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K ONSILIARPSYCHIATRISCHER B EHANDLUNGSBEDARF

Jakubaschk et al. (1978) haben versucht, die bei der Planung und Einrichtung psychiatrischer Dienste wichtigen Begriffe „Bedürfnis“, „Behandlungsbedürftigkeit“ und „Bedarf“ zu definieren.

Für die sinnvolle Planung einer psychiatrischen Versorgung müssen Informationen vorliegen über die Inanspruchnahme wie auch über einen möglichen Fehlbedarf. Der festgestellte aktuelle Gesamtbedarf setzt sich dabei zusammen aus dem bereits gegenwärtig abgedeckten Bedarf und dem Fehlbedarf, also den ggf. fehlenden Kapazitäten. In der Psychiatrie stellen sich dabei vier Probleme, nämlich die Definition der Behandlungsbedürftigkeit, die Erfassung der Behandlungsbedürftigen, die Frage der Behandlungsbereitschaft und die in bestimmten Grenzen möglichen Alternativen der institutionellen Plazierung (Jakubaschk et al. 1978). Die Ermittlung des Gesamtbedarfs an psychiatrischer Behandlungsbedürftigkeit ist schwierig, jedoch kann „für viele administrative und evaluative Zwecke ... eine Bedarfsermittlung, die auf der Nutzung vorhandener psychiatrischer Institutionen basiert, ausreichendes Zahlenmaterial (liefern)“ (S. 206). Auch können, so wurde in der Psychiatrie-Enquête verfahren, „Kernbereiche“

psychischer Störungen benannt werden, die keine wesentlichen quantitativen Veränderungen in naher Zukunft erwarten lassen.5

Die Häufigkeit psychischer Störungen bei körperlich kranken Allgemeinkrankenhauspatienten weist auf einen prinzipiellen Behandlungsbedarf hin, sagt aber nichts über dessen Umfang aus.

Bislang gibt es nur wenige Untersuchungen zum konsiliarpsychiatrischen Behandlungsbedarf (Creed 1996). Wancata et al. (1998) bestimmen in ihrer Stichprobe den Bedarf an Zuweisung zum Konsiliarpsychiater mit 13%, in 3% wurde die Verlegung in eine psychiatrische

Behandlungseinrichtung für indiziert gehalten, Das heißt, daß hier nur bei etwas mehr als der Hälfte der Patienten, bei denen eine psychische Erkrankung festgestellt worden war, während der aktuellen somatischen Behandlung eine konsiliarpsychiatrische Behandlung für nötig erachtet wurde. In der Lübecker Allgemeinkrankenhausstudie wurde in Anlehnung an die von Jakubaschk et al. (1978) vorgenommenen Erörterungen der aktuelle Behandlungsbedarf von internistischen und chirurgischen Patienten während der stationären Behandlung geschätzt: bei 29% der internistischen Patienten war eine konsiliarische Betreuung indiziert (definiert als 1 - 2

5 In der Psychiatrie-Enquête waren damit der Bereich der „schweren und chronischen psychischen Behinderungen“

angesprochen worden, sowie „die großen Psychosen, Gehirnerkrankungen und die Abbauprozesse des höheren Lebensalters“ (Deutscher Bundestag 1975, S.77).

Konsiliarbesuche mit dem Ziel der Diagnostik, Beurteilung der gegenwärtigen psychischen-somatischen Krankheitssituation, ggf. pharmako- oder kurzpsychotherapeutischer Intervention).

Eine liaison-psychiatrische/psychosomatische Intervention (definiert als regelmäßige

Mitbehandlung eines Patienten und/oder Beratung des somatischen Behandlungsteams), war bei 8% erforderlich. Bei den chirurgischen Patienten war in 31,5% eine konsiliarische

Vorgehensweise indiziert, zusätzlich bei 24,5 % eine liaisonpsychiatrisch-psychosomatische Vorgehensweise. Die Liaisonbetreuung wurde im wesentlichen bei depressiven Patienten für indiziert erachtet. In 30% wurde eine psychotherapeutische Intervention (zumeist supportive Psychotherapie) für notwendig erachtet, in etwa 20% eine Pharmakotherapie (überwiegend mit Antidepressiva) sowie bei 20 - 25% der Patienten soziotherapeutische Maßnahmen (Arolt 1997, S.134). Die für eine ausreichende konsiliar-liaisonpsychiatrisch-psychosomatische Versorgung der untersuchten internistischen und chirurgischen Abteilungen notwendige Ausstattung an ärztlichen Mitarbeitern wurde auf 5 - 6 Mitarbeiter zur Deckung des hochgerechneten Bedarfs geschätzt (Arolt 1997, S.142-144). Zu dieser Berechnung merkt Creed (1996) allerdings kritisch an, daß einige der für indiziert erachteten Interventionen wie z.B. soziotherapeutische

Maßnahmen möglicherweise auch von anderen psychosozialen Diensten durchgeführt werden könnten.

Ein anderer Ansatz wird von der Liaisonpsychiatry Group des Royal College of Psychiatrists verfolgt, die zur Schätzung des psychiatrischen Behandlungsbedarfs der Patienten eines All-gemeinkrankenhauses dieses als äquivalent zur Hälfte eines psychiatrisch zu versorgenden Sektors werten (House & Hodgson 1994). Zugrundegelegt wird ein „typisches“ Krankenhaus der Schwerpunktversorgung mit regionaler Zuständigkeit für 250.000 Menschen. Erwartet wird eine jährliche Überweisungsrate an einen Liaisondienst von 500 Patienten nach Suizidversuchen, 150 Patienten aus der Notaufnahme, 150 Überweisungen von den Stationen, 50 -100 neue Kontakte in einer liaisonpsychiatrischen Poliklinik, und insgesamt 500

Nachfolgekontakte. Auf dieser Grundlage wird als Basisausstattung für einen

liaisonpsychiatrischen Dienst vorgeschlagen: Ein Facharzt für Psychiatrie als Leiter mit ca. ½ Stelle, eine Ganztagsstelle eines Assistenten in fortgeschrittener psychiatrischer Weiterbildung, zwei liaisonpsychiatrische Pflegekräfte, ½ Stelle eines klinischen Psychologen, sowie

administrative Kapazitäten (Sekretariat, Dokumentation). Die fachärztliche Arbeit sollte sich zu ca. je 2/5 aufteilen auf die klinische Supervision der durch die Assistenzärzte betreuten Suizidenten bzw. von den Stationen überwiesenen Patienten, der Rest stünde für Poliklinik, Notaufnahme und administrative Aufgaben zur Verfügung.

Der Vorschlag der Liaisonpsychiatry Group wurde in die gemeinsam vom Royal College of Physicians und Royal College of Psychiatrists (1995) vorgelegten Leitlinien zur

'Psychologischen Versorgung körperlich kranker Patienten' aufgenommen: 1/2 - 1 Facharztstelle wird für die Leitung von multidisziplinären Liaisondiensten an mittleren bis großen Allgemeinkrankenhäusern gefordert. Es wird ausdrücklich betont, daß es sich dabei um zusätzliche Kapazitäten handelt: eine Versorgung der Krankenhäuser innerhalb des

Leistungsumfangs der sektorisierten gemeindepsychiatrischen Dienste wird als unzureichend

erachtet. Diese Leitlinien sind in der Folgezeit von weiteren Fachgesellschaften aufgegriffen worden. Während die Academy of Psychosomatic Medicine sich lediglich summarisch auf die dort formulierten Vorschläge bezieht und insbesondere auf konkrete Angaben zur personellen Ausstattung von Konsildiensten verzichtet (Bronheim et al. 1998), hat die Section of

Consultation-Liaison Psychiatry des Royal Australian and New Zealand College of Psychiatrists (RANZCP 1996) gerade zu diesem Punkt unter Bezug auf eigene empirische Untersuchungen (Smith et al. 1994) eine weitere Präzisierung vorgenommen. Bei einer relativen Konsilrate von 5% aller Patienten eines Akademischen Lehrkrankenhauses mit ca. 520 Betten werden pro 100 Betten zwei Vollzeitstellen (FTE, full time equivalent) für einen Konsil-Liaisondienst gefordert, die sich wie folgt zusammensetzen: 1/2 FTE für einen Facharzt für Psychiatrie, 0,7 FTE für psychiatrische Assistenzärzte und 0,8 für einen klinischen Psychologen. Zusätzlich sollen pro 100 Betten je 1/2 FTE einer Liaisonpflegekraft und eines Sozialarbeiters (oder

Ergotherapeuten) zur Verfügung gestellt werden, sowie pro Konsil-Liaisondienst 1 Sekretärin (bzw. Dokumentationsassistentin). Am weitestgehenden aller bisherigen Vorschläge ist aber, daß die relative Konsilrate von 5% für mandatorisch erklärt wird: bei Nichterreichen dieser Benchmark wird die Durchführung eines Qualitätsmanagements (audit) gefordert, wo u.a. durch Einsatz von Screening-Instrumenten (wie z.B. dem General Health Questionnaire) das

tatsächliche Ausmaß an psychischer Komorbidität auf ausgewählten Abteilungen oder Stationen und das Niveau der psychologischen Betreuung der nicht dem Konsildienst überwiesenen Patienten festgestellt werden sollen (RANZCP 1996).

Auch die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) hat in ihrem Positionspapier zur aktuellen Lage und zukünftigen Entwicklung der Behandlung psychischer Erkrankungen in Deutschland die Wichtigkeit psychiatrisch-psychosomatischer Konsiliar- und Liaisonarbeit für die Versorgung von Allgemeinkrankenhauspatienten betont und die häufig noch fehlende personelle Ausstattung bedauert. Die DGPPN rechnet mit 1 Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie auf ca. 200 - 300 Konsilanforderungen pro Jahr (DGPPN 1997, S.46, 48).

. Teil 3

3 Das Spektrum der Konsiliar- und Liaisonpsychiatrie

Definitionen des Aufgabenspektrums von psychiatrischen Konsiliar- bzw. Liaisondiensten, in der internationalen psychiatrischen Literatur recht häufig (vgl. Schwab 1989, Lipowski 1991, Creed

& Pfeffer 1982, Strain 1996), sind in den letzten Jahren auch in der deutschsprachigen Psychiatrie vermehrt unternommen worden (z.B. Bönisch et al. 1986, Saupe & Diefenbacher 1998a, Diefenbacher 1999, Wancata & Gößler 1999). Im folgenden werden Unterschiede zwischen Konsiliar- und Liaisonpsychiatrie, sowie Besonderheiten des psychiatrischen

Konsultationsprozesses und psychiatrisch-psychotherapeutischer Interventionen bei körperlich kranken Patienten im Allgemeinkrankenhaus dargestellt.