beitrag der Krone zur Bezahlung

presbyte-rianischer Prediger, der 1672 von Karl II. eingeführt worden war, abzuschaffen.74 Seit es von Wilhelm III. – gegen den Widerstand der Ascendancy – auf 1.200 £ eindruckend. Vgl. ebd., S. 40. Ähnlich niedrige Zahlen finden sich für die 1720er Jahre auch bei Barnard, Identities, S. 35.

70

J.L. McCracken, The Ecclesiastical Structure, 1714-60, in: Moody/Vaughan, History of Ireland 4, S. 84-104, S. 101; Wall, Penal Laws, S. 5.

71

Dickson, New Foundations, S. 74f.

72

R. Foster, Modern Ireland, 1600-1972, Harmondsworth 1988, S. 157; McCracken, Ecclesiasti-cal Structure, S. 101.

73

McCracken, ebd., S. 101.

74

Connolly, Companion, S. 477. Der Betrag des Regium Donum belief sich ursprünglich auf 600 £ p.a. Vgl. Beckett, Making, S. 132.

(26)

p.a. aufgestockt worden war,75 stand es fortwährend im Kreuzfeuer der Kritik. Anglikanische Kirchenfürsten beschuldigten die Presbyterianer, sie mißbrauchten das Geld zum Aufbau neuer Gemeinden, machten also mit anglikanischem Geld der anglikanischen Kirche Konkurrenz. Das irische Unterhaus beschloß 1703, es handele sich beim Regium Donum um eine „entbehrliche“ Leistung des Staates.76 1714 gelang es der Ascendancy sogar, für kurze Zeit die Abschaffung des Regium

Donum durchzusetzen.77 Dieser Schritt war weniger von finanzieller, als vielmehr von politischer Bedeutung: Im Schnitt entfielen vom Regium Donum auf jeden presbyterianischen Prediger in Ulster 11 £ p.a., aber zugleich war es das Symbol der Legitimität des Dissent in Irland.78 Daher kam die zwischenzeitliche Abschaf-fung einem enormen Affront der presbyterianischen Bevölkerung gleich, den die

Ascendancy sich gleichwohl glaubte leisten zu können, weil sie davon ausging,

daß die presbyterianische Bevölkerung im Fall einer Auseinandersetzung mit der katholischen Bevölkerung aus Furcht vor einer katholischen Restauration dennoch fest an ihrer Seite stehen würde, so daß sich strategische Rücksichtnahmen erüb-rigten.79

Nach dem Regierungsantritt Georgs I. wollte man sich in Großbritannien auf die-ses gewagte Spiel offensichtlich nicht einlassen: Das Regium Donum wurde je-denfalls umgehend wieder eingeführt, 1718 sogar auf 2.000 £ p.a. aufgestockt und 1719 das bereits erwähnte Tolerierungsgesetz gegen den Widerstand der

Ascen-dancy durchgedrückt.80 Diese Vorgehensweise ist als deutliches Indiz dafür zu werten, daß die britische Seite eine Schwächung der protestantischen Bevölke-rung in Irland durch interne Konflikte nach Möglichkeit vermeiden wollte.81 Mit diesem Einlenken waren die anglikanisch-presbyterianischen Beziehungen jedoch nicht mehr zu kitten – zu deutlich erkennbar war der Widerwille, mit dem die Anglikaner – erst auf britischen Druck hin – Zugeständnisse gemacht hatten, zu

75

Beckett, ebd., S. 160.

76

Simms, Establishment, S. 25, McCracken, Ecclesiastical Structure, S. 84, 86, 101.

77

Dickson, New Foundations, S. 59.

78

McCracken, Ecclesiastical Structure, S. 100, A.T.Q. Stewart, The Narrow Ground, Aspects of Ulster, London 1977, S. 93.

79

Bartlett, Fall, S. 32; Foster, Modern Ireland, S. 158.

80

Das Regium Donum blieb auch im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts ein Appeasemen-tinstrument des Kolonialregimes. Es war kein Zufall, daß es ausgerechnet nach „Grattan’s Revolution“ 1784 auf insgesamt 3.100 £ p.a. und 1792, als der Reformkongreß in Dungannon tagte, nochmals auf 5.000 £ p.a. aufgestockt wurde. Dahinter stand ganz eindeutig der Versuch, das Wohlwollen und die Loyalität der Dissenter zu gewinnen. Stewart, Narrow Ground, S. 92f.

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