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6. Politik & Strategie

6.7 Gewaltenteilung und Mehrebenensystem

Als eine weitere Schwäche von Governance wird von vielen Wissenschaftlern das Mehrebenensystem angeführt. Mit Bezug auf eine Aussage von Jürgen Habermas aus dem Jahr 1998 wonach „die Idee, dass eine Gesellschaft demokratisch auf sich einwirken kann, bisher nur im nationalen Rahmen glaubwürdig implementiert worden ist“, verdeutlicht Walk, dass „noch immer eine weit verbreitete Ratlosigkeit in Bezug auf die Mehrebenenpolitik, vor allem im transnationalen Raum, vorliegt“ (Walk, 2008, S. 251). Walk kritisiert in diesem Zusammenhang „den Tatbestand fehlender demokratietheoretischer Überlegungen in den Governance-Analysen“. Dazu führt sie aus: „In allen Diskussionssträngen wird die Bedeutung der Öffnungsprozesse gegenüber zivilgesellschaftlichen Akteuren hervorgehoben, ohne sich allerdings der Ausgestaltung dieser Prozesse im Zusammenhang mit demokratietheoretischer Fragestellungen tiefer gehend zu widmen“ (Walk, 2008, S. 251).

Mayntz verweist in diesem Zusammenhang auf die Schwierigkeit der Beantwortung der Frage, „wie weit, inwiefern und wie (Faktoren, Prozesse) die Handlungsfähigkeit der nationalen politischen Instanzen durch die Globalisierung eingeschränkt wird“ (Mayntz, 2009, S. 56). Die empirische Ermittlung diesbezüglicher genereller Aussagen werde vor allem durch die Tatsache erschwert, dass der „Staat doch kein einheitlicher Akteur – sondern ein in sich hochgradig differenziertes System, in dem verschiedene Instanzen über ganz unterschiedliche Machtpotenziale verfügen“ sei (Mayntz, 2009, S. 56).

6.7.1 Vertikale Gewaltenteilung

Das politische System der Bundesrepublik Deutschland ist bundesstaatlich und als parlamentarische Demokratie organisiert (vgl. Kapitel 5.1). Zentrales Merkmal sind die im Grundgesetz festgehaltenen unantastbaren Strukturprinzipien Menschenwürde, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Bundesstaatsprinzip sowie Sozialstaatsprinzip. Ferner sind in Art. 20 GG die Gewaltenteilung und das Widerstandsrecht festgeschrieben. Die „Ewigkeitsklausel“ Art.

79 Abs. 3 GG verbietet jede Änderung der Artikel 1 und 20 GG.

Ursächlich ist hier die Kompetenzverteilung im föderalen Bundesstaat. Die verfassungsmäßigen Grundlagen des Föderalismus sind im Grundgesetz festgelegt:

 Grundlage des Bundesstaatsprinzips: insbes. Art. 20 I GG

 Änderungsfestigkeit des Bundesstaatsprinzip: Art. 79 III GG

 Verfassungsautonomie der Länder, aber Grenze des Art. 28 I GG

 Grundregel für die Kompetenzverteilung: Art. 30 GG

 Prinzip der Bundestreue, Möglichkeit der Vereinheitlichung von Landesrecht durch Staatsverträge der Länder

 Äußere Reformgrenzen: z. B. BVerfG-Urteil vom 26.07.1972 - 2 BvF 1/71 („Die Länder dürfen nicht zu bloßen Verwaltungseinheiten werden“) usw.

Artikel 28 I GG garantiert die Verfassungsautonomie der Länder und die Selbstverwaltung der Kommunen. Dort heißt es: „In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muss das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist“. Art. 28 II GG ergänzt: „Den Gemeinden muss das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln“. Artikel 30 GG bildet die Grundregel für die Kompetenzverteilung von Bund und Ländern. Im Wortlaut heißt es hier: „Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt“. Grundsätzlich werden den Ländern also alle legislativen, exekutiven und judikativen Kompetenzen zugewiesen.

Der Bund benötigt zum Tätigwerden spezielle Regelungen des Grundgesetzes.

Neben der oben genannten Verwaltungskompetenz soll hier vor allem die Gesetzgebungskompetenz als zentrales politisches Machtmittel genannt werden. Artikel 70 GG verleiht den „Ländern das Recht der Gesetzgebung, soweit dieses Grundgesetz nicht dem Bunde Gesetzgebungsbefugnisse verleiht“. In Absatz II wird die Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Bund und Ländern „nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes über die ausschließliche und die konkurrierende Gesetzgebung bemessen“.

Bei der ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit hat der Bund das alleinige Recht, Gesetze zu erlassen. Die Bereiche der ausschließlichen Gesetzgebung werden in Artikel 73 GG benannt. Zu der ausschließlichen Gesetzgebung zählen beispielsweise alle auswärtigen Angelegenheiten, Währungs- und Geldfragen sowie Verteidigungsfragen. Seit der Föderalismusreform im Jahr 2006 fällt unter anderem auch das Kernenergierecht in den Bereich der Bundesangelegenheiten.

Die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes wird in Artikel 72 GG geregelt.

Bei konkurrierender Gesetzgebung dürfen die Länder nur dann Gesetze erlassen, wenn der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit bis dahin keinen Gebrauch gemacht hat.

Artikel 74 benennt die Bereiche der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes. Neben dem bürgerlichen Recht, dem Straf- und dem Arbeitsrecht fallen beispielsweise auch die Bereiche Naturschutz und Raumordnung in diesen Bereich. In Artikel 31 GG ist der Vorrang des Bundesrechts verankert.

Demgegenüber gibt es Bereiche mit ausschließlicher Länderkompetenz. Hierzu gehören zum Beispiel die Bildungspolitik, das Polizeiwesen (mit Ausnahme des Bundeskriminalamtes), der Straßenbau (mit Ausnahme von Bundesautobahnen) sowie das Kommunalrecht. Abbildung 8 gibt eine Übersicht über die Kompetenzen von Bund und Ländern in der BRD.

Abbildung 8: Übersicht der Bund- und Länderkompetenzen

Im Sinne der Strategiefähigkeit ist zunächst eine klare und eindeutige Kompetenzfestlegung (Gesetzgebungskompetenzen) unabdingbar. Darüber hinaus kann es notwendig sein, Kompetenzen (ggf. temporär) an die zentrale Instanz (Bund) zu übertragen. Ein anschauliches Beispiel hierzu liefert der Netzausbau im Rahmen der Energiewende. Im Dezember 2012 haben die Länder dem Bund mehr Kompetenzen beim Netzausbau gewährt, indem sie sich bereit erklärten, die Planfeststellung für die großen, länderübergreifenden

Stromtrassen an die Bundesnetzagentur abgeben. Durch die Bereitschaft der Ministerpräsidenten, die Planung der großen Stromautobahnen an den Bund abzugeben, konnte die Umsetzung der Energiewende signifikant beschleunigen werden. Der damalige Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) sprach von einem Durchbruch und einem

„Riesenschritt zur Umsetzung der Energiewende“ (Wirtschaftswoche am 06.12.2012).

Hierbei ist zu bedenken, dass es sich lediglich um einen (wenn auch wichtigen) Bestandteil zur Umsetzung der Strategie handelt. Idealerweise müssen sämtliche für die Energiewende benötigten Zuständigkeiten an den Bund übertragen werden. Dies ließe sich durch entsprechende Anpassungen der Kompetenzen mit entsprechender 2/3-Mehrheit prinzipiell mit dem Grundgesetz vereinbaren. Da kein Ministerpräsident daran interessiert ist, Kompetenzen gegenüber dem Bund aufzugeben, käme an dieser Stelle eventuell eine zeitlich befristete Kompetenzübertragung in Frage. Diese Kompetenzübertragung müsste folglich auf den Umsetzungszeitraum einer geplanten Strategie beschränkt sein.

Über den Föderalismus hinausgehend ist das politische System der Bundesrepublik Deutschland auf Basis der Artikel 23 und 24 GG in einer weiteren Ebene auch in supranationale Institutionen wie die Europäische Union eingebunden. Damit werden dem ohnehin schon mehrschichtigen und komplexen politischem System noch weitere Ebenen hinzugefügt, die weitere Einzelhierarchien generieren.

6.7.2 Horizontale Gewaltenteilung

Zusätzlich zur vertikalen Gewaltenteilung existiert in der parlamentarischen Demokratie der Bundesrepublik Deutschland aus Gründen der Machtbegrenzung und der Verhinderung absoluter Herrschaftsformen auch eine horizontale Gewaltenteilung zwischen Judikative, Exekutive und Legislative.

Auch innerhalb der einzelnen Gewalten gibt es weitere Machtverteilungen. So unterteilt sich beispielsweise die Exekutive (auf Bundesebene) in die Bundesregierung und die Bundesverwaltung. Die Bundesregierung unterteilt sich wiederum in den Bundeskanzler und 15 Bundesminister, die allesamt über einen eigenen Verwaltungsapparat mit eigenen Zielen und einer eigenen Kultur verfügen. Daraus ergeben sich erneut voneinander getrennte Hierarchien: Zwar bestimmt der Bundeskanzler faktisch das Bundeskabinett – also die Bundesminister – auf die Mitarbeiter der einzelnen Ministerien hat er aber dennoch keinen direkten Einfluss. Jedes Ministerium ist als eine eigene Hierarchie aufzufassen, an deren Spitze der Minister beziehungsweise der Staatssekretär steht. Die verbindende Hierarchie aller Ministerien fehlt. Der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie kann genauso wenig die Mitarbeiter des Bundesministeriums für Umwelt anweisen und steuern wie umgekehrt. Friedbert Rüb beschreibt dieses Dilemma und kommt zu dem Schluss, dass „die Regierung aus ihrer Interessenslogik und aus ihrer Machtlogik heraus immer eine fragmentierte und lose verkoppelte Anarchie“ (Rüb, 2013, S. 246).

Dies führt dazu, dass zwar jedes Ministerium eine – von Eigeninteressen geprägte – eigene Strategie entwickeln und im Rahmen seiner Möglichkeit umsetzen kann; jedoch fehlt es an organisatorischen Strukturen, um eine Strategie über alle Ministerien hinweg gemeinsam entwickeln, abstimmen und umzusetzen zu können. Dies wäre nur möglich, wenn der Bundeskanzler – ähnlich dem Vorstandsvorsitzenden im Unternehmen – letztlich direkten Zugriff und direkte Weisungsbefugnis auf sämtliche Mitarbeiter der einzelnen Ministerien hätte, was faktisch nicht der Fall ist.

Konsequenzen für den politischen Strategiebegriff

Im Gegensatz zu Militär und Unternehmung sind die politischen Hierarchien in der Bundesrepublik Deutschland in der Regel vielschichtig und unterbrochen. Vertikale und horizontale Gewaltenteilung führen zu einer Machtverteilung und erhöhen damit die Komplexität. Gleichzeitig stellt diese Machtverteilung für den klassischen Strategiebegriff eine große Herausforderung dar, da er den hierarchisch – teilweise monohierarchisch – angelegten Organisationsstrukturen Strukturen klassischer Strategiefelder zunächst einmal entgegensteht.

Hypothese 7: Die aufgrund der Gewaltenteilung charakteristischen Einzelhierarchien innerhalb des Mehrebenensystems in der Bundesrepublik Deutschland sind als eine große Herausforderung in Bezug auf Strategiefähigkeit anzusehen.

Dass die institutionellen Hürden in Deutschland besonders ausgeprägt sind, unterstreicht ein Vergleich mit anderen demokratischen Staaten. Wie eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt, ist die „Stellung des Bundeskanzlers im Vergleich zum Einfluss des US-amerikanischen Präsidenten oder des britischen Premierministers relativ schwach“ (Studie S. 214). Ein „Durchregieren“ sei für den Bundeskanzler vielfach schwerer. Vielmehr sei er permanent auf Kompromisse sowohl mit den Kabinettsmitgliedern als auch mit den Koalitionspartnern angewiesen. Die „korporatistisch geprägte politische Struktur“ verbunden mit dem „politikverflochtenen Föderalismus“ führe dazu, dass „Deutschland häufig als semi-souveräner Staat, verhandelnde Wettbewerbsdemokratie oder Koordinationsdemokratie charakterisiert wird, wo dem Kanzler nurmehr eine virtuelle Prärogrative zukomme“ (Studie S.214).