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Im Dokument Rosa-Luxemburg-Stiftung Texte 21 (Seite 36-64)

Darmstadt, den 28. August 1933 Meine liebe Ellen und lieber Leo!

Heute erhielt ich Euer Paket mit dem herrlichen Kuchen und den anderen schönen Dinge. Diese Sendung kam recht überraschend früh. Recht, recht herzlichen Dank. Liebste Ellen, Du hast dabei aber unrecht geteilt. Nicht halb und halb, sondern nur ein gutes Drittel »steht mir zu«? Du sagst doch selbst, daß unser Leo jetzt so mächtig futtert, worüber ich mich übrigens sehr freue, also bitte zieh daraus die »eiserne« Konsequenz. Die beigefügten Grüße auch von »Rolf«20 haben mich sehr erfreut. Erwidere bitte in meinem Namen die herzlichen Grüße. Hoffentlich habt Ihr an Eurem Sonntagsspaziergang eben-soviel Freude gehabt als beim gemeinsamen Bummel mit Leo und Liesl. Seck-bach hat schöne Plätze. Wir waren doch mal nach einem Spaziergang durch den Huthpark auch mit Leo und Ede in Seckbacher Gartenlokalen. Erinnert Ihr Euch? Liebe Ellen, Du wartest wohl immer noch auf den beschlagnahmten Brief? Das ist vergebens, denn der liegt bei den Akten und den sehen wir wohl niemals wieder. Denselben schrieb ich am 13. 8. Aber ich hab Dir doch am 24.

8. einen anderen Brief geschrieben, ebenso zugleich einen an Leo, diese wirst du wohl schon inzwischen erhalten haben. Diesmal schicke ich an Leo einige (3) Bildchen aus den kleinen Schweizer Päckchen (2). Leo wird sich sicher freuen, seine Sammlung zu bereichern durch die kleinen Bildchen. Von Lotte wirst Du nun inzwischen wohl auch Post erhalten haben. Sie wird wohl von der langen Reise hundemüde bei Hans angekommen sein. Immerhin hat die lange Entbehrung ihres »neuen Heims usw.« gute neue Eindrücke auf Lotte gemacht, so daß sie Dir sicher viel zu schreiben haben wird. Und die kleine Hannelore, nach 8 Wochen schönen Ferien im Ausland! Sie wird einige Tage brauchen, um wieder in Takt zu kommen in der Schule. Du kannst mir nach-fühlen, daß ich auch sehr gerne jetzt mit unserem kleinen Leo plaudern möch-te. Ich glaube schon, daß er sich sehr nach mir sehnt, wenigstens zu bestimm-ten Stunden, aber was ist zu machen? Gern würde ich mal mit ihm »Drachen-steigen« gehen auf die Stoppelfelder. Wir müssens auf später verschieben.

Drücke Leo mal herzlich für mich.

Liebste Ellen, wenn Du mich wieder besuchst, so bring mir doch bitte drei Päckchen Pfeifenpatronen mit. Wenn Du mir wieder Käse bringst, so hätte ich gern mal fetten Limburger. Er ist nicht nur billiger, sondern zur Abwechs-lung schmeckt er sicher sehr gut, wie Du weißt. Die herrlichen Aprikosen sind wohlschmeckend, aber wohl sehr teuer? Nochmals besten Dank. Noch ein Wunsch, der aber nur bei bester Gelegenheit erledigt werden braucht und noch recht viel Zeit hat. Also bei Gelegenheit laß Dir bitte meine Wörterbücher (beide) mal mitschicken, falls ich sie doch später mal haben möchte. Mit mei-nen Sprachstudien mache ich sehr gute Fortschritte und hoffe auch weiterhin,

20 Rolf Thierbach, Cousin von Ellen Kuntz aus Leipzig.

damit Erfolg zu haben. Also die Sache mit den Wörterbüchern eilt absolut noch nicht, trotz allem Fleiß. Ich wetteifere mit Leo mit seinem Rechnen und wenn er will, schließe ich mit ihm einen Wettbewerb ab???

Nun Tschüß. Laßt es Euch recht gut gehen und genießt die schönen Som-mer- und Herbsttage, so gut es irgend geht, ich bin immer bei Euch und hoffe, Euch recht gesund und froh wiederzusehen.

Herzlichst Euer Albert

Darmstadt, den 16. September 1933 Meine liebe Ellen!

Gestern habe ich Dich dringend entweder bei der Gerichtsverhandlung oder anschließend in der Anstalt erwartet. Ich weiß nicht, ob Du hier warst und Dich vielleicht vergeblich bemüht hast. Hoffentlich bist Du nicht krank, ich mache mir einige Sorgen um Dich.21Nun Dir zur Mitteilung, daß ich gestern ebenso wie Walter Fisch nach 9stündiger nicht öffentlicher Verhandlung frei-gesprochen worden bin. Eine große und berechtigte Freude, was. Der Staats-anwalt hatte gegen mich 2 1/2Jahre Zuchthaus und gegen Walter 2 Jahre Z. be-antragt.

Nun wirst Du mit Recht fragen, warum bist Du trotz Freispruch und Auf-hebung des Haftbefehls nicht sofort daheim? Ja, das ist bitter, denn ich war ge-wissermaßen mit einem Bein schon in Freiheit, als am Schluß der Sitzung der Vertreter der Staatsanwaltschaft die Bemerkung machte: »Gegen Kuntz schwebt noch eine Sache wegen Mord in Berlin.«22Du kannst Dir denken, daß ich sofort protestierte und sagte, es müsse ein Irrtum sein. Ich kann es auch gar nicht glauben. Du selbst weißt, wie alle anderen Menschen, die meine politi-sche und gesellschaftliche Tätigkeit kennen, daß ich mit solchen Dingen nichts zu tun habe. Ich bin auch überzeugt, daß sich dieser Irrtum bald herausstellen wird und ich freikomme, wenn man sonst will. Inzwischen bleibt Dir und mir doch die bittere Enttäuschung. Man muß wirklich Nerven von Stahl haben, um so viel Bitterkeit und Engstirnigkeit, ohne in Raserei zu geraten, zu ertra-gen. Da ich mich von jeder Schuld frei weiß und deshalb ruhig jeden Verdacht von mir weisen kann, habe ich auch sofort Haftbeschwerde eingelegt und Haftprüfungs-Termin beantragt. Wie lange das nun dauert, weiß ich nicht. Ob

21 Albert Kuntz schreibt in Unkenntnis der Tatsache, daß Ellen Kuntz sich zu diesem Zeitpunkt in Un-tersuchungshaft in Frankfurt/M. befand. Sie hatte für Bernhard Bästlein, den Nachfolger von Albert Kuntz, der inzwischen auch verhaftet worden war, ein Päckchen seiner in Hamburg lebenden Frau im Untersuchungsgefängnis abgegeben. Wegen eines darin befindlichen »Kassibers« wurde sie verhaftet, ihr siebenjähriger Sohn in einem Waisenhaus untergebracht.

22 Die faschistische Justiz in Berlin bereitete einen Prozeß wegen der Ermordung der Berliner Polizeioffi-ziere Anlauf und Lenk am 9. August 1931 auf dem Bülowplatz (heute Rosa-Luxemburg-Platz) vor.

Hauptangeklagter war Albert Kuntz.

sich die Sache hier klärt oder ob ich erst den umständlichen Transport nach Berlin miterleben muß, weiß ich auch nicht. Ich tappe völlig im dunkeln und hoffe wie Du, schnellste Klarstellung zu bekommen.

So ist also augenblicklich die Lage. Ich fürchte, Du bekommst diesen Brief nicht gleich, da der leidige Sonntag dazwischen kommt und dann kann vieles anders sein. Unter Umständen kann es passieren, daß Du, wenn Du nicht bald zu Besuch kommst, mich gar nicht mehr hier antriffst. Ich hätte ja zu gern, daß Du den Anzug wieder in Empfang nimmst, damit ich nicht damit herumzie-hen muß.

Gestern erhielt ich im Gerichtssaal noch Post von Lotte und hab mich mäch-tig gefreut über die Zeilen sowohl als auch über beigefügte Aufnahmen aus der Schweiz. Liebe Ellen, schreib Du Lotte und Mutter über den Ausgang der Verhandlung. Mir fehlt begreiflicherweise die Stimmung, obwohl ich auf alle Schererei gefaßt bin.

Um mich mach Dir bitte keine Sorge, denn ich weiß, daß mir nichts passie-ren kann und diese neue Sache ebenso gut ausgehen wird als das, was bereits hinter mir liegt. Halte auch Du den Kopf hoch und Deine Nerven zusammen.

Die Freude wird nach ertragenem Leid um so größer sein. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder, am liebsten natürlich daheim. Drücke inzwischen unse-ren lieben Jungen für mich, den ich gern mal sehen und sprechen möchte. Dir, liebste Ellen, drücke ich in alter Treue herzlich Mund und Hände.

Dein Albert

Vergiß bitte nicht, meiner lieben Mutter einige Zeilen zu schreiben. Hof-fentlich bekommst Du diese Zeilen recht bald. Nochmals herzliche Grüße.

Dein Alb.

Darmstadt, den 24. September 1933 Meine liebe Ellen und Leo!

Dir gilt mein letzter Gruß aus Darmstadt, ehe ich morgen nach Berlin auf Transport gehe. Diesen Gruß sende ich Dir durch Marie Kramheller und hof-fe, daß Du ihn recht bald erhältst. Es steht kein Portogeld mehr zur Verfügung!

Viel, viel lieber hätte ich mit Dir noch einmal gesprochen, um mit Dir zu bera-ten, was Du tun kannst. Ob Du weiter mit Leo in Frankfurt bleibst, oder ob Deine Übersiedlung eventuell nach Berlin besser und zweckmäßiger wäre.

Darüber müssen wir uns wohl später schriftlich verständigen. Liebe Ellen, ich habe noch bis zur letzten Minute auf Post von Dir gewartet; vergeblich.

Tausend Fragen bestürmen mich zu gleicher Zeit und auf keine bekomme ich eine Antwort. Jetzt weiß ich nicht mal, ob Du meinen Brief und meine Post-karte, die ich nach dem Termin – also am Sonnabend, dem 16. September – an Dich schrieb, erhalten hast. Ich fahre in großer Sorge um Dich und Leo von

hier weg und bin in größter Ungewißheit über Euer jetziges Schicksal. Es ist so seltsam, so eigenartig, ja rätselhaft, warum Du gerade in dieser Woche nicht zu mir kommst oder an mich schreibst. Ich bitte Dich herzlich, sei mir nicht böse, weil ich so, von innerer Unruhe getrieben, Deine liebe Mutter und zu-letzt noch Marie Kr. alarmiert habe. Ich dachte, ganz gleich, ob Du schwer-krank, mit dem Fahrrad verunglückt oder sonstwo unglücklich steckst, schrei-ben konntest Du jedenfalls, es sei denn, daß man Dich gewaltsam daran hin-dert. Ich rechne mit dem Schlimmsten und dennoch hoffe ich immer wieder das Beste. Vielleicht wolltest Du wirklich vor dem Termin schreiben oder zum Termin kommen und Du warst daran gehindert, aber warum kamst Du nicht den folgenden Montag bzw. Dienstag oder Freitag? Du müßtest doch so wie ich mit schnell nach dem Termin folgenden Veränderungen meinerseits rech-nen. Du wolltest den Anzug holen, ich brauche Wäsche auf dem Transport usw. Ich begreife das alles nicht. Aber eines wird mir immer klarer, dieses ganze Verhalten steht jedenfalls im Widerspruch zu Deinen Wünschen und Willen. Sicher bist Du ebenso machtlos wie ich, diese Dinge zu ändern, aber dann muß natürlich die Sorge um unseren lieben Jungen um so größer sein.

Wo ist er, wer versorgt ihn und kümmert sich um ihn? Wenn Du nicht daheim bist, was ist dann mit Leo? Liebste Ellen, mich quält nichts mehr als Unge-wißheit.

Von Deiner lieben Mutter, der ich nach der Verhandlung so wie Dir schrieb, erhielt ich noch in derselben Woche von Berlin Antwort, nur Du antwortest nicht, was soll ich denken?

Liebe Ellen, ich habe mich somit auch über Marie an Dich gewandt und konnte keine Rücksicht nehmen auf Euren früheren kleinen Streit, dessen In-halt ich ja heute noch nicht kenne. Ich hoffe, weder Dir noch Marie dadurch weh zu tun. Du wirst das verstehen? Sonst habe ich ja keine uns so Bekannte in Frankfurt und ich hoffe, von ihr auch später Nachricht zu erhalten, wenn sie von Berlin meine neue Adresse erfahren hat. Ich kenne jetzt nur einen Wunsch,…daß meine Sorgen unnötig sind, daß es Euch trotz alledem gut geht und daß es nur dumme Zufälle und Umstände waren, die sich zwischen uns schoben. Wann werden wir uns nun wohl wiedersehen und wo? In Berlin?

Überlege ruhig und entscheide nichts zu schnell. Um mich mach Dir bitte kei-ne Sorgen, ich habe ein ruhiges und gutes Gewissen und habe demzufolge auch nichts zu befürchten. Ich drücke Dir innig Mund und Hände und wün-sche meinem lieben Leo das Beste.

Herzliche Grüße Dein Albert

Anbei 5 Bildchen für Leo aus meinen Tabakpackungen.

Berlin NW 40, den 28. Sept. 1933 Alt-Moabit 12a Liebe Mutter!23

Gestern traf ich hier in Berlin ein und heute bin ich hier im Untersuchungsge-fängnis Alt-Moabit 12 a eingeliefert worden. Den umständlichen Transport nach hierher habe ich gut überstanden und hoffe, auch bald dem Untersu-chungsrichter hier vorgeführt zu werden, damit ich endlich weiß, woran ich bin und die Sache mir sich aufklärt.

Warum ich eigentlich hier bin, weiß ich noch nicht, hoffe es jedoch bald zu erfahren.

Liebe Mutter, hast Du noch meinen Brief von Darmstadt vom 23. Sept. er-halten und, was noch wichtiger ist, hast Du endlich Post von meiner Ellen be-kommen? Ich werde ihr zunächst noch nicht schreiben und bitte, teile Du ihr meine neue Adresse mit, damit sie mir auf meine letzten 2 Briefe und 1 Post-karte antworten kann. Es war mir nicht möglich, in Frankfurt bei der Durch-reise noch irgendeine Auskunft darüber zu bekommen, was mit Ellen ist und wo sie steckt. Entschuldige bitte vielmals, wenn Du für den letzten Brief von mir selbst das Porto zahlen mußtest, aber es war leider nicht anders möglich.

Ich hoffe, daß Du mich mal hier besuchst, soviel ich weiß, kannst Du hier zu Besuch jeden Tag außer sonntags kommen, damit wir uns wegen Ellens Be-finden mal kurz aussprechen können. Bring aber zu Besuch weder zu essen noch zu rauchen oder dergleichen mit. Das ist seit den neuesten Bestimmun-gen ebenso verboten wie Pakete senden. Schreib das auch bitte Ellen, damit sie nicht unnötige Geldausgaben macht. Wenn Du mir durchaus etwas helfen willst, so zahle 1 Mark hier für mich ein, damit ich mir in der Kantine Pfeifen-tabak kaufen kann. Geld für Briefmarken habe ich noch und sonst brauche ich nichts. Ich hätte zu gern etwas Unterwäsche, muß aber damit auf Ellen war-ten; denn hier neues Zeug kaufen ist Unsinn; denn dazu ist kein Pfennig Geld vorhanden. Eben erfahre ich, daß ich Wäsche hier gestellt bekomme. Also

die-23 Der Brief ist an Anna Geißler, Mutter von Ellen Kuntz, gerichtet.

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se Sorge bin ich los. Meinen guten Anzug, den ich zur Darmstädter Gerichts-verhandlung anhatte, mußte ich im kleinen Koffer mit nach hier nehmen. Viel-leicht kannst Du ihn mitnehmen. Ich werde darum ersuchen, denn der ist si-cher im Koffer nicht besser geworden.

Sonst wüßte ich zunächst nichts Dringendes fürs erste. Hoffentlich erhältst Du die Zeilen bald. Tausend Grüße an Walter, Rudolf, Lotte usw. vor allem meiner lieben Ellen und Leo.

Besten Gruß Dein Albert

Berlin NW 40, den 30. Sept. 1933 Alt-Moabit 12 a Liebe Ellen, lieber Leo!

Ihr werdet darauf warten, endlich zu erfahren, wo ich bin und wie es mir geht.

Meine neue Adresse habe ich oben unterstrichen und hoffe, von Euch Lieben daheim bald Post auf alle meine Briefe zu erhalten. Nach dreitägigem Trans-port bin ich hier angekommen und befinde mich jetzt als Untersuchungsge-fangener im Untersuchungsgefängnis Alt-Moabit.

Liebe Ellen, meine Bemühungen in Frankfurt, Dich nochmals zu sprechen, waren vergeblich, da nicht genügend Zeit zur Verfügung stand. Den Koffer mit dem Anzug, den Du noch abholen wolltest, mußte ich mit nach hier neh-men und hoffe, ihn bald Deiner lieben Mutter geben zu können, damit er wie-der in Ordnung gebracht werden kann. Für Dich war es sicher eine sehr große Enttäuschung, als Du davon erfahren hast, daß ich trotz Freispruch nicht frei, sondern sofort wieder in Schutzhaft kam und jetzt wieder in Untersuchung stecke. Wie lange man mich noch so behandeln wird, wissen die Götter nicht mal. Es heißt Geduld haben und Mut behalten. Ich muß mich mit den vielen anderen Kameraden trösten, die ebenfalls wie ich auf unbestimmte Zeit von ihren Lieben und Getreuen getrennt sind gegen ihren Willen. Ein schwacher Trost zwar, aber leider der einzige. Wenn ich nur erst von Dir Post habe, dann ist mir leichter ums Herz. Diese schrecklich lange Ungewißheit über Dein Befinden macht nervös. An Deine liebe Mutter habe ich geschrieben und hof-fe, daß sie mich bald besucht. Ebenso habe ich heute an Karl nach Hause ge-schrieben, damit sie meine Adresse haben.

Nun, liebste Ellen, was denkst Du weiter zu tun? Willst Du dort in Ffm.

bleiben oder nach Berlin übersiedeln? Eine schwere Frage, besonders nach der finanziellen Seite hin. Solltest Du Dich doch für hier entscheiden, so kläre vorher Deine Lage beim Wohlfahrtsamt, denn hier kannst Du ja nicht daheim [ein]ziehen mit Leo, sondern brauchst ein eigenes Heim. Überlege ruhig und nicht übereilt handeln. Dir wird wieder in Ffm. manches lieb geworden sein.

Ein verdammtes Zigeunerleben – einmal hier, einmal da. Schlimmer noch sind

Emigrantenfreuden! Und unser lieber Leo? Er wird wohl auch nirgends warm und muß jetzt so ganz ohne Vater aufwachsen. Das erinnert mich sehr an mei-ne Kinderzeit ohmei-ne Vater und die Mutter nur auf Stunden. Als Kind kommt man schließlich leicht darüber hinweg, besonders dann, wenn man wie Leo eine so gute Mutter hat. Ich denke oft, oft an Euch und Euer hartes Leben in der Jetztzeit. Es ist schlimm, wenn man helfen möchte und doch nicht kann.

Doch alles Klagen ist zwecklos, praktischer leben ist besser. Liebe Ellen, sorge Dich nicht um mich, sondern lebe nur ein praktisches Leben für Deine und Leos Interessen so gut und leicht es irgend geht – ohne alle Rücksichten auf mich. Mache auch nicht den Fehler des Paketschickens, denn nach den neue-sten Bestimmungen ist das nicht mehr gestattet.

In meiner Untersuchungssache darf ich Dir ja bekanntlich nichts schreiben.

Aber soviel weißt Du ja, daß ich mit Mord oder ähnlichen Dingen nichts zu tun habe. Ich hoffe also mit Dir, daß sich dieser Fall bald aufklären wird, da-mit aller Verdacht gegen mich bald zusammenbricht.

Liebe Ellen, eben jetzt bekomme ich von Darmstadt nachgesandte Post, von Dir wieder nichts dabei, aber unter anderen ein Trauerbrief: Paula, meine lie-be Schwester, ist tot. Am 25. Sept. ist sie gestorlie-ben und lie-bereits gestern in Leip-zig begraben. Sie hat ausgekämpft und ist von ihren großen Leiden endlich be-freit. Sie hat schwer gelitten, die Ärmste, ich werde wohl viel an sie denken müssen. Das ist ein harter Schlag, besonders für unsere liebe Mutter, die selbst unerhört schwer zu leiden hat.

Liebe Ellen, ich will jetzt nicht weiterschreiben, nur Dir zur Mitteilung noch, daß sich Deine liebe Mutter sehr viel Sorgen um Dich macht, weil sie auch keine Post von Dir bekommt.

Es ist schlimm, diese Ungewißheit. Hoffentlich schreibst Du bald.

In alter Herzlichkeit Dein Albert

6. Oktober: Recht vielen Dank für alle die guten Helfer, die unserem Leo zur Seite standen, als ihm auch seine liebe Mutter entrissen wurde.

Besonderen Gruß meinem Leo!

Berlin NW 40, den 6. Oktober 1933 Alt-Moabit 12 a Liebste Ellen!

Soeben habe ich Deinen Brief von 3. Oktober erhalten. Ich bin nun wieder froh und ruhig, da ich weiß, daß Du wieder gesund bei unserem lieben Leo bist.

Recht vielen Dank, daß Du sofort geschrieben hast, ich hab täglich, stündlich auf Post von Dir gewartet. Am 30. Sept. schrieb ich Dir inzwischen wieder, hielt aber den Brief zurück, weil ich erst wissen wollte, wo Du steckst, und heute schicke ich Dir denselben nachträglich noch mit.

Es liegen bittere Wochen hinter mir, aber jetzt mach Dir bitte keine Vor-würfe mehr. Du bist ja wieder daheim, hoffentlich wirst Du nie mehr von

Es liegen bittere Wochen hinter mir, aber jetzt mach Dir bitte keine Vor-würfe mehr. Du bist ja wieder daheim, hoffentlich wirst Du nie mehr von

Im Dokument Rosa-Luxemburg-Stiftung Texte 21 (Seite 36-64)