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Klassische Konzepte von Personalauswahl

41 chen Gegebenheiten ableitet, schließt es neues, aus veränderten Umweltbedingungen

1.2.3. Klassische Konzepte von Personalauswahl

Die Trennung nach "klassischer" und "traditioneller" Personalauswahl findet sich im deutschen und angelsächsischen Sprachraum (CASCIO 1991; GUION 1991 und 1994; SCHULER 1993; DORSCH 1994), sie beschreibt die seit den 1920er Jahren vorherrschende wissenschaftliche Sicht (GUION 1994, 782). Allgemein lassen sich als Gemeinsamkeiten klassischer Konzepte nennen:

• eine Stelle ist ein fest definiertes Aufgabenbündel, aus dem die Anforderungen an den Stel-leninhaber abgeleitet werden können

• ein Bewerber zeichnet sich durch unterscheidbare, relativ stabile Merkmale aus. Aus der Feststellung dieser Merkmale in der Momentaufnahme seines Kontaktes mit Unternehmens-vertretern kann geschlossen werden, ob er den Anforderungen genügt

57 TAYLORs Methode der Personalauswahl und -führung beinhaltete z.B. Reaktionstests, Motivati-on durch Pensum und BMotivati-onussysteme, systematisches Anlernen sowie Entlassungsmaßnahmen und zielte auf die Herausbildung eines "erstklassigen Arbeiterstammes" (KIESER 1999, 82).

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• für die Stellenbesetzung ist die Qualität des Auswahlverfahrens der am besten geeigneten Person aus einer Gruppe von Bewerbern das wichtigste Element

• für ein Auswahlverfahren können geeignete Instrumente entwickelt werden, das wichtigste Gütekriterium für diese ist die Validität. Diese wiederum ist von der Objektivität und Reliabili-tät der Instrumente abhängig

Ausgangspunkt für die Suche nach einem neuen Mitarbeiter bildet eine frei gewordene oder neu geschaffene Planstelle (FINZER/MUNGENAST 1992, 1585f.), die in der Regel durch einen Aufgaben-katalog, die Stellenbeschreibung, definiert ist. Das Unternehmen geht davon aus, dass die be-schriebenen Aufgaben erfüllt werden müssen, um einen spezifischen Beitrag zur Erreichung der Unternehmensziele zu leisten. Für die Suche und Auswahl eines neuen Mitarbeiters wird aus dem Aufgabenkatalog der Stelle das Anforderungsprofil für potentielle Stelleninhaber abgeleitet. Danach erfolgt die Anwerbung potentieller Kandidaten, indem die Vakanz in unternehmensinternen und/oder externen Medien bekannt gemacht, und dabei die Aufgaben und gewünschten persönli-chen Fähigkeiten angegeben werden. Nachdem eine Anzahl Bewerber gefunden ist, werden diese in der Vorauswahl hinsichtlich ihrer generellen Eignung gerastert. Zuerst werden diejenigen aussortiert, welche die Mindestanforderungen eindeutig nicht erfüllen. Der Maßstab für die Bestim-mung der Nichterfüllung einer vakanten Stelle ist auch von der Anzahl der Bewerber abhängig ist.

So werden die Mindestanforderungen höher angesetzt oder restriktiver angewandt, wenn sich mehr Bewerber als erwartet gemeldet haben. Umgekehrt wird ein Bewerber eher in die engere Wahl genommen, wenn sich insgesamt nur wenig Interessenten für die Stelle gemeldet haben.

Setting: Büro, kurz nach einem Telefoninterview (KI) Beteiligte: PM-1 Mitarbeiter, Forscher

Aktion: nach Vorgabe Datum: 28.10.1999

"Wenn ich so ein Exposé für den Fachbereich schreibe und ohnehin wenig Kandidaten habe, dann glätte ich das natürlich. Da mache ich das so wie ein Personalberater, der ja auch seine Kandidaten unterbringen will. Dann schreibe ich zum Beispiel nicht rein, was mir negativ aufge-fallen ist."

Nicht nur die Erfüllung der Mindestanforderungen hat einen Einfluss auf die Vorauswahlentschei-dung, sondern auch die Bewerberzahl. Auch die Qualität der Personalauswahlverfahren ist von der Größe und Zusammensetzung der Bewerberpopulation beeinflusst, so dass die Qualität der Aus-wahlinstrumente keine Rolle spielen würde, meldeten sich ausschließlich passende/geeignete Be-werber.

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Setting: Gruppenauswahlverfahren (TB)

Beteiligte: BMW Mitarbeiter und Führungskräfte, Forscher Aktion: spontan

Datum: 29.11.1999

"Wir haben heute nur zwei Bewerber für den Studiengang Kunststofftechnik. Deren Chancen liegen bei 100 Prozent - weil wir nur zwei Plätze zu besetzen haben!"

Da die Vorauswahl im allgemeinen sehr grob erfolgt, sind bei großen Bewerberzahlen auch Fehl-entscheidungen in größerem Umfang möglich, besonders die Ablehnung geeigneter Bewerber. Im nächsten Schritt, der Feinauswahl, soll durch den Einsatz eignungsdiagnostischer Instrumente (z.B. strukturierter Interviews, AC, Gruppendiskussionen, Fallstudien) der für die vakante Stelle am besten geeignete Bewerber gefunden werden. Zusätzlich will das Unternehmen auch Eigenschaf-ten entdecken, welche die erfolgreiche Aufgabenerfüllung behindern können (z.B. psychische Stö-rungen).

Setting: Büro, nach einem "Face-to-Face"-Interview (TB) Beteiligte: PM-1 Mitarbeiter, Forscher

Aktion: spontan Datum: 15.11.1999

"Ich hatte da heute einen Juristen, bei dem habe ich mir nur notiert: latent aggressiv! Der hat wortwörtlich zu mir gesagt, als ich ihn gefragt habe, was er sich gehaltsmäßig vorstellt: 'einen Haufen Geld!'"

Der Personalauswahlprozess erstreckt sich insgesamt jedoch nicht nur auf die beiden beschriebe-nen Phasen Vor- und Feinauswahl, zusätzlich sind auch die zwischengeschaltete Grobauswahl, die Einholung von z.B. Referenzen oder Daten über Personalfragebögen, und die Nachauswahl58, die Probezeit, relevant, um dem Unternehmen Informationen über den Bewerber zu liefern bzw.

seine tatsächliche Eignung zu validieren. Die Grobauswahl wird in der betrieblichen Praxis jedoch vernachlässigt, was als Ursache vor allem Kapazitätsgründe der betreffenden Personalentscheider hat:

58 TENCKHOFF (1993, 142) schätzt die Folgekosten einer fehlerhaften Personalentscheidung für eingestellte Hochschulabsolventen auf ca. DM 50.000-250.000. Die ökonomische Bedeutung von Fehlbesetzungen und der deshalb postulierte Schwerpunkt auf der Bewerberanalyse ste-hen in der BWL im Vordergrund, der mittel- und langfristig erkennbare Einfluss fehlerhafter Per-sonal- auf spätere Managemententscheidungen wird dagegen nicht untersucht.

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Setting: Mittagessen (TB)

Beteiligte: PM-1 Mitarbeiter und Führungskräfte, Forscher Aktion: spontan

Datum: 31.01.2000

"Ich habe mir das schon oft überlegt: da kann man in seiner Unterlage schwindeln auf Teufel-komm'-raus; wenn man ein bombiges Bewerbungsgespräch hinlegt und ein bisschen Glück da-zu hat, dann hat man den Job. Wir können doch gar nicht nachprüfen, ob alles stimmt, was da drin steht."

Das Ziel klassischer Personalauswahlverfahren ist die Prognose, wie erfolgreich eine Person die ihr gestellten Aufgaben bewältigen können wird. Dazu soll erfasst werden, anhand welcher Prädi-katoren dieser Erfolg beurteilt werden kann, welche erfolgsrelevanten Eigenschaften momentan feststellbar sind und wie die Qualität dieser Vorhersage gemessen werden kann59. Den Grundzug der klassischen Personalauswahl bildet das sogenannte "Selection Paradigm" (DE WOLFF 1993;

SMITH/FARR/SCHULER 1993, 334), das auf dem naturwissenschaftlichen Verständnis basiert, dass sich Ereignisse wiederholen, wenn identische Ausgangssituationen vorliegen. Für die Personal-auswahl bedeutet dies, dass die zu besetzende Stelle als invariante Größe behandelt wird: wenn bekannt ist, mit welchen Eigenschaften eine Aufgabe erfolgreich bewältigt werden kann, ist auch eine Prognose möglich.

Die Strategie der klassischen Personalauswahl, deren Qualität sich danach bemessen lässt, wie gut es ihr gelingt, jemanden zu finden, der in der Lage ist, höchstmögliche spezifische Arbeits-leistung zu erbringen, geht gleichermaßen davon aus, dass Individuen unterschiedliche Fähigkei-ten und Neigungen haben und dass für verschiedene Stellen verschiedene FähigkeiFähigkei-ten und Nei-gungen benötigt werden. Folglich ist es für Bewerber/Mitarbeiter, Unternehmen - und auch für die Gesellschaft, da die Arbeitszufriedenheit auch Wechselwirkungen mit der generellen Lebensquali-tät hat - optimal, wenn für jede einzelne Stelle diejenige Person mit den am besten passenden Fähigkeiten und Neigungen ausgesucht wird. Damit wird jedoch nicht nur nach dem momentan am besten passenden Bewerber gesucht, vielmehr insbesondere nach demjenigen, der möglichst lan-ge die Aufgaben dieser Stelle erfolgreich erfüllen kann.

59 Diese gesuchten Prädikatoren freilich sind soziokulturell und historisch generierte Eigenschaf-ten, die sich nicht im Besitz der Personen befinden, sondern ihnen in sozialer Interaktion zuge-schrieben werden (DACHLER 1989, 51).

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Setting: Büro (KI)

Beteiligte: PM-1 Mitarbeiter, Forscher Aktion: nach Vorgabe

Datum: 02.11.2000

"Das ist etwas, da fährt der [...] total drauf ab. Dem geht's nicht mehr um 'Schlüsselqualifikatio-nen', dem geht's um 'Zukunftsqualifikationen'."

In der betrieblichen Praxis wird dennoch häufig darwinistisch angenommen, dass diejenige Person am meisten Erfolg hat, die sich in Konkurrenz durchsetzt; nach ihr wird beispielsweise im klassi-schen AC gesucht und nicht geforscht, ob sie durch ihre Integration in das soziale System Unter-nehmen dessen Leistungsfähigkeit am günstigsten beeinflussen könnte. Es wird häufig eher eine einfache Selektionsstrategie denn eine komplexe Modifikationsstrategie verfolgt, die zusätzliche Gestaltungsvariablen (z.B. Arbeitsgestaltung, Personalentwicklung, leistungsorientierte Bezahlung) integrieren würde. Mit dieser Selektionsstrategie wird nicht zwangsläufig der am besten geeignete Bewerber ausgewählt, denn es kann kein Optimum gefunden werden, wenn sachlich intendierte Variablen aus dem Auswahlprozess ausgeklammert werden. Eine als unpassend beurteilte Person kann sich zu einem Leistungsträger entwickeln bzw. eine Stelle derart gestaltet werden, dass ihr Leistungsergebnis mit derselben Person besser ausfällt, als wenn unter den geschilderten fehler-haften Bedingungen die auf den Status quo am besten passende Person ausgewählt wird.

Auch wird die zu besetzende Stelle als relativ stabil angenommen, wenn das Auswahlverfahren auf der gegenwärtigen Stellendefinition und den daraus gewonnenen Informationen basiert. Je-doch unterliegt auch sie, wie alle betrieblichen Prozesse, einem permanenten Wandel, so dass die Bedarfe der Stelle zum Zeitpunkt der Vakanz nicht mehr als alleinige Informationsgrundlage zu deren Besetzung dienen können. Stellen sind vielmehr Knotenpunkte in einem dynamischen, kom-plizierten Netzwerk aus Machtrelationen:

"One’s potentials are only realized because there are others to support and sustain them; one has an identity only because it is permitted by the social rituals of which one is part; one is allo-wed to be a certain kind of person because this sort of person is essential to the broader games of society."

(GERGEN 1991, 156f.)

Auch bezüglich der Gestaltung der Stelle wird außer Acht gelassen wird, dass dieselbe Arbeitsleis-tung auch mit einer anderen Arbeitsstruktur erzielt werden könnte. Die zu besetzende Stelle wird temporal und strukturell als definiert betrachtet, das Anforderungsprofil an die in der Stellenbe-schreibung beschriebene Tätigkeit ist in der Realität freilich nicht so klar umrissen. Es werden Mit-arbeiter gesucht, welche die benötigten Fähigkeiten mitbringen, ihre Lern- und Entwicklungsfähig-keit wird weniger in Betracht gezogen. Da das aktuell abfragbare Wissen des Bewerbers, verdeut-licht man sich nicht nur die betriebliche, sondern auch die gesellschaftliche Dynamik und zusätzlich die hohe Anforderung an Fähigkeiten wie Selbstverantwortung und -organisation, in Zukunft in

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keinem Fall genügen kann, muss bei der Personalauswahl jedoch eher Lernfähigkeit als Leis-tungsstand akzentuiert werden60. Alle methodische Sorgfalt und praktische Erfahrung bei Auswahl-verfahren können nicht verhindern, dass sich Unternehmensmitglieder immer wieder anders ver-halten, als es ihre in aufwendigen Auswahlverfahren im wahrsten Sinne des Wortes "festgestellte"

Identität eigentlich erwarten ließe. Das im Alltagsverständnis und der ABO vorherrschende essen-tialistische Verständnis des Individuums rechnet dies jedoch noch immer der Unzulänglichkeit des jeweiligen eignungsdiagnostischen Instrumentariums zu61.

Die einzelnen Phasen des Personalauswahlprozesses bauen aufeinander auf, die Variablen Bewerber, Auswahlinstrumente und Unternehmen determinieren sich permanent gegenseitig. Ob-wohl diese Zusammenhänge in mehreren empirischen Studien nachgewiesen wurden (RYNES/BARBER 1990; BARBER/ROEHLING 1993; GATEWOOD/GOWAN/LAUTENSCHLAGER 1993;

TURBAN/KEON 1993), ist die Rolle des Bewerbers bei der Personalauswahl noch immer vorwiegend passiv angelegt, er wird befragt und ausgewählt. Personalauswahl passiert in der klassischen Per-spektive nicht als gegenseitige Partnerwahl, sondern eher als Einkaufsentscheidung des Unter-nehmens für oder gegen eine kostenintensive Ressource. Diese Situation konstituiert auch eine Machtbeziehung zwischen Personalentscheider und Bewerber, zumal beide, klammert man einmal dringend benötigte Mangelqualifikationen aus, ohnehin nicht die gleichen Chancen in diesem Ge-schäftsvorgang besitzen. Unternehmen bieten Bewerbern nicht nur materielle Mittel zur Sicherung des Lebensunterhalts, sondern auch Karriereperspektiven, sozialen Status und subjektiv attraktive Aufgaben, welche die Identität der Unternehmensmitglieder zu einem großen Teil generieren. Das Versprechen dieser Elemente kann als wichtigstes Element der Bewerbermotivation im Auswahl-prozess angesehen werden. Die Bewerber freilich, die sich bei solcherart angelegten fahren möglichst von ihrer besten Seite zeigen, haben sich oft schon auf die gängigen Auswahlver-fahren eingestellt62: beabsichtigte Überraschungseffekte der Personalentscheider finden nicht statt.

Abgesehen davon laufen die Unternehmensvertreter Gefahr, durch Gefälligkeitsbeurteilungen oder Weglobungen früherer Arbeitgeber über tatsächliche Charakterzüge des Bewerbers getäuscht zu werden.

Vergleichsweise "weiche" Qualifikationen wie Engagement und Motivation lassen sich mit Ver-fahren, die den Bewerber in eine passive Rolle drängen, nicht feststellen, vielmehr werden sich Bewerber mit solchen Eignungen aus Auswahlverfahren zurückziehen, die ihnen eine passive Rol-le aufdrängen. Als weitere Hintergrundstrategie geht das klassische Personalmanagement davon aus, dass durch bestimmte Auswahlverfahren, z.B. projektive Tests, lokalisierbare persönliche Eigenschaften transparent werden, die der Bewerber vor seinen Beobachtern verbergen will63.

60 Die in der betrieblichen Praxis gängige Devise "Der Mitarbeiter wächst mit seinen Aufgaben!", die vor allem für Personalentwicklung Bedeutung hat, widerspricht ebenfalls dieser statischen Sicht von Personalauswahl.

61 Eine qualitative Ausnahme bilden SCHULER/STEHLE (1983) mit ihrem Konzept der "Sozialen Validität", das Information, Partizipation, Transparenz und Urteilskommunikation zu den klassi-schen Gütekriterien der Testtheorie hinzurechnet und den Blick der Personalentscheider für die Bedeutung der "Soft Facts" im Auswahlprozess schärfen will.

62 Mittlerweile bietet eine geradezu unüberschaubare Anzahl von Firmen Seminare zum Thema

"Bewerbertraining" an, in denen Arbeitssuchenden Tipps vermittelt werden sollen, wie sie meis-tens AC erfolgreich durchlaufen können.

63 Das juristische Motto "Von nun an kann jede Ihrer Aussagen auch gegen Sie verwendet wer-den" kann auch für die Personalauswahl gelten, da Personalentscheider und Bewerber sehr un-terschiedliche Interessen haben. Freilich ist dieser Mechanismus fest in der doppelt

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