• Keine Ergebnisse gefunden

Columbiahaus Berlin, KZ Lichtenburg, Untersuchungs- Untersuchungs-haftanstalt Kassel, Zuchthaus Kassel-Wehlheiden

Im Dokument Rosa-Luxemburg-Stiftung Texte 21 (Seite 64-129)

Wieder hatte Albert Kuntz Hoffnung, nach Einstellung des Verfahrens gegen ihn im

»Bülowplatzprozeß« freizukommen. Aber nun nahmen Gestapo und SS die Sache in die Hand. Es war die Zeit um den sogenannten »Röhm-Putsch«. Die SS wurde end-gültig aus der formellen Unterstellung unter die SA-Führung gelöst und wurde zum uneingeschränkten Organisator des Terrors. Es gelang ihrem »Reichsführer« Heinrich Himmler, seine Befehlsgewalt rasch auf alle diesbezüglichen Bereiche auszudehnen.

Zum Prozeßende wurde Albert Kuntz, zum zweitenmal in seinem Leben, in »Schutz-haft« genommen. Begründet wurde das nicht mit irgendwelchen angeblichen Straftaten, sondern allein und ausdrücklich mit seiner »politischen Einstellung«. Das bedeutete, im Unterschied zur bisherigen Haft, daß er nicht mehr auf einen absehbare Prozeß und eine eventuelle Freilassung hoffen konnte, sondern daß sein Schicksal ungewiß war.

Kuntz’ Briefe aus dieser Zeit zeigen, daß er sich völlig darüber im klaren war. Jetzt war er wie Tausende andere Kommunisten und Sozialdemokraten völliger Willkür ausgeliefert. Er war »vogelfrei«.

Albert Kuntz kam am 21. Juni 1934 zunächst in die Folterhöhle der Gestapo in Ber-lin, das berüchtigte Columbiahaus. Die juristische Niederlage vor Gericht wollte die Gestapo nicht akzeptieren und mit ihren MItteln das erreichen, womit sie im Prozess gescheitert war. Bereits am 20. Juni 1934 vermerkte die Gestapo:»Nach nochmaliger eingehender Prüfung wird infolge der bisherigen staatsfeindlichen Tätigkeit seit dem Jahre 1925, und da Kuntz Landtagsabgeordneter der KPD war, eine Aufhebung der Schutzhaft nicht befürwortet. K. kommt außerdem als Zeuge gegen den Führer der KPD Ernst Thälmann in Frage.« (Quelle: GSTA Berlin-Dahlem, I. HA Repositur 90P, Nr. 110, S. 62-64) Wiederholt wurde er dort entsetzlich geschlagen. Am 11. Juli ging es weiter in das Konzentrationslager Lichtenburg in Prettin südlich von Torgau. Die Lichtenburg, ein altes sächsisches Schloß, hatte lange als Zuchthaus gedient und war 1928 wegen Baufälligkeit geschlossen worden. Neben Dachau und Esterwegen war sie das dritte Konzentrationslager, das zu diesem Zeitpunkt in der Hand der SS war.

Die anderen wurden noch von der SA oder der Polizei »verwaltet«. Dachau und auch die Lichtenburg wurden nun zum Modell für den Übergang aller KZ in die Regie der SS. In der Lichtenburg waren die meisten inhaftierten Parlamentsabgeordneten von KPD und SPD eingesperrt. Häftlinge aus anderen politischen Lagern waren noch sel-ten. Auch Juden wurden zu dieser Zeit noch in erster Linie wegen ihrer politischen Überzeugung im KZ gepeinigt.

Im KZ Lichtenburg kreuzte sich der Leidensweg von Albert Kuntz mit dem Wil-helm Leuschners, eben jenes hessischen Innenministers, der am Tage seiner

Festnah-me gerade noch im Amt gewesen war. Jetzt litt auch er im KZ. Ob sich beide dort ge-troffen haben oder gar miteinander sprechen konnten, ist aber nicht sicher. Angaben über den Termin, an dem Leuschner entlassen wurde, differieren. Doch symbolisch war es schon: Der »Feind« am gleichen Ort zwang zu Konsequenzen beim Nachden-ken über den unseligen Bruderzwist von Sozialdemokraten und Kommunisten, über die nötige Aktionseinheit beider Parteien.

Wilhelm Leuschner wurde entlassen und gehörte später zum Kreisauer Kreis der Verschwörer des 20. Juli 1944. Er trat während des Krieges – im Unterschied zu man-chem seiner Mitverschwörer – für gemeinsame Aktionen mit den Kommunisten ein.

Als er zum Galgen getrieben wurde, hat er den Häftlingen in den Zellen mit lauter und fester Stimme zugerufen: »Schafft mir die Einheit!«

Die Überlebenden bezeugen, daß die meisten kommunistischen und sozialdemokra-tischen Gefangenen 1933 sehr wohl damit rechneten, daß Prügel, Erniedrigung und vielleicht der Tod sie erwarteten. Erfahrungen mit den Nazis hatten sie ja schon. Die Häftlinge – und sicher auch Albert Kuntz – konnten sich damals jedoch nicht vorstel-len, daß diese Tyrannei zwölf lange Jahre währen sollte. Sie konnten sich nicht vor-stellen, daß am Ende Zehntausende deutsche Kommunisten, Tausende Sozialdemo-kraten, Hunderte bürgerliche und konservative Hitlergegner, aufrechte katholische wie evangelische Christen und Zeugen Jehovas zu Tode geschunden, verhungert oder hin-gerichtet sein würden, ganz zu schweigen von den Millionen Juden, Kriegsgefange-nen und Zwangsarbeitern aus fast allen Ländern Europas. Dennoch lebte die Hoff-nung auf ein Ende der Naziherrschaft oder auf Freilassung, auch deshalb, weil 1934/1935, als die Nazis ihre Macht konsolidiert hatten und die Propaganda der

»Volksgemeinschaft« ihre Wirkung im Volke zeitigte, viele politische Häftlinge entlas-sen wurden.

Eben in dieser Zeit schreibt Bertolt Brecht für die Eingekerten sein Gedicht »Ein Bericht«. Es scheint wie für Albert Kuntz verfaßt:

»Von einem Genossen, der in die Hände der Hitlerischen Gefallen ist, berichten die Unseren:

Er wurde im Gefängnis gesehen.

Er sieht mutig und tapfer aus und hat noch Ganz schwarzes Haar.«

In der Lichtenburg war Albert Kuntz, der bisher, soweit nicht in Einzelhaft, die Zelle immer mit Kriminellen hatte teilen müssen, nun wieder unter Genossen. Wich-tig für diesen großen, starken Mann war es auch, daß er nun zu Lagerarbeiten im Tief-bau, beim Holztransport und als Rohrleger eingeteilt wurde, mochten die Arbeitsbe-dingungen auch hart und die Drangsalierungen durch die SS-Bewacher oft unerträg-lich sein.

Für Albert Kuntz standen die Zeichen schlechter als für manch anderen. Die Na-zis hatten seine gerichtliche Verfolgung immer noch nicht aufgegeben. Im Februar 1935 überführte man ihn nach Kassel. Am 17. April wurde er in Kassel wegen »Hoch-verrats« zu 18 Monaten Zuchthaus verurteilt, wovon lediglich drei Monate als durch

die Untersuchungshaft bereits verbüßt angerechnet wurden. Die Anklage war eine Farce. Sie stützte sich lediglich auf eine Rede, die Albert Kuntz im Dezember 1932 auf dem letzten legalen Bezirksparteitag in Frankfurt-Nied gehalten und in der er zur Ab-wehr der faschistischen Gefahr aufgerufen hatte. Der Staatsanwalt nannte jedoch mit bemerkenswerter Offenheit die wahren Gründe: »Kuntz war – was als besondere Aus-zeichnung innerhalb der KPD angesehen werden muß – lange Zeit in Rußland als Gast der Sowjetregierung. Von seiner besonderen Vertrauensstellung in der KPD zeugt ferner seine spätere Berufung als Organisationsleiter und stellvertretender Be-zirksleiter für den schwierigen Bezirk Berlin-Brandenburg. Und wenn das ZK der KPD den Angeklagten schließlich mit der Führung des Bezirks Hessen-Frankfurt be-traute, so kennzeichnet auch dies die hervorragende Führerstellung des Angeklagten innerhalb der KPD zur Genüge. ... Das ist bei der Beurteilung des Wortlauts seiner Rede zu berücksichtigen.« (Zit. nach: Wolfgang Kießling: Stark und voller Hoffnung, a.a.O., S. 163.)

Albert Kuntz kam nun am 25. April 1935 ins Zuchthaus Kassel-Wehlheiden.

Und jetzt wußte er, daß man ihn auch nach Ablauf dieser Strafe höchstwahrscheinlich wieder ins KZ sperren würde. Er hatte im KZ Lichtenburg erfahren, dass man als Elektriker oder Rohrleger Bewegungsfreiheit innerhalb des KZ hat, was für die Orga-nisierung der Häftlinge von entscheidender Bedeutung ist. Dem Widerstandskämpfer Karl Gärtig verdanken wir die Mitteilung, dass Albert Kuntz in dieser Zeit mit Hilfe von Sachbüchern aus der Zuchthausbibliothek seine technischen Kenntnisse so erwei-terte, dass er später in verschiedenen Lagern über die fachliche Kompetenz verfügte, um als Leiter des Baubüros zu arbeiten.

Die seelische Belastung war groß. In der Lichtenburg hatte er wiederholt erlebt, wie manch erprobter Kamerad, der unter der Folter standgehalten hatte, zusammenbrach, weil seine Ehe dem Druck der Trennung und den Schikanen der Nazis gegen die Ehe-frauen nicht standhielt. Albert Kuntz war sich seiner Ellen sicher. Aber er wollte ihr nicht Prüfungen auferlegen, von denen er meinte, sie nicht einfordern zu dürfen. So stellte er ihr – man spürt die Zerrissenheit, die ihm die Hand führt – die Trennung frei. Ellens Antwort beglückte und beschämte ihn zugleich. Sie gab ihm Kraft und Zu-versicht – trotz alledem.

Briefe vom 22. 6. 1934 bis 10. 8. 1936

Berlin, den 22. Juni 1934 Schutzhaftgefangener

Albert Kuntz,

Akt.-Zeichen: II 1A1 – 20453 Liebste Ellen und meine Lieben!

Endlich kann ich Euch mitteilen, wo ich nun stecke, nachdem ich von Moabit gleich nach der Euch bekannten Urteilsverkündung34 wegtransportiert wor-den bin. Ich bitte Euch, beruhigt zu sein und Euch keine unnötigen Sorgen um mich zu machen. Zunächst habe ich eine Nacht im Polizeipräsidium verbracht und seit Mittwoch befinde ich mich hier im Columbia-Haus auf Veranlassung der Geh. Staatspolizei.35Gestern erhielt ich einen neuen Schutzhaftbefehl. Dar-in wird meDar-ine Haft u. a. folgenderweise wörtlich begründet: » Infolge Ihrer politischen Einstellung, die Sie im Verlauf des Prozesses wiederholt unver-blümt zum Ausdruck gebracht haben, und Ihrer vorgehenden Tätigkeit inner-halb der Kommunistischen Partei ist zweifellos zu erwarten, daß Sie sich auch in Zukunft im staatsfeindlichen Sinne betätigen werden.«

Liebe Ellen, ich werde eine Eingabe machen an das Staatspolizeiamt und er-klären, daß ich nicht die Absicht habe, mich künftig staatsfeindlich zu betäti-gen, dennoch werde ich zunächst die weitere Haft kaum abwehren können und bitte Dich deshalb weiter um Geduld.

Ob ich länger hier bleibe oder nach dem Konzentrationslager komme, weiß ich nicht und ist abzuwarten. Inzwischen bitte ich Dich, meiner lieben Mutter einige Zeilen zu schreiben, damit sie sich nicht unnötig ängstigt, denn ich konnte Karls Brief ja noch nicht beantworten.

Da ich hier gern arbeiten möchte, bitte ich Dich, liebe Ellen, mir recht bald einen Arbeitsanzug nach hier – Columbiastraße 2/3 (Steglitz?) – abzugeben.

Suche bitte den größten Anzug heraus und erkundige Dich bei Abgabe hier, ob ich noch da bin. Besuchen kannst Du mich nur, wenn Du Dir vorher beim Polizeipräsidium (Alex), Staatspolizeiamt die Genehmigung eingeholt hast.

Da ich hier Pakete empfangen darf, aber selbst nichts einkaufen kann (Geld habe ich noch), bitte ich Dich, mir einige Brötchen, etwas Wurst und sonst nichts mit abzugeben. Aber nur, wenn Du diese Lebensmittel selbst entbehren kannst. Eine lange, dünne Unterhose und 1 Taschentuch könnte ich noch ge-brauchen. Sonst wohlauf und bitte nochmals, Euch nicht zu ängstigen.

Herzlichste Grüße Albert

34 Am 19. Juli 1934 fällte das Gericht gegen 15 Angeklagte im Bülowplatzprozeß die Urteile. Die Verfah-ren gegen Albert Kuntz und einen weiteVerfah-ren Angeklagten wurden eingestellt. Es wurden drei Todesur-teile und Strafen zwischen neun Monaten Gefängnis und vier bis 15 Jahre Zuchthaus verhängt.

35 Das Columbiahaus, ein früheres Militärgefängnis am Tempelhofer Feld, war die berüchtigte Folter-stätte der Berliner Gestapo.

29. Juni 34 Liebste Ellen und meine Lieben!

Zunächst recht herzlichen Dank für Eure gestern empfangenen Lebensmittel und Wäsche usw. Ihr habt mir damit eine riesige Freude gemacht, fast des Guten zuviel.

Als ich gestern wieder mal von einer Vernehmung zurückkam, wurde ich mit Eurem Liebes-Paket überrascht.

Liebste Ellen, ich schreibe Dir besonders deshalb schnell, damit Du nicht erst wegen Deinem Besuch bei mir falsche Wege läufst.

Gestern wurde ich genauer informiert, wohin Du Dich zu wenden hast, wenn Du mich hier besuchen willst. Gehe nicht erst zum Polizeipräsidium, sondern gleich zur Geheimen Staatspolizei, Prinz-Albrecht-Straße 8, Zimmer 33/34 und hole Dir dort Deine Besuchserlaubnis. Ich habe auch schon von mir aus einen entsprechenden Antrag gestellt. Nimm aber Rücksicht auf Deine Zeitverhältnisse, denn ich wünsche keine unnötigen materiellen Opfer Dei-nerseits, denn Du hast ohnehin zu kämpfen genug.

Meine Lage hat sich insofern gebessert, als ich hier schon zu allerdings pri-mitiven Hausarbeiten herangezogen werde und nicht mehr so stumpfsinnig in der Zelle hocken muß. Ich glaube, ich hab mit Dir augenblicklich einen »Be-ruf«: Reinemachen.

An Mutter habe ich noch nicht geschrieben. Daß muß ich noch vorläufig Dir überlassen, schreib ihr nur, daß sie sich keine Sorgen machen soll und grüße alle herzlich. Ich hoffe, daß Du Zeit zum Schreiben findest und daß Du mich mal besuchen kannst.

Leider kann ich den diesjährigen Sommer auch noch nicht mit Euch Lieben verleben, ich wünsche aber, daß das Euch nicht abhält, möglichst viel baden zu gehen und Sonne zu genießen.

Herzlichen Dank und Grüße Euer Albert Arbeitsanzug paßt noch!

Berlin, 5. Juli 1934 Liebste Ellen und meine Lieben!

Um mich her ist es wieder recht, recht einsam geworden. Sosehr ich mich auch auf die Arbeit gefreut habe, es war nur eine kurze Freude. Jetzt ist es wieder das alte Lied, einsam in der Zelle. Falls Du etwas zu lesen auftreiben könntest, wäre ich sehr froh. Kaufen darfst Du von Deinem allzu geringen Einkommen natürlich für mich nichts, aber vielleicht kannst Du etwas ausleihen. Ich wür-de gern mal lesen: Hitler: »Mein Kampf« und auch Rosenbergs »Mythos wür-des 20. Jahrhunderts«. Falls Dir das nicht möglich ist, so schicke bitte etwas von den Klassikern usw.

Was ich am meisten entbehre, sind ein paar liebe Zeilen von Dir, Du hast si-cher alle Hände voll zu tun und viel Lauferei zu erledigen, aber ich warte mächtig auf Post von Dir und von Mutter bzw. Karl. Hast Du meinen 2. Brief von mir erhalten, wo ich dankte für Eure Grüße und Liebesgaben? Hast Du mal an Mutter nach Hause geschrieben, damit sie sich nicht unnötig ängstigt?

Du hast es sicher gemacht. Wie ist es denn mit Leos Schulferien? Ich glaube, wir haben ihm zu voreilig Versprechungen gemacht, denn Du kannst sicher das Reise- und Zehrgeld nicht aufbringen für ihn, nun, dann wird er sich bei Hannelore auch genug austollen können. Hoffentlich hat er gute Badegele-genheit, damit er richtig schwimmen lernt. Leider kann ich ihm nicht dabei helfen, mir würde das einen Riesenspaß machen.

In einem der letzten Briefe schrieb Karl: mal würde er mich unverhofft in Berlin besuchen. So gern ich auch meinen lieben Bruder sehen möchte, ich rate immer wieder ab, weil bei seiner wirtschaftlichen Lage die Opfer in keinem Verhältnis zum Nutzen stehen würden.

Ich danke recht herzlich und aufrichtig für seinen guten Willen, schicke ihm und seiner lieben Familie die herzlichsten Wünsche und Grüße. Wenn ich von Dir, liebe Ellen, Post habe, werde ich auch wieder nach Hause schreiben.

Wie geht es denn unserem lieben Walter, ist er immer noch so krank? Ich mache mir viel Gedanken um ihn. Hungert er für uns, für meine Familie? Ich möchte gern helfen, arbeiten, Geld verdienen, um Mutter zu helfen und Euch alle zu entlasten, soweit es irgend geht, aber ich muß noch warten.

Die politische Bewährungsfrist, so fasse ich die Schutzhaft auf, wird mir nicht geschenkt, und wir müssen Geduld haben, so schwer es auch wird.

Macht möglichst keine Geldausgaben für mich.

Wie hat sich Rudolf in seinen neuen Beruf hineingefunden? Wird er es schaffen mit Hunger und Beharrlichkeit? Meine besten Wünsche für ihn.

Liebste Ellen, an Dich denke ich am meisten. Wenn es gar zu hart manch-mal ankommt, denke ich an unsere Fahrten, besonders an die größte, den herr-lichen Strand in heißer Sonne und einsamen Wäldern.36

Für heute genug, hoffentlich bekomme ich bald Post von Dir. Laß Dirs gut gehen und tröste Leo, so gut es geht, hoffentlich kann ich später wieder viel gutmachen.

Beste Grüße an alle unsere Lieben. Dir Kuß und Händedruck.

Dein Albert

Im letzten Brief schrieb ich Dir: wegen eventuellem Besuch bei mir mußt Du Dich wenden an: Geh. Staatspolizeiamt, Prinz-Albrecht-Straße 8, Zimmer 33-34.

36 Zum Abschluß seines Studiums in der UdSSR (September 1929 bis Juli 1930) verbrachte Albert Kuntz mit seiner Frau Ellen einen Erholungsaufenthalt am Schwarzen Meer. In seinen späteren Briefen schrieb er aus konspirativen Gründen von der »großen Badewanne«.

Berlin, 7. Juli 1934 Liebste Ellen und meine Lieben!

Jetzt bin ich wieder froher, denn soeben erhielt ich Deine beiden Briefe vom 27.

Juni und 6. Juli, ich danke vielmals. Schreibe also bitte direkt nach hier, schein-bar brauch ich dann weniger lange warten. Ebenso erhielt ich gestern Dein – Euer 2. Paket und bin darüber nicht erfreut, weil daraus übermäßige Nah-rungssorge für mich spricht, das ist nicht am Platze. Ich hungere nicht, für Obst, Tomaten usw. bin ich dankbar, aber schicke bitte keine Butter und kein Fleisch oder Fett mehr, auch keine Brötchen mehr. Das Essen ist jetzt besser und reichlicher geworden und ich komme gut aus. Du verstehst richtig, liebe Ellen, nicht Eure große Liebe will ich zurückweisen, es ist nur zweckmäßiger so! Ich habe dafür leider neue Wünsche und das heißt, Geldausgaben für Euch. Schicke mir bitte das nächste Mal mit: einen primitiven Bleistift, einige Briefumschläge und Papier dazu, damit ich hier weniger Umstände den Be-amten bereite. An mein reichlich mitgebrachtes Schreibmaterial kann ich nicht ran, deshalb diese Bitte. Schicke mir auch keine grüne Gurke mehr, weil mir jegliches Messer und Salz dazu fehlen.

Leider habe ich absolut nichts, auch keine Zeitung zu lesen, ich habe noch 7 M Geld, aber ich kann nicht ran. Ich werde ein Gesuch machen zur Erlaub-nis für Zeitung, aber ich glaube, das ist hier nicht üblich und habe zunächst wenig Hoffnung. Mir ist die Einzelhaft hier schwerer als in Moabit, aber ich muß mich eben mit manchem anderen trösten. Ich werde mich weiter um Ar-beitsdienst bemühen, ich hoffe wie Du auf Einsicht der verantwortlichen Stel-len und gebe mir größte Mühe, mich einwandfrei zu führen. An meinem gut-en Willgut-en soll nichts scheitern. Geduld und immer wieder Geduld.

Sorgt Euch nicht um mich, sondern schlagt Euch bis auf weiteres ohne mich durch so gut es geht, ich trage alles leichter, wenn ich Euch trotz unserer großen Sehnsucht einigermaßen wohlauf weiß.

Mit dem Besuch bei mir, liebe gute Ellen, laß Dir Zeit (1-2 Wochen), schreib lieber dafür einmal mehr, wenns auch nur wenige Zeilen sind, aber für Deine kostbare Zeit ist das rationeller und so, wie die Dinge einmal liegen, auch zweckmäßiger. Ich freue mich mit Dir an Rudolfs und Käthes Glück und wün-sche Ihnen alles Gute. Wir beide wissen ja, was recht glückliche Stunden be-deuten!!! Sie werden auch für uns wiederkommen!!

Beste, frohe Grüße an Leos Freund und Hannelore. Leo wird auch so frohe Ferien haben und Karl mit seinen Kindern wird sich trösten müssen auf ein besseres Jahr. Recht herzlichen Dank für Lotte und Hans, wenn sie sich trotz ihrer Beengtheit entschlossen, unseren Jungen noch in [den] Ferien zu neh-men. Drücke die Kinder mal herzlich für mich.

Wie ist denn das mit dem Porto für meine Briefe? Kosten sie so unfrankiert mehr? Stecke doch mal einige Briefmarken mit rein (8 Pfg.), vielleicht bekom-me ich sie, damit ich wie früher die Briefe wieder freimachen kann. Jetzt bin

ich wieder Antinikotiner, aber das fällt mir absolut nicht schwer. Schwer ist nur die einsame Einzelhaft der Schutzhaft, aber hoffentlich mildert sich das auch bald.

Noch recht, recht herzliche Grüße für Walter und Mutter, bei ihnen wach-sen meine Schulden bergehoch, aber ich weiß, sie helfen uns gern.

Dir, liebe Ellen, mein bestes Fühlen und Wollen.

Dein Albert

Lichtenburg, den 12. Juli 1934 Konzentrationslager

Lichtenburg Liebste Ellen!

Wie Du vom Absender ersiehst, bin ich nicht mehr im Columbia-Haus, son-dern im großen Konzentrationslager Lichtenburg bei Torgau. Sehr schade, daß

Wie Du vom Absender ersiehst, bin ich nicht mehr im Columbia-Haus, son-dern im großen Konzentrationslager Lichtenburg bei Torgau. Sehr schade, daß

Im Dokument Rosa-Luxemburg-Stiftung Texte 21 (Seite 64-129)