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K ONSILIARPSYCHIATRIE UND L IAISONPSYCHIATRIE

Die Beratung mehrerer Ärzte zur Klärung eines Krankheitsfalles wird von alters her als Konsilium bezeichnet (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 257. Auflage, 1994). Eine psychiatrische Konsultation ist zunächst einmal die auch sonst in der Medizin übliche Hinzuziehung eines Psychiaters (oder Nervenarztes) durch einen in diesem Gebiet nicht spezialisierten Arzt. Der Psychiater handelt nicht, ohne einen Auftrag bekommen zu haben, und zwar vermittelt über den anfordernden Arzt, der zuerst die Entscheidung gefällt haben muß, ob ein Problem vorliegt, das die Einschaltung psychiatrischer Fachkompetenz erfordert. Die

meisten Psychiater, ob im ambulanten oder im Krankenhausbereich tätig, beraten Ärzte anderer Fachgebiete konsiliarisch. Wenn grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, daß nahezu jeder Psychiater konsiliarisch tätig ist oder tätig werden kann, so bezeichnet in einem weiteren Schritt Konsiliarpsychiatrie den Tätigkeitsbereich eines Psychiaters oder Nervenarztes dann, wenn dieser einen größeren Anteil seiner Berufstätigkeit mit Diagnostik und Behandlung von Patienten an der Schnittstelle von somatischer und psychiatrisch-psychotherapeutischer Medizin bestreitet. So gaben in einer Umfrage 17,1% der Mitglieder der American Psychiatric Association (APA) ein besonderes Interesse an Konsiliarpsychiatrie an, wobei Psychiater, die in Allgemeinkrankenhäusern oder im universitären Bereich tätig waren, hierfür mehr Zeit zur Verfügung stellten als in eigener Praxis Niedergelassene. Ungefähr 6% der APA-Mitglieder bezogen mindestens ¼ ihrer Einkünfte aus Konsiliartätigkeit, weitere 2,4% mehr als die Hälfte.

Ca. 10,5% waren vertraglich mit dem Konsiliardienst eines Allgemeinkrankenhauses verbunden, 11% unterrichteten über konsiliarpsychiatrische Themen, 1,7% waren in For-schungsprojekte involviert (Noyes et al. 1992). Für Österreich wird berichtet, daß 21% der niedergelassenen Fachärzte für Psychiatrie bzw. 41% der Fachärzte für Neurologie

konsiliarisch an nichtpsychiatrischen Krankenhausabteilungen tätig sind. Ungefähr 70% der allgemeinen Krankenanstalten verfügen über teilzeitangestellte Konsiliarärzte, überwiegend mit wenigen Wochenstunden, so daß der größte Anteil der Konsiliartätigkeit durch niedergelassene Fachärzte erfolgt (Wancata & Gössler 1999).

Mit psychiatrischer Liaisontätigkeit (frz. liaison, Verbindung) im engeren Sinne wird ein Ansatz

bezeichnet, der dem primär patientenzentrierten Vorgehen der Konsultation ein arzt- oder teamzentriertes Vorgehen gleichstellt. Hier kann der Psychiater in ein somatisches

Stationsteam integriert sein, an dessen Visiten und Fallkonferenzen er teilnimmt, und wo er neben der Patientenversorgung die psychiatrisch-psychotherapeutische Schulung von Pflegepersonal und Ärzten übernimmt, um deren Kompetenz im Umgang mit Patienten mit psychischer Komorbidität durch praktisches Beispiel zu verbessern (Lloyd 1980, Strain 1996).

In extremer Ausprägung bedeutet Liaisonpsychiatrie, daß der Psychiater kaum noch direkten Patientenkontakt hat, sondern indirekt über das somatische Behandlungsteam im Sinne einer Mediatorentherapie tätig wird (McKegney & Beckhardt 1982).

Nach Strain (1996) ist die klassische psychiatrische Konsultation wesentlicher Bestandteil und Grundlage der Liaisonpsychiatrie. Über diese sekundärpräventive Funktion, also die

Behandlung manifest gewordener psychischer Symptome, hinaus wird aber folgendes angestrebt

Tertiärprävention: Weiterbehandlung der psychischen Folgen einer körperlichen Erkrankung, hauptsächlich im ambulanten Bereich (z. B. in Polikliniken oder Institutsambulanzen),

Primärprävention: Verhinderung der Entwicklung psychischer Auffälligkeiten durch

möglichst frühzeitige Intervention, wie z.B. durch psychiatrisches Screening von Patienten, die zur Organtransplantation anstehen, wodurch der postoperative Verlauf günstig

beeinflußt werden soll (Freeman 1992);

Förderung einer verbesserten Fallidentifikation und Triage, im Sinne einer frühzeitigen Indikations- und Weichenstellung für weitere fachspezifische Behandlung, angestrebt durch die

kontinuierliche Weiterbildung des nicht-psychiatrisch vorgebildeten somatischen Teams (ärztliches und Pflegepersonal, Sozialarbeiter etc.) hinsichtlich Umgang (Beurteilung, therapeutische Prinzipien, Indikation für gezielte Überweisungen) von Patienten mit psychischer Komorbidität oder Verhaltensauffälligkeiten (Goldberg & Stoudemire 1995), was zu

strukturellen und prozeduralen Veränderungen (z.B. von Überweisungsgewohnheiten) führen soll, die nicht mehr nur vom Engagement Einzelner abhängen, sondern in den Organisationsabläufen der somatischen Stationen ihren dauerhaften Niederschlag finden.

Die integrierte Mitarbeit des Psychiaters unter einer liaisonpsychiatrischen Perspektive findet vorwiegend in Spezialbereichen statt, wie z.B. Onkologie (Breitbart & Holland 1993, Weis et al.

1991, Uchitomi et al. 1998), Brandstationen (Blumenfield & Schoeps 1993, Saupe &

Diefenbacher 1998b), Transplantationspsychiatrie (Surman 1997, Kopp et al. 1994),

geriatrischen Stationen (Torian et al. 1992, Benbow 1996), oder Schmerzambulanzen (King &

Strain 1994, Kapfhammer 1992). Mit einem Schwerpunkt auf Krebs- bzw. AIDS/HIV-Patienten und Schmerztherapie war das Memorial-Sloane-Kettering-Cancer Centre in New York Vorbild für psychosomatische und psychiatrische Konsiliar-Liaisondienste in Deutschland (Nagel-Studer

et al. 1986, Saupe et al. 1992). In der klinischen Praxis sind die Übergänge zwischen Konsiliar-und Liaisonansatz fließend. Die Ergebnisse der ECLW-Studie deuten daraufhin, daß die klassische psychiatrische Konsultation mit notfallpsychiatrischen Interventionen allerdings weit überwiegt: nur 5% der in dieser Studie dokumentierten Überweisungen kamen über

Liaisonvereinbarungen zustande (Huyse et al. 1997). Der fließende Übergang zwischen beiden Modellen mit einem starken Überwiegen des ersteren hat international zur Namengebung Konsiliar-Liaisonpsychiatrie (consultation-liaison psychiatry) geführt, mit Ausnahme

Großbritanniens, wo auch die klassische psychiatrische Konsiliartätigkeit als liaison psychiatry bezeichnet wird (Lipowski 1996, Morris & Mayou 1996).

In der Debatte zwischen den Verfechtern von primär konsultations- bzw. liaisonorientierten Ansätzen der Academy of Psychosomatic Medicine war den Vertretern der Liaisonpsychiatrie vorgeworfen worden, zu teuer zu sein, und zuviel Zeit mit unnützem Gerede zu verbringen (Murray 1989). Durch die ökonomischen Einschränkungen, die das amerikanische

Gesundheitswesen in den letzten Jahren erfährt, scheint sich eine konzeptuelle

Wiederbelebung des Liaisonkonzeptes abzuzeichnen, wobei u.a. Weiterbildungsaufgaben hinsichtlich einer verbesserten Erkennung und Behandlung psychischer Komorbidität durch nichtpsychiatrische Ärzte, gerade auch im ambulanten Bereich, hervorgehoben werden (Gold-berg & Stoudemire 1995). Strain weist daraufhin, daß einige Studien für eine ökonomische Überlegenheit des Liaisonmodells durch Verkürzung von Krankenhausliegedauern sprechen:

bei Patienten mit Hüftgelenksfrakturen, die im Rahmen eines Liaisonansatzes bereits bei oder kurz nach Aufnahme in eine orthopädische Abteilung vom Konsiliarpsychiater routinemäßig evaluiert wurden, konnte die durchschnittliche Verweildauer um mehrere Tage reduziert werden (Levitan & Kornfeld 1981, Strain et al. 1991). Solche Studien gibt es in Deutschland bislang nicht (Haag & Stuhr 1994a). Ihre Überzeugungskraft ist allerdings eingeschränkt (Strain et al.

1994). Randomisierte kontrollierte Studien, die konsil- und liaisonpsychiatrische Ansätze miteinander vergleichen, sind in der klinischen Praxis schwer durchführbar und fehlen bislang (Creed et al. 1993, Strain, in Vorbereitung), so daß es bislang offen bleiben muß, ob tatsächlich Verkürzungen von Verweildauern durch frühzeitige psychiatrische Interventionen bei

Risikopatienten erzielt werden können, was allerdings nur bei einem Screening in engem zeitlichem Zusammenhang mit der stationären Aufnahme (wie im Liaisonmodell vorgeschlagen) initiierbar erscheint (Lyons et al. 1986, Strain 1987, Strain 1996, Huyse et al. 1997). Hinweise auf eine Veränderung von Überweisungsmustern, die eher bei Liaison- als bei

Konsiliaransätzen eintreten sollen, sind zwar im einzelnen beeindruckend (Joraschky & Köhle 1986) möglicherweise aber auch im Rahmen klassischer Konsiliarmodelle zu beobachten (Anderson & Philpott 1991, Weigelt 1995).