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Konstruktion der Problematiken

4. Positionen und Praktiken im Dispositiv

4.1.3. Konstruktion der Problematiken

Unter positivem Bezug auf die Enquete-Kommission wird festgestellt, daß ‚Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit‘ als gesamtgesellschaftlicher Such-, Lern- und Erfahrungsprozeß zu verstehen ist. Nachhaltigkeit ist für den BDI nicht ein eindeutig operationalisierbares Leitbild, sondern eine regulative Idee im Kantschen Sinne, “die lediglich die erforderlichen Such-, Forschungs- und Lernprozesse in eine bestimmte Richtung drängen soll.” (BDI 1999b, 10).

Statt eines starren und allumfassenden Lösungskonzeptes, das wirtschaftliches Wachstum behindert und ökologische Probleme ungelöst läßt, bevorzugt der BDI eine Lesart nachhaltiger Entwicklung, die dazu beiträgt, “neue Kräfte freizusetzen, um ein weiteres wirtschaftliches Wachstum zu garantieren und diesem Wachstum eine zukunftsorientierte, umweltverträgliche Richtung zu geben.” (BDI 1999b, 10). Das Ziel der Suchbewegung innerhalb des Koordinatensystems der Nachhaltigkeit ist es, den natürlichen Kapitalstock der Gegenwart in moderne Infrastruktur und ein gut funktionierendes Energie- und Materialwirtschaftssystem zu verwandeln, die den nachfolgenden Generationen zur Verfügung stehen. Sustainable Development ist dann “die Summe ökologisch und sozial verantwortungsvollen wirtschaftlichen Handelns über die nächsten Jahrzehnte.” (Grohe 1996a, 8).

Wirtschaftliche, ökologische und soziale Ziele sollen nicht abstrakt miteinander verbunden werden, sondern “die konkrete problembezogene Rückkoppelung jedes konkreten ökologischen Ziels mit der ökonomischen und sozialen Dimension der Nachhaltigkeit” ist beabsichtigt (BDI 1999a, 4). “Ohne diese Rückkoppelung bleiben absolut gesetzte Entlastungsziele politisch wirkungslos oder wirken sogar kontraproduktiv. Politische Maßnahmen ohne diesen Schritt aus umweltpolitischen Zielen abzuleiten, beinhaltet die Gefahr erheblicher ökologischer Fehlsteuerungen, ökonomischer Ineffizienz und negativer sozialer Folgen.” (BDI 1999a, 4). Das Drei-Säulen-Konzept betont nach Auffassung des BDI die Gleichrangigkeit unterschiedlicher gesellschaftlicher Anliegen: “Damit soll von dem ursprünglichen sogenannten ‚ökologisierten Nachhaltigkeitsbegriff‘, der unter nachhaltiger Entwicklung die Maximierung ökologischer Belange ohne Berücksichtigung ökonomischer und sozialer Nebeneffekte verstand, Abschied genommen werden.”159 Der ökologisierte Nachhaltigkeitsbegriff kommt für den BDI in der kritikwürdigen Forderung nach

159 (BDI 1999b, 10); Henkel zieht eine Parallele zur Geschichte des Verhältnisses von wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und Sozialpolitik: “Die Auswirkungen auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Unternehmen wurden in der Sozialpolitik viel zu lange als unwesentliche Nebenwirkungen staatlicher Leistungen abgetan. Heute sind sie selbst Auslöser für längst überfällige Therapien. Diesen Fehler dürfen wir in ökologischer Hinsicht nicht wiederholen.” (Henkel 1996, 4).

Reduktionen (z.B. von Energie-, Rohstoff- oder Schadstoffdurchsatz) um jeden Preis zum Ausdruck, und die als gleichrangig definierten ökonomischen und sozialen Belange treten in den Hintergrund.

Das Thema der Energie ist für die Argumentation des BDI zentral. Sowohl das Problem des Bevölkerungswachstums als auch die Problematik einer unvollständigen Kreislaufwirtschaft sind nur über ein global verfügbares Energieangebot zu lösen: ”Energie ist Leben, ist Grundlage der Ernährung, ist Grundlage der Materialwirtschaft und über einen graduellen Anstieg des Lebensstandards zugleich die einzig wirksame Bremse des Bevölkerungswachstums.” (Grohe 1996a, 7). Zur Absicherung des global verfügbaren Energieangebotes müssen alle Energieformen von der Solartechnik bis zum Fusionsreaktor genutzt werden. Hinsichtlich der fossilen Energievorräte kommt Grohe zu dem Schluß, daß sie auch ohne Anstrengungen zur Nachhaltigkeit etwa 1000 Jahre reichen würden. Damit sind die für eine nachhaltige Entwicklung im 21. Jahrhundert erforderlichen Rohstoffe vorhanden:

“Physische Verknappung und Erschöpfung sind Legenden; der Aufruf zu Umkehr und Verzicht ist falsch.” (Grohe 1996a, 2). Ähnlich argumentiert auch Wellmer (1997), der annimmt, daß Rohstoffreserven, neue Technologien und sparsamer Umgang den nachfolgenden Generationen einen angemessenen Ressourcenanteil sichern. Grohe bildet unterstützend drei Aussagen, die als Wahrheitskonstruktionen gegen die ‚Legende‘ von der Erschöpfung der Ressourcen gerichtet sind.

Die erste Aussage belegt er mit Zahlen der Deutschen Shell zur Fördertiefe im Wasser. Diese stieg von 6 Metern im Jahr 1946 auf 1700 Meter im Jahr 1997. Eine Berechnung der Welterdölreserven auf der Basis von 1946 wäre, so Grohe, völlig in die Irre gegangen, weil die Technologieentwicklung in ihr unterschätzt werde.

Eine weitere Aussage stellt eine Beziehung her zwischen Lebensdauer energetischer und mineralischer Vorräte und Preisniveaus. Bei Erhöhung der Preise z.B. für Öl lassen sich die bekannten Ölvorräte strecken: “Die Aussage hier ist: die Lebensdauer aller energetischen und mineralischen Rohstoffreserven ist eine Funktion des Preises.” (Grohe 1996a, 3).

Die dritte Aussage bezieht sich darauf, daß bisher im wesentlichen konventionelle Vorräte abgebaut wurden, und die im Vergleich größeren unkonventionelle Vorräte können bei entsprechender Preisentwicklung und Technologiesprüngen erst abgebaut werden.

Diese Technik der Aussagenbildung beruht auf einer bestimmten Weise der Auswahl und Anordnung quantitativer Daten und ihrer Umwandlung in qualitative Aussagen. Darüber hinaus vermittelt sie zwischen technisch-naturwissenschaftlichen Aussagen und Welt-Bildern.

Das ist ein Verfahren, in dem die Potentiale erneuerbarer Energien in ein ganz bestimmtes Verhältnis zu fossilen Energieträgern treten: Sie ergänzen, ohne ersetzen zu können.

Die Problematik liegt nach der Position des BDI nicht in erschöpfbaren Ressourcen, sondern in der Tragfähigkeit und Regenerationsfähigkeit der Umwelt. Und diese ist noch nicht bekannt: “Wir sind vom qualifizierten Erkennen der Barrieren jedoch noch weit entfernt. Jede Ressource und jedes Umweltmedium hat eigene Grenzen und Gesetzmäßigkeiten. Wir müssen mit Entschiedenheit an die Erkundung dieser Barrieren gehen, wir, das heißt die Industrie in guter Kooperation mit der Wissenschaft.” (Grohe 1996b, 2). Die skizzierte Argumentation bildet die Grundlage für die Relativierung der Rede von den “Grenzen des Wachstums”. Die Grenzen befinden sich an anderem “Ort”, und sie sind noch unbekannt. Im übrigen geht Grohe im Diskurs um Emissionen davon aus, daß die CO2-Reduktion auf der Basis der Selbstverpflichtung160 der deutschen Wirtschaft eine Annäherung an die Grenzen des physikalisch Machbaren ist. Die Vermeidungspotentiale der Zukunft lägen in den “Jungen Ländern”, denen durch Joint-Implementation die Option einer bedeutenden Verringerung der Materialintensität bei ihrer nachholenden Entwicklung eröffnet werde. Sie seien damit nicht notwendig auf den Normalverlauf der Malenbaum-Kurve (vgl. Global 2000, 1980) festgelegt, und könnten einen “Tunnel-Effekt” mittels Technologie in Kombination mit einer Kreislaufwirtschaft161 erreichen. Grundlage der deutschen Umweltpolitik in diesem Prozeß kann es nach Auffassung des BDI nicht sein, diesen Ländern ein einseitig aus ökologischer Perspektive motiviertes Niveau des Umweltschutzes vorzuschreiben, das dort weder politisch getragen noch finanzierbar sei (BDI 1999, 8).

Ein zentrales und umstrittenes Feld von Beobachtungen, Bewertungen und Schlußfolgerungen ist die Zukunft der Mobilität. Da die Konturen einer nachhaltigen Mobilität als Ausschnitt und Bedingung nachhaltiger Entwicklung noch verschwommen sind, kann die Verknüpfung der Begriffe “Mobilität” und “Nachhaltigkeit” “sogar zu paradox konträren Deutungen und Forderungen geführt werden.” (Willeke, 1998, 9). Forderungen nach Verkehrsvermeidung und Verkehrsverlagerung als Bedingung nachhaltiger Mobilität stehen gegen Integrationsbedürfnisse, die nur über ein erhöhtes Transportaufkommen befriedigt werden

160 Die Verpflichtung des BDI, Energieverbrauch und CO2-Emissionen der Industrie um bis zu 20% im Zeitraum von 1987-2005 zu senken, relativiert Vormholz. Im Zeitraum von 1970-1987 wurde der Energieverbrauch der Industrie um annähernd 40% gesenkt. Das Angebot des BDI bedeutet also eine Halbierung des Fortschritts in der rationellen Energienutzung (Vormholz 1995, 40).

161 Auch eine Kreislaufwirtschaft mit Recycling verursacht nach dieser Argumentation quantitative Verluste, die über die Entropiehypothese begründet werden.

können. “Diese gezielt auf Verteuerung und Bevormundung ausgerichteten Vorstellungen treffen ausgerechnet auf eine Lage, in der das deutsche Verkehrssystem dabei ist, sich mit großen Friktionsopfern aus der ressourcenverschwendenden Fehlsteuerung jahrzehntelanger Regulierungen herauszukämpfen." (Willeke 1998, 9). So treten Integration und Verkehrsvermeidung als politische Zielelemente in Widerspruch. Unterstützend führt Willeke an, daß eine Verlagerung auf “umweltfreundlichere” Verkehrsmittel von den quantitativen Dimensionen her unrealistisch ist. Die “mobilitätsscheue”, “an Fehlurteilen klammernde Bewußtseinslage” gefährdet die Erfolge der Deregulierung. “Als Denkbarrieren wirken diffuse Vorstellungen, die ‚blinden‘ Kräfte des freien Marktes würden das Wachstum der Verkehrsmenge besonders auf der Straße und damit den Anstieg verkehrsinduzierter Belastungen über das sinnvolle Maß hinaus forcieren.” (Willeke 1998, 10). Ein bereits bekanntes Argument bildet das Zentrum der Gegenposition: Der Zugriff auf als absolut angenommene Knappheiten wird über einen begrenzten Zeitraum gestreckt. Dem hält Willeke entgegen, daß im Suchprozeß nachhaltiger Wirtschafts- und Mobilitätsentwicklung immer nur Zwischenziele über die Substitution knapper Ressourcen durch reproduzierbares Kapital und Humankapital zu erreichen sind.