Im
Mai 1909 sind auch die Börsenbräuche neu revidiert worden Augenfällig hieran ist eine eigen-artige Kursfeststellung. Sie erfolgt durch ein Mit-glied des Börsenvorstandes aufGrand
der von den Maklern ermittelten Geschäfte und aufGrund
von Anmeldezetteln, die von gewissen Firmen nach Ein-zeichnungihrer Abschlüsse in eigens hierzu aufgestellteKästen gelegt werden.
Wie
es viel zu weit führen würde an den Börsen, die wir speziell hier insAuge
gefaßt haben, all die kleinen Unterschiede beziehentlich der Börsenzeit, der Zulassung von Wertpapieren, des Kurszettels, der Courtage, der Prämienerklärung etc. etc. zu erwähnen, so ginge auch eine Vergleichung der Verhältnisse sämtlicher deutscher Börsen über den Ralmien und das Ziel unserer Betrachtung.Erwähnt
sei nur noch, daß sich nur für den Wechselhandel in Ermangelung einer reichsrechtlichenRegelungweitgehende Besonder-heiten an den verschiedenen Börsenplätzen Deutsch-lands herausgebildet haben.Im
ganzen betrachtet liat sich der Staatimmer
mein* in die ursprünglichauto-nomen
Börsenverhältnisse eingemischt. Seit d(^m Er-laß deslleichsböis(;nge,s(^l,zes und der damitzusaiiimoii-hängenden Gesetzesbestimmungenübt Reichund
Einzel-—
19—
Staat
zusammen
eine glatte Kuratel über die deutschen Börsen aus.§ 6. Die
Wiener
Börse.Am
1. August 1771wurde
durch ein kaiserliches Patent die Errichtungeiner Börse inWien
angeordnet.Als eine rein staatliche
Gründung
steht sie von Be-ginn an unter der Aufsicht von Staatsbeamten.Auch
die Leitung lag in den
Händen
von Regierungsorganen.Die Börsenbesucher waren von der Aufrechterhaltung der
Ordnung und
der Leitung vollständig ausge-schlossen. Für alle Börsengeschäfte bestand Ver-mittlungszwang durch vereidete Makler, sogenannte Sensale.Durch ein späteres Gesetz
vom
1. Januar 1855 wurde das staatliche Aufsichtsrecht noch erweitert, vor allem wurden weitgehende Vorschriften über die Liquidationstermine gegeben.Ungefähr zwanzig Jahre später
kam
es zu einer gänzlichen Neuregelung der Börsengesetzgebung. Die Ursachen lagenzum
Teil in Kollisionen des Gesetzesvom
Jahre 1855 mitdem
sich weiterausgestaltenden deutschen Handelsrechte,zum
Teil indem
Bankkrachvom
Jahre 1873.Auch
hatteman
eingesehen, daß das bestehende staatlicheRegime
und die Ausschal-tung jeder Autonomie ein wenig fruchtbarerBoden
für den Handel war. So entschied sich dieRegierung, der Börse eine autonome Verfassung zu geben und nurdie wesentlichstenGrundsätze gesetzlichzufixieren.
Lii Gesetz
vom
1. April 1875 ist das denn auch tat-sächlich geschehen; derAutonomie der Börse ist darin Spielraum belassen, während der Staat sich dieUber-wachung
vorbehielt. Die Börsen stehen unter einer2*
—
20—
selbständigen Leitung bei staatlichem
Überwachungs-recht. Zur Errichtung einer Börse bedarf es der Ein-willigung des Finanz- und des Handelsministers. Die Oberaufsicht führt ein staatlicher Börsenkommissar.
Die Börsenleitung hat die statutarische Regelung des Börsenverkehrs*^ und ein weitbegrenztes Ordnungsstraf-recht. Bis
zum
Jahre 1900 hat das österreichische Ministerium tatsächlich dieBörsenziemlich freischalten und walten lassen.Im
Jahre lUOO aber veranlagte die ans Tageslichtgekommene
Uberspekulation ein tieferes Eingreifen der Regierung. EineZulassungsstelle wurde eingeführt, die Börsengeschäfte wurden mit einer höheren Steuer belegt, die Schiedsgerichtsbarkeit der Börsen erweitert, die Zulassungzum
Börsenbesuchewurde
erschwert und eine besondere Disziplinarkom-mission eingesetzt, bei welcher sich jene Börsen-besucher zu verantworten haben, die in Börsen-geschäften die kaufmännische Ehre verletzen. Speziell für die Produktenbörse wurde bestimmt, daß ein Ver-treter der Landwirtschaft Vizepräsident der Produkten-börse sein muß.Das Gesetz
vom
1. April 1875 schafft Recht auch für die anderen österreichischen Börsen.§ 7. Die Parissr Börse.
Die Entwicklung derBörse in Paris läßt sich nur lückenhaft und unsicher über das Jahr 1724 hinaus zurückverfolgen. Spuren eines börsenmäßigen Ver-kehrs reichen sehr weit zurück. Ursprünglich hören wir von derartigen Versammlungen, daß sie aus Kauf-leuten })estanden, die bald an diesem, l)ald an jenem Ort
zusammenkamen.
Durch ein Regierungsreglementvom
27. S(ipt(Hnb(^r 17J4 erhielten dieseVersamni-—
21—
lungen eine feste Organisation und festen Sitz
im
Hotel de Nervers. Bestimmte Börsenstunden waren vorgeschrieben und auch schon gewisseEintritts-beschränkungen gegeben: Nichtkaufleuten war der Zutritt untersagt. Die Vermittlung der Geschäfte lag ausschließlich in den
Händen
von sechzig agents de change. Es waren dies Wechselmakler mit Staats-beamtencharakter.Auch
dieWarenmakler
hatten ursprünglich diese öffentlichrechtliche Stellung; dasGewerbe
der letzteren wurde aber im Jahre 1866 freigegeben. Die Fondsmaklerstellen waren von jeher käuflich und sind es noch heute.Für die Ausgestaltung der Organisation ist ein Gesetz aus
dem
Jahre 1801 von großer Bedeutung.Hierdurch wurde die äußere
Ordnung
an der Börse in dieHände
der Staatspolizeigewalt gelegt, speziell in Paris in dieHände
desPolizeipräfekten, Inmanchen
Punkten ist er auf die Mitwirkung der chambre syndicale angewiesen,, z. B. bei der Festsetzung der Börsenstunden. Diese letztere hat übrigens eine ver-hältnismäßig ansehnliche Autonomie und übt gleich-zeitig ehrengerichtliche Funktion.Im
Mittelpunkte der Pariser Börse steht das Institut der vereideten Makler. Sie sind, wieer-wähnt,
Beamte
und haben die Geschäfte in denoffiziell zugelassenen
Werten
zu vermitteln. Ihre Er-nennung erfolgt durch die Regierung, die ihnen dasMonopol
auf Festsetzung der Kurse verliehen hat.Nach
der Ernennung haben sie den Staatsbeamteneid vordem
Handelstribunal zu leisten. In ihrerGesamt-heit bilden sie das „parquet", so genannt nach
dem
von einer Schrankeumgebenen
Orte,wo
die Maklersich w^ährend der Börsenstunden aufhalten. In der
Mitte des parquet befindet sich ein kleiner abge-sperrter
Raum,
die sogenannte „corbeille"-Zu dem
parquet hat niemand Zutritt außer diesen Maklern bezw. deren
commis
principaux.Neben dem
parquet hat von jeher ein freiererMarkt bestanden, die coulisse.
Im
Gegensatz zu denstaatlich angestellten
und
privilegierten Maklern des Parketts sind die selbständigen Vermittler indem
kulissenähnlichen Seitenräumen der Börse nur ge-duldet; diese beiden
Gruppen
haben sich häufig starke Konkurrenz gemacht. Das Parkett hat auch öfter Prozesse mit der ungesetzmäßigen Kulisse geführt, die letztere oft schv^er schädigten und hin und wieder sogar vorübergehend vollständig lahm legten. In der Gegenwart jedoch hat die gegenseitige Konkurrenz aufgehört und damit auch der Streit.Denn
seit der Reorganisation der Börseim
Jahre 1898 hat die Kulisse nur noch den Handel in niclitnotiertenWerten und
den Hauptteil des Terminhandels, insbesondere in südafrikanischenGoldminenaktien. Diese Geschäfts-zweige sindvom
Parkett ausgeschlossen. Andererseitsist der Kulisse der Handel in offiziell zugelassenen
Werten
verboten.Das schon erwähnte Institut der chambre syndi-cale ist später hinsichtlich seiner Autonomie und übrigen Rechte noch ausgestaltet worden. Seit einer Verordnung
vom
29. Mai 1816 hat dieKammer
die Funktion eines Disziplinargerichtshofs. Seit 1880 fungierte sie auch als Zulassungsstelle. Sie ist zur Verhängung folgender Strafen zuständig: 1. Verweis,2. Tadel, 3. Untersagung des Eintritts in die Börse auf einen Zeitraum bis zu drei Monaten.
Den
weitgehenden Rechten derMaklerkammer
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verdankt es die Pariser Börse, daß sie trotz des staat-lichen Aufsichtsrechtes noch heute, wenigstens
dem Pubhkum
gegenüber, ein frei zugänglicher Markt ist.Dies trifft auch auf dieübrigen französischenBörsenzu.