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Kirchliche Zeit- und Bistumsgeschichte

Im Dokument ━ Belastung und Bereicherung ━ (Seite 55-59)

Für Brandenburgs – trotz der inzwischen überwiegend nicht mehr kirchengebundenen Be-völkerung – konfessionelle Mehrheitskirche, die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg (EKiBB), heute Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), ist die Zuwanderung von Gläubigen wie auch von Flüchtlingspfarrern bislang kein Thema, das in offiziellen Veröffentlichungen oder in der wissenschaftlichen Kirchengeschichtsforschung eine Rolle spielte.137 Im Rahmen einer 506-Seiten-Untersuchung über die evangelischen

Pfar-134 Auf die in der Zeitgeschichtlichen Archäologie größeren Nöte der „Fundauswahl“ und der Zuordnung ein-zelner Fundobjekte, d. h. die nicht immer mögliche „Fundkontextualisierung“, weist Anne-Kathrin Müller hin: Die Qual der Wahl? Zum Umgang mit Funden aus Grabungen an zeitgeschichtlichen Komplexen. In:

Archäologie und Gedächtnis (wie Anm. 131), S. 75–85, bes. S. 76 f., 81. Auf die Gefahr, die in der subjektiven Bevorzugung bestimmter Relikte, die mit „boomenden“ Forschungsfeldern „korrespondieren“, liegt („erhalten bleibt nur, was meiner Geschichte nutzt“) und die anderes unwiederbringlich zerstört, also nicht überliefert, verweist Jens-Christian Wagner: Mut zum Verlust – ein Plädoyer gegen den Fetisch der Relikte. In: Archäolo-gie und Gedächtnis (wie vor), S. 169–171, hier S. 170.

135 Siehe für den Bereich der Hobbyforscher unten die Bemerkungen zu den Erkenntnissen von Kurt Neis bezüg-lich der Barackenstandorte und -bauformen in Fürstenberg (Havel).

136 Überzeichnet und den katastrophalen Nöten der Nachkriegszeit zu wenig Rechnung tragend erscheint z. B.

die von Claudia Theune vorgenommene Gleichsetzung der Abtragung von Baracken mit der Beseitigung von NS-Symbolen: Claudia Theune: Zeitgeschichtliche Archäologie in ehemaligen Konzentrationslagern – Erin-nerungsort, Denkmalpflege, Forschung. In: Archäologie und Gedächtnis (wie Anm. 131), S. 7–16, hier S. 15.

137 Zwar mit einem Abschitt „Ostbrandenburg“ über die Situation im heute polnischen Gebiet östlich von Oder und Neiße (S. 780–782), aber sonst nur mit einem einzigen, im Abschitt „Synoden“ versteckten Halbsatz zur auf der Synode in Berlin-Spandau 1946 beschlossenen „Förderung der Seelsorge der aus ihrer Heimat

rer der Kirche Berlin-Brandenburg in den Jahren 1945 bis 1961 wird das Thema „Ostpfarrer“, d. h. aus den Ostgebieten stammende Flüchtlingspfarrer, zum Beispiel in ganzen fünf Zeilen abgehandelt.138 Auch das vom Wissenschaftlichen Beirat für Erinnerungskultur der EKBO 2014 verfasste „Konzept Erinnerungskultur und Gedenkstättenarbeit in der EKBO – Grundlagen und Handlungsstrukturen“139 setzt vornehmlich andere Schwerpunkte und delegiert die Vertrei-bungsfragen auf das ehemals zur Evangelischen Kirchenprovinz Schlesien gehörende und 2004 mit der Berlin-Brandenburgischen Kirche fusionierte (Rest-)Gebiet Görlitz, das nicht Teil der Provinz Brandenburg war und auch heute nicht zum Land Brandenburg, sondern zu Sachsen gehört: „Schwerpunkt der Erinnerungskultur im Gebiet Görlitz ist die Flüchtlings-, Umsie-delungs- und Migrationsproblematik verbunden mit dem schlesischen Erbe und der Geschichte der sorbischen und wendischen Minderheiten. Zudem existieren viele Kriegsgräber – auch auf kirchlichen Friedhöfen.“140 Dabei war die Zahl der aus den ehemaligen Ostgebieten nach Brandenburg ge-kommenen (evangelischen) Flüchtlinge keineswegs kleiner als in Sachsen.

Vertriebenen“ (S. 775), im Übrigen überwiegend auf die leitenden Ämter und Personen konzentriert: Gerd Heinrich: Alte Ordnungen und neue Anfechtungen. Die Kirche Berlin-Brandenburg im zerteilten Deutsch-land (1945 bis 1968). In: Tausend Jahre Kirche in Berlin-Brandenburg. Hrsg. von Gerd Heinrich. Berlin 1999, S. 763–842. – Fehlanzeige auch im sonst sehr verdienstvollen und auch zeitgeschichtlich an sich aktiven, von Jürgen Stenzel (ELAB) betreuten „Archivbericht der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesiche Oberlausitz“. – Die überregionale Kirchengeschichtsforschung auch der Zeit nach 1990 ist überwiegend auf die Situation in Westdeutschland konzentriert: Christian-Erdmann Schott: Wandlungen in der Wahrneh-mung. Die evangelische Kirche und ihre Vertriebenen. In: Vertriebene finden Heimat in der Kirche. Integra-tionsprozesse im geteilten Deutschland nach 1945. Hrsg. von Rainer Bendel (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands, Bd. 38). Köln u. a. 2008, S. 147–162. – Als nicht existent erscheint das Thema aber auch bei Rudolf Mau: Der Protestantismus im Osten Deutschlands (1945–1990).

Leipzig 2005 (Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen, IV/3). Hier steht der einzige (Halb-)Satz „auch“

zu den „aus den Ostgebieten vertriebenen Deutschen“ in einem 12-Zeilen-Abschnitt „4. Kirchen als Anwalt der Menschen in der Nachkriegsnot“ innerhalb einer beiläufigen Nennung eines auf „das deutsche Volk“ insgesamt bezogenen, im März 1947 über die EKD an die Besatzungsmächte gerichteten Appells der Kirchlichen Ost-konferenz (S. 29). – Anders dagegen jetzt für Sachsen die umfangreiche Leipziger Dissertation (2012) von Markus Wustmann, „Vertrieben, aber nicht aus der Kirche?“ (wie Anm. 18).

138 Christian Halbrock: Evangelische Pfarrer der Kirche Berlin-Brandenburg 1945–1961. Amtsautonomie im vormundschaftlichen Staat? Berlin 2004, S. 64. – Ganz anders in der mecklenburgischen Nachbarkirche:

Friedrich Wekel: Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Mecklenburgs und die ostdeutschen „Flücht-lingspastoren“ nach dem Zweiten Weltkrieg. In: Mecklenburgia sacra. Jahrbuch für Mecklenburgische Kir-chengeschichte 17 (2015), S. 171–215. – Siehe auch allgemein zur integrationsfördernden Wirksamkeit von

„Ostpfarrern“: Christian-Erdmann Schott: Die Rolle der Kirchen bei der Integration von Flüchtlingen und Vertriebenen nach dem II. Weltkrieg. In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 47/48 (2006/07 [2008]), S. 291–308, bes S. 298–302; Hellmut Eberlein: Zur Psychologie des Ostpfarrers.

In: Jahrbuch für Schlesische Kirche und Kirchengeschichte, NF 32 (1953), S. 154–167, hier S. 162–165.

139 www.erinnerungskultur-ekbo.de/fileadmin/ekbo/mandant/erinnerungskultur-ekbo.de/PDF/Konzept_Er innerungskultur_und_Gedenkst%C3 %A4ttenarbeit_EKBO.pdf [20.6.2017].

140 Ebd., S. 9. Konkreter genannt werden (S. 28) nur die in lokaler Trägerschaft einzelner Gemeinden befindli-chen Objekte „Kirche in Lodenau und Martin-Luther-Gemeindehaus Hoyerswerda“, zu denen es heißt: „Beide Gebäude sind sogenannte Notkirchen des Architekten Bartning, die errichtet wurden, um den zusätzlichen Bedarf an

Dieser Verweis auf die Geschichtsarbeit lokaler Kirchengemeinden kann in Berlin-Bran-denburg zumindest ergänzt werden durch einen Hinweis auf die außergewöhnlichen Aktivitä-ten der Evangelischen Kirchengemeinde Lieberose (federführend: Dr. Andreas Weigelt141), die zwar im EKBO-Konzept ausführlich genannt wird („Zeitgeschichtliche Erinnerungsort Jamlitz-Lieberose“)142, jedoch ohne Erwähnung der Tatsache, dass sich diese, hauptsächlich über ABM ermöglichte lokale Erinnerungsarbeit – sogar mit einer größeren Ausstellung am Ort und einer 2006 erschienenen Broschüre – auch auf Flucht und Vertreibung erstreckt.143

Ganz anders ist der Befund bei der Katholischen (Minderheits-)Kirche, wenngleich we-niger für das (nördliche) Zentral-Gebiet des (Erz-)Bistums Berlin als für das (südliche) des (ehemals zur Breslauer Diözese gehörenden) Bistums Görlitz, das v. a. die gesamte Niederlau-sitz umfasst. Entsprechend der viel größeren Bedeutung, die die Vertriebenenzuwanderung für eine Diasporakirche hatte, ist die kirchliche Zeitgeschichtsforschung katholischer Provenienz, was das Gebiet der SBZ/DDR angeht, inzwischen weit fortgeschritten.144 So enthält der bislang wichtigste Sammelband zur katholisch-kirchlichen Integration in Gesamtdeutschland allein sechs Beiträge zur Situation in der SBZ/DDR145, darunter eine – mehr als die Hälfte des Ban-des einnehmende – „Dokumentation“ (Quellenedition mit Einleitung) von Winfried Töpler, die zum größten Teil der Bewältigung „des schlesischen Flüchtlingsproblems im Gebiet des heutigen Bis-tums Görlitz“ gewidmet ist. Mit dieser und den weiteren Arbeiten146 des zuständigen Görlitzer

gottesdienstlichen Räumen zu decken, der durch die Flüchtlinge und Vertriebenen nach dem Krieg im Görlitzer Kir-chengebiet entstanden war. Träger: Ev. Kirchengemeinde Rothenburg und Johannes-Kirchengemeinde Hoyerswerda.“

141 Geb. 1963, Historiker in Lieberose, erforscht seit Anfang der neunziger Jahre intensiv sowohl die NS-zeitliche Geschichte des KZ-Außenlagers Jamlitz als auch die der sowjetischen Speziallager Jamlitz und Ketschendorf und bemüht sich am Ort um angemessenes Gedenken (LR online, 7.1.2004); zahlreiche Publikationen zu beiden Bereichen, seit 2006 auch zu Vertriebenen im Raum Lieberose. Siehe auch Anm. 69.

142 Ebd., S. 26.

143 Flucht, Vertreibung, Neubeginn nach 1945. Schicksale und Berichte aus dem Raum Lieberose (wie Anm. 69). – Siehe auch Weigelts (mit EKBO-Briefkopf eingesandte) Stellungnahme zum Entwurf eines Kon-zepts der Landesregierung Brandenburg zur zeitgeschichtlichen Erinnerungskultur (wie Anm. 69).

144 Vertriebene finden Heimat in der Kirche (wie Anm. 137). – Aufnahme – Integration – Beheimatung. Flücht-linge, Vertriebene und die „Ankunftsgesellschaft“. Hrsg. von Josef Pilvousek u. Elisabeth Preuß. Berlin/Müns-ter 2009 (Studien zur kirchlichen Zeitgeschichte, Bd. 3). – Wichtig auch die Biographie des für die Nieder-lausitz zuständigen Görlitzer Residentialbischofs der Nachkriegsjahre: Konrad Hartelt: Ferdinand Piontek (1878–1963). Leben und Wirken eines schlesischen Priesters und Bischofs. Köln u. a. 2008 (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands, Bd. 39).

145 U. a.: Josef Pilvousek / Elisabeth Preuß: Katholische Flüchtlinge und Vertriebene in der SBZ/DDR. Eine Be-standsaufnahme, S. 15–27. – Ulrike Winterstein: Der vertriebene Klerus in der SBZ/DDR. Zur Integration vertriebener Eliten im Bistum Meißen und im Diözesangebiet Görlitz-Cottbus, S. 131–143 (vgl. ihre Diss. in Anm. 18).

146 Winfried Töpler [Hrsg.]: Berichte der katholischen Geistlichkeit aus dem Jahr 1945. T. 1–2. In: Niederlau-sitzer Studien 32 (2005), S. 102–125; 33 (2007), S. 122–137. – Unsere Herzen bluten. Tagebücher und Auf-zeichnungen aus der katholischen Gemeinde in Guben 1945/46. Im Auftr. der katholischen Gemeinde Guben und des Bistums Görlitz zsgest. u. bearb. von Winfried Töpler. Hrsg.: Bistum Görlitz. T. 1–2. Cottbus 2013.

Zus. 793 S.

Bistumsarchivars Winfried Töpler (geb. 1962 Guben) liegt inzwischen eine außergewöhnlich tiefgehende Dokumentenbasis vor, an der keine künftige Vertriebenenforschung in Branden-burg oder der Niederlausitz vorbeigehen kann.147 Eine separate Publikation auch der Görlitzer Quellensammlung hätte ihr allerdings gewiss noch mehr Aufmerksamkeit über den Kreis der wissenschaftlichen Benutzer von Sammelbänden hinaus, insbesondere in der Niederlausitz, verschaffen können.

Nicht unerwähnt bleiben sollen für den brandenburgischen Raum, zumindest den Ber-liner Sprengel, die von kirchlicher Seite herausgegebenen lokal- und regionalgeschichtlichen Arbeiten, die sich einzelner Kirchengemeinden annehmen. Auch hierbei ist das Phänomen un-übersehbar, dass die katholischen Pfarreichroniken fast stets den Vertriebenen größere, gleich-sam für sie selbstverständliche Beachtung schenken, während die evangelischen Gemeindege-schichten den Zuwachs an Mitgliedern kaum thematisieren (weil sie ihn für selbstverständlich halten?). Sehr instruktiv für den Überblick über die Bedeutung der jeweiligen Zuwanderung für den Auf- oder Ausbau katholischer Pfarreien sind vier von dem kirchengeschichtlich sehr aktiven Berliner Priester Matthias Brühe (geb. 1965) erarbeitete, 1998–2000 von der Presse-stelle des Erzbistums Berlin herausgegebene Broschüren, in denen man meist sogleich die nö-tigen Fakten finden kann.148 Für Spezialfragen der karitativen Betreuung von Vertriebenen sehr hilfreich sind ferner die ausführlichen und faktenreichen Darstellungen, die Johannes Mertens (geb. 1952 Köln) über drei – selbst teilweise vertriebene – Schwesternkongregationen in deren Auftrag verfasst hat.149

147 Winfried Töpler: Der zehntausendfüßige Menschenwurm. Die Bewältigung der Kriegsfolgen und des schlesi-schen Flüchtlingsproblems im Gebiet des heutigen Bistums Görlitz. Texte aus dem Bistumsarchiv Görlitz. In:

Vertriebene finden Heimat in der Kirche (wie Anm. 137), S. 291–635 (Einleitung S. 291–310).

148 (Im Wesentlichen eingearbeitet in die im vorliegenden Buch enthaltene Ortsdokumentation): Matthias Brü-he: Katholische Kirche zwischen Uckermark und Oderland. Berlin 1998. – Ders.: Katholische Kirche zwi-schen Havel und Dahme. Berlin 1999. – Ders.: Katholische Kirche zwizwi-schen Prignitz und Havelland. Berlin 2000. – Ders.: Katholische Kirche in Vorpommern. Vollst. überarb. Neuaufl. Berlin 2000. – In die jüngere Gesamt-(Selbst-)Darstellung des Erzbistums sind diese Texte zwar großenteils und auch aktualisiert, in den hier interessierenden Einzelheiten aber oft nur gekürzt, eingeflossen: Harald Schwillus / Matthias Brühe: Erz-bistum Berlin. Eine junge Diözese in langer Tradition. Kehl am Rhein 2009.

149 Johannes Mertens: Die Berliner Ordensprovinz der Grauen Schwestern von der heiligen Elisabeth 1859–1991.

Hrsg. von der Berliner Ordensprovinz der Grauen Schwestern von der heiligen Elisabeth. Reinbek bei Ham-burg 1992. – Ders.: Geschichte der Kongregation der Hedwigschwestern 1930–2000. Unveröff. Manuskript.

Berlin 2004 [Für die gewährte Einsichtnahme danke ich dem Verf.]. – Ders.: Geschichte der Konregation der Marienschwestern von der Unbefleckten Empfängnis 1945–1999. Bd. 1–2. Berlin 2000. – Ders.: Geschichte der Konregation der Marienschwestern von der Unbefleckten Empfängnis in Berlin. In: Wichmann-Jahrbuch des Diözesangeschichtsvereins Berlin, N. F. 7 (2002/03 [2004]), S. 132–154 [auch zum Wirken in Branden-burg!].

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