Jede dieser Formen hat Vor- und Nachteile. Wichtig ist bei der Fest
legung der Kriterien, daß Wirksub
stanz, gewählte Retardierungsform und Therapieziel zueinander passen, miteinander harmonieren müssen.
Bei Tramal® long 100 hat man sich aufgrund der hohen Wasserlöslich
keit des Tramadol für eine Single- Unit-Form, eine Filmtablette mit hy
drophiler Matrix entschieden, aus der die Wirksubstanz, das Tramal
hydrochlorid, über einen Zeitraum von 12 Stunden freigesetzt wird. Das Problem, daß der Wirkstoff einen bit
teren Geschmack hat, wurde da
durch gelöst, daß die Tablette mit einem sich im Magen rasch auflösen
den Film überzogen wird.
Ist die Tablette geschluckt, bildet sich an der Oberfläche eine Gelschicht aus, die den weiteren raschen Zutritt von Flüssigkeit behindert, so daß diese nur langsam von außen unter Ausbildung weiterer Gelschichten in den zunächst noch trockenen inne
ren Bereich der Tablette Vordringen und so Wirkstoff von der Oberfläche freisetzen kann.
Der pH-Wert in den einzelnen Ab
schnitten des Magen-Darm-Trakts variiert vom sehr sauren bis zum nahe basischen Bereich. Deshalb muß geprüft werden, wie der pH- Wert die Freisetzungskinetik beein
flußt. In-vitro-Untersuchungen mit einem pH-Programm mit pH-Werten von 1,2 über 4,0 und 6,8 bis zu 7,4 zeigen keinerlei Einfluß auf die Frei
setzungsrate. Dabei stimmen alle Freisetzungskurven praktisch über
ein, d.h. es gibt keinen pH-Wert-Ein- fluß auf die Freisetzungsrate und es steht zu erwarten, daß - egal, wie lange die Tablette im Magen ist - die Freisetzung immer gleich bleibt.
Auch unterschiedliche mechanische Beeinflussungen, wie sie durch gleichzeitiges Vorhandensein von Nahrung im Magen oder durch die Motorik entstehen können, haben auf die Freisetzungsgeschwindigkeit keinen Einfluß, ebensowenig wie oberflächenaktive Substanzen wie
Tenside, Proteine, Lipide oder Gal
lensalze.
Die bei kleinen Tablettenmengen ausgetesteten und festgelegten Ei
genschaften müssen sich aber auch im Großmaßstab, beim sogenannten
»Scaling up«, bestätigen. Was nützt es dem Patienten, wenn zwar im Kleinversuch, z. B. bei Mengen bis zu einem Kilo Wirkstoff, die Qualitäts
kriterien der EG-Richtlinie erfüllt werden, dies aber in der industriel
len Fertigung nicht mit gleich großer Sicherheit geschieht? Aber auch hier zeigte sich bei Tramal® long 100 zu
verlässig die gleiche Qualität.
Dies trifft auch zu, wenn man die Frage der Stabilität prüft. Tabletten werden manchmal lange, oft an un
geeigneten Stellen und unter unter
schiedlichsten klimatischen Bedin
gungen gelagert, ln dem bis heute zu überblickenden Zeitraum von vier Jahren war bei der Stabilitätsprü
fung eine Veränderung vom Aus
gangswert unter Bedingungen der gemäßigten, subtropischen und tro
pischen Klimazonen von den Aus
gangswerten nicht festzustellen.
Selbst unter extremen klimatischen Bedingungen wie einer Temperatur von 40 Grad Celsius und einer 80%igen Luftfeuchtigkeit kam es le
diglich zu einer leichten Aufquellung der Tablette, die aber weder die Frei
setzungsrate noch die Freisetzungs
geschwindigkeit beeinflußte.
In vitro eine gelungene Galenik, aber wie sieht es in vivo aus?
Was aber, so Dr. Bartholomäus, nüt
zen die schönsten unter Laborbedin
gungen gewonnenen Daten, wenn sie sich nicht in vivo bestätigen las
sen? Aus Blutspiegeluntersuchun
gen bei Patienten oder Probanden kann man zurückrechnen, wie sich der Wirkstoff im Körper verhält.
Auch hier zeigt sich eine sehr schö
ne Korrelation zwischen in vitro und in vivo {Abb. 2). Anders gesagt läßt sich das, was man unter
Versuchs-Kongre»
Abbildung 2: Im Vergleicb zeigt sich, daß die unter Laborbedingungen gewonnenen Daten sehr zuverlässig auf die In-vivo-Situation übertragbar sind.
bedingungen festgestellt hat, auch bei Untersuchungen im Körper be
stätigen. Die Variabilität des Men
schen, dies zeigt sich an diesen Un
tersuchungen, ist sehr viel größer als die der Arzneiform. Um so wichti
ger, daß nicht zur großen inter- und intraindividuellen Patientenvaria- biliät auch noch unterschiedliche Freisetzungsverläufe berücksichtigt werden müssen, die im Herstellungs
verfahren begründet sind.
Fazit für die Therapiesicherheit Mit der Entwicklung von Tramal®
long 100 ist dem Pharmaunterneh
men Grünenthal GmbH die Entwick
lung einer Retard-Galenik gelungen, die
• den Wirkstoff unabhängig vom pH-Wert
• unabhängig von mechanischen Einflüssen und
unabhängig von oberflächenakti
ven Substanzen freisetzt und bei der
die In-vitro-Ergebnisse mit den im menschlichen Organismus fest
gestellten Ergebnissen korrelie
ren.
Beispiele zum Einsatz von Tramal®
long 100
Die entscheidende Kenngröße bei einer neuen Arzneimittelform ist ihre Bewährung unter den Bedingungen der täglichen Praxis. Dr. rer. nat.
Thilo Stadler, Leiter der medizinisch
wissenschaftlichen Abteilung Anal
getika, stellte anhand von Fallbei
spielen vor, bei welchen Indikatio
nen die Gabe der retardierten Form des Tramadol sinnvoll sein kann. Seit Ausbietung der Retardform im Sep
tember 1994 sind bereits etwa 4000 Patientengeschichten dokumentiert.
Tabelle 1: Einsatz von Tramal® long 100
lumorschmerzen CSNG Schmerzen akut/subakut
Bewegungsapparat Z. n. Operationen
XFA 1171
Tumorschmerzen und chronische Schmerzen nicht tumorbedingter Genese (CSNG) sind vor allem Ein
satzgebiete für Tramal® long 100, wobei bei den CSNG solche des Be
wegungsapparates und neuropathi- sche Schmerzen im Vordergrund ste
hen {Tab. 1).
Des weiteren sind aber auch Akut
oder Subakutschmerzen für die The
rapie mit dem retardierten Trama
dol geeignet. Es sind dies Schmer
zen, die primär parenteral behandelt werden, bei denen aber davon aus
zugehen ist, daß sie noch über einen längeren Zeitraum hinweg anhalten werden. Sie können aus diesem Grund ein geeignetes Einsatzgebiet für die retardierte, oral zu gebende Form des Schmerzmittels sein. Es sind dies beispielsweise Schmerzfor
men, wie sie bei Lumbago, Luxatio
nen, Frakturen, aktivierten .\rthro- sen und Zuständen nach Operatio
nen vorherrschen.
Beispiel: Tumorschmerzen
Die vorgestellten Patienten (Diagno
sen: Mammakarzinom, Zungenkar
zinom in fortgeschrittenem Stadium, Sigmakarzinom) wurden gemäß den WHO-Richtlinien (Stufe 2) behan
delt, d.h. es wurde zunächst kon
sequent jeweils ein peripher wirk
sames Schmerzmittel verabreicht -im geschilderten Fall 2 x 500mg Na
proxen pro Tag. Beim Einsatz der Re- tardtablette wurde eine Dosistitrati
on vorgenommen. Die Patienten er
hielten zunächst 2x1 Retardtablet- te ä 100mg, mit der Möglichkeit, bei Schmerzspitzen eine zusätzliche Be
darfsmedikation in Eorm von Tra
mal® Tropfen vorzunehmen. Stufen
weise wurde die zur Schmerzbe
kämpfung notwendige Menge bis in den Bereich von 600mg Tramal®
long 100 pro die austitriert. Inklusi
ve der bei Schmerzspitzen maximal eingesetzten 50mg Tramal in Form von Tropfen wurde der Dosisbereich von maximal 650mg/die nicht über
schritten. Reichte diese Dosis nicht
1172 XiEA.
aus, kam gemäß der Richtlinien der WHO ein Präparat der Stufe 3 des Schemas in Frage. Die Patientin mit Mammatumor benötigte während der Titrationsphase zusätzlich zu 2x100mg Tramal® long 100 zur Ku- pierung von Schmerzspitzen 157 Tropfen Tramal®. Unter der Gabe von 2 X 200mg der retardierten Form trat eine ausreichende Schmerzlin
derung ein.
Beispiel: Chronische Rücken- schmerzen
Insbesondere bei Schmerzen auf
grund von degenerativen Verände
rungen, beim Postdiskektomiesyn- drom und bei postoperativen Be
schwerden, beim diskogenen lumba
len Schmerzsyndrom und bei osteo- porotischen Prozessen kann man mit der Retardform von Tramal® gute Er
gebnisse erzielen, erklärt Dr. Stad
ler. Ausgeschlossen sind Schmerzen mit entzündlicher Komponente: hier ist Tramal® allein nicht indiziert. Mit einem breiten Spektrum von Krank
heitsbildern belegte Dr. Stadler die wirksame Schmerzlinderung mit dem retardierten Tramadol.
Postdiskektomie-Syndrom
Ein 47jähriger, inzwischen berente- ter Patient mit chronisch lumbaler Schmerzkrankheit, zwei Bandschei
benoperationen (3/4 und 4/5 links) und einer dorsalen Spondylodese mit seit über 15 Jahren bestehenden Rückenschmerzen erhielt - nach mehreren erfolglosen Therapien mit peripheren Schmerzmitteln -2x100 mg Tramal® long 100. Der Patient ge
langte von einem starken Schmerz
niveau in der dreiwöchigen Beob
achtungszeit auf ein Schmerzniveau, das er gut tolerieren kann.
Osteoporose und rezidivierende Lumbalgien
Bei dieser Patientin bestanden die Beschwerden seit 9 Jahren. Unter Therapie mit Tramal® long 100 unter Beibehaltung der Begleittherapien (Fango/Massage/Bewegungsbäder)
Kongrej^
Extra
Patient, 34 Jahre Indikation:
LWS: Osteochondrose und Spondylosis deformans
Bandscheibenprotrusion (L 4/5) Bandscheibenprotrusion (L 3/4) HWS: Spinalkanaleinengung
(knöcherne) (C 5/6) Rückenschmerzen:
seit ca. 10 Jahren operative Eingriffe:
zwei-Etagen-Diskotomie L4/L 5 und L5/S1 (1992) medikamentöse Behandlung:
2x2 Tbl. Tramal® long 100 3 x 500mg Paracetamol 3 x 1/2 Tbl. Musaril
befriedigende/leichte - mäßig starke Schmerzen
Beobachtungszeitraunv 6 Monate
Die Kombination des retardierten Tra
madol, eines peripher wirkenden Analgetikums und eines Muskelrela- xans bringt auch einen Patienten mit einem schweren Krankheitsbild in einen Bereich, in dem das Schmerz
niveau tolerabel wird.
konnte das starke Schmerzniveau der Patientin auf ein gut zu tolerie
rendes leichtes bis mäßiges zurück
geführt werden. Der Beobachtungs
zeitraum beträgt bei dieser Patientin neun Wochen.
Osteochondrose und Spondylosis deformans mit Bandscheibenpro
trusion
Bei einem jungen Patienten mit einem komplexen, seit über 10 Jah
ren bestehenden Krankheitsbild und mehreren operativen Eingriffen konnte mit einer kombinierten me
dikamentösen Therapie gezeigt wer
den, daß auch verschiedene inein- andergreifende Wirkkomponenten sinnvoll zu einer effektiven Schmerz
linderung zusammengefügt werden können [Kasten 2).
Beispiel Akutschmerz
Generell werden Akutschmerzen parenteral behandelt. Oft ist jedoch abzusehen, daß der Schmerz noch über einen längeren Zeitraum hin
weg anhalten kann - und in solchen Fällen ist der Einsatz des retardier
ten Tramadol hilfreich. Primär ste
hen hier akute Lumboischialgien [Kasten J), Zustände nach Operatio
nen (vorgestellt ein Patient mit einer Kreuzbandoperation), Schmerzen nach Frakturen, aktivierte Coxar
throsen und Schleudertraumata im Vordergrund. Aber auch bei Schmerzzuständen wie beim Herpes zoster [Tabelle 2) hat sich Tramal®
long 100 als effektiv erwiesen.
Oft ist es dabei so, daß zu Beginn zweimal täglich 1 bis 2
Retardtablet-Patient, 72 Jahre Indikation:
akute Lumboischialgie A usgangsschmerzniveau:
stark
Behandlungszeitraum:
17.1.-18.2.95 Dosierung:
2x1 TRAMAL® long 100, ab 10.2.: 1 X1 Tramal® long 100 (wg. Befundbesserung)
zusätzliche Analgetika:
3 X 50mg Diclofenac
Eintritt der Schmerzlinderung:
nach 45 Minuten Qualität der Analgesie:
sehr gut
Rasche Schmerzbefreiung innerhalb von 45 Minuten bei einem Patienten mit akuter Lumboischialgie.
Kongrej^
Extra
Tabelle 2: Mit zweimal täglich lOOmg Tramal® long 100 erreicht man eine sehr gute Schmerzbefreiung auch bei Patienten mit Herpes zoster.
Indikation Herpes zoster Ausgangs
schmerzniveau akut Behandlungs
zeitraum 17.1.-31.5.95
Dosierung 2x1 Tramal® long 100 zusätzliche
Analgetika -Qualität der
Analgesie sehr gut
ten gegeben werden müssen. Im Ver
lauf der Behandlung kann bei Remis
sion der Schmerzen die Dosis redu
ziert werden. Häufig ist dann nur noch eine Gabe über Nacht notwen
dig.
Wichtig ist auch die Erkenntnis, daß bei Gabe der retardierten Form des Tramadol eine effektive Schmerzlin
derung in der Regel innerhalb von ca. 30 bis 45 Minuten erfolgt.
Postzosterische Neuralgie - ein Einsatzgebiet für Tramal®?
Uralte Vorurteile prägen noch immer häufig den Umgang mit Schmerzen bei Ärzten und auch bei vielen Pa
tienten. Ebenso wie die Schmerzen finden auch Vorurteile im Kopf statt, stellt Priv.-Doz. Dr. med. Dipl.-Psych.
Hartmut Göbel von der Klinik für Neurologie in Kiel fest.
Ganz schlimm. So Dr. Göbel, sind die Vorurteile bei geriatrischen Patien
ten: So wird noch immer die These vertreten, daß das Schmerzempfin
den im Alter reduziert sei, oder daß die alten Patienten überhaupt nicht mehr in der Lage seien, so lokalisiert wie jüngere Menschen Schmerz zu erleben. Auch daß eine klare Zuord
nung der Ursache nicht mehr mög
lich sei und daß alte Menschen gar nicht mehr in der Lage seien, den
Schmerz so mitzuteilen, wird noch häufig fälschlicherweise postuliert.
Unglückliche Folge solcher Konzep
tionen ist, daß man diese Patienten in der Medizin dann wenig Aufmerk
samkeit schenkt - eben auch hin
sichtlich einer adäquaten Therapie.
Bei jüngeren Menschen (18-30jäh- rigen) nimmt man an, daß etwa 70 von 1000 an chronischen hartnäcki
gen Schmerzen leiden, bei alten Men
schen sind es nach aktuellen Zahlen aus den USA aber rund 400 von 1000: ein riesiges medizinisches Pro
blem, erklärt Dr. Göbel. Ein beson
deres Problem im Alter sind aber neuropathische Schmerzen, die durch Läsionen im Nervensystem entstehen. Am häufigsten dabei sind die polyneuropathische Schmerzen.
Bei alten Patienten stehen aber auf
grund meist einer größeren Zahl vorhandener per se behandlungs
bedürftiger Diagnosen auch Verträg
lichkeitsaspekte einer Medikation stark im Vordergrund.
Es gibt eine große Zahl unterschied
lichster neuropathischer Schmerz
formen: So z. B. die kongenitale Anal
gesie, eine angeborene Krankheit, bei der von Geburt an die Schmerz
empfindung völlig aufgehoben ist.
Bei der diabetischen Polyneuro
pathie werden die dünnen, schmerz
leitenden Nervenfasern unzurei
chend ernährt. Bei bestimmten Stoff
wechselerkrankungen kommt es zu einem Ausfall von dicken Nervenfa
»Glaubenssätze« bei neuralgiscben Schmerzen
1. Opioidanalgetika sind bei solchen Schmerzen nicht wirksam und kön
nen deshalb auch nicht eingesetzt werden!
2. Opioidanalgetika sind nur be
schränkt auf Tumorschmerzen, haben also bei neuropathischen Schmerzen nichts verloren!
Folge: Ein potentiell wirksamer thera
peutischer Ansatz wird nicht versucht.
1173
sern, ein genereller Ausfall von Ner
venfasern entsteht z. B. durch Alko- holabusus - auch dies ein häufiges Problem im höheren Lebensalter.
Neben den Polyneuropathien gibt es auch noch die sogenannten Mono
neuropathien, die nur an bestimm
ten Nerven ablaufen. Der Herpes zo
ster ist hier die bekannteste Form.
Die postherpetische Neuralgie ist eine Komplikation des Herpes zoster.
Als »großen medizinischen Schritt«
bezeichnet Göbel den Entschluß, diese Glaubenssätze nicht nur in Frage zu stellen, sondern die Wir
kung eines Opioids bei neuralgi
schen Schmerzen in einer kontrol
lierten Studie zu überprüfen. Ge
wählt wurde dabei die postherpeti
sche Neuralgie, für die bisher keine allgemein gültigen Behandlungs
empfehlungen existieren und die ein schwer zu behandelnder Schmerz
zustand ist. Die Inzidenzkurve des Herpes zoster steigt mit zunehmen
dem Alter an. Etwa 1 Prozent der über Siebzigjährigen leidet darunter, ein gar nicht mehr seltenes Problem also! Die postherpetische Neuralgie ist ebenfalls ein Altersproblem: Wäh
rend in jugendlichem Alter der Her
pes in der Regel nach ein bis zwei Wochen vorüber ist, leidet bereits im Alter von über 40 Jahren fast die Hälfte der Betroffenen unter dem quälenden Schmerzzustand der postherpetischen Neuralgie über mehr als 6 Wochen, der die Aktivi
tät der Patienten sehr stark beein
trächtigen bis völlig zum Erliegen bringen kann. Weil es bisher keine vernünftige Therapie für diese Schmerzen gibt, so der Experte, gibt es sogar Überweisungen von Haus
ärzten zu den sogenannten »weisen Frauen« zum »Besprechen« - das sei der Stand der Medizin 1995!
Von der postherpetischen Neuralgie ist dann die Rede, wenn der Schmerz sechs Wochen nach dem akuten Her
pes zoster weiterbesteht. Risikofak
toren sind insbesondere höheres Alter und Diabetes mellitus. Beson
ders problematisch ist der
Krania-1174 'ZFA
liszoster, weil dabei häufig das Auge mit betroffen ist.
Die Symptomatik ist gekennzeichnet durch einen konstanten Brenn
schmerz, Dysästhesien, eine Allody- nie, die Hyperalgesie, einen Dauer
schmerz und Pigmentveränderun
gen der Haut.
Obwohl die Erkrankung schon lange bekannt ist, gibt es für dieses Krank
heitsbild noch immer keine festen Behandlungsstandards. Es gibt le
diglich polypragmatische Behand
lungsansätze wie die Gabe von An
tidepressiva und/oder Neuroleptika.
Psychotrope oder neurotrope Sub
stanzen sollen hier in den Patho- mechanismus am Nerven eingreifen.
Carbamazepin, Steroide werden ein
gesetzt, oder - in verzweifelten Ein- zelfällen - hat man, so Göbel, »on top« Opioide gegeben, also zusätz
lich, wenn alles andere nichts gehol
fen hat. Systematische Erfahrungen dazu hat man aber nicht gesammelt.
ln einer kontrollierten, randomisier- ten Pilotuntersuchung an 36 Patien
ten (mittleres Alter 69 Jahre) unter
suchte Göbel die Wirkung von Tra
mal® auf den Schmerz bei posther
petischer Neuralgie im Vergleich mit einer Patientengruppe, die eine üb
liche Therapie, bestehend aus Clomi
pramin (Anafranil®) und Levome
promazin (Neurocil®), erhielt, ln bei
den Patientengruppen bestand eine postherpetische Neuralgie oder eine akute Reaktivierung eines Herpes zo
ster mit Entwicklung einer posther
petischen Neuralgie. Neben dem Ein
fluß auf die Schmerzen wurde auch die psychische und körperliche Be
findlichkeit mit zur Beurteilung des Therapieergebnisses herangezogen.
Die Patienten erhielten 4x1 bis 4 x 3 Kapseln Tramal® (durchschnittliche Tagesdosis ab der 3. Woche 250 bis 300mg) oder 2x1 bis 4 x 1 Dragees Clomipramin, durchschnittliche Ta
gesdosis 50-75 mg. Bei unzureichen
der Analgesie bei 3x1 Dragee Clo
mipramin wurde 3 x 1-4 x 1 Tablette Levomepromazin pro Tag hinzuge
KongreJ^
Extra
Tabelle 3: Schmerzverlauf bei Patienten mit postberpetiscber Neuralgie während einer sechswöchigen Therapie
Schmerziinderung Tramal® Clomipramin/Levomepromazin
n n
keine 0 0,0 2 18,2
ungenügend 1 10,0 3 27,3
befriedigend 3 30,0 1 9,1
gut 4 40,0 3 27,3
sehr gut 2 20,0 2 18,2
Summe 10 100,0 11 100,0
Keine bedeutsamen Unterschiede bezüglich der psychisch/physischen Befindlichkeit während der Tramal®-Behandlung. ln der Clomipramin-ZLevomepromazin-Gruppe Abnahme der Parameter für Depression und Empfindlichkeit, wobei diese Werte ur
sprünglich bereits höher lagen als die der Tramal®-Gruppe und während der Thera
pie auf das Niveau der Tramal®-Gruppe abfielen. Auftretenshäufigkeit von uner
wünschten Ereignissen in beiden Gruppen vergleichbar.
geben. Dies kam nur bei drei Patien
ten zum Tragen. Dabei wurde nach dem Prinzip »Start low, go slow« mit einer niedrigen Dosis begonnen und dann allmählich bis zur ausreichen
den Schmerzkupierung gesteigert.
Unter Therapie ergaben sich bezüg
lich der psychischen oder physischen Befindlichkeiten zwischen den bei
den Behandlungsgruppen keine be
deutsamen Unterschiede. Bei mittel
starkem bis starkem Ausgangs
niveau wurde die durchschnittliche Schmerzintensität nach der dritten Behandlungswoche in beiden Thera
piegruppen als »leicht« angegeben.
Die Analgesiebeurteilung war jedoch in der mit Tramal® behandelten Gruppe etwas besser {Tab. 3).
Durch dieses Ergebnis werden die dilTerentialtherapeutischen Möglich
keiten bei diesem Krankheitsbild ent
scheidend erweitert, denn gerade alte Menschen vertragen häufig die Therapie mit der Kombination aus Antidepressivum und Neurolepti
kum schlecht. Wichtig beim Einsatz des Tramadol ist es, zu Beginn ein Antiemetikum mitzuverordnen.
Damit kann die wichtige uner
wünschte Nebenwirkung Übelkeit gut beherrscht werden.
Die Rationale für den Einsatz des Tramadol erkärt sich für Göbel dar
aus, daß dieses neben der opioidago- nistischen Aktivität die physiologi
sche Hemmwirkung der Monoami
ne Noradrenalin und Serotonin auf die Schmerzleitung im Rückenmark verstärkt.
Was hier am Beispiel der postherpe
tischen Neuralgie gezeigt wurde, läßt sich, so die Schlußfolgerung von Göbel, auch auf andere neuralgische Schmerzen übertragen, auch hier eine wichtige Bereicherung des the
rapeutischen Spektrums. Hierzu sollten aber noch eindeutig bewei
sende Studien durchgeführt werden.
Der Einsatz der Retardformulierung in Form des Tramal® long 100, die bei Beginn der oben zitierten Unter
suchung noch nicht zur Verfügung stand, ist nach Göbel sicher dazu ge
eignet, die Compliance der Patien
ten wesentlich zu verbessern.
(Günther Burk)
Pressegespräch im Rahmen der 101.
Tagung der Gesellschaft für Innere Medizin am 24. April 1995 in Wies
baden.