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2. Literaturübersicht

2.2 Kompetenzorientierung in der Tiermedizin

Der Begriff der Kompetenzorientierung ist seit der Bologna-Reform der Bachelor- und Masterstudiengänge ein fester Bestandteil der Hochschullehre (HRK 2007). Dabei wird das Ziel verfolgt, Hochschulabsolvierende zu befähigen, wissenschaftlich zu denken und zu arbeiten (SCHAPER 2012). Im Hochschulrahmengesetz (HRG) zeigt sich dieses Ziel im § 2 (1). „Die Hochschulen… bereiten auf berufliche Tätigkeiten vor, die die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und wissenschaftlicher Methoden…

erfordern.“ (BMJV 2017).

Eine Umsetzung dieser Vorgaben erfolgt auch im Studium der Veterinärmedizin: Die Vorbereitung auf den tierärztlichen Beruf und die damit verbundene Kompetenzorientierung spiegelt sich in verschiedenen Kompetenzkatalogen der veterinärmedizinischen Bildungsstätten und internationalen veterinärmedizinischen Vereinigungen wider. Eine Auswahl stellen die Kataloge der EAEVE, genehmigt durch das European Coordination Committee for Veterinary Training (ECCVT) (EAEVE

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2016), der World Organisation for Animal Health (OIE) (OIE 2012) sowie des Royal College of Veterinary Surgeons (RCVS) (RCVS 2014) dar.

European Coordination Committee for Veterinary Training (ECCVT) - Day One Competences

Zuletzt wurde die Liste der „day one competences“ im Mai 2019 in Zagreb durch die Generalversammlung der EAEVE genehmigt (EAEVE 2019). Die Auflistung erfolgt im Annex 2 der „standard operating procedures“ beziehungsweise als offen verfügbares Dokument auf der Internetseite der EAEVE. Diese Kompetenzen bilden den minimalen Standard, den Absolvierende der Tiermedizin zum Ende ihres Studiums erreicht haben sollen (ECCVT 2019). Im Vorwort des Dokuments wird der verwendete Kompetenzbegriff erklärt, welche EU-Richtlinien als Grundlage für die „day one competences“ dienen. Weiterhin werden zunächst 36 Kompetenzen genannt, die von praktischer Natur sind, beispielsweise, das Erkennen und Behandeln von Schmerzen, darauffolgend werden 12 wissensorientierte Kompetenzen erwähnt, die sich mit Basiswissen bezüglich der naturwissenschaftlichen Fächer sowie der gesetzlichen Gegebenheiten beschäftigen (ECCVT 2019).

Die Liste der 48 „day one competences“ befindet sich in originaler Sprache im Anhang.

OIE recommendations on the Competencies of graduating veterinarians

Die World Organisation for Animal Health (OIE) bezieht sich in ihrem Kompetenzkatalog nicht auf alle Absolvierenden der Tiermedizin, sondern explizit auf Tierärztinnen und Tierärzte, die im öffentlichen Veterinärwesen tätig sind. (OIE 2012).

Verschiedene Begriffe in Relation zu Kompetenzen werden wie folgt definiert:

Wissen: kognitive Fähigkeiten, mentale Fähigkeiten

Fähigkeiten: Befähigung, bestimmte Aufgaben auszuführen Einstellung: affektive Fähigkeiten, Gefühle und Emotionen

Eignung: die natürliche Fähigkeit, das Talent oder die Lernfähigkeit Studierender Grundkompetenzen: bezeichnen die Mindestanforderungen an Wissen, Fähigkeiten, Einstellungen und Eignung für einen Tierarzt, der von einer Veterinärbehörde

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zugelassen wird. Dies umfasst allgemeine Kompetenzen sowie spezifische Kompetenzen, die in direktem Zusammenhang mit dem OIE-Mandat stehen.

Grundlegende, allgemeine Kompetenzen: Grundlegende Naturwissenschaften, die in der Regel früh im Lernplan unterrichtet werden. Sie sind die Voraussetzung für die klinische Ausbildung, welche die erforderlichen Kompetenzen zur Diagnose, Behandlung und Vorbeugung von Tierkrankheiten vermitteln, sowie Wissen um Tierproduktion, Gesundheitsmanagement und Wirtschaftlichkeit der kommerziellen Tierhaltung.

Fortgeschrittene Kompetenzen: Entsprechen dem Minimum an Kenntnissen, Fähigkeiten, Einstellungen und Eignungen, welche erforderlich sind, um innerhalb einer Veterinärbehörde zu arbeiten (OIE 2012).

In diesem spezifischen Kompetenzkatalog wird besonders auf diejenigen Kompetenzen hingewiesen, die im Zusammenhang mit der Gesunderhaltung der Öffentlichkeit im Rahmen des „One Health“ Konzeptes stehen. Besondere Aufmerksamkeit liegt auf der Prävention, Erkennung und Behandlung von Zoonosen, der Lebensmittelhygiene, Tierschutz und Ethik sowie der Veterinärverwaltung auf verschiedenen Ebenen (OIE 2012).

Kompetenzkatalog des Royal College of Veterinary Surgeons (RCVS)

Das RCVS ist seit 1966 unter anderem für die Ausbildung der Tiermedizinstudierenden in England verantwortlich (UK PARLIAMENT1966). In den „RCVS day one competences“ erfolgt Beschreibung des Kompetenzbegriffs ähnlich dem im Annex 2 im „manual of standard operating procedures“ der ESEVT (EAEVE 2019) und wird erweitert durch folgenden Passus: „Die Fähigkeit, Rollen und Aufgaben, die für den (tierärztlichen) Beruf erforderlich sind, gemäß dem erwarteten Standard auszuführen."

(ERAUT u. DU BOULAY 2000). Kompetenz wird nicht als statischer Begriff gesehen, mehr als eine sich mit zunehmender Erfahrung wandelnde Stufe an Expertise (RCVS 2014). Des Weiteren wird unterschieden zwischen Kompetenzen und Fähigkeiten.

Beispielsweise stellt das korrekte Durchführen aseptischer Operationen eine Kompetenz dar, die viele zu erlernende Fähigkeiten beinhaltet (RCVS 2014). Die Liste der „day one competences“ umfasst insgesamt 37 detailliert beschriebene Punkte

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(RCVS 2014). In Gänze finden diese sich auch in den Dokumenten der EAEVE wider (EAEVE 2019). Als markanter Unterschied ist anzumerken, dass als erste Kompetenz im Katalog des RCVS eine Vertrautheit und Akzeptanz des Verhaltenskodex gefordert wird. Als Erweiterung wurde durch das RCVS ein „year one competences“ Katalog herausgegeben, welcher die Güte der erworbenen Kompetenzen nach einem Jahr nach der Absolvierung des Studiums katalogisiert (RCVS 2014). Die eingangs erwähnten Kompetenzen bleiben gleich, die Anforderungen an die erwarteten Fähigkeiten steigen.

Unabhängig von individuellen Kompetenzkatalogen gelten die eingangs bereits erwähnten Vorgaben der EAEVE europaweit an allen entsprechend akkreditierten Hochschulen. Auf nationaler Ebene wird in Deutschland das Studium der Tiermedizin durch die Verordnung zur Approbation von Tierärztinnen und Tierärzten (TAppV) von 2016 geregelt (BMG 2016). Die TAppV fasst die Ziele der Ausbildung von Tierärztinnen und Tierärzten in §1 wie folgt zusammen:

(1) Ziel der Ausbildung sind wissenschaftlich und praktisch ausgebildete Tierärztinnen oder Tierärzte, die zur eigenverantwortlichen und selbständigen tierärztlichen Berufsausübung im Sinne des § 1 der Bundes-Tierärzteordnung, zur Weiterbildung und zu ständiger Fortbildung befähigt sind. Es sollen:

1. die grundlegenden veterinärmedizinischen, naturwissenschaftlichen, fächerübergreifenden und methodischen Kenntnisse,

2. praktische Fertigkeiten,

3. geistige und ethische Grundlagen und die dem Wohle von Mensch, Tier und Umwelt verpflichtete berufliche Einstellung vermittelt werden, derer es bedarf, den tierärztlichen Beruf in seiner gesamten Breite verantwortlich unter besonderer Berücksichtigung der Qualitätssicherung auszuüben (BMG 2016).

Eine Kompetenzorientierung im Studium der Veterinärmedizin erfolgt nicht nur durch übergeordnete Kompetenzkataloge, sondern auch durch fokussierte (modul-/

kursbezogene) Maßnahmen. VARNUM et al. (2019) beschreiben die Entwicklung eines kompetenzorientierten Curriculums für die Ausbildung im Bereich der Pferdemedizin an der Colorado State University. Durch die Befragung von Alumni wurden elf Kernkompetenzen identifiziert, welche in der (Pferde-)Praxis wöchentlich oder monatlich angewandt werden. Diese teilen sich in kleinere „Subkompetenzen“

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(VARNUM et al. 2019). Ehemalige Studierende sollten anhand eines Fragebogens einschätzen, wie gut sie sich auf die identifizierten Kompetenzen und den damit einhergehenden Tätigkeiten im Beruf vorbereitet fühlen. In den Bereichen Ökonomie und Chirurgie wurde festgestellt, dass sich über die Hälfte der Befragten sehr unvorbereitet oder moderat unvorbereitet fühlen (VARNUM et al. 2019). Durch die Identifizierung dieser „Lücken“ können Anpassungen vorgenommen werden, welche durch spätere Evaluierung erneut überprüft werden (VARNUM et al. 2019).

BERGSMANN et al. (2015) haben ein Konzept für die Evaluation eines kompetenzbasierten Curriculums entwickelt. Um ein Curriculum hinsichtlich seiner Kompetenzorientierung zu prüfen, wird ein Kompetenz-Check als Evaluationsinstrument eingesetzt, diese Erhebung erfolgt unter anderem mittels Fragebögen zur Selbsteinschätzung, welche sowohl an Studierende, als auch an Dozierende vermittelt werden. Die Ergebnisse dieser Selbsteinschätzung werden mit den realen Ergebnissen in Prüfungen verglichen, um potentielle Lücken zu identifizieren. Werden Lücken identifiziert, werden sowohl die Seite der Studierenden als auch die Ansichten der Dozierenden in Form von Fokusgruppeninterviews gehört.

Mit den gewonnenen Erkenntnissen wird das Curriculum erneut angepasst (BERGSMANN 2015). Mit dem Kompetenz-Check wird geprüft, ob Studierende über die im Kompetenzmodell festgelegten Kompetenzen verfügen und ob festgelegte Kompetenzen im Curriculum vermittelt werden (PREUSCHE et al. 2017).

Im Rahmen einer zweistufigen Delphi-Studie in Utrecht wurde ein Kompetenzrahmen mit sieben Kompetenzdomänen für den tierärztlichen Beruf identifiziert (BOK et al.

2011). Der „VetPro“ Kompetenzrahmen beinhaltet als Domänen, die tierärztliche Expertise (veterinary expertise), Kommunikation (communication), Kollaboration (collaboration), Gründertum (entrepreneurship), Gesundheit und Wohlbefinden (health and welfare), lebenslanges Lernen (scholarship) und persönliche Entwicklung (personal development); für jede der gefundenen Domänen wurden ein bis zwei Kompetenzen zugeordnet, die ein Tierarzt / eine Tierärztin beherrschen sollte (BOK et al. 2011). Inspiriert wurde diese Studie unter anderem durch die Etablierung der

„CanMEDS“: durch das Royal College of Physicians and Surgeons of Canada (RCPSC) wurden die verschiedenen Rollen eines (Human)Arztes definiert (FRANK 2005). Laut des RCPSC muss ein Arzt sieben Rollen ausfüllen und zwar die des medizinischen Experten (Medical Expert), des Kommunikators (Communicator), des

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Teamarbeiters (Collaborator), des Managers (Manager), des Gesundheitsfürsprechers (Health Advocate), des lebenslang Lehrenden und Lernenden (Scholar) und des professionellen Arztes (Professional) (FRANK 2005).

Ein weiterer Schritt Richtung Kompetenzorientierung ist der Einsatz von „entrustable professional activities“ (EPA). Als EPA wird ein in sich geschlossener klinischer Arbeitsablauf bezeichnet, der im Verlauf der Ausbildung schrittweise den Weiterzubildenden zur selbstständigen, alleinigen Durchführung anvertraut wird (BRECKWOLDT 2018). Bei der Implementierung von EPAs in das Curriculum müssen vier Gesichtspunkte beachtet werden:

 Welche Arbeit/Aktivität soll erledigt werden?

 Welche Voraussetzungen müssen die Studierenden haben, bevor sie diese Arbeit erledigen können?

 Wie können bei Studierenden diese Voraussetzungen geschaffen werden?

 Wie kann das erfolgreiche Erreichen der Voraussetzung attestiert werden? (TEN CATE 2015).

EPAs sollen in einer festgelegten Zeit ausführbar, beobachtbar und messbar sein. Eine EPA setzt sich aus mehreren Kompetenzen zusammen und vermittelt bei der Überprüfung einen ganzheitlichen Eindruck des Könnens des Studierenden (TEN CATE 2015). Typischerweise werden EPAs durch eine Gruppe Experten in der Art identifiziert, dass ein Arbeitstag oder eine Arbeitswoche daraufhin begutachtet wird, welche Aufgaben und Aktivitäten als EPA dienen können (TEN CATE 2015). EPAs werden in humanmedizinischen Prä- und Postgraduiertenausbildung bereits genutzt (CARRACCIO 2017, CAVERZAGIE 2015, ENGLANDER et al. 2016). In der veterinärmedizinischen Ausbildung wurden für die Rindermedizin EPAs identifiziert (DUJIN 2019). Nach der Durchführung einer zweistufigen Delphi-Studie konnten sieben distinktive EPAs gefunden werden, die sich in je zwei bis neun Sub-EPAs untergliedern lassen. Neben der Ermittlung dieser Aktivitäten wurde auch festgelegt bis zu welchem Grad der Selbstständigkeit diese durchgeführt werden sollen (DUJIN 2019). Beispielsweise sollten Absolventen und Absolventinnen in der Lage sein, kleinere Operationen unter indirekter Aufsicht (Aufsichtsperson in der Nähe, jedoch nicht an der Aktivität beteiligt) durchzuführen. Tätigkeiten wie geburtshilfliche Maßnahmen sollen ohne Aufsicht durchgeführt werden können (DUJIN 2019). Für

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Großtiermedizin (Rinder und Pferde) wurde an der University of Tennessee College of Veterinary Medicine (UTCVM) ein „Intern Boot Camp“ eingeführt, ein intensives viertätiges Training auf Grundlage der Verwendung von acht Kern-EPAs, welches vor Beginn des Internships für Großtiermedizin durchgeführt wird (GRAVES et. al 2019).

Eines der Ziele war es allen Interns eine gleiche Wissensbasis zu vermitteln (GRAVES et. al 2019). 95% der Teilnehmenden des „Intern Boot Camps“ fühlten sich besser auf das Internship vorbereitet und alle Teilnehmenden empfahlen dieses Programm für zukünftige Interns (GRAVES et. al 2019). Auch in Österreich werden EPAs in der klinischen Ausbildung bei Studierenden der Veterinärmedizin eingesetzt (PREUSCHE et al. 2018).

Neben dem Erreichen von „day one competences“ hat das Konzept der „Employability“

in den letzten Jahren in der Ausbildungsforschung besondere Beachtung gefunden.

Im Rahmen des durch die australische Regierung geförderten VetSet2Go Projektes (2015-2018) wird die „Arbeitsmarktfähikgeit“ wie folgt definiert: „Eine Reihe von anpassungsfähigen persönlichen und beruflichen Fähigkeiten, die es einem Tierarzt ermöglichen, eine Beschäftigung zu finden, diese aufrechtzuerhalten, einen wichtigen Beitrag zum (tierärztlichen) Beruf zu leisten und die Karriere so zu gestalten, das Zufriedenheit und Erfolg sichergestellt sind.“ (CAKE 2018). Laut CAKE (2018) birgt ein Fokus auf „Employability“ die Chance moderne Herausforderungen in der tiermedizinischen Ausbildung und im Beruf zu meistern. Eingangs wird auch klargestellt, dass eine Lehre mit Fokus auf „Employability“ die moderne kompetenzbasierte Vermittlung von Wissen nicht ersetzen, sondern diese komplementär unterstützen soll (CAKE 2018, BELL 2018). In vergangenen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass Arbeitgeber im tiermedizinischen Bereich mehr Wert auf interpersonelle Fähigkeiten legen, als auf gute Abschlussnoten (HEATH u. MILLS 2000).