• Keine Ergebnisse gefunden

Cluster 2 – Bundesregierung: Die Schnittmenge von Exekutive und Bund unterteilt sich in die Bundesregierung (Gubernative) sowie die Behörden und Verwaltungen (Administrative)

7.4 Politikstrategische Herausforderungen

7.4.1 Komplexität, Akteursvielfalt und Planung

Hypothese 1 benennt Akteursvielfalt, Komplexität und Planung als zentrale Herausforderungen für eine konsistente Planung und damit für eine konsistente Strategie.

Die drei Aspekte wurden von den Experten entsprechend bewertet und konkretisiert.

Akteursvielfalt

Eine wesentliche Herausforderung in Bezug auf die Gestaltung und vor allem auch in Bezug auf die Umsetzung einer politischen Strategie ist nach Einschätzung vieler Experten die enorme Zahl der beteiligten Akteure mit jeweils eigenen Interessen.

„Es gibt jede Menge Interventionsakteure, (…) die eine Rolle spielen, wo einfach Interessenskonflikte auftauchen“ (C24/47).

In den Gesprächen wurden eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure und deren Bedeutung für eine politische Strategie genannt. Grob kann dabei zwischen politischen Akteuren im engeren Sinne und nichtpolitischen Akteuren und individuellen sowie korporativen Akteuren unterschieden werden. Die politischen Akteure können inhaltlich entlang der horizontalen (Legislative, Exekutive, Judikative) und vertikalen Gewaltenteilung (supranationale und nationale / föderale Ebene) gegliedert werden. Eine ausführliche Auswertung aller in den Interviews genannten Aspekte in Bezug auf die Akteure findet sich in Kapitel 7.4.7 (politische Akteure) und Kapitel 7.4.12 (nichtpolitische Akteure).

Einige Experten sehen eine zunehmende Bedeutung der Akteursebene für das Gelingen einer politischen Strategie. Letztlich entscheide die „Steuerung“ aller Akteure und Interessen über den Prozesserfolg.

„Natürlich haben die ihre eigene Agenda, (…). Das gibt es und deswegen ist das natürlich eine ganz komplexe Steuerungsaufgabe, die da vor uns liegt. (…) Ich merke immer stärker die Akteursebene (…), das ist eine entscheidende Dimension für das Gelingen oder Nicht-Gelingen von bestimmten Prozessen“

(C24/83).

Komplexität

Die Kausalität zwischen Akteuren (Ursache) und Komplexität (Wirkung) wird von vielen Experten in den Gesprächen bestätigt. Stellvertretend dafür steht die folgende Aussage eines Experten einer Landesregierung.

„Die Energiewende ist zu komplex als dass man sagen kann, da ist einer oder eine für verantwortlich.

Natürlich muss die Bundesregierung sich Gedanken drüber machen, wie die Gesetze entsprechend gemacht werden. Die Länder müssen sich ähnliche Gedanken machen. Natürlich müssen auch die großen Energieanbieter sich Gedanken machen, wie sie umdenken müssen“ (C41/32).

Das Zusammenbringen von unterschiedlichen Akteuren mit ihren unterschiedlichen Interessen sei gerade das Wesen der Demokratie. Politische Strategie müsse sich dieser

Herausforderung stellen. Stellvertretend für diese Sicht steht mit Blick auf die an der Energiewende beteiligten Ministerien die folgende Aussage.

„Die unterschiedlichen Interessen, die in diesem Querschnittsbereich Energiewende existieren, die haben ja alle ihre Berechtigung. Also das Umweltinteresse, das ökologische Interesse hat ein fundamentales und evidentes Interesse, das ökonomische Interesse, also das Interesse der Wirtschaft hat auch seine Daseinsberechtigung. Das finanzielle Interesse, das durch das Finanzministerium repräsentiert wird genauso. Oder ein Akteur, den wir noch nicht genannt haben, das Landwirtschaftsministerium, das eben teilweise parteipolitische Interessen aber eben auch durchaus die Energiewende als Interesse der Landwirtschaft vertritt, auch ein institutionell verortetes Interesse. In meinen Augen ist es völlig legitim und auch sinnvoll, dass diese Interessen vertreten werden. Und auch dass diese verschiedenen Meinungen am Ende einem Ergebnis zugeführt werden ist sinnvoll“ (C21/16).

Der Interessenausgleich als logische Folge der Akteursvielfalt in einer Demokratie wird vielfach als Hemmnis für politische Strategie genannt, die den Prozess der Strategiebildung und vor allem der Strategieexekution verlangsame. Dennoch weisen viele Experten daraufhin, dass dieses in einer Demokratie notwendige Vorgehen trotz des zeitlichen Anspruches letztlich zum bestmöglichen Ergebnis führe.

„Im Endeffekt brauchen wir eine Konfliktdiskussion und eine Konfliktklärung und danach eine Umsetzung des Ganzen. Und diese Umsetzung muss möglichst partizipativ stattfinden. Das ist langsamer, vollkommen klar. Aber ich denke langfristig – und ich bin jemand der an Demokratie glaubt an die beste der schlechtesten Regierungsformen – ist das, was wir hier machen mit den unterschiedlichen Ebenen, Föderalebene, europäische Ebene, deutsche Ebene eigentlich eine ganz gute Form des Ausgleichens und natürlich auch des Einbringens der verschiedenen Stakeholder, sprich Industrie, Gewerkschaften, Religion, Kultur und all diese Dinge, die die Gesellschaft mitgestalten“ (C32/41).

Allerdings wird die Akteursvielfalt zwar als Wesentliche, aber nicht als einzige Ursache für Komplexität genannt. So sprechen einige Experten neben der akteursbedingten Komplexität beispielsweise auch die enorme inhaltliche, also thematische Komplexität der Energieversorgung an.

„Nun Sie haben völlig recht, dass eben diese Energiemärkte ganz schön komplex sind und auch noch interimpendent. Das macht es natürlich schwer“ (C52/16).

Planung

Die Notwendigkeit eines übergeordneten Plans wurde von vielen Experten unterstrichen. In Bezug auf die Energiewende sei dies ganz besonders auch mit Blick auf die Planungssicherheit von Unternehmen und Investoren notwendig.

„Ganz viele Unternehmer sagen, mir ist es egal, ob ich jetzt einen oder zwei Cent mehr zahle.

Hauptsache, ich weiß, wie viel ich in zehn oder zwanzig Jahren zahle, damit ich mein Unternehmen darauf ausrichten kann. Damit ich weiß, was auf mich zukommt, welche Gesetze vielleicht in fünf Jahren verändert werden und so. Aber nicht dieses Zickzack, dieses Hin und Her, was wir in Deutschland zum Teil erleben“ (C13/33).

In den Gesprächen wird allerdings mehrheitlich darauf hingewiesen, dass es anders als bei Militär oder Wirtschaft in der Politik eben nicht möglich sei, detaillierte Pläne zu verfolgen.

„Im Militärischen würde es einen Operationsplan geben und den gibt es im Politischen fast nie oder wenn dann nur sehr kurzfristig“ (C54/26).

Eine auf 30 Jahre angelegte Energiewende könne aus unterschiedlichen Gründen nicht über den gesamten Zeitraum hinweg detailliert geplant werden. Insgesamt sei es in der Politik eher unangebracht, Ziele und Maßnahmen langfristig zu planen. Möglich sei demnach eine Definition von Zwischenzielen mit einem zeitlichen Horizont von einigen Jahren.

„Sie legen sich zurecht, welchen Anteil sie in zehn Jahren erreicht haben müssen, um dann letztlich auch das Grobziel zu erreichen. Deshalb setzt man sich Zwischenziele für 2020, 2025, 2030, 2035. Dann gibt es Zwischenschritte. Anders geht das ja auch nicht“ (C33/42).

Auch konkrete Maßnahmen hingegen könnten nur für einen relativ überschaubaren Zeitraum geplant werden. Ein Maßnahmenplan für einen Zeithorizont von mehr als zehn Jahren sei nach Einschätzung der Experten nicht sinnvoll.

„Man kann sich ein Ziel setzen, ja. Aber die konkreten Maßnahmen kann man nur maximal für die nächsten zehn Jahre festlegen. So läuft es beispielsweise auch mit dem Netzentwicklungsplan. Der macht immer so eine Vorausschau für die kommenden zehn Jahre. Das ist aus meiner Sicht ein realistischer Zeithorizont“ (C33/40).

In den Interviews wurden neben der aktuersbedingten Komplexität diverse weitere Gründe genannt, die eine umfassende strategische Planung der Energiewende nicht zulassen. Die meisten angeführten Gründe werden als übergeordnete Herausforderungen der politischen Strategie in den folgenden Kapiteln noch näher ausgeführt. An dieser Stelle sollen die vier meistgenannten Gründe jeweils anhand eines kurzen Belegzitats skizziert werden.

1. Zeitliche Aspekte: kurzfristigen Wahlzyklen

„Meine Erfahrung mit Politik ist, dass es ein paar Dinge gibt, die man als strategisch bezeichnen kann, dass Politik sich aber im Wesentlichen taktisch verhält, weil die jeweiligen Fristen in denen gedacht wird ja gar keine langfristige Strategie zulassen“ (C34/11).

2. Politische Erfordernis der kurzfristigen Reaktionen (z.B. aufgrund von Friktionen)

„Nach den Erfahrungen, die ich so in den letzten Jahren gemacht habe und nach all den politischen Diskussionen würde ich eher der These zuneigen, dass ein fein durchdeklinierter Plan oftmals die Notwendigkeit verhindert, auf bestimmte Dinge auch kurzfristig reagieren zu müssen“ (C52/17).

3. Fehlende Erfahrungswerte / Blaupause

„Ich bin überzeugt dass es das nicht geben kann diesen berühmten Masterplan, das wäre ja sozusagen die Strategie. Weil wir uns auf völlig unbekanntem Gelände bewegen. Wir sind ja die ersten, die so etwas machen“ (C34/7).

4. Planungsablehnung

„Da gab es eine Planungseuphorie – und zwar nicht mal auf der Ebene von Politik und Kommunikation – sondern eher auf der Ebene von Policies. Diese Planungseuphorie hat sich verflüchtigt. Sie ist heute fast in eine Abneigung gegenüber Planungsprozessen umgeschlagen. Viele Akteure glauben aus ihrer Erfahrung heraus nicht mehr, dass das überhaupt denkbar ist. Das korrespondiert auch mit den ganz vielen Planungsabteilungen, die so in den 70, 80er Jahren entstanden, im Kanzleramt und den Staatskanzleien und so. Die sind alle eingestellt worden“ (C24/35).

Im Ergebnis gebe es nach mehrheitlicher Meinung der Experten zwar strategische Elemente, aber keine übergeordnete Strategie im Sinne eines allumfassenden Detail- oder Masterplanes für die Energiewende.

Was wir aber nicht haben – da ist eben die große Frage, geht das überhaupt – ist eine Strategie im Sinne von einem Plan, der uns genau vorgibt, bzw. wo genau vereinbart ist, wann wir an welcher Wegmarke angekommen sind und vor allem wie wir dahinkommen. Und sozusagen so eine Art Masterplan, der tauchte eine Zeitlang auch in der Diskussion auf – den gibt es nicht und aus meiner Sicht kann es den auch gar nicht geben“ (C52/5).