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1 Zusammenfassung

4.9 Nachweis intramolekularer Disulfidbrücken und Reoxidation von rHCII-Varianten in vitro

4.10.3 Hemmung von α-Thrombin in Anwesenheit von Glykosaminoglykanen

4.10.3.2 Bestimmung der SI-Werte der α-Thrombininhibition

Die Stöchiometrie der Inhibition (SI) stellt eine Möglichkeit dar eine Protease/Serpin-Inhibitionsreaktion näher zu charakterisieren 1. Der SI-Wert spiegelt dabei das Verhältnis vom inhibitorischen Pfad zum Substratpfad bei der Hemmung von Serinproteasen durch Serpine wieder (2.1.3). Die niedrigen Inhibitionskonstanten, die bei den rekombinanten HCII-Varianten, vor allem in Gegenwart von Dermatansulfat ermittelt wurden (siehe 4.10.3.1), konnten bislang noch nicht eindeutig erklärt werden. Eine Änderung der SI-Werte würde eine mechanistische Basis für die ermittelten Inhibitionskonstanten bieten.

SI-Werte wurden für alle rekombinanten HCII-Varianten in Gegenwart der Glykosamino-glykane Heparin und Dermatansulfat bestimmt. Die rHCII-Varianten wurden in ihrer reduzierten, alkylierten Form untersucht. Die Bestimmung erfolgte dabei wie unter 3.10.9 angegeben. In Abbildung 4.10-2 ist beispielhaft eine SI-Wertermittlung für die Variante rHCII ∆C/F195C in Gegenwart von Dermatansulfat dargestellt. Der SI-Wert wurde aus dem Schnittpunkt einer Geraden, die mittels linearer Regression erhalten wurde, und aus der Anpassung an einen mathematischen Algorithmus (Gleichung 5, 3.10.8) aus den Versuchs-daten ermittelt.

Abbildung 4.10-2: SI-Wertbestimmung der rHCII/α-Thrombininhibition am Beispiel von rHCII

∆C/F195C in Gegenwart von Dermatansulfat (100 µg/mL). Die rHCII-Varianten wurden mit DTT reduziert und anschließend mit Iodacetamid behandelt. Die Bestimmung der SI-Werte wurde bei allen rHCII-Varianten identisch vorgenommen mit 2 nM α-Thrombin. Der SI-Wert wurde sowohl über den Schnittpunkt einer Geraden an der Abszisse, wie auch über einen mathematischen Fit (Gleichung 5, 3.10.8) an die Datenpunkte (graue Kurve) bestimmt und aus beiden Methoden ein Mittelwert errechnet.

Die Ergebnisse sind in Tabelle 4.10-5 aufgeführt.

1 Gettins, 2002a; Schechter & Plotnick, 2004

In Tabelle 4.10-5 sind die SI-Werte der Reaktionen zwischen α-Thrombin und den rekombinanten HCII-Varianten in Gegenwart von Heparin oder Dermatansulfat aufgeführt.

Auffällig ist, dass alle ermittelten SI-Werte deutlich größer als 1 sind. Auch wenn Reaktionen von physiologischer Signifikanz einen SI-Wert von 1 haben sollten, werden für viele Serpin/Protease-Reaktionen größere Werte erhalten 1. Dies wird häufig bei Reaktionen mit genetisch modifizierten Serpinen beobachtet 2.

Tabelle 4.10-5: SI-Werte der Hemmung von α-Thrombin durch rekombinante HCII-Varianten

Variante Heparin [10 Units/mL] Dermatansulfat [100 µg/mL]

rHCII wt 2,5 ± 0,3 2,2 ± 0,2

rHCII F195C 2,6 ± 0,1 2.5 ± 0,1

rHCII ∆C 3,3 ± 0,2 2,9 ± 0,2

rHCII ∆C/F195C 3,3 ± 0,1 2,7 ± 0,3

rHCII ∆C/P52C/F195C 3,9 ± 0,1 3,1 ± 0,2 rHCII ∆C/G54C/F195C 3,9 ± 0,1 3,6 ± 0,6

rHCII ∆C/S68C/F195C 5,0 ± 0,7 5,0 ± 1,6

Die Stöchiometrie der Inhibition (SI) von α-Thrombin wurde mit active site-titriertem α-Thrombin (2 nM) und variablen Konzentrationen der verschiedenen rHCII-Varianten in ihren reduzierten Zuständen bestimmt. Die rHCII-Varianten wurden mit DTT reduziert und anschließend mit Iodacetamid behandelt. Die Bestimmung der SI-Werte als Mittelwerte mit Standardfehlern erfolgte aus zwei bis drei Messreihen in Gegenwart der Glykosaminoglykane Heparin (181 USP Units/mg) und Dermatansulfat. Dermatansulfat wurde zur Entfernung von Heparinkontaminationen mit Natriumnitrit behandelt.

Der hier bestimmte SI-Wert für rekombinantes Wildtyp-HCII ist bei Gegenwart von Heparin oder Dermatansulfat mit 2,5 bzw. 2,2 etwas größer als der Wert, der für HCII aus humanem Plasma bestimmt wurde (SI = 1,8; siehe Tabelle 4.5-3). Die mit den rHCII-Varianten ermittelten SI-Werte sind jeweils etwas größer als die Werte des Wildtyps (rHCII wt). Die mit den Varianten gemessenen SI-Werte bieten eine Erklärungsmöglichkeit für die im Vergleich zu rHCII wt geringeren Inhibitionskonstanten unter reduzierenden Bedingungen (Tabelle 4.10-3). Die Stöchiometrie der Inhibition steht mit den Reaktionsgeschwindigkeiten des Substratpfades (ksub) und des Inhibitionspfades (kinh) in folgender Beziehung: SI = 1 + ksub/kinh

(zur Beschreibung des Reaktionspfades der Serpine siehe Abbildung 2.1-4). Wenn Reaktionsgeschwindigkeiten - wie in dieser Arbeit - durch Endpunktmessung der Inhibition und unter Bedingungen pseudo-erster Ordnung bestimmt werden, wirkt sich ein großer SI-Wert auf die ermittelte Inhibitionskonstante aus, dabei gilt k2 = kinh x 1/SI 3. Bei der Beschreibung der Inhibition anhand der Reduktion der α-Thrombinaktivität wird bei hohen SI-Werten eine inkorrekte Inhibitionskonstante (k2) ermittelt, da aktive Protease über den

1 Olson, 1985; Schechter et al., 1989; Patston et al., 1991

2 Schechter et al., 1993; Djie et al., 1996

3 Gettins, 2002a; Schechter & Plotnick, 2004

Substratpfad rückgebildet wird und wieder an der Inhibitionsreaktion teilnehmen kann. Es wurde daher eine Normierung der Inhibitionskonstanten (SI x k2) durchgeführt um die korrekte Inhibitionskonstante (kinh) zu bestimmen 1.

Tabelle 4.10-6: Normierte Reaktionskonstanten der Hemmung von α-Thrombin durch rHCII-Varianten in Gegenwart von Glykosaminoglykanen

Variante Heparin [10 Units/mL] Dermatansulfat [100 µg/mL]

kinh [M-1 min-1] Verhältnis

[Variante/wt] kinh [M-1 min-1] Verhältnis [Variante/wt]

rHCII wt 2,2 x 108 - 2,0 x 108 -

rHCII F195C 2,3 x 108 1,05 9,0 x 107 0,45

rHCII ∆C 2,3 x 108 1,04 2,5 x 107 0,12

rHCII ∆C/F195C 2,5 x 108 1,13 3,3 x 107 0,16

rHCII ∆C/P52C/F195C 2,8 x 108 1,27 3,1 x 107 0,16

rHCII ∆C/G54C/F195C 3,3 x 108 1,49 2,6 x 107 0,13

rHCII ∆C/S68C/F195C 6,0 x 107 0,27 9,9 x 106 0,05

Kombination der Ergebnisse der Tabellen Tabelle 4.10-3 bzw. Tabelle 4.10-4 und Tabelle 4.10-5. Normierte Konstanten der Hemmung von α-Thrombin der reduzierten und alkylierten rHCII-Varianten.

In Tabelle 4.10-6 sind die normierten Inhibitionskonstanten dargestellt. Die Daten der Inhibitionsreaktion in Gegenwart von Heparin belegen, dass mit einer Ausnahme die Inhibitionskonstanten der Komplexbildung durch die eingeführten Aminosäureänderungen in den rekombinanten Varianten nicht verändert wurden. Die Werte befinden sich alle in demselben Größenbereich (2 bis 3 x 108 M-1 min-1). Die Assoziation von Serpin und Protease ist bei den Varianten ebenso wenig verändert, wie die Unwandlung des Acyl-Enzym-Inter-mediantes zum Komplex (Abbildung 2.1-4). Einzige Ausnahme ist hier, wie auch in allen anderen Fällen, die Variante rHCII ∆C/S68C/F195C. Deren Besonderheit muss mit der Aminosäureänderung an Position 68 (Ser → Cys) und der Alkylierung zusammenhängen.

Dieses erschwert unter Umständen die Assoziation des N-Terminus von HCII an die Exosite I von α-Thrombin, wodurch dessen effektive Inhibition beeinflusst wird (5.3.2.3).

Die Korrekturen der Inhibitionskonstanten erklärten nicht die verringerten Konstanten der Hemmung von α-Thrombin in Gegenwart von Dermatansulfat. Die errechneten Konstanten sind weiterhin kleiner als die von Wildtyp-HCII (rHCII wt). Dabei muss aber zwischen rHCII-Varianten mit und ohne ∆C-Variantion unterschieden werden. Die Variante rHCII F195C zeigt eine Reduktion der Inhibition von α-Thrombin auf etwa die Hälfte des Wertes vom rekombinantem Wildtyp. Eine Verringerung von kinh wurde für Serpine mit Mutationen im Bereich der reaktiven Schleife und am proximalen Scharnier beschrieben 2. Die hier

1 Rubin et al., 1990; Patston et al., 1991; Gettins, 2002a; Schechter & Plotnick, 2004

2 Lawrence et al., 2000

vorgenommene Variation an Position 195 (Phe → Cys) befindet sich zwischen den Domänen α-Helix D und β-Strang 2A und damit in räumlicher Nähe zum proximalen Scharnier von HCII 1. Eine lokale Konformationsänderung an Position 195 könnte daher die geringere Inhibitionskonstante der Variante rHCII F195C verursachen.

HCII-Varianten mit der ∆C-Variation zeigen eine stärkere Verringerung der Reaktions-geschwindigkeit in Gegenwart von Dermatansulfat. Im Mittel beträgt die errechnete Konstante kinh der HCII-Varianten nur 10 bis 15 % des Wertes von rHCII wt (Tabelle 4.10-6).

Die Ursache dafür ist nicht klar, doch scheint der Effekt mit dem Austausch der natürlichen Cysteine zusammenzuhängen. Diese Cysteine sind bei allen charakterisierten HCII-Proteinen der Vertebraten konserviert 2, haben aber keine Bedeutung bei der Hemmung von α-Thrombin in Gegenwart von Heparin 3 (siehe auch Tabelle 4.10-3). Die in dieser Arbeit erhaltenen Ergebnisse belegen eine unterschiedliche Auswirkung der ∆C-Variation auf die Inhibitionsreaktionen in Gegenwart von Heparin oder Dermatansulfat. Diese beiden Glykosaminoglykane scheinen die Hemmung von α-Thrombin von HCII über unterschiedliche Mechanismen zu fördern.

Die Fixierung des N-Terminus von HCII an der Position 195 war variabel über drei Positionen im N-Terminus möglich. Daher scheint die Position des N-Terminus von HCII im nativen Zustand nicht streng geordnet. Die Reoxidationsexperimente (siehe 4.9) belegten diese Flexibilität und waren ein Hinweis für die mögliche intramolekulare Wechselwirkung zwischen dem aminosauren N-Terminus und der basischen α-Helix D von HCII. Die durch kinetische Analysen erhaltenen Ergebnisse belegten den Einfluss der N-terminalen Domäne von HCII auf die Hemmung von α-Thrombin. HCII-Varianten mit fixiertem N-Terminus waren nur im geringen Umfang zur Hemmung von α-Thrombin befähigt, erreichten aber drastisch höhere Aktivitäten im reduzierten Zustand. Durch die Fixierung der N-terminalen Domäne von HCII war eine Interaktion des Serpins mit der Anionen-bindenden Exosite I von α-Thrombin verhindert. Dies belegt die Bedeutung der N-terminalen Domäne von HCII für dessen effektive Hemmung von α-Thrombin.

1 Baglin et al., 2002

2 Ragg, 1986; Sheffield et al., 1994; Westrup & Ragg, 1994; Zhang et al., 1994; Colwell & Tollefsen, 1998

3 Church et al., 1987

Kapitel 5 Diskussion

Heparinkofaktor II (HCII) ist ein Thrombininhibitor, der markante Unterschiede zu anderen Vertretern heparinbindender Serpine aufweist. HCII besitzt eine einzigartige N-terminale Proteindomäne mit einer Länge von ca. 80 Aminosäuren 1. Diese Proteindomäne enthält zwei Sequenzen aus negativ geladenen Aminosäuren, welche zusammen eine zusätzliche Interaktionsstelle zur Protease α-Thrombin darstellen 2. Nach allgemein geltender Vorstellung befindet sich die N-terminale Domäne von HCII im nicht aktivierten Zustand intramolekular am globulären Proteinkern lokalisiert mit Kontakt zur basischen α-Helix D 3. Diese Vorstellung wurde in den letzten Jahren vor allem durch die Ergebnisse einer unvollständigen Röntgenkristallographieuntersuchung in Frage gestellt, die jedoch den N-Terminus von HCII bezüglich der Struktur und Position am globulären Proteinkern nicht ermitteln konnte 4.

Mit der vorliegenden Arbeit wurden die Wechselwirkungen zwischen HCII und Kofaktoren und deren Einfluss auf den Mechanismus der Hemmung von α-Thrombin sowie die Bedeutung der N-terminalen Domäne von HCII näher charakterisiert. Im Besonderen wurden strukturelle Aspekte von HCII im Zusammenhang mit der funktionellen Bedeutung der Proteaseinhibierung betrachtet. Ebenso wurde in dieser Arbeit die Position des negativ geladenen N-Terminus von HCII in dessen Proteinstruktur näher bestimmt, um Hinweise zu den offenen Fragen zur Konformation von nativem HCII zu erhalten.

1 Ragg, 1986; Blinder et al., 1988

2 Hortin et al., 1986; Hortin et al., 1989; Van Deerlin & Tollefsen, 1991; Sheehan et al., 1994

3 Ragg et al., 1990a,b; Mitchel & Church, 2002

4 Baglin et al., 2002