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Die Klimaziele der EU, des Bunds und der Länder

Die aus dem Pariser Abkommen abgeleiteten Klimaziele der Europäischen Union (EU) und Deutschlands sowie die regulatorischen Rahmenbedingungen wurden bereits in der Vorgänger-studie ausführlich erörtert.3 Deshalb sollen an dieser Stelle insbesondere Neuerungen und Ent-wicklungen, die seit der Veröffentlichung im Juni 2020 bekannt wurden, dargestellt und nur die wichtigsten Punkte wiederholt werden.

Die EU hat sich über die für das Abkommen von Paris relevanten „Nationally Determined Con-tributions“ (NDCs) hinaus eigene Klimaschutzziele mit entsprechenden Meilensteinen für die Jahre 2020, 2030 und 2050 auferlegt. Diese lagen bis vor Kurzem bei einer 20%igen Reduktion des Treibhausgasausstoßes gegenüber dem Jahr 1990 bis zum Jahr 2020, zudem um 40%igen bis 2030 sowie in der vollständigen Dekarbonisierung der Wirtschaft inklusive des Gebäude-sektors bis 2050.4 Als einen Bestandteil des Europäischen „Green Deal“ hat die EU-Kommis-sion am 14. Oktober 2020 ihre Strategie für eine sogenannte „Renovation Wave“, Renovie-rungswelle5 für Klimaneutralität und Markterholung präsentiert.6 Die jährliche Gebäudereno-vierungsrate soll dadurch bis 2030 mindestens verdoppelt werden.7 Derzeit sind etwa 75 % der Gebäude in der EU nicht energieeffizient, doch 85–95 % der heutigen Bestandsgebäude werden im Jahr 2050 noch in Betrieb sein.8 Aktuell beträgt die Rate der jährlichen energetischen Gebäudesanierungen im Wohngebäudebestand sowohl in Europa als auch in Deutschland ca.

1 % des Gesamtbestands.9 Besonderes Potenzial, um einen Aufwärtstrend bei der energe-tischen Sanierung auszulösen, sieht die EU-Kommission in der 672,5 Mrd. Euro umfas-senden Resilienzfazilität der Corona-Wiederaufbauhilfen, von der 37 % für klimarele-vante Ausgaben verwendet werden müssen. Mit diesen Mitteln sollen Anreize für Investiti-onen in Renovierung geschaffen und so weitere private Gelder mobilisiert werden.10

Am 16.06.2020 hat das Bundeskabinett die Langfristige Renovierungsstrategie (Long Term Renovation Strategy – LTRS) beschlossen, die das Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) vorgelegt hatte.11 Damit folgt die Bundesregierung der geltenden EU-Vor-gabe, dass nach der im Rahmen des europäischen Green Deal angekündigten Renovierungs-welle jeder Mitgliedsstaat eine Renovierungsstrategie an die EU-Kommission zu übermitteln hat. Die Sanierungsstrategie benennt Maßnahmen, um Anreize zur energetischen Sanierung des nationalen Gebäudebestands zu setzen, und formuliert ein Konzept, wie für den nationalen Ge-bäudebereich die Energie- und Klimaziele erreicht werden könnten. Die Europäische Kommis-sion hat den deutschen Aufbau- und Resilienzplan am 22.06.2021 positiv bewertet. Damit rückt

3 Vgl. Bienert & Groh, 2020, S. 13 f.

4 Vgl. Europäische Kommission, 2021a.

5 Anmerkung: Treffender wäre hier wohl die Übersetzung des Begriffs als „energetische Sanierungswelle“ gewe-sen.

6 Vgl. Europäische Kommission, 2020.

7 Vgl. Europäische Kommission, 2020 S. 3.

8 Vgl. Europäische Kommission, 2021b.

9 Vgl. Europäische Kommission, 2019 S. 14 ff.

10 Vgl. Europäische Kommission, 2020 S. 11.

11 Vgl. BMWi, 2020a.

eine Auszahlung von 25,6 Mrd. Euro an Zuschüssen aus der Aufbau- und Resilienzfazilität der EU ein gutes Stück näher.12

Zudem ist am 01.11.2020 das Gesetz zur Einsparung von Energie und zur Nutzung erneuerbarer Energien zur Wärme- und Kälteerzeugung in Gebäuden (Gebäudeenergiegesetz – GEG) in Kraft getreten. Das GEG führt das Energieeinsparungsgesetz (EnEG), die Energieeinsparver-ordnung (EnEV) und das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz (EEWärmeG) zusammen und löst diese ab (vgl. hierzu die detaillierten Ausführungen in Abschnitt 3.2.8).

Im Dezember 2020 haben sich EU-Staats- und Regierungschefs außerdem darauf ver-ständigt, das Klimaziel der EU für das Jahr 2030 anzuheben. Die Treibhausgasemissionen sollen nun um mindestens 55 %, anstatt wie bislang beabsichtigt um mindestens 40 % gegenüber 1990 gesenkt werden.13 Zur Umsetzung dieses ambitionierten Klimaziels der EU hat die EU-Kommission unter anderem am 14.07.2021 einen umfassenden und ineinandergrei-fenden Komplex von Legislativvorschlägen zur Anpassung der bestehenden EU-Klima- und Energiegesetzgebung vorlegt, dessen Verhandlung mit den Mitgliedsstaaten nun aussteht.14 Für Deutschland war eine Reduktion um 55 % nicht nur im Klimaschutzplan 2050 (KSP 2050) im Jahr 2016 festgesetzt worden, sondern bereits mit dem Energiekonzept 2010, in dem sich Deutschland zum Ziel gesetzt hatte, seine Treibhausgasemissionen auf nationaler Ebene bis 2020 um 40 %, bis 2030 um 55 % und bis 2050 um 80 bis 95 % unter das Niveau von 1990 zu reduzieren.15 Tatsächlich wurden in Deutschland im Jahr 2020 rund 739 Millionen Tonnen CO2e ausgestoßen, was einer Reduktion von 40,8 % verglichen mit 1990 entspricht und einer Reduktion von 8,7 % gegenüber 2019.16

Abbildung 1 zeigt die mit dieser Reduktion verbundene Entwicklung der Treibhausgasemissi-onen in Deutschland im Zeitverlauf in den Sektoren Energiewirtschaft, Industrie, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft und Abfall/Sonstiges. Deutschland hätte sein im Bundesklimaschutz-gesetz 2019 festgelegtes Klimaziel der Einhaltung einer Jahresemissionsgrenze von 749 Mio.

Tonnen CO2e für 2020 ohne die durch die Corona-Pandemie bedingten Lockdowns ver-fehlt. Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie sowie die damit einhergehende allge-meine Konsumzurückhaltung haben insbesondere in den Sektoren Industrie und Verkehr für erhebliche Treibhausgaseinsparungen gesorgt.17 Ein Strukturwandel ging in den zentralen Wirt-schaftssektoren damit jedoch nicht einher, weshalb ein Wiederanstieg der Emissionen in diesen Bereichen abzusehen ist, wenn die Wirtschaftstätigkeiten wieder vollumfänglich aufgenommen werden.

Die Dekarbonisierung des Gebäudesektors verläuft im Zeitverlauf zudem schleppend.

Zwar kam es 2020 im Gebäudebereich zu einer Emissionsminderung von gut 3 Mio. Tonnen CO2e (minus 2,8 %) auf 120 Mio. Tonnen CO2e pro Jahr, jedoch überschreitet der Sektor damit als einziger in Deutschland die von der Bundesregierung im Klimaschutzpro-gramm 2030 zur Umsetzung des KSP 2050 festgelegten Sektorenziele (von 118 Mio. Ton-nen CO2e für das Jahr 2020). Ursächlich für diesen Trend sind ein geringerer Energieverbrauch

12 Vgl. Europäische Kommission, 2021c.

13 Vgl. Europäische Kommission, 2021d.

14 Vgl. Europäische Kommission, 2021e.

15 Vgl. BMWi, 2010.

16 Vgl. BMU, 2021a.

17 Vgl. BMU, 2021a.

für Gewerbe, Handel und Dienstleistungen, der jedoch von einer gleichzeitigen Zunahme der Emissionen in den Haushalten und damit Wohngebäuden, überlagert wird.18

Abbildung 1 Entwicklung der gesamten Treibhausgasemissionen in Deutschland nach Sektoren von 1990 bis 202019

Im Hinblick auf die (siehe oben) nunmehr ambitionierteren Klimaziele der EU urteilte das Bun-desverfassungsgericht am 29.04.2021, dass das zu diesem Zeitpunkt geltende Klimaschutzge-setz teilweise verfassungswidrig war, da hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030 verschoben würden, die die Freiheitsgrundrechte heute jüngerer Men-schen in der Zukunft unverhältnismäßig einschränken.20 Daraufhin hat der Bundestag am 24.06.2021 die Klimaschutznovelle beschlossen.21 Diese hat unter anderem eine Anhebung der CO2e-Minderungsziele im Zeitverlauf zum Inhalt. Das bislang geltende Ziel einer 55%i-gen Reduktion bis 2030 im Vergleich zu 1990 wird um 10 Prozentpunkte auf 65 % angehoben.

2040 soll die Minderung bereits bei 88 % liegen. Das Ziel der Klimaneutralität, das zuvor für 2050 angesetzt war, wird ebenfalls vorgezogen und soll nun bis 2045 erreicht werden.22 Zur Umsetzung dieser ambitionierten Zielsetzung wurden auch die Sektorenziele für Energie-wirtschaft, Gebäude, Verkehr, Industrie und Landwirtschaft angepasst. Im Verhältnis zum

18 Ebd.

19 Eigene Darstellung nach BMU, 2021b.

20 Vgl. Bundesverfassungsgericht, 2021.

21 Vgl. Bundesregierung, 2021a.

22 Ebd.

vorherigen Plan wurde dabei das Dekarbonisierungsziel für den Gebäudesektor am wenigsten angehoben.23 Das Ziel aus dem KSP 2050 lag bei 70 bis maximal 72 Mio. Tonnen CO2e in 2030, was einer Reduktion um 65,7 % beziehungsweise 66,7 % im Vergleich zu 1990 gleich-kommt. Das neue Ziel für den Sektor beträgt nunmehr 67 Mio. Tonnen CO2e in 2030, was einer Reduktion um 68,1 % im Vergleich zu 1990 entspricht.24 Das Ambitionsniveau des Ge-bäudesektors für 2030 wurde somit um lediglich 1,4 bis 2,4 Prozentpunkte erhöht (KSP 2050 versus Klimaschutznovelle 2021). Ein im Vergleich zum Gebäudesektor überproportional größerer Anteil der zusätzlichen CO2e-Einsparungen wird somit anderen Sektoren zugeschrie-ben. Am stärksten wurde der Dekarbonisierungspfad für den Energiesektor, dessen Ziel für 2030 nun um 14,5 bis 16,1 Prozentpunkte höher liegt als noch nach KSP 2050, angehoben.

Wichtig erscheint hier jedoch der Hinweis, dass es sich bei den formulierten Zielen um eine Sichtweise aus der Perspektive einer sogenannten Quellbilanz handelt. In späteren Abschnitten der vorliegenden Studie dargestellte Energieeinsparungen von Gebäuden in kWh/qm/a müssen deshalb nicht nur der Zielmarke des Gebäudesektors gegenübergestellt werden. Jegliche Ver-brauchsreduktion ist ein Beitrag zu den Gebäudezielen UND den Zielen des Energiesektors (Sichtweise dann Verursachungsbilanz).

Zur Erreichung der nunmehr ambitionierteren Vorgaben stellt die Bundesregierung weitere finanzielle Mittel zur Verfügung. Mit zusätzlichen 8 Mrd. Euro werden ergänzende Klima-schutzmaßnahmen über das Sofortprogramm 2022 finanziert werden, wovon der Großteil von über 5 Mrd. in den Gebäudesektor fließen soll. 4,5 Mrd. Euro auf zwei Jahre sollen dabei in die Förderung der energetischen Gebäudesanierung investiert werden.25 Auf welchem Weg dies genau geschehen soll ist noch nicht bekannt.

Das Bundesland Rheinland-Pfalz hat frühzeitig als eines der ersten Länder seine eigenen Kli-maschutzziele in einem Klimaschutzgesetz verankert.26 Diese waren bis Juni 2021 konsistent mit den Zielen des Bunds und lassen sich mit einer 40%igen Reduktion der CO2e bis 2020 und einer 90%igen bis 100%igen Reduktion bis 2050 im Vergleich zu 1990 zusammenfassen. 1990 wurden in Rheinland-Pfalz 50,7 Mio. Tonnen CO2e emittiert. Bis zum Jahr 2017 verringerten sich diese Emissionen um 36,7 % auf 32,1 Mio. Tonnen CO2e. Für 2018 wurde für Rheinland-Pfalz bisher nur ein vorläufiger27 Wert von 31,6 Mio. Tonnen CO2e – entsprechend einer Ver-ringerung um 37,7 % gegenüber 1990 – veröffentlicht.28Für ein Reduktionsziel auf dem Ziel-pfad der Bundesregierung von 65 % bis 2030 müsste der jährliche CO2e-Ausstoß von Rheinland-Pfalz um weitere 13,9 Mio. Tonnen gesenkt werden.

Die Klimazielsetzungen des Bundeslands Hessen sind zwar ähnlich ausgestaltet, laufen aber etwas langsamer an, da eine Reduktion um 30 % gegenüber 1990 erst bis zum Jahr 2020 ange-strebt wurde, 40 % bis 2025 und dann, ähnlich wie EU und Rheinland-Pfalz, eine Reduktion um 55 % bis 2030 und um mindestens 90 % beziehungsweise Treibhausgasneutralität bis

23 Anmerkung: Diese Aussage folgt eigenen Berechnungen basierend auf den Angaben von BMU (2016) und BMU (2021b).

24 Vgl. Bundesregierung, 2021b; BMU 2021c.

25 Vgl. Bundesregierung, 2021c.

26 Landtag Rheinland-Pfalz, 2014.

27 Anmerkung: Die Werte der Treibhausgasbilanz für 2018 sind vorläufig, weil sich der CO2-Emissionsfaktor für den Stromverbrauch noch in der Abstimmung der Bundesländer befindet.

28 Ministerium für Umwelt, Energie, Ernährung und Forsten Rheinland-Pfalz, 2021, S. 21.

2050.29 Im „Integrierten Klimaschutzplan Hessen 2025“ und in der Koalitionsvereinbarung der Hessischen Landesregierung aus dem Jahr 2018 wird außerdem bis 2025 eine Verdopplung der energetischen Sanierungsquote von Wohngebäuden in Hessen von 1 % auf 2 % und damit auf ca. 27 000 Gebäude pro Jahr angestrebt.30 Das Hessische Energiegesetz (HEG) nennt in diesem Kontext sogar eine Sanierungsquote von 2,5 % bis 3 %.31 Nach der Treibhausgasbilanz für das Land Hessen wurden im Jahr 1990 50,8 Mio. Tonnen CO2e ausgestoßen. Diese Kennzahl liegt für 2018 bei 38,4 Mio. Tonnen und eine vorläufige Berechnung für 2019 ebenfalls bei 38,4 Mio. Tonnen.32 Die Veränderung gegenüber 1990 lag 2018 bzw. 2019 dementsprechend bei 24,4 %. Für das Reduktionsziel von 65 % müsste bis 2030 der jährliche CO2e-Ausstoß Hessens um weitere 21,3 Mio. Tonnen gesenkt werden.

Wann und in welcher Form die Bundesländer Rheinland-Pfalz und Hessen ihre eigenen Klima-schutzpläne anpassen werden, um diese tatsächlich an die kürzlich erhöhten Anforderungen der Bundesgesetzgebung anzupassen ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abzusehen.