• Keine Ergebnisse gefunden

Kohärenzgefühl in der Sozialen Arbeit und helfenden Berufen 12

1. S ALUTOGENESE

1.3. Kohärenzgefühl in der Sozialen Arbeit und helfenden Berufen 12

Im Rahmen des Berufsalltags von Sozialarbeiter*innen wird das Kohärenzgefühl als zentraler Aspekt der salutogenetischen Sichtweise oftmals mit Burnout in Verbindung gebracht (vgl. Poulsen 2009: 21). Wie auch bei anderen Berufsgruppen stehen besonders Vertreter*innen dieser Profession unter hohem Druck und Belastungen. Erschwerend kommt bei Sozialarbeiter*innen hinzu, dass aufgrund fehlender Wirksamkeitsanalysen die Ergebnisse der Arbeit beziehungsweise der Bemühungen, nicht fassbar sind. Mit diesem Stress und diesen Belastungen kann durch ein erhöhtes Kohärenzgefühl besser umgegangen werden (vgl. ebd.: 113-114).

Bei Irmhild Poulsen (2009) wird betont, dass durch Selbstreflexion und therapeutische Ansätze eine Veränderung beziehungsweise Verbesserung des Kohärenzgefühls möglich ist. Die Hinterfragung von eigenen Einstellungen, Überzeugungen und Verhaltensmustern kann der ausschlaggebende Punkt zu mehr psychischer und körperlicher Gesundheit sein.

Das Kohärenzgefühl wird als globale Orientierung oder auch als Haltung eines Individuums betrachtet und eben diese Grundhaltung in Bezug auf Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit ist es, die Sozialarbeiter*innen auch nach langjähriger Berufslaufbahn gesund erhalten (vgl. ebd.: 118). In Bezug auf die Prävention von Burnout bedeuten diese Ergebnisse, dass hier mittels Supervision und Therapien entgegengewirkt werden kann

und solche Angebote in weiterer Folge von Institutionen angeboten werden sollten (vgl.

ebd.: 122).

Weiters wurde das SOC im Gesundheitsbereich untersucht, das originär eher einen pathogenetischen Ansatz hat (vgl. Pelikan 2017: 261). Beispielsweise zeigen Studien, dass Faktoren wie die Architektur einer Krankenhausumgebung zu einer höheren Ausprägung des Kohärenzgefühls bei Patient*innen und dem Personal beitragen kann (vgl.

Golembiewski 2017: 273).

Es wird allerdings kritisiert, dass das Ziel eines salutogenetisch ausgerichteten Designs eher zu Marketingzwecken verwendet wird und oftmals ein Grundverständnis zur Salutogenese fehlt. Trotzdem geht die Entwicklung in Richtung der Gestaltung einer Umgebung, die nicht mit der pathogenetischen Perspektive assoziiert wird, sondern eine gesundheitsförderliche Atmosphäre bietet (vgl. ebd.).

Christina Dietscher et al. (2017) beschäftigten sich mit der Etablierung der Salutogenese in Krankenhäusern. Das Krankenhauspersonal profitiert von einer Orientierung auf den drei Teilkomponenten des SOC:

• Verstehbarkeit fördert das Verständnis für die Bedürfnisse der Patient*innen.

Gerade hinsichtlich spezifischer Kompetenzen, wie der korrekten Bewertung medizinstatistischer Daten, kann die Förderung dieser Teilkomponente zu einer Verbesserung führen (vgl. Dietscher et al. 2017: 280).

• Eine Orientierung in Richtung Handhabbarkeit führt zu einer Wahrnehmung der Arbeit als bewältigbar, auch bei Auftreten von Stressoren. Mitarbeiter*innen sollten dazu ermutigt werden, eigene Vorschläge in Bezug auf ihre Arbeitssituation machen zu können beziehungsweise sollten sie Möglichkeiten zur Unterstützung bei drängenden Problemen erhalten (vgl. ebd.).

• Bedeutsamkeit unterscheidet sich von den anderen beiden Teilkomponenten dahingehend, dass es sich um einen sehr individuellen Zugang handelt, der durch gezielte Interventionen im zwischenmenschlichen Kontakt hergestellt wird. Es geht darum, die eigene Arbeit als bedeutsam wahrzunehmen, was sich von den eher technisch orientierten Lösungen der beiden anderen Komponenten unterscheidet (vgl. ebd.).

Dietscher et al. (2017) gehen weiters auf Studien ein, die sich mit den Zusammenhängen des SOC und der Gesundheit des Personals in Krankenhäusern beschäftigen. Ein geringes SOC ist demnach ein Risikofaktor für Burnout und gezielte Interventionen, wie

Achtsamkeitstrainings, Supervision oder kollegiale Unterstützung, können dabei helfen, den SOC zu erhöhen (vgl. Dietscher 2017: 290).

Grundsätzlich ist die Beschäftigung beziehungsweise Orientierung hinsichtlich Salutogenese und SOC in zahlreichen klinischen Bereichen, wie im psychiatrischen Gesundheitswesen, beruflicher Rehabilitation, in Alten- und Pflegeheimen oder auch in der Jugendarbeit von Bedeutung (vgl. Pelikan 2017: 264-266).

Hege F. Vinje et al. (2017) geben einen Überblick über die Integration der Salutogenese in die Ausbildung von Personen im Gesundheitsbereich. Grundsätzlich müssen Trainings vor dem Hintergrund der salutogenetischen Grundperspektive eingesetzt werden, das heißt unter anderem Aspekte wie das Gesundheits-Krankheits-Kontinuum oder die Anerkennung von Stressoren als normale Erscheinung des Lebens enthalten (vgl. Vinje et al. 2017: 317).

Es geht nicht um die Heilung von Krankheiten, sondern auf Basis von Antonovskys (1997) Postulierungen um die Förderung von gesunderhaltenden Faktoren, die zum generellen Wohlbefinden einer Person beitragen (vgl. Vinje et al. 2017: 317).

Zentral ist laut Vinje et al. (2017) das Konzept des „self-tuning“, das sich auf die Erfahrung von Bedeutung im Arbeitskontext bezieht. Speziell für Personen des Gesundheitsbereichs ist das Gefühl, dass die eigene Arbeit bedeutsam und notwendig ist, von hoher Relevanz.

Der innere Antrieb einer Person kann bei Resonanz mit ihrer Arbeit zu einem Gefühl der Inspiration führen, das wiederum das Gefühl der Bedeutsamkeit verstärkt (vgl. ebd. 2017:

314).

Die folgende Abbildung zeigt das Modell des „self-tuning“ in der Originalversion nach Vinje et al. (2017) und soll einen Überblick über das Konzept geben.

Abb. 3: Self-tuning Modell nach Vinje et al. (2017)

1.4. Kohärenzgefühl in der Arbeit mit klinischen Populationen

In Bezug auf die Integration des Kohärenzgefühls in die klinisch sozialarbeiterische Intervention beschreibt Pauls (2013), dass die soziale Therapie zu Zeiten Antonovskys erst am Anfang stand. Er empfiehlt in einer professionellen Beziehung, dass Personen kein Schaden zugefügt wird, die Begegnungen für die Betroffenen konsistent gestaltet werden sollen und es Menschen möglich sein soll, Erfahrungen zu identifizieren, die ihr Kohärenzgefühl verbessern (vgl. Pauls 2013: 108-109).

In weiterer Folge wird auf einige Studienergebnisse in Bezug auf den SOC bei für die Klinische Soziale Arbeit relevanten Gruppen eingegangen. Grundsätzlich gibt es in der Literatur zahlreiche Belege, dass das Kohärenzgefühl direkte und indirekte Effekte auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität hat und dass diese Beziehung zum Beispiel bei Personen mit einer chronischen Krankheit durch Coping mediiert wird (vgl. Kristofferzon et al. 2018: 1859- 1861).

Ein besonders wichtiger und relevanter Zusammenhang für die Klinische Soziale Arbeit ist jener mit Suizidalität. So konnte gezeigt werden, dass ein niedriger Wert in Bezug auf das Kohärenzgefühl eine spätere Suizidalität vorhersagen kann (vgl. Sjöström et al. 2012: 66).

Die Integration in das Risk-Assessment im psychiatrischen Kontext ist aus diesem Grund relevant und sollte forciert werden (vgl. ebd.: 68).

Ein ebenfalls wichtiger Aspekt wurde bei Asylsuchenden in Deutschland untersucht (vgl.

Bay et al. 2009: 1). Hier konnte gezeigt werden, dass Asylsuchende einerseits über einen signifikant geringeren SOC-Wert verfügen als eine deutsche Normstichprobe und es Zusammenhänge mit dem Geschlecht, dem Alter, dem Bildungsniveau und der Arbeitssituation gibt (vgl. ebd.: 13). Dies macht deutlich, dass gezielte Interventionen und die Anwendung des salutogenetischen Ansatzes in der psychosozialen Beratung notwendig sind (vgl. ebd.: 15).

Auch in der palliativen Betreuung nimmt das Kohärenzgefühl eine wichtige Rolle ein und so wird dessen Erhalt als „das grundlegendste psycho-soziale Bedürfnis der schwerkranken wie auch der sterbenden Patientinnen und Patienten“ (Gerster: 209) beschrieben.

Als letzten Anwendungsbereich soll noch auf jenen der Frauenzufluchtswohnungen eingegangen werden. Auch hier ist das Kohärenzgefühl ein wichtiger Faktor in der Beratung und Betreuung betroffener Frauen vor dem Hintergrund der salutogenetischen Perspektive (vgl. Wahren 2015: 37). In Bezug auf die Gesundheitsförderung im genannten Arbeitsfeld liegt der Fokus auf der Stärkung des SOC durch gezielte Interventionen

bezüglich der drei Teilkomponenten. Die Verstehbarkeit soll durch Vermittlung konkreter Kompetenzen erhöht werden, während beispielsweise die Ermutigung zum selbstbewussten Handeln die Handhabbarkeit stärkt. Die Bedeutsamkeit kann im Kontext der Arbeit mit von Gewalt betroffenen Frauen mittels Entwicklung von Zukunftsperspektiven und Reflexionsarbeit angestoßen werden (vgl. ebd.: 42.) Im Sinne des salutogenetischen Ansatzes von Antonovsky (1979) können diese gezielten Interventionen dazu beitragen, dass durch äußere Einflüsse belastete Frauen objektiv gesehen gesund bleiben können. In diesem Zusammenhang muss man wieder auf die schon erwähnten generalisierten Widerstandsressourcen zu sprechen kommen. Je höher das Ausmaß an Stressoren beziehungsweise Widerstandsdefiziten ist, umso relevanter ist die Aufrechterhaltung oder auch Aktivierung von Widerstandsressourcen bei Betroffenen in der psychosozialen Betreuung (vgl. ebd.: 42).

Dieses Kapitel gab einen Überblick über das für die vorliegende Masterarbeit zentrale Thema des Kohärenzgefühls. In weiterer Folge wird auf für die Klinische Soziale Arbeit fundamentale Theorien und Konstrukte eingegangen.