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Der Kirchentag in Brandenburg

Vereins der Gustav-Adolf-Stiftung in Nürnberg,

3. Der Kirchentag in Brandenburg

ie Zeiten, wo der Zusammentritt des deutschen evangelischen Kirchentages eine mächtige Bewegung durch ganz Deutschland hervorrief, scheinen unwi-derruflich vorüber zu sein. Der Kirchentag ist gleichsam seinem selbsthcrbei-geführten Geschick verfallen. Er trug eben von Anfang an die Keime in-nerer Auflösung in sich. W i r mögen darüber trauern, daß mit ihm nun wieder ein schönes Stück deutscher Hoffnung zu Grabe geht, aber wir werden ihn schwerlich seinem unvermeidlichen Schicksal zu entreißen im Stande sein.

AIs im Jahre 1848 der Kirchentag gegründet wurde, da gingen die Wogen der Revolution hoch durch unser deutsches Vaterland; der Abfall von dem lebendigen Gott und seinem seligmachcnden Wort schien immer allgemeiner und tiefgehender zu werden und drohte eine Gestaltung anzu-nehmen, die den schließlichen Entscheidungskampf zwischen Antichristcnthnm und der Gemeinde des Herrn herbeiführen konnte, Damals ging aber auch ein mächtiger Zug durch die Herzen aller, die es mit ihrem Herrn und sei-nem Reich aufrichtig meinten, eine nähere Vereinigung aller wahrhaft Gläu-bigcn in deutschen Landen zu Stande zu bringen, sich gegenseitig im positiv»

christlichen Glauben und Bekennen zu Schuh und Trutz zu verbinden und so als eine christliche Macht sich den Wogen des Unglaubens und der Em-pörung entgegen zu werfen, um entweder siegend den Feind zurückzudrängen

Der Kirchentag in Brandenburg.

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oder kämpfend unterzugehen. Aus diese»! Zuge wurde der Kirchentag ge>

boren. Sich dessen tief und innig bewußt, tagte er das erstemal zu Wit-tenberg über den Gräbern Luthers und Melanchthons. Um von Anfang an jedes Mißtrauen von sich fern zu halten, nls beabsichtige er, dem mensch, lichen Werke einer gemachten kirchlichen U n i o n Vorschub zu leisten, erklärte er: er wolle nicht U n i o n , sondern K o n f ö d e r a t i o n sein, d, h. er wolle in den kirchlichen Bestand der vorhandenen Landeskirchen nicht störend eingreifen, er wolle das kirchliche Bekenntniß nicht antasten, und überhaupt nicht machen oder anders machen, was Gott selbst geschichtlich geordnet oder zugelassen habe. Darin bestand seine Stärke und zugleich seine Schwäche.

Es war die Frage, ob er in ruhigeren und geordneteren Zeiten sich in dieser Stellung werde behaupten können, ob er für immer Kraft und Entschieden»

heit des Glaubens genug besitze, um dem Drängen einer in unserer Zeit sich breit machenden Partei auf Lockerung des kirchlichen Bekenntnisses und auf Union um jeden Preis entschieden zu widerstehen, ob er namentlich dem aus der Schrift hervorgcwachscnen Bekenntniß der evangelisch lutherischen Kirche sein Recht und seine Ehre werde lassen können?

Diesen Versuchungen hat der Kirchentag immer weniger Widerstand entgegen zu sehen gewußt. Unirte, Reformirte imd Scctenbrüder aller A r t haben bei den Verhandlungen immer lauter ihre Stimmen erhoben. Be-sonders die Versammlung in Stuttgart im September 1857 hat den Riß zwischen den positiu-kirchlich Gesinnten und den Unionisten und Rcformirten völlig unheilbar gemacht. Bei dieser Versammlung waren für die bereits eingetretene schiefe Richtung des Kirchentags besonders förderlich oder viel-mehr verhängnißvoll zwei Umstände, nämlich die kurz vorher abgehaltene

„evangelische Allianz" in Berlin, die schon über die Union weit hinaus ist, und die Nähe der reformirten Schweiz und anderer Länder, wodurch in>

sonderhcit der Znzug „rcformirter und unirter Länder" ermöglicht wnrde.

Kein Wunder, daß der Ton auf dem Kirchentage von Jahr zu Jahr ein immer mehr antiluthcrischer, ein dem Siege der Union zujauchzender wurde.

Je mehr diese Richtung überHand nahm, desto mehr zogen sich die Stillen im Lande und die Kirchlichgesinnten, die, welche den Ausbau des Reiches Gottes mehr von dem Thun des Herrn als von der Vielgeschäftigkcit der Menschen erwarten, von den Verhandlungen zurück. Jene nach und nach eingenommene verkehrte Stellung des Kirchentages zur Kirche und zum kirch-lichen Bekenntniß und namentlich zu seiner eigenen ursprüngkirch-lichen Grund»

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läge hat gewiß am meisten dazu beigetragen, ihm den sonst so sehr zn wiin-schendcn göltlichen Segen zu rauben, und am sicherste» »ud schnellsten seine völlige Auflösung herbeizuführen.

Der Kirchentag nun, den wir eigentlich bereits verschollen glaubten, hat dennoch seinen zwölften Jahrestag am 23, bis 25. September 1862 in B r a n d e n b u r g an der Haue! abgehalten. Die Zahl seiner,' Mitglieder belicf sich auf tausend. Den Vorsitz führte der Propst D r , Nihsch aus Berlin. Den Mittelpunkt de« ersten Tages bildete der Vortrag des Pro-fcssms D r . H e r m a n n aus Güttingen über die Frage: „Welches sind die nothwendigen Grundlagen einer die consistorialc und synodale Ordnung ver-einigenden Kirchenvcrfassnng?" Dieser Vortrag fand allgemeine Anerkennung.

Es wurde darin ausgeführt, daß zwar die evangelische Kirche, wie der Staat, dein Mechanismus entrissen und dem Element der sittlichen Freiheit über-geben werden müsse, jedoch nach ihrer Individualität, die mit dem Staat keine Analogie hat. Die Synode habe sich nicht als Gegensatz gegen das Kirchenregiment zu betrachten, sondern mit diesem die Arbeit der Ent-Wicklung in der Art zu theilen, daß die evangelische Kirche, selbst im Falle des Wegfallcns des landesherrlichen Elements in ihr, keinen Schaden leide.

Es wurde auf das immcr mehr anwachsende Bedinfmß einer Verfassungs»

entwicklung hingewiesen, und bemerkt: daß, wenn dasselbe im Wc'cn der Sache begründet sei, nicht nach Zeit und Verhältnissen z» fragen sei, wenn es sich um dessen Befriedigung handele. — Unter den Rednern, welche bei der Discussion das Wort nahmen, zeichnete sich vor Allen Professor B e y -schlag ans Halle aus.

Am 24. Sctpember war der Hauptgcgenstand der Tagesordnung: „die Volksschule in ihrem lebendigen Zusammenhange mit dem ganzen christlichen Gemeinwesen," worüber Professor F l a scher aus Berlin rcferirtc.

Der dritte Tag wurde, wie herkömmlich, den Zwecken der innern Mission gewidmet. Außerdem wurde dem Präsidenten der Antrag auf Erlaß einer Adresse an den König von Preußen mit dem Entwurf vorgelegt.

Der Präsident gestattete keine Diecussion, wohl aber, daß die Adresse vor-gelesen werde, und gab demnächst anheim, dieselbe nach der Sitzung zu unterschreiben. Sie hat zahlreiche Unterschriften erhalten. Die Adresse will ein Zeugniß der Anhänglichkeit, Liebe und Treue der Mitglieder „dieser großen Versammlung" an den König sein, welche „ m i t tiefer Betrübniß wahrnehme, daß Tendenzen sich geltend machen, welche die heiligsten Insti»

Del Kirchentag !n Biandenbuig, 95 tutillnen zu untergraben und unsere»! Volke seine höchsten sittlichen Güter zu rauben drohen." Dagegen wolle sie mit vereinten Kräften kämpfen.

„Daß wir in diesem Kampfe Eure königliche Majestät auf unserer Seite wissen, gereicht uns zu nicht geringer Freude und Crmuthignng."

Es schien nach den öffentlichen Blättern zueist, als wenn diese Adresse von dem Kirchentage selbst ausgegangen wäre; allein es zeigte sich bald, daß die Preußen nur das Zusammentreten des Kirchentages benutzt hatten, »m diesem tirchcn-politischen Auedruck ihrer Gesinnungen ein möglichst großes Gewicht nnd eine möglichst große Tragweite zu «erschaffe». E i n Mitglied der Versammlung des Kirchentages protcstirt wenigstens in den Zeitungen gegen die Ansicht, als sei jene Adresse vom Kirchentage selbst ausgegangen und behauptet: „der deutsche evangelische Kirchentag ist nicht die h a n d e l n d e P e r s o n bei der fraglichen Adresse, sondern nur der O r t , an welchem sie von hier vereinigten P r e u ß e n a l s E i n z e l n e n unterzeichnet worden ist.

Eine Adresse des Kirchentags würde selbstverständlich von der Versammlung zu beschließen gewesen sein. Ein solcher Beschluß aber, der schon als ein auf die preußischen Mitglieder beschränk!« undenkbar gewesen wäre, ist nicht gefaßt worden; auch ist kein Autrag der A r t eingebracht worden. Wäre das letztere geschehen, so würde man sicher einuuithig au einem Ausdrucke der tiefen Ehrfurcht und loyalen Ergebenheit für die P e r s o n S r . Majestät sich betheiligt, aber viele preußische wie auswärtige Mitglieder würden Einsprache gegen die leidige Vermischung kirchlicher und politischer Dinge erhoben haben, welche den Inhalt der Adresse kennzeichnet."

Darnach möge man ermessen, ob wir Recht haben oder nicht, wenn wir den ehemaligen Kirchentag eine nunmehr preußisch »kirchliche Confercnz nennen, wir könnten auch sagen: einen Sammelplatz von Unirten und Unkt-gesinnten zn kirchen-politischen Zwecken.

H. N. Hansen.

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