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2.3.1 Ätiologie und Pathogenese der kranialen Kreuzbandruptur

Die Ätiologie und die Pathogenese der Ruptur des Lig. cruciatum craniale lässt sich nicht anhand einer einzelnen Theorie verifizieren. Es handelt sich vielmehr um ein multifaktorielles Geschehen, bei dem unterschiedliche Aspekte berücksichtigt werden müssen (JOHNSON und JOHNSON 1993).

Hinsichtlich der Ätiologie muss die kraniale Kreuzbandruptur infolge eines akut einwirkenden Traumas (PAATSAMA 1952) von derjenigen aufgrund degenerativer Veränderungen sowohl des Kreuzbandes als auch des gesamten Kniegelenkes (ZAHM 1964) getrennt betrachtet werden.

Aus dem anatomischen Verlauf des kranialen Kreuzbandes resultiert die Funktion der Limitierung der kranio-kaudalen Verschiebung sowie der extremen Innenrotation und der Hyperextension des Kniegelenkes. Exzessiv einwirkende Kräfte während der oben erläuterten Bewegungen können eine Ruptur des Lig. cruciatum craniale herbeiführen. Dabei stellt die ausgeprägte Innenrotation der Tibia in Bezug auf den Femur bei um ca. 20°-50° gebeugtem Kniegelenk die häufigste Ursache der Ruptur dar, indem hierbei entgegengesetzte Kräfte auftreten. Dieses Trauma ist meistens die Folge einer plötzlich, abrupten Drehbewegung des Hundes (RUDY 1974, HOHN und NEWTON 1975).

In der Extension des Kniegelenkes liegt das Lig. cruciatum craniale in gespannter Position vor (ARNOCZKY und MARSHALL 1977a). Im Falle der Hyperextension stellt es somit die offensichtlich verletzbare Struktur dar (PAATSAMA 1952, ARNOCZKY und MARSHALL 1977a). Eine derartige Hyperextension des Kniegelenkes tritt beispielsweise auf, wenn der Hund während des Laufens in ein Loch tritt. Die dabei eintretende Fixation der Tibia verhindert eine Beugung des Knies und resultiert in einer Hyperextension des Gelenkes (ARNOCZKY und MARSHALL 1977a). Um einen kranialen Kreuzbandriss herbeizuführen, müssen die äußeren Krafteinwirkungen die Reißfestigkeit des Bandes überschreiten. Bei einem in seiner Struktur unverändertem Lig. cruciatum entspricht die Reißfestigkeit dem Vierfachen des Körpergewichtes des betreffenden Hundes (GUPTA et al. 1969).

Als weitere Ursache der kranialen Kreuzbandruptur lassen sich die, von PAATSAMA (1952) als „long-standing-injuries“ bezeichneten, degenerativen Veränderungen sowohl des Kreuzbandes als auch des gesamten Kniegelenkes nennen. Die Ruptur des Lig. cruciatum craniale infolge degenerativer Veränderungen tritt wesentlich häufiger auf als die Ruptur aufgrund eines akuten, schwerwiegenden Traumas (PAATSAMA 1952, POND und CAMPBELL 1972, ARNOCZKY 1993). Während bei dem degenerativ veränderten Kreuzband ein schwaches Trauma die Ruptur auslösen kann, ist bei dem ausschließlich traumatisch bedingten Kreuzbandriss eine starke äußere Krafteinwirkung notwendig (ARNOCZKY 1993).

Die Banddegeneration lässt sich histologisch an der Auflösung der parallelen Faserstruktur sowie an dem Auftreten von gerissenen Faserbündeln, an der Demaskierung und Homogenisierung von Fibrillen, an der Zellarmut und an degenerativen Zellmetamorphosen festmachen (ZAHM 1964). Hierbei ist von großer Bedeutung, dass die histologisch erkennbaren Degenerationserscheinungen makroskopisch nicht auffällig sein müssen (PAATSAMA 1952).

GILBERTSON et al. (1979) nennen als morphologisch erkennbare Ursachen der Banddegeneration lokal auftretende Durchblutungsstörungen, wobei sowohl Stellungsfehler der Hintergliedmaße als auch Valgus- oder Varusdeformationen des Kniegelenkes als auslösende Faktoren berücksichtigt werden müssen. Die Patellaluxation ist eines der häufigsten klinischen Probleme, die auf einer Fehlbelastung des Knies aufgrund der Missfunktion des Quadriceps-Mechanismus sowie der Patellasehne beruht und somit das Erscheinungsbild der Degeneration begünstigt (ARNOCZKY 1993).

Bezüglich des Auftretens von Degenerationserscheinungen, die das Kreuzband sekundär involvieren, lassen sich arthrotische Veränderungen im Bereich des Knie- und Hüftgelenkes nennen (BRUNNBERG 1990). Das Vorhandensein derartiger Deformitäten zum Zeitpunkt vor oder kurzzeitig nach dem Kreuzbandriss kann in Verbindung mit genetischen oder ernährungsbedingten Einflüssen stehen. Dabei ist die Dauer des Längenwachstums der Knochen von herausragender Bedeutung. Das Längenwachstum bei großen Hunden ist zu einem späteren Zeitpunkt abgeschlossen als bei vergleichbaren kleineren Rassen. Die Struktur des Knochengewebes ist dabei weniger fest, so dass die verhältnismäßig starke Zunahme der

Skelettmuskulatur und damit des Körpergewichtes der Hunde ein Risiko für die Entstehung von Deformitäten darstellen (SCHULZE-SCHLEITHOFF 1982). Indem diese Ereignisse durch energie- und proteinreiche Fütterung forciert werden, entsteht eine Überbelastung des Knochens (DÄMMRICH 1976). Diese pathologischen Veränderungen übertragen sich ebenso auf die Gelenke, dessen Gelenkknorpel kollagene Fibrillendeformationen erfährt (SCHULZE-SCHLEITHOFF 1982).

Ferner kann die Immobilisation des Gelenkes eine verminderte mechanische Belastbarkeit der beteiligten Weichteilstrukturen bedingen. Dabei verändert sich die Beschaffenheit der kollagenen Anteile des Kreuzbandes, während der Banddurchmesser bestehen bleibt (NOYES 1977). Dieses Phänomen lässt sich hauptsächlich bei adipösen, älteren Hunden beobachten.

Generell können bei adipösen Tieren, das Kniegelenk belastende, starke Kraft- bzw.

Gewichteinflüsse festgestellt werden, die zu einer frühzeitigen Degeneration mit veränderter Mikrostruktur des Bandes führen (VASSEUR et al. 1985).

Hinsichtlich des Alters lässt sich postulieren, dass die Ruptur des Lig. cruciatum craniale bei großen, jungen bzw. bei kleinen, älteren Hunden auftritt (BRUNNBERG 1990). Diese Beobachtung wird mit der Disposition des „vorzeitigen Alterns“ der großen Hunderassen begründet. Die degenerativen Veränderungen im Bereich der ligamentösen Strukturen treten mit fortgeschrittenem Alter in Erscheinung (NOYES et al. 1974, NOYES und GROOD 1976, NOYES 1977, ARNOCZKY 1985). Schon bei sehr jungen, großen Hunden beobachtet ZAHM (1964) Degenerationserscheinungen des kranialen Kreuzbandes, die bei kleineren Hunderassen erst ab einem Alter von über sieben Jahren zu erwarten wären.

Es ist schwierig, relevante Aussagen bezüglich der Rassedisposition bei der Ruptur des kranialen Kreuzbandes zu treffen. Obwohl Studien über die Prädisposition für Rassen wie beispielsweise die des Rottweilers (BENNETT et al. 1988, BRUNNBERG et al. 1992, WHITEHAIR et al. 1993), des Deutschen Schäferhundes, des Boxers, des Chow-Chows und des Pudels (BRUNNBERG et al. 1992) sowie der Labrador bzw. Golden Retriever und der Mischlinge (METELMAN et al. 1995) existieren, lassen sich diese Unterschiede wohl hauptsächlich auf regionale und temporäre Präferenzen zurückführen (BRUNNBERG 1990).

Darüber hinaus spielt offensichtlicher Weise jedoch auch das Temperament bzw. die unterschiedliche Belastung in Abhängigkeit der Besitzer eine nicht unwesentliche Rolle, so

dass besonders aktive Hunde wie zum Beispiel der Boxer mit einem gewissen Risiko zur traumatischen kranialen Kreuzbandruptur ausgestattet sind (LOEFFLER 1964).

2.3.2 Ätiologie und Pathogenese der partiellen kranialen Kreuzbandruptur

Die partielle Ruptur des Lig. cruciatum craniale lässt sich nach TIRGARI und VAUGHAN (1975) selten diagnostizieren. Die Läsionen können ein einzelnes oder mehrere der Filamentbündel betreffen.

Anatomisch differenziert sich das kraniale Kreuzband in den kranio-medialen und den kaudo-lateralen Anteil. Im Hinblick auf den partiellen Kreuzbandriss existieren dabei drei unterschiedliche Rupturmodelle: die Ruptur des kranio-medialen und des kaudo-lateralen Bandabschnittes sowie intraligamentöse Faserrisse (SCAVELLI et al. 1990). Meistens rupturiert der kranio-mediale Anteil (GLYDE et al. 2002).

2.3.3 Ätiologie und Pathogenese der kaudalen Kreuzbandruptur

Die isolierte Ruptur des Lig. cruciatum caudale ist sehr selten (INSALL 1984, ARNOCZKY 1985, JOHNSON und OLMSTEAD 1987, ARON 1988, TORG et al. 1989, BRINKER et al.

1997).

Bedingt durch die, das kaudale Kreuzband umgebenden und somit schützenden, Weichteilstrukturen bedarf es einer exzessiven, kaudal auf den proximalen Anteil der Tibia gerichteten Krafteinwirkung oder einer Dislokation des Kniegelenkes, um eine kaudale Kreuzbandruptur zu verursachen (DE ANGELIS und BETTS 1973, RUDY 1974, KNECHT 1976). Bei den beschriebenen Gegebenheiten handelt es sich dann meistens um eine Kombination aus kranialer und kaudaler Kreuzbandruptur (HULSE und SHIRES 1985, JOHNSON und OLMSTEAD 1987, ARON 1988).

Ferner kann das Lig. cruciatum caudale in den degenerativen Prozess im Bereich des Lig.

cruciatum craniale bzw. des Kniegelenkes mit einbezogen sein und somit sekundär rupturieren (INSALL 1984, ARNOCZKY 1985, JOHNSON und OLMSTEAD 1987, ARON 1988, TORG et al. 1989, BRINKER et al. 1997).