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2. Diskursanalytisches Vorgehen

3.1. Der Diskurs um Globalisierung

3.2.1. Der Notstand

3.2. Das Dispositiv der zukunftsfähigen Entwicklung

geschlossenen System der Ökonomie weichen muß. Er schlägt vor, die Maßstäbe zur Beurteilung ökonomischen Erfolgs entsprechend zu verändern. “The essential measure of the success of the economy is not production and consumption at all, but the nature, extent, quality and complexity of the total capital stock, including in that state of the human bodies and minds included in the system.” (Boulding 1966, 10). Eine politische Antwort formiert sich auf der UN-Ebene (United Nations General Assembly 1968) mit einem ersten Höhepunkt auf der Konferenz von Stockholm (United Nations Conference on the Human Environment 1972)75.

Die unerhörte Stimme der Kassandra

In der Transformation des Notstandes ist der Club of Rome von besonderer Bedeutung. Es handelt sich um eine Vereinigung von besorgten Mitgliedern der politischen, ökonomischen und wissenschaftlichen Eliten ohne Praxismacht im politischen Feld, die sich auf die Position der Seherin beschränkt. So gelingt es im Idealfall, außerhalb von Feldzensuren zu sprechen und in diesem Sinne “Unerhörtes” zu sprechen. Zugleich bleiben die Mahnungen “unerhört”

im anderen Sinne des Wortes: Sie werden nicht in Praktiken umgesetzt.76

Parallel zur Konferenz von Stockholm erscheint der erste Bericht an den Club of Rome (Meadows et al. 1972) mit einer doppelten Botschaft: Die entscheidenden Wachstumsprozesse verlaufen nicht linear sondern exponentiell. Und: Die Grenzen dieser Wachstumsprozesse (Population, Industrialisierung, Umweltverschmutzung, Lebensmittelproduktion und Ressourcenverbrauch) sind absehbar erreicht.77 Mit diesen Thesen wird ein Axiom der ökonomischen Praxis und Wissenschaft in Frage gestellt: Das

74 Vgl. zur Kritik an diesen ersten Versuchen, gegebene Entwicklungsvorstellungen in prognostische Aussagen zu übersetzen: Nordhaus (1973). Es ist insbesondere die Variablenkonstruktion, die für Nordhaus kritikwürdig ist.

75 Die Bedeutung dieser Konferenz besteht darin, daß die Umweltbewegung und Umweltthemen ab diesem Zeitpunkt auf die Tagesordnung der internationalen Politik gesetzt sind. Obwohl die entwickelten Länder und ihre Probleme mit den Ergebnissen der Industrialisierung im Vordergrund standen, deutete sich bereits eine thematische Erweiterung an, die auch das Verhältnis von Entwicklungs- und Umweltthemen umfaßte (Elliott 1994, 23).

76 Sowohl von der Verbreitung des Reports als auch von dem Einfluß her, den er innerhalb der Wissenschaft und auch der Politik ausübte, war ‚Limits to Growth‘ ein Erfolg. Hajer (1995, 81) führt diesen relativen Erfolg darauf zurück, daß der Report im hoch angesehenen Kybernetik-Diskurs eine apokalyptische Botschaft verpackte.

Diese Kombination bewirkte, daß die Autoren nicht unmittelbar diskreditiert werden konnten.

77 Insbesondere die USA verfügen über eine Kontinuität in der Befassung mit Problemen der Ressourcenverfügbarkeit. Eine der frühesten empirischen Studien zu Ressourcenknappheit und Umweltproblemen ist die von der Material Policy Commission (1952) des US-Präsidenten erstellte Studie:

‚Resources for Freedom, Foundation for Growth and Scarcity‘. Eine Zusammenstellung von Verbrauchszahlen für ca. 80 Jahre in der Vergangenheit, die Eigenproduktion und Importe unterscheidet, präsentieren Potter/Christy (1962). Barnett/Morse (1963) liefern eine Analyse zur Ressourcenverfügbarkeit auf der Basis klassisch-ökonomischer Fragenzuschnitte. Sie kommen zu dem Ergebnis, daß Wachstum nur begrenzt ist, wenn die Gesellschaft unbeweglich ist und vertreten die Substitutionshypothese auf der Basis technischen Fortschritts.

Wachstumsparadigma.78 Meadows et al. befassen sich zwar auch mit Schadstoffen und ihren Wirkungen, neu in Verbindung mit dem Notstand ist die Thematisierung von Entscheidungsmöglichkeiten zur Selbstbegrenzung. “Damals wie heute sehen wir die Zukunft nicht als klar umrissene Größe, die man prognostizieren kann; vielmehr steckt sie voller Möglichkeiten, für die man sich entscheiden kann. ‚‘Die Grenzen des Wachstums‘ hatte nichts mit Prognosen zu tun. Es war ein Buch über Entscheidungsmöglichkeiten.” (Meadows (1995, 48). Dennoch enthält die Notstandskonstruktion Hinweise auf die Überwindung des Notstandes, die als bewußte Selbstbegrenzung angelegt sind: “Achieving a self-imposed limitation to growth would require much effort. It would involve learning to do many things in new ways.” (Meadows et al. 1972, 170). Solche Selbstbegrenzung ist, darauf weisen die Autoren ausdrücklich hin, thematisch nicht neu.79 Sie unterscheiden verschiedene Wachstumsprozesse, von denen lediglich das Wachstum der Bevölkerung und das des Kapitalstocks beeinflußt werden sollen: “Thus the most basic definition of the state of global equilibrum ist that population and capital are essentially stable, with the forces tending to increase or decrease them in a carefully controlled balance.” (Meadows et al. 1972, 171).

78 Vgl. zur Kritik Cole/Curnow (1973), für die ‚Limits to Growth‘ ein Bündel pessimistischer Annahmen ist, das natürlich nur zu pessimistischen Schlußfolgerungen führen könne. Pointierter ist die Kritik von Freeman (1973), der nicht nur kritisiert, daß es sich im Grunde um eine Aktualisierung der Hypothesen von Malthus zur Begrenztheit von Wachstumsprozessen handelt Schwerer wiegt für ihn, daß die Annahmen der Computermodelle an die Stelle von Theorien getreten sind, die sie jedoch nicht ersetzen können. Ein weiterer Gegenstand von Kritik ist die Art und Weise der Aggregation von Daten oder die Quantifizierung erschöpfbarer Ressourcen (Zwartendyke 1972). Von solchen Positionen der Kritik im Detail sind Positionen unterscheidbar, in denen von einer Balance zwischen Problemen und Problemlösungen ausgegangen wird (Beckermann 1974;

Kahn 1976; Maddox 1972; bis hin zu Simon 1981, der annimmt, daß es keine stoffliche Grenze von Bedeutung für die Fähigkeit zu unbegrenztem Wachstum gibt.).

79 In der ökonomischen Klassik wurde die Selbstbegrenzung bereits thematisiert (Luks 1998). Der Ursprung läßt sich bis in die antike Ethik zurückverfolgen. Hier ist sie im Konzept der Sophrosyne (North 1966) zu erkennen.

Der sophron (Zurückhaltende) wird hier dem megalopsychos (Hochmütigen) gegenüber gestellt. Sophrosyne ist

“primarly intellectual rather than moral; athough it is well to remember that throughout its history sophrosyne, however ‚intellectual‘ it may be, is normally applied to some kind of behavior. The knowledge involved is revealed in human action and generally has a moral outcome.” (North 1966, 4). Die Verbreitung des Konzepts wird begünstigt durch das Wachstum der Polis als politischer Form (North 1966, 12). Sie erforderte eine augedehntere Übung in Selbstbeherrschung als die locker organisierte homerische Gesellschaft. Ist Sophrosyne ein Konzept, das auf Selbstgewißheit und Selbstbeherrschung der Individuen in einer neuen politischen Form abzielt, so wird im Umfeld der Hypothese von der postindustriellen Gesellschaft (Bell1974) das gesellschaftliche Prinzip der “Oikonomia” (Wirtschaft des ganzen Hauses) dem der “Chremastia” (Erwerbs- und Bereicherungskunst) (Gershuny 1978, 22ff.) gegenüber gestellt: “Mit anderen Worten, Oikonomia, eine

‚gesunde‘ Verwaltung einer stabilen Gesellschaft ist das höchste wirtschaftspolitische Ziel, nicht die Zunahme des materiellen Wohlstandes, sondern die Verbesserung der persönlichen Situation, die Melioration.” (Gershuny 1978, 25). Die Position Gershunys spielt an auf die Hedonismuskritik Bells, der die Probleme der Gegenwartsgesellschaften durch verbesserte Steuerungsleistungen in der Kooperation von Expertenkulturen und Politik lösen will. ‚Oikonomia‘ ist zudem kein unbelasteter Begriff, da die Ordnung des ganzen Hauses auf einer Hierarchie beruht. Von Interesse sind ‚Sophrosyne‘ und ‚Oikonomia‘, weil analog zur neuen politischen Form der Polis gegenwärtig eine veränderte politische Struktur entsteht, die nicht einfach eine Bewegung der Gesamtgesellschaft ist, sondern auch auf der Ebene der Subjekte Veränderungen erforderlich macht.

Die brüchige Stimme des Hegemons

In ‚Global 2000‘ wird hingegen nicht nur reichlich von prognostischen Instrumenten Gebrauch gemacht (Global 2000 1981, 137-885), sondern diese werden verglichen und bewertet. Dies wurde notwendig, weil im “Weltmodell” verschiedene Ansätze integriert sind:

“Sie wurden von verschiedenen Leuten zu verschiedener Zeit mit verschiedener Perspektive und Methodologie zur Erfüllung verschiedener Bedürfnisse entwickelt.” (Global 2000 1981, 908). Insbesondere für die Einschätzung der Beschleunigung negativer Entwicklungen, das Ausmaß des Drucks auf erneuerbare Ressourcen und den Zusammenhang von Armut und Umweltzerstörung erbringt die Studie neue Erkenntnisse. Da sich Global 2000 auf die Konstruktion von Problematiken beschränkte, wurde eine weitere Studie zu Handlungsoptionen erforderlich. In ihr sind programmatisch Umwelt- und Entwicklungsaspekte zum Neologismus Sustainable Development zusammengeschlossen. In der deutschen Rezeption von Global 2000 und Global Future kommt eine zeittypische Fixierung auf den Notstand zum Ausdruck, in welcher der Neologismus Sustainable Development ‚übersehen‘ wird. Beispielhaft ist für diese Praxis das Vorwort des deutschen Verlages “Wir wollen Ihnen den Zusatzband zu Global 2000 nicht vorenthalten, obwohl wir den Inhalt nicht überzeugend finden. (...) Mag es den Einzelnen interessieren, wie sich die Autoren des ‚Council on Environmental Quality‘ die Lösung der Probleme vorstellen, in jedem Fall wird die Realisierung durch die gegenwärtige umweltfeindliche Umweltpolitik Amerikas schwer, wenn nicht unmöglich gemacht.” (Council on Environmental Quality/United States Department of State 1981, VI).

Der Chor der Uneigennützigen

In der bislang umfassendsten Antwort auf den Notstand besteht ebenfalls jene Kombination von Konstruktion eines Notstandes mit der Entwicklung von Optionen, die für die skizzierten Studien zutrifft. Mit dem Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (WCED) (Hauff 1987) erreichen die Diskurse um Umwelt und Entwicklung eine neue Qualität der Bündelung, Institutionalisierung und Ausbreitung. Eine der Leistungen der Kommission ist die Zusammenschau von Umwelt- Entwicklungs- und Energiekrise zu einer einzigen globalen Krise. In ihr verschmelzen beschleunigt ökonomische und ökologische Ursachen- und Wirkungszusammenhänge (Hauff 1987, 2ff.). Der Notstand wird dreifach aufgefaltet:

- Die Zukunft als solche ist bedroht (Hauff 1987, 31ff.). Die Kombination von Mangel an Entwicklung (übermäßiger und kurzfristig orientierter Ressourcenverbrauch armer Länder) und Folgen bestimmter Formen wirtschaftlichen Wachstums (globale Schäden

durch Verbesserungen‘ in den reichen Ländern) erzeugt Folgen, die Zukunft global bedrohen: “Das Ausmaß und die Komplexität unseres Bedarfs an natürlichen Ressourcen sind enorm angestiegen mit den steigenden Bevölkerungs- und Produktionszahlen. Die Natur ist zwar üppig, aber sie ist auch empfindlich und fein abgestimmt. Es gibt Schwellenwerte, die nicht überschritten werden können, ohne daß die Unversehrtheit des ökologischen Systems gefährdet wird. Wir haben heute viele dieser Schwellenwerte fast erreicht; daher müssen wir uns das Risiko vor Augen halten, daß wir das Überleben des Lebens auf der ganzen Erde gefährden.” (Hauff 1987, 37).

- Auch bei Übereinstimmung in einem Grundkonzept dauerhafter Entwicklung sind Probleme auf dem Weg zu dauerhafter Entwicklung zu bewältigen. Da eine Befriedigung von Grundbedürfnissen angestrebt ist, muß Wachstum für diejenigen Gebiete möglich sein, in denen diese Grundbedürfnisse nicht befriedigt werden. Des weiteren sind Ungleichheiten wirtschaftlicher und politischer Macht für die Kommission eine Ursache von Ressourcenerschöpfung und Umweltbelastung. Auch die politisch-territoriale Ordnung, die oft den Zusammenhang von Handeln und Handlungsfolgen zwar noch erkennen läßt, aber Abhilfe erschwert, soll verändert werden. Wachstumsprozesse sollen künftig von geringerer Material- und Energieintensität und gerechter in den Folgen sein.

Die Bevölkerungsentwicklung soll an die produktive Kapazität des Ökosystems gekoppelt werden, der Druck auf die Ressourcenbasis verringert und technologische Innovationen auf die Lösung ökologischer Problemlagen orientiert werden. Alle genannten Einzelziele dienen letztlich einem übergeordneten Ziel: “Die Strategie dauerhafter Entwicklung zielt im weitesten Sinne darauf ab, Harmonie zwischen den Menschen und zwischen der Menschheit und der Natur zu schaffen." (Hauff 1987, 69).

- Die Ausdehnung und Intensivierung von Handels- und Kapitalbewegungen hat nach Auffassung der Kommission zu weitreichenden ökologischen Auswirkungen geführt.

Weil die Weltwirtschaft vom Ökosystem abhängt, muß die Dauerhaftigkeit dieses Ökosystems gesichert werden. Viele Beziehungen innerhalb der Weltwirtschaft sind unausgeglichen und nicht von der Einsicht in gegenseitige Abhängigkeit geprägt. Die Verminderung von Armut wird von der Kommission als Vorbedingung für umweltverträgliche Entwicklung gesehen.