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einerseits und den Kapitalisten und Gutsbesitzern sowie Weißgardisten und ausländischen Armeen andererseits, die allesamt als Feinde angesehen werden und anhand derer die kapitali-

stische Gesellschaftsordnung als von der sozialistischen überholt dargestellt wird und also ab- zulehnen ist. dich zu hören. Und es ist schon etwas, mächtiges Rußland, dich zu lieben und Mutter zu nennen.)

Tab. 10, Die semantischen Komponenten von ,Российская империя' (Russisches Imperium) im sowjetischen Interdiskurs

Da das Ereigniskonstrukt *Russisches Imperium’ im sowjetischen Textkorpus nur in sieben Belegen in relevanter Funktion vorkommt, ist sein semantisches Profil hier relativ schmal aus- geprägt Es besteht im wesentlichen aus drei Komponenten, nämlich der Gründung des Russi- sehen Imperiums, seines Zustands vor der Revolution und seiner Größe und Beschaffenheit als modemes russisch-sowjetisches Imperium. In der Ausprägung seiner Komponenten stimmt das Konstrukt mit dem Ereigmskonstrukt ‘Rußland’ überein, auch es wird sowohl auf die vorre- volutionäre als auch auf die nachrevolutionäre Zeit angewendet, wobei die jeweilige Semanti- sierung des Konstrukts in beiden Zeiträumen derjenigen von ‘Rußland’ entspricht. Man kann daher von im Grunde austauschbaren Begriffen sprechen, wobei ‘Russisches Imperium’ die Größe, Weite und Mächtigkeit Rußlands besonders betont

4.3. Das Ereîgniskonstnikt ‘Россия’ (Rußland) im russischen Interdiskurs

Das Ereigniskonstrukt *Rußland1 kommt im russischen Interdiskurs insgesamt 72mal in ereig- niskonstruktiver Funktion vor, und zwar 66mal als 'Россия1 (Rußland), einmal in Form von ,Русская земля' (Russische Erde), zweimal als 'русская природа' (russisches Natur), einmal in der Ausprägung 'Русь' (Rus’) und zweimal in Form des Adjektivs 'российский' (russisch). Die Belege können zwei Bereichen zugeordnet werden, einem die Geschichte seit Peter dem Gro- ßen betreffenden und einem das aktuelle, gegenwärtige Rußland charakterisierenden Bereich Dem ersten Bereich können 57 der 72 Belege zugeordnet werden, dem zweiten 15. Des weite- ren wird in diesem Zusammenhang das Ereigniskonstrukt 'Российская империя' (Russisches

Imperium) besprochen, das in 9 Belegen vertreten ist.

Tab. 11, Geschichtsbezogene semantische Komponenten von *Россия' (Rußland) im russischen Interdiskurs

KoUcktivsymbole________________________________

Im russischen Interdiskurs wird ‘Rußland’ in der historischen Perspektive (a) als

Großmacht

(2mal),

Seemacht

und

Imperium

bezeichnet, es wird als

großes

,

starkes, reiches

und

mächtiges

txmd

charakterisiert, das überwiegend

von Bauern bewohnt

wird Rußland verfugt über

milita-

rische Stärke

und besitzt insgesamt

gigantische Möglichkeiten

Es ist ein

Vielvölkerstaat

, in dem jedoch

die Rechte des Einzelnen schlecht geschützt sitid

Das historische ‘Rußland’ zeich- net sich durch ein

starres Staatssystem

aus, erwähnt werden auch

natiomle Selbstzufriedenheit

und

geistiger Stillstand

Als wesentlich fur die Entwicklung ‘Rußlands’ werden die

Verbesse-

rung der allgemeinen Bildung

sowie der

Fortschritt in der Wissenschaft

angesehen Des

wei-teren wird 1Rußland anhand der

Kollektivsymbole

‘Unabhängigkeit’, ‘Freiheit* (2mal), ‘Hei- mat’, ‘bürgerliche Freiheiten’ und ‘Volk’ semantisiert.

Im Bereich der geschichtsbezogenen Belege (Tab. llb -e) lassen sich vier Gruppen unter- scheiden, von denen drei verschiedene Gesellschaftssysteme Rußlands zum Thema haben und einer das Verhältnis Rußlands zu den anderen slavischen Ländern thematisiert. Das historisch gesehen erste in den Belegen auftauchende russische Gesellschaftssystem ist der ‘Absolutis- mus’ (b), er wird durch

Millionen von leibeigenen Bauern

semantisiert und als

Joch

bezeich- net, von dem ‘Rußland’ befreit werden muß. In diesem Zusammenhang werden die

Namen

Peter I. (5mal), Ekaterina U. (2mal) und S. Razin genannt

Die zweite in den Belegen auftauchende Gesellschaftsform ist der ‘Kapitalismus’ (c), von dem es heißt, daß

dessen intensive Entwicklung in Rußland

durch einen

Mangel an bürgerli

-

chem Bewußtsein im Volk

behindert werde. Es wird postuliert, daß der Kapitalismus in Ruß- land wesentlich später als in den westeuropäischen Ländern zur vorherrschenden Gesell- schaftsform geworden sei, weshalb Zeitgenossen der Überzeugung gewesen seien,

Rußland könne ihn überspringen und sogleich zur sozialistischen Gesellschaftsform übergehen.

In die-

sen thematischen Bereich fallen die

Namen

Bestužev-Rjumin, Stolypin, Herzen, Belinskij, Plechanov und CemySevskij, bei denen es sich z.T. um wichtige Vertreter und Verbreiter des revolutionären Gedankens in Rußland handelt. Darüber hinaus werden die ‘Gesellschaft der vereinigten Slaven’, die ‘Südliche Gesellschaft’, die *Dekabristen’ und die ‘Narodniki’ genannt.

An Personengruppen tauchen der

Adel,

die

IntelligetKija

(2mal),

Soldaten

,

Matrosen

und

Ar

-

beiter

auf

Der dritte geschichtsbezogene Bereich (d) hat verschiedene Gesellschaftsformen zum The- ma, die in Rußland etabliert werden könnten. So wird von der

Schaffung eines Rechtsstaates

in Rußland

gesprochen (2mal), von der Umwandlung Rußlands in eine

demokratische Repu

-

blik

und von der Errichtung einer

konstitutionellen Ordnung

in ganz Rußland. Die tatsächliche historische Entwicklung Rußlands um die Jahrhundertwende wird als

Erstarken extremer poli

-

tischer Randgruppen

beschrieben, denen ein verhältnismäßig

schwaches Zentrum

, das als

übe-

ral

bezeichnet wird, gegenüber steht Des weiteren ist von

Arbeiterräten

die Rede, die als

Or-

gane im revolutionären Kampf

und als

örtliche Machthaber

bezeichnet werden. Interessan- terweise wird das Ereignis der Oktoberrevolution in den hier besprochenen Belegen insgesamt nicht erwähnt, d.h. es scheint für die Semantisierung des Konstrukts ‘Rußland’ auch in histori- scher Perspektive keine Rolle zu spielen, obwohl die Aufzählung der verschiedenen für

Ruß-land möglichen Gesellschaftsformen die Revolution als Umbruch und Neuanfang eigentlich voraussetzt und damit indirekt thematisiert.

Der vierte Bereich (e), der das Verhältnis Rußlands zu den anderen slavischen Ländern be*

inhaltet, ist relativ schwach ausgeprägt und thematisiert insgesamt das gute Verhältnis des rus- sischen Volkes zu den anderen slavischen Völkern.

Nimmt man die

Oppositionen

hinzu, so bestätigen diese zunächst das bisher entworfene Bild: Eine Opposition thematisiert das friedliche Verhältnis zwischen dem russischen Volk und den anderen slavischen Völkern, eine weitere artikuliert den Gegensatz zwischen dem

einja- chen Volk

und der

russischen Intelligencija

, eine dritte den Gegensatz zwischen den erwähnten

extremen politischen Randgruppen

und dem

liberalen Zentrum

Der größte Teil der Opposi- tionen, nämlich 9 der insgesamt 14 Oppositionspaare artikulieren jedoch einen Gegensatz, der bisher noch nicht thematisierest wurde, und zwar den zwischen 1Rußland’ und ‘Westeuropa’

Rußland

wird in diesem Zusammenhang fast durchgehend als das

Westeuropa

unterlegene Land dargestellt, das weniger weit entwickelt ist, in dem noch die Leibeigenschaft herrscht, während in Europa bereits eine kapitalistische Gesellschaftsordnung dominiert

Rußland

wird als

von den neuesten europäischen Geistesströmungen isoliert

charakterisiert, und es wird als erstrebenswert angesehen, daß

Rußland in das Leben und die Kultur Westeuropas hinein- wachse

‘Rußland’ stellt zwar eine

Großmacht

dar, der allgemeine Zustand des Landes wird jedoch im Vergleich zu den entwickelteren westlichen Großmächten als äußerst schlecht beur- teilt Die einzige Ausnahme in diesem Bild der durchgängigen Unterlegenheit ‘Rußlands’ bildet der Hinweis, daß Rußland Anfang des 20 Jahrhunderts weltweit über

das größte Produkttons- volumen landwirtschaftlicher Erzeugnisse

verfugte

Tab 12, Gegenwartsbezogene semantische Komponenten von 'Россия' (Rußland) im russischen Interdiskurs

Positive Attribute Negatives

живем в одном доме; мы все дети одной

большой страны; крупнейшее государство мира;

многонациональная страна, равноправные граждане России - Россияне; слава, богатство, великая страна; родной язык, все в ней для нас родное; наше отечество, наша родина; матушка;

Россия - дорога; мать; красивая русская приро־

да, русская природа; Россия самое большое из бывшее государств СССР;

наши беды и трудности: военные кон- фликты, преступность, безработица, дороговизна товаров, низкая зарплата,

Kollektivsymbole Oppositionen

лом, дети; родина (3), отчизна (2), отечество (3) Россия больше - чем Канада, Кіпай, США

151 weiteren wird auch Negatives zur Konstruktion des aktuellen ‘Rußland’ herangezogen, so ist von

Sorgen und Schwierigkeiten

die Rede, von

militärischen Konflikten

, von

Kriminalität

,

Arbeitslosigkeit

,

hohen Lebenshaltungskosten

und

niedrigen Einkommen.

Es werden folgende, z.T. bereits erwähnte Kollektivsymbole zur Semantisierung von ‘Rußland1 verwendet:

Haus

,

Kinder

,

Heimat

(3mal),

Vaterland

(5mal), und

Arbeitslosigkeit.

Es kommt nur eine Opposition vor, und zwar wird darauf hingewiesen, daß Rußland territorial größer ist als Kanada, China oder die USA.

Tab. 13, Das semantische Profil von оссийская Империя' (Russisches Imperium) im russischen Interdiskurs

Das Konstrukt ‘Russisches Imperium’ wird im russischen Textkorpus 9mal in ereigniskon- struktiver Funktion verwendet, und zwar größtenteils aus historischer Perspektive, es wird als

großer utid mächtiger Staat

charakterisiert, in dem

viele Nationen

leben und dessen

größter Teil in Europa

liegt Es wird hervorgehoben, daß

die meisten Gouvernements des ,Russischen Imperiums

'

europäisch sind

und gemeinsam das sogenannte

Großrußland

bilden. Des weiteren gibt es eine semantische Komponente, die sich auf die Gründung des Russischen Imperiums bezieht und eine, in der die Bedeutung der Oktoberrevolution für das ‘Russische Imperium’

angedeutet ist. Es wird allein der

Name

‘Peter des Großen' genannt, von den insgesamt 4

Cp

־

Positionen

beziehen sich drei auf den Gegensatz ‘Rußland vs. Westeuropa’ und eine auf den innerrussischen Gegensatz zwischen dem

Willen des Volkes

und der

Macht des bürokratischen Apparates im zaristischen Rußland.

Das Konstrukt ‘Russisches Imperium’ scheint in weiten Teilen seiner Semantik mit dem Ereigniskonstrukt ‘Rußland’ übereinzustimmen, auffallend ist die starke europäische Komponente, die das Russische Imperium zum einen als

europäische Großmacht

charakterisiert, die zum anderen im Bereich der Oppositionen den wesentlichen Vergleichspunkt ausmacht.

4.4. Vergleich d er semantischen Profile von 'Россия' (R ußland) im sowjetischen und im russischen Interdiskurs

Vergleicht man die semantischen Profile des Konstrukts ‘Rußland’ im sowjetischen und im russischen Interdiskurs miteinander, so fallt zunächst auf, daß ‘Rußland’ im sowjetischen In- terdiskurs nicht über einen ein gegenwärtiges, aktuelles Rußland charakterisierenden semanti- sehen Teilbereich verfugt. Im sowjetischen Interdiskurs wird ‘Rußland’ durchgehend aus histo- rischer Perspektive dargestellt, der Begriff wird nur in bezug auf Orte und Ereignisse, die das vorrevolutionäre und revolutionäre Rußland betreffen, angewendet, in bezug auf das nachre- volutionäre Rußland wird er vermutlich durch das Ereigniskonstrukt ‘Sowjetunion’ ersetzt.

Der das gegenwärtige, aktuelle Rußland charakterisierende semantische Teilbereich des Kon- strukts ‘Rußland’ im russischen Interdiskurs muß daher im folgenden mit dem entsprechenden Bereich des Konstrukts ‘Sowjetunion’ im sowjetischen Interdiskurses verglichen werden An dieser Stelle werden jedoch zunächst die historisch orientierten semantischen Profile des Kon- strukts ‘Rußland’ im sowjetischen und russischen Interdiskurs besprochen

Die Eigenschaften, die zur Konstruktion des

historischen Rußland

in beiden Diskursen an- gewendet werden, stimmen weitgehend überein, im russischen Interdiskurs werden allerdings die Ukraine, Weißrußland, das Baltikum und die ehemals südsowjetischen Staaten nicht mehr,

wie noch im sowjetischen Interdiskurs, als *alte russische Erde* bezeichnet, statt dessen be- schränkt man sich au f die Betonung der guten Beziehungen zwischen Rußland und diesen Län- dem Im russischen Interdiskurs ist also naheliegenderweise die Notwendigkeit der Legitimati- on des sowjetischen Staates durch die Konstruktion eines historischen 4Großrußland' entfallen.

Des weiteren finden sich im semantischen Profil "Rußlands* im russischen Interdiskurs nicht nur, wie im sowjetischen, positive Eigenschaften desselben, sondern es wird auch Negatives genannt, was als Hinweis auf das Bemühen einer neutralen Darstellung des historischen Ruß- land gedeutet werden kann Die in beiden Interdiskursen zur Konstruktion 'Rußlands* verwen־

deten Kollektivsymboie stimmen genau überein.

Im Hinblick auf die in beiden Diskursen in bezug auf das Konstrukt *Rußland' entworfenen Geschichtsbilder lassen sich zunächst im sowjetischen Interdiskurs drei wesentliche Bereiche unterscheiden, und

zwar die vorrevolutionäre Geschichte Rußlands. Rußland zur Zeit der Re- volution

und

die nachrevolutionäre Geschichte Rußlands

(vgl. Tab. 9). Die vorrevolutionäre Geschichte Rußlands wird dabei ausschließlich im Hinblick auf die Oktoberrevolution kon- struiert, so daß diese zur notwendigen Konsequenz der geschichtlichen Ereignisse wird. Das Ereignis der Revolution wird damit in der sowjetischen Geschichtsschreibung zum zentralen Wendepunkt der russischen Geschichte gemacht. Das rückständige, durch

Unterdrückung und Unfreiheit

gekennzeichnete Rußland wird durch die

Revolution

zum

fortschrittlichen soziali- stischen Sowjetstaat

, der eine Vorreiterrolle in der Welt und vor allem auch dem Westen ge-

genüber einnimmt

Im russischen Interdiskurs haben sich dieses Verständnis der Geschichte Rußlands und die zu ihrer Konstruktion verwendeten Begriffe grundlegend geändert (vgl. Tab 11). Die russische Geschichte wird hier nicht mehr in eine vor- und eine nachrevolutionäre Phase unterteilt und das Ereignis der Oktoberrevolution selbst wird bei der Konstruktion des neuen russischen Ge- schichtsbildes kaum mehr berücksichtigt. Sozialistisch geprägte Begriffe wie

die Arbeiterbewe-

gung, Revolutionsbewegung, Streiks, Marxismus, sozialistische, kommunistische Partei

.

Le-

nin

,

die rote Fahne des Sozialismus, die Arbeiter und Bauern Rußlands

usw. finden sich ent- sprechend im russischen Interdiskurs überhaupt nicht mehr. Statt dessen wird die Geschichte seit Peter dem Großen anhand der verschiedenen in Rußland herrschenden Gesellschaft ssyste- me aufgerollt. In Übereinstimmung mit dem sowjetischen Interdiskurs wird die Zeit des Abso- lutismus in Rußland ablehnend beurteilt, diese wird, wiederum beiden Diskursen zufolge, durch den *Kapitalismus* abgelöst, der übereinstimmend im Verhältnis zum Absolutismus positiv beurteilt wird. Während dem sowjetischen Interdiskurs zufolge der

Kapitalismus

in Rußland

mit Hilfe der

Revolution

durch den

Sozialismus

abgelöst und nun im Verhältnis zu diesem als überholt dargestellt und, besonders was den Kapitalismus in Westeuropa anbelangt, negativ beurteilt wird, wird im russischen Interdiskurs nicht deutlich von einem Ende der kapitalisti- sehen Gesellschaftsform gesprochen Es werden vielmehr verschiedene für Rußland mögliche Gesellschaftssysteme aufgezählt, Begriffe wie

Rechtsstaat

,

demokratische Republik

und ver-

fassungsmäßige Ordtmng

finden Verwendung. Die tatsächliche Entwicklung selbst wird hin- gegen kaum bzw. nur indirekt thematisiert. Daß es die Oktoberrevolution tatsäc₪ch gegeben hat, kann man aus diesem Diskurs in bezug auf das Konstrukt ‘Rußland1 nur indirekt schließen, da die Aufzählung der verschiedenen möglichen Gesellschaftssysteme so etwas wie eine Re- volution, die Zerstörung der bisherigen gesellschaftlichen Ordnung und damit die Notwendig- keit eines Neuanfangs voraussetzt. Des weiteren finden sich einige Hinweise, die die Entwick- lung in Rußland nach der Revolution im Gegensatz zum sowjetischen Interdiskurs als negativ und für Rußland nachteilig bewerten. Im Bereich der Namen finden sich zwar fast alle für einen gesellschaftlichen Umbruch in Rußland stehenden Personen, wie etwa

Herzen, Cemysevskij

und

Plechanov

, nur

Ijenin

fehlt, jedoch werden nun die Revolutionäre von einst als

extreme Randgruppe

bezeichnet, der unglücklicherweise nur ein relativ

schwaches gesellschaftliches liberales Zentrum

gegenüber steht. Es werden zudem nicht mehr wie noch im sowjetischen Interdiskurs ausschließlich revolutionäre, sondern auch andere politische und gesellschaftliche Gruppen genannt, wie etwa

die Liberalen

,

die Intelligencija

und

Angehörige des Adels.

Im Hinblick auf die nachrevolutionäre Zeit finden sich im russischen Interdiskurs nur sehr wenige und vage Hinweise auf den sowjetischen Staat und die sozialistische Gesellschaftsordnung Beide werden in bezug auf das Konstrukt ‘Rußland’ kaum mehr erwähnt und ‘Rußland’ wird nun auch nicht mehr jene Vorreiterrolle zugeordnet, die ihm im sowjetischen Interdiskurs als erstem sozialistischen Land, in dem der Kapitalismus überwunden wurde, noch eigen war Statt dessen wird *Rußland* nun vor allem in bezug auf das kapitalistische Gesellschaftssystem des Westens beurteilt und hier fast durchgehend als unterlegen gekennzeichnet.

4.5. Das Ereigniskonstrukt 'Советский Союз' (Sowjetunion) im sowjetischen Interdiskurs

Das Konstrukt ,Советский Союз' (Sowjetunion) kommt insgesamt 65mal in ereigniskonstruk- tiver Funktion vor, es tritt in den Varianten *Советский Союз’ (Sowjetunion) 7, 'Союз совете- ких социалистических республик' (Gemeinschaft der sowjetischen sozialistischen Republiken) 6, 'СССР* (SSSR) 6, 'советское государство' (der sowjetische Staat) 6, 'советская страна' (das

155

Tab. 14, Das semantische Profil von 'Советский Союз' (Sowjetunion) im sowjetischen Interdiskurs

Oppositionen

наша партия и ее вождь В. И. Ленин белогвардейцы, иностранные армии, капита- листы и помещики

советская власть белые казаки, в р а т

Советская страна фашисты

труд война

Z u s a m m e n f a s s u n g d e s s e m a n t i s c h e n P r o f i l s v o n ,С о в е т с к и й С о ю з

'

( S o w j e t u n i o n ) i m s o w j e t i s c h e n I n t e r d i s k u r s (lab. 14)

Bei dem in den sowjetischen Schulbüchern vermittelten Bild der *Sowjetunion* handelt es sich vor allem um ein aktuelles, die (sowjetische) Gegenwart betreffendes Konstrukt. Die Sowjet- union (a) wird als

mächtige

,

eitiheitliche Großmacht

, als

sowjetische Heimat

und

sowjetischer Staat

bezeichnet, der aus

15 Republiken

besteht. Die sowjetischen Republiken leben zugleich

selbständig und gemeinsam;

sie haben sich immer in allem gegenseitig unterstützt, es handelt sich um

Bruderstaaten.

Es wird die

Freundschaft zwischen den Werktätigen aller Nationall

-

täten

Rußlands und die

Kooperation zwischen den Völkern der Sowjetunion

betont. Insgesamt sei es ein

großes Glück, Bürger der Sowjetunion zu sein.

Als weitere wesentliche Komponen- ten des Konstrukts ‘Sowjetunion’ werden die

kommunistische Partei

,

Lenin, die Sowjetmacht

(9mal),

die rote Fahne des Sozialismus

(3mal),

der Tag der Arbeit am I. Mai

(2mal) sowie die

Pioniere

,

Komsomolzen

und

Kommunisten

genannt Darüber hinaus wird der

Kommunismus

(2mal) als

sowjetische Macht plus Elektrizität im ganzen Land

(Lenin), bzw als

das wunder- barste und schönste Ijeben a u f der ganzen Welt

bezeichnet Die Sowjetunion, das sind des weiteren

neue Fabriken, neue Häuser

und

Schulen,

das sind die

Eisenbahn

und

die Elektrizi•

tät,

das sind die

Gelehrten und Wissenschaftler

, die u.a. die erste sowjetische Rakete gebaut haben Die Sowjetunion verfugt über eine

weise und gerechte Verfassung.

Für jeden sowjeti- sehen Menschen stellt

Arbeit eine Sache der Ehre

dar Zur Sowjetunion gehört die

Rote Ar

-

mee,

die über die

modernsten Waffen

verfugt, die jedoch allein auf die

Verteidigung des Ixui

-

des

ausgerichtet ist und niemals ein anderes Land zuerst angreifen würde Insgesamt wird das Konstrukt ‘Sowjetunion’ also vor allem als etwas gegenwärtiges, aktuelles konstruiert, eine historische Perspektive ist nur sehr schwach ausgeprägt, die Geschichte der Sowjetunion be- ginnt mit der

Oktoberrevolution

, die in diesem Zusammenhang 2mal erwähnt wird.

Nimmt man die

Kollektivsymbole

hinzu, so wird die ‘Sowjetunion’ durch diese als friedli- ches, freundschaftliches und heimatliches Land dargestellt. Das Kollektivsymbol

Heimat

kommt 5mal vor,

Vaterland

2mal, die Begriffe

Familie

und

freundschaftliche Familie

werden

genannt sowie

Freundschaft der Völker

und

freiheitlich. Frieden

wird 5mal genannt,

Staat

kommt 6mal vor,

Arbeit, Krieg, Haus

und

Gesundheit ]ъ

einmal

Die der Sowjetunion zugeschriebenen

Eigenschaften

(b) bestätigen das bisher entworfene Bild: sie wird als

gerechter

und

unzerstörbarer Staat

bezeichnet, als

unbesiegbares Ixmd

(3mal), als

freundschaftliche Familie gleichberechtigter Völker

und als

das beste Land der Erde

Des weiteren finden sich die Adjektive

heimatlich, reich

,

stark, schön

,

groß, frew id

־

schaftlich

,

gut, feurig, mächtig, fröhlich, stolz

,

frei

und

am meisten geliebt.

Die Sowjetunion stellt das

Glück des Volkes

und die

Hoffnung der ganzen Welt

dar, es ist das

Ixm dder Erfinder und Entdecker

5 der insgesamt 7 in diesem Bereich auftretenden Oppositionen haben den Gegensatz zwi- sehen der

Sowjetunion

und

Rußland

zum Thema, wobei das Konstrukt ‘Sowjetunion1 hier durch die

Komponenten neuer Staat, starke Großmacht

,

Arbeiter und Bauern Rußlands,

die

kommunistische Partei

,

Lenin

und die

Sowjetmacht

vertreten ist, während

Rußland

durch die Komponenten

zaristisch

,

rückständig

und

verwüstet

,

Kapitalisten rnid Gutsbesitzer

(2mal) sowie

Weißgardisten

semantisiert wird, genannt werden außerdem

auslättdische Armeen

(2mal) Der bereits im Hinblick auf das Ereigniskonstrukt ‘Rußland* erwähnte Gegensatz zwi- sehen dem

vorrevolutionären Rußland

und dem

nachrevolutionären sowjetischen Staat

, kommt also auch hier zum Ausdruck, die bisher schwach ausgeprägte historische Komponente des Konstrukts ‘Sowjetunion* wird durch die Oppositionen insofern noch etwas gestärkt Die verbleibenden beiden Oppositionen thematisieren einerseits den Gegensatz ‘Sowjetunion vs.

Faschisten’, andererseits den Gegensatz *Arbeit vs. Krieg*

4.6. Die gegenwartsbezogenen Komponenten von 'Советский Союз' (Sow jetunion) im sowjetischen und 'Россия* (RufiUnd) im russischen Interdiskurs

Im folgenden sollen diejenigen semantischen Komponenten der Ereigniskonstrukte

‘Sowjetunion* im sowjetischen Interdiskurs (vgl. Tab. 14) und ‘Rußland1 im russischen Inter- diskurs (vgl. Tab 12) besprochen werden, die deren aktuellen, auf die Gegenwart bezogenen semantischen Bereich ausmachen. Es wurde ja bereits erwähnt, daß die Vermutung besteht, daß beide Konstrukte in ihrem jeweiligen Diskurs ganz ähnliche Funktionen haben bzw. über eine ähnliche Semantik verfugen. Es scheint, daß das Konstrukt ‘Sowjetunion*, zumindest was den aktuellen semantischen Bereich desselben betrifft, im russischen Interdiskurs durch das Konstrukt ‘Rußland' ersetzt wurde. Die wesentlichen Elemente der beiden Ereigniskonstrukte werden hier noch einmal im Überblick gegenüber gestellt:

Tab 15, Das auf die Gegenwart bezogene semantische Profil von 'Советский Союз' (Sowjet- union) im sowjetischen Interdiskurs und 'Россия* (Rußland) im russischen Interdiskurs 'Советский Союз’ (Sowjetunion)

Sowjetischer Interdiskurs

'Россия' (Rußland) Russischer Interdiskurs

многокомнатный дом, дружная семья доме; мы все дети одной большой страны, мать

родина, отечество, родной родина, отечество, отчизна, родной великая страна, 15 республик великая, многонациональная страна лучшая страна на свете крупнейшее государство мира непобедимая страна, могучий военное могущество

большая, дружная, сильная страна очень сильная и большая страна

слава, богатая страна слава, богатство

равноправные народы равноправные граждане

мир и сотрудничество между народами советская власть

рабочие и крестьяне, труд заводы, фабрики, электричество коммунизм, Ленин

коммунистическая партия братство

народное счастье

Auffallend ist die in weiten Teilen gleiche Semantisierung der beiden Konstrukte. Sowohl die ‘Sowjetunion* als auch ‘Rußland* werden durch die Begriffe

Haus, Familie

, bzw

Kituier

eines großen Ixrndes,

durch

Heimat

,

Vaterland

und

heimatlich

semantisiert sowie durch

bestes

Ixmd

bzw

größter Staat der Welt.

Sie werden jeweils als

mächtiges Ixmd

und

militärische

Macht

dargestellt, ihnen werden die Adjektive

groß, stark, reich

,

ruhmreich

zugeordnet, und es ist jeweils von den

gleichberechtigten Völkern

bzw

Bürgern

die Rede Im sowjetischen Interdiskurs findet sich darüber hinaus in der Semantik von ‘Sowjetunion’ eine ausgeprägte

Auffallend ist die in weiten Teilen gleiche Semantisierung der beiden Konstrukte. Sowohl die ‘Sowjetunion* als auch ‘Rußland* werden durch die Begriffe

Haus, Familie

, bzw

Kituier

eines großen Ixrndes,

durch

Heimat

,

Vaterland

und

heimatlich

semantisiert sowie durch

bestes

Ixmd

bzw

größter Staat der Welt.

Sie werden jeweils als

mächtiges Ixmd

und

militärische

Macht

dargestellt, ihnen werden die Adjektive

groß, stark, reich

,

ruhmreich

zugeordnet, und es ist jeweils von den

gleichberechtigten Völkern

bzw

Bürgern

die Rede Im sowjetischen Interdiskurs findet sich darüber hinaus in der Semantik von ‘Sowjetunion’ eine ausgeprägte