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Konzentrationslager Lichtenburg

Im Dokument Rosa-Luxemburg-Stiftung Texte 21 (Seite 129-168)

Nach Verbüßung der Zuchthausstrafe erneut in »Schutzhaft« genommen, wurde Al-bert Kuntz am 19. August 1936 wieder ins KZ Lichtenburg gebracht. Hier blieb er, sieht man von einmonatigen Vernehmungen in Frankfurt/M. zwischen Ende April und Ende Mai ab, bis zur Auflösung dieses Lagers Ende August 1937 und zur Über-führung der meisten »Lichtenburger« in das neu entstehende KZ Ettersberg/Bu-chenwald. Über den Gegenstand der Vernehmungen in Frankfurt erfahren wir aus den Briefen nichts. Auch über das, was in der Lichtenburg zu der Zeit vor sich ging, ist so gut wie nichts zu entnehmen. Kuntz bezieht sich in seinen Mitteilungen fast ausschließlich auf die Familie und auf die Erziehung seines nun zehnjährigen Sohnes Leo. Die Gründe sind zum einen in der strengen Lagerordnung zu suchen, in der es heißt:

»Jeder Schutzhäftling darf im Monat zwei Briefe oder Postkarten von seinen An-gehörigen empfangen. Die Briefzeilen müssen übersichtlich und gut lesbar sein. Post-sendungen, die diesen Anforderungen nicht entsprechen, werden nicht zugestellt.

Zweimal im Monat kann den Schutzhaftgefangenen ein Paket mit Wäsche zugestellt werden. Werden den Paketen Lebensmittel, alkoholische Getränke, Tabakwaren oder andere Gegenstände beigefügt, dann verfallen diese der Beschlagnahme. Der Übersen-der hat keinen Anspruch auf Herausgabe oÜbersen-der Schadensersatz. Nationalsozialistische Zeitungen sind zugelassen, wenn dieselben vom Verlag unter Streifband der Lager-kommandantur zwecks Zustellung übersandt werden.

Der Lagerkommandant«

Die Grenzen waren also von vornherein sehr eng gezogen. Aber noch ein anderer Um-stand erklärt die völlige Zurückhaltung, sich auch nur in Andeutungen zur Situati-on im Lager zu äußern. In diesen MSituati-onaten vollzog sich in der Lichtenburg eine Ent-wicklung, die später für das KZ Buchenwald eine bedeutsame Rolle spielen sollte: Es entstand eine fest gefügte, unter den Bedingungen strengster Illegalität wirkende Par-teiorganisation der KPD.

Willy Schmidt, einer der Mithäftlinge, schilderte, wie sich das gestaltete: Da es zu dieser Zeit in der Lichtenburg, von den üblichen Lagerarbeiten abgesehen, keinen er-schöpfenden Arbeitseinsatz gab, hatten die Häftlinge relativ viel »Freizeit«. Das galt es zu nutzen. Jeder Neueingelieferte wurde ausführlich befragt, wo er politisch tätig gewesen war, wie die bisherige Haft verlief und vor allem, mit wem er zusammenge-arbeitet hatte bzw. wem er in der Haft oder bei Prozessen begegnet war. Die Angaben wurden sorgfältig überprüft. Erst wenn Genossen aus dem gleichen Bezirk oder den entsprechenden Haftanstalten bezeugen konnten, der »Neue« sei einwandfrei, war die entscheidende Hürde genommen. Denn im KZ bestand ja mehr noch als »draußen«

die Gefahr, daß es der Gestapo gelungen war, einen Schwachen »umzudrehen« und als Informanten in den Lagern zu nutzen.

Unter der Leitung von Albert Kuntz und der beiden kommunistischen Reichstags-abgeordneten Walter Stoecker und Theo Neubauer entstand so in diesen Monaten eine

»spitzelfreie« Organisation, in der unerbittliche Strenge bei der Einhaltung der Kon-spiration herrschte. Manche, von denen man überzeugt sein konnte, daß sie eher ster-ben, als unter der Folter zusammenbrechen und zu Verrätern werden würden, finden wir später im Parteiaktiv der KPD in Buchenwald wieder. Sie waren es, denen die ein-zigartige Entwicklung Buchenwalds zu einem »roten« Lager zu verdanken war. Doch davon wird später noch die Rede sein.

Auch von dem Mithäftling Willi Belz wissen wir, was sich in der Lichtenburg ent-wickelte. Er beschreibt, wie die Häftlingsorganisation eine Art Parteischule ins Leben rief, die sowohl theoretischer Schulung wie detailliertem politischem Erfahrungsaus-tausch diente. Und wie es gelang, über einen nicht der Lager-SS angehörenden Ar-beitseinsatzführer Verbindung zur illegalen Leitung der KPD in Berlin aufzunehmen.

Die Ehefrau Walter Stoeckers vermittelte dort den entsprechenden Kontakt. All das geschah unter Lebensgefahr für alle Beteiligten. Sie schafften es sogar, die Beschlüsse der Brüsseler Parteikonferenz der KPD 1935 in Gestalt zweier kleiner Tarnschriften ins Lager zu schmuggeln. Nur die 20 Genossen des innersten Kreises konnten sie le-sen und waren beauftragt, andere mündlich mit der Entwicklung der Strategie und Taktik der KPD vertraut zu machen. Von weitreichender Bedeutung war es, daß eine begründete und realistische Orientierung für den Kampf innerhalb des Konzentrati-onslagers erarbeitet wurde. Das war Albert Kuntz und seinen Genossen im Konzen-trationslager Lichtenburg zu verdanken.

Bild in der Print-Ausgabe

Briefe vom 19. 8. 1936 bis 24. 7. 1937

Prettin, den 19. August 1936 Konzentrationslager

Lichtenburg Liebste Ellen!

Endlich kann ich Dir mitteilen, daß ich wohlbehalten hier wieder angekom-men bin. Meine Post von Kassel hast Du hoffentlich alle erhalten und hat Dich bei bester Gesundheit erreicht. Damit Du mir bald wieder schreiben kannst, hab ich auch Dir so früh, es nur möglich war, geschrieben. Beachte also genau meine neue Adresse und bedenke, daß ich monatlich nur zweimal Post emp-fangen und absenden kann. Wenn Karl mal ein paar Zeilen an mich schreiben will, so kann er sie nur Deinem Brief beifügen. Geld brauchst Du mir vorläu-fig keins schicken, da ich noch welches hab und mich bereits am ersten Ein-kauf erfreut habe. Das war schon eine erfreuliche Abwechslung nach langer Entbehrung und jetzt kommt mir die »Askese« von vergangenen Monaten recht zugute. Im übrigen ist alles noch fast beim alten, wenn Du mich in drin-genden Fällen besuchen willst, mußt Du Dir erst die schriftliche Erlaubnis in Berlin, Prinz-Albrecht-Straße einholen. Nun hoffentlich tritt kein solcher Not-fall ein, damit Du das so knappe Geld besser verwenden kannst, denn später fürchte ich doch, Dich um ein paar Mark erleichtern zu müssen. Oh, ich weiß, daß Du das schon gern sofort tun möchtest für mich, aber warte damit bitte noch etwas, bis ich Dichs wissen lasse. Meine frühere Lagerarbeit im Beruf habe ich noch nicht wieder aufgenommen, aber ich denke, ich kann da bald wieder mithelfen. Eine Erleichterung ist es schon, wenn man wieder mal Zei-tungen lesen kann und wieder unter Menschen ist. Allerdings wird mir nach so langer Einsamkeit der Lärm des Lagerlebens anfangs etwas schwerfallen, bis die Nerven sich allmählich wieder umgestellt haben, aber trotzdem bin ich froh, endlich von Kassel weg zu sein. Natürlich wäre ich nach jahrelanger Trennung lieber zu Dir gefahren, aber wir müssen uns weiter mit der Hoff-nung trösten. Meine Mutter wird natürlich auch sehr enttäuscht sein. Leider kann ich ihr und uns allen diese bittere Enttäuschung nicht ersparen. Schreib ihr gelegentlich ein paar liebe Worte. Jetzt hab ich wieder mal eine Anzahl alte Photos durchgesehen und dabei frohe und wehe Minuten erlebt. Aber die gut-en, frohen Erinnerungen und Gedanken blieben im stillen Kampf der Gefühle Sieger, denn unser Leben, liebste Ellen, war so schön und zufrieden, daß ich gern daran denke. Daraus schöpfe ich manchmal die Kraft, die schweren Zei-ten zuversichtlich zu bezwingen. Manchmal denke ich, daß es für Dich viel schwerer sein muß, die Jahre der Trennung und Entbehrung tapfer zu über-winden, als für mich, denn ich bin unter Menschen mit gleichem Schicksal, und mit Hilfe der Gewohnheit überwindet man viel Entbehrung. Aber um

Dich her braust das pulsierende Leben mit allem natürlichen Begehren und Verlangen und bestürmt Dich unaufhörlich. Das ist doch doppelt schwer. Wir sind hier isoliert, die Wellen des Lebens in der Freiheit brechen sich hier an den Mauern, was sich vor denselben, also draußen abspielt, davon wissen wir so gut wie nichts oder ahnen es nur. Um so stärker ist dann natürlich unsere Phantasie, und die ist oft schrankenlos. Anders bei Dir, liebste Ellen. Du mußt in der realen Wirklichkeit Deinen ganzen Mann in Haus und Fabrik stellen und leidest härter unter dem zerrissenen Familienleben. Ich kann nur wün-schen, daß Du bei alledem tapfer und gesund bleibst und daß wir später Ge-legenheit haben, viel Verlorenes wieder zu finden. Was macht unser Leo? Wie geht es Walter und Gertrud? Rudolf und seiner lieben Frau? Hat Oma noch Geduld genug und wie denkt sie über die Lösung der Wohnungsfrage? Allen, allen sende ich recht herzliche Grüße. Hat Hans sein Häuschen schon abreißen müssen? Im nächsten Brief schicke mir bitte einige Briefmarken mit. Nun nimm noch meine innigsten Grüße mit der Versicherung, daß ich viel, viel an Dich denke.

Dein Albert

Beste Grüße an die lieben Bennewitzer.

Prettin, den 4. September 1936 Konzentrationslager

Lichtenburg

Liebste Ellen, lieber Karl!

Eure liebe Post vom 1. September erhielt ich gestern abend und hab mich recht sehr darüber gefreut, sind es doch recht angenehme Nachrichten von daheim.

Auch Deinen lieben Brief, liebe Ellen, vom 21. August hab ich erhalten und eben noch mal durchgelesen und dabei war mirs, als sähe ich Euch alle richtig vor mir in Eurem täglichen Treiben und Leo hörte ich musizieren.

Lieber Karl, Dir gratuliere ich zu Deinem erfolgreichen Arbeitswechsel.

Manchmal möchte ich gern mit Dir zusammen per Motorrad zur Montage fah-ren. Es ist ja so herrlich schön, durch Wald und Feld zu streifen ohne große körperliche Anstrengung. Deine Fahrt nach dem Zschopautal und mir auch sonst bekannte Gefilde ließ mir schöne Erinnerungen aufleben und jetzt bin ich so froh darüber, daß Dir es auch noch möglich ist, solche schöne Fahrten zu machen, wie ich sie mit meiner lieben Ellen verlebte und die Du so lange entbehren mußtest. Auf meinen Fahrten früher hab ich oft an Dich gedacht, wenn Dich Deine große Familie bei harter Erwerbsarbeit an die Wohnung fes-selte. Um so mehr freue ich mich jetzt an Deinem endlichen Glück und hoffe, daß Dirs recht lange hold bleibt. Erna wird ja gestrahlt haben auf Deiner

schö-nen Ferienfahrt. Wagt sich Deine Liesbeth auf den Soziussitz? Wie ging es Tan-te Poch und Familie? Oh, ich würde mich freuen, könnTan-test Du mich mal hier aufsuchen, es gäbe trotz allem ein recht frohes Wiedersehen nach fast 4jähri-ger Trennung. Ein kleines Päckchen mit heimatlichen Leckereien würde diese Freude noch erhöhen. Hoffentlich kommst Du mit Deiner neuen Firma gut zu-recht und behältst zu-recht lange lohnende Arbeit. Ich arbeite hier auch wieder in meinem Beruf und so sind meine Tage hier auch wieder inhaltsreicher, wenn auch natürlich die Sehnsucht nach Freiheit immer größer wird. Unserer lieben Mutter bestelle bitte die allerherzlichsten Grüße, mit der Bitte, stark und ge-duldig zu bleiben und auf ein frohes Wiedersehen daheim zu hoffen. Nehmt alle meinen herzlichsten Dank für Eure liebe Ferienhilfe für meinen Leo ent-gegen, seid recht herzlich gegrüßt. Dir, lieber Karl, wünsche ich noch recht vie-le sonnige Herbsttage für Deine Fahrten und schreib mir wieder mal davon und von der Art Deiner jetzigen Arbeit und Montage.

Liebe, liebe Ellen, Du machst mir Freude mit Deiner lieben Post. Die Photos zeigen Dich nur fröhlich und gesund und so ists schön. Jetzt bist du also schon qualifizierte Facharbeiterin und kennst Deine Kraft. Vielleicht nutzt Dir mein Rat ein wenig, ich kenne zwar nicht Deine Arbeitsmethode beim »Löten«, aber schone Deine Augen dabei und benutze unbedingt die Schutzbrille, falls Du ins pralle Feuer schauen mußt. Man gewöhnt sich leider zu leicht an, ohne die-sen Blendschutz zu arbeiten und später stellen sich erst die Folgen ein. Viel-leicht schreibst Du mir mal Näheres darüber. Wegen Paß mach Dir keine Sor-ge, ich brauch ihn nicht und wer ihn braucht, wird ihn schon von der Archiv-stelle beantragen. Du brauchst in dieser Sache nichts zu tun. Ich glaube auch, daß derselbe schon seit vielen Jahren nicht mehr vorhanden ist, mir ist so, als ob ich denselben früher mal vernichtet habe. Nach den letzten netten Photos gab es scheinbar doch für Euch einige sonnige Tage im Garten. Recht herzli-chen Dank für alle Grüße. Hier laufen mir die Tage wieder rascher, auch sonst glaube ich, einige verlorene Pfunde wiederzugewinnen. Der Einkauf macht doch sehr viel aus. Radio und Schachspiel fehlt auch nicht mehr, und gute Ka-meradschaft tut viel. Auch reichlich Lesestoff, Bücher und Zeitungen sind vor-handen. Obst aß ich auch schon. Und da mir die Pfeife schmeckt, bin ich auch gesund. Es scheint aber, daß mein Gehör schlechter geworden ist, oder viel-leicht hat es sich auf den fast ununterbrochenen Lärm noch nicht umgestellt.

Nur die große, große Sehnsucht nach Dir und daheim bleibt schmerzlich un-befriedigt, hier hilft auch die Gewohnheit wenig. Fester Wille, durchzuhalten, ist alles und unser großes Vertrauen zueinander ist die schönste Grundlage dazu. Oft könnte man melancholisch werden, aber einer tröstet sich mit dem anderen, obwohl darüber fast nie gesprochen wird. Die Hoffnung auf baldige Freiheit verliert sich trotz jahrelangem Harren und aller Nüchternheit nicht, und die schönsten Tage und Erlebnisse der Vergangenheit bilden immer wie-der die goldene Brücke zu Hoffnung auf schöne Tage wie-der Zukunft. Nur ruhig

und stark bleiben ist immer wieder unsere alte Losung. Bei aller harten Tren-nung ist es doch schön zu wissen: daheim sind Menschen, die man herzlich lieb hat, an die man immer gerne denkt, mit denen sich über größte Fernen un-sere Gedanken kreuzen und vereinen. Und wie oft und mit welchen Gefühlen ich bei Dir weile, liebste Ellen, das kann ich Dir nicht niederschreiben, aber Du ahnst und weißt es ja, so wie ichs von Dir ja weiß.

Herzlichst Dein Albert Marken erhalten!

Prettin, den 20. September 1936 Konzentrationslager

Lichtenburg Liebste Ellen!

Du sollst wieder einen innigen Gruß von mir haben; denn es ist doch schon lange her seit meinem letzten Brief. So wenig man von hier aus auch schreiben kann, da hier das Leben eintönig genug verläuft, so sehr sehnt man sich doch nach einigen lieben Worten. Worte … ja könnten wir uns nur die Gedanken so austauschen, wie sie wirklich sind, aber Worte sind ja so arm, viel zu arm.

Dazu kommen die natürlichen Hemmungen, unter Zensur zu schreiben, denn Briefe sind ja ein Spiegelbild der seelischen Stimmung und niemand legt ger-ne seiger-ne Seele, seiger-ne tiefsten Empfindungen, vor dritten auf den Präsentiertel-ler. So viel deshalb auch zwischen uns ungeschrieben bleiben muß, wir ver-stehen uns, liebste Ellen, und ich warte stets auf Post von Dir. Inzwischen ist mir auch noch Dein Brief vom 9. August von Kassel nach hier geschickt wor-den. Wenn er auch mehr als einen Monat alt ist, ich freue mich dennoch recht sehr darüber. Du berichtest darin noch von der Olympiade50und vom frohen Badetage mit Hannelore und Leos ersten Schießübungen. Immer knüpft sich daran mein Seufzer: Oh, könnte ich doch dabei sein! Was hilft unser Stöhnen.

Die große Sehnsucht muß bezwungen werden, so spricht die Vernunft. Die Gefühle aber rebellieren. Ein ewiger Widerstreit. Diese Unruhe, dieses Unbe-friedigtsein zeigt sich bei mir auch, wenn ich ein Buch zur Hand nehme. Lan-ge kann ich nicht mehr lesen oder systematisch denken, unruhig greife ich oft zu etwas anderem, Schachspiel, auch Skat habe ich schon gelernt, Dinge, wofür mir früher die Zeit zu schade war. Es ist ein planloses Zeit-Totschlagen zwischen den Arbeitszeiten. Man treibt im lärmenden Strudel mit, ohne es zu wollen und ohne Nutzen. Seit drei Wochen lese ich an einem Buch: Zola

»Rom«. In einer Woche wollte ich damit fertig sein und 4 werden vergehen. In

50 Vom 1. bis 16. August fanden die Olympischen Spiele in Berlin statt.

Einzelhaft las ich trotz 10stündiger Arbeitszeit in einer Woche zwei solcher Bücher. Dort war zu viel Ruhe, hier zu wenig, oder die Nerven sind empfind-licher geworden??

Liebe Ellen, Sorgen sollst Du Dir aber darum nicht machen, denn es würde Dir und mir nur schaden. Mit etwas Stumpfsinn ists schon zu ertragen und im allgemeinen geht es mir ja gut, wenigstens gesundheitlich. Nur eine Bitte kann ich Dir nicht ersparen: Schicke mir gelegentlich einige Mark, damit ich mit ei-nigen Kameraden zusammen [eine] Zeitung abonnieren kann. Mein Arbeits-verdienst von Wehlheiden habe ich bald verbraucht, obwohl ich damit länger haushalten wollte. Aber ich hörte immer Dein wohlwollendes Mahnen, »mir doch etwas zu gönnen«. Noch eine Bitte, falls von Dir eine größere Aufnahme existiert, würde ich mir gern Dein Bild hier aufhängen. Einrahmen kann ich es mir schon selbst. Vielleicht Postkartengröße. Unkosten sollst Du Dir nicht ex-tra machen. Wenn du ein etwas größeres Bild davon hättest, wo Du mit Lotte und Hans und den Kindern (mit der kleinen Zwicki) in Birkenwerder aufge-nommen bist, das wäre fein. Ein kleines Bild davon hab ich hier. Also schau mal Dein Album durch, etwas Geeignetes findest Du schon.

Heute ist Sonntag, da such ich Euch wieder alle in Eurem Garten bei den bunten Herbstblumen. Vor mir steht gerade ein herrlicher Strauß davon. Ein Kamerad hatte Geburtstag, demzufolge gabs für die kleine Tischgemeinschaft bzw. Stubengemeinschaft ein kleines »Fest« mit selbstgebrühtem Kaffee und heimatlichem Kuchen. (Er hatte auch besondere Genehmigung, ein Paket von daheim zu erhalten.)

Übrig sind nun die schönen Blumen und die netten Erinnerungen. Dabei denke ich sofort an unsere Herbstfahrten im bunten Wald in märkischer Hei-de. Wann werden wir sie wieder gemeinsam durchstreifen? Sommer auf Som-mer vergeht, wehmütig sieht man sie scheiden, aber imSom-mer entsteht auch wie-der ein neuer Frühling und damit auch für uns neue Hoffnung. Ich kann mir nicht vorstellen, das frohe Wandern ganz aufgeben zu müssen. Ich möchte ewig jung bleiben. Zum Wandern ist man wohl nie zu alt, wenn die Glieder noch gesund und das Herz noch jung ist. Oft ist mirs, als könnte ich gar nicht müde werden. Aber hier kommt wohl nur das heiße Sehnen nach freiem Wald und Bergen zum Ausdruck. Wahr ist wohl, daß 3 1/2Jahre harte Gefangen-schaft nicht jünger macht. Unser Leo würde wohl in einiger Zeit mit dem be-schaulichen Trott seiner Eltern beim Wandern nicht mehr zufrieden sein. Und doch wandere ich in Gedanken oft mit Dir und Leo. Ellen, liebe Ellen, nutze Du wenigstens die Zeit, so gut es die Umstände erlauben. Wenn einer von uns entbehrt, im Walde zu sein, ists schon Opfer genug. Wenn hier mal ab und zu eine Klampfe die alten Wanderweisen erklingen läßt, bin ich futsch, ich muß mitsingen. Für heute genug. Herzliche Grüße an alle. Hoffentlich bekomme ich bald wieder Post von daheim.

Innigst Dein Albert

Prettin, den 11. Oktober 1936 Konzentrationslager

Lichtenburg Liebste Ellen!

Du wartest schon lange wieder auf Post. 2 Briefe monatlich sind ja zu wenig für uns, doch es ist das Höchstmaß des Erlaubten. Bei den kürzer werdenden Tagen ist es aber zweckmäßig, nur sonntags zu schreiben und so mußtest Du bis heute warten, um Dir für all Deine liebe Post herzlich danken zu können.

Du wartest schon lange wieder auf Post. 2 Briefe monatlich sind ja zu wenig für uns, doch es ist das Höchstmaß des Erlaubten. Bei den kürzer werdenden Tagen ist es aber zweckmäßig, nur sonntags zu schreiben und so mußtest Du bis heute warten, um Dir für all Deine liebe Post herzlich danken zu können.

Im Dokument Rosa-Luxemburg-Stiftung Texte 21 (Seite 129-168)