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Im Vergleich mit “stunning” und ischämischer Präkonditionierung ist die Pathophysio-logie von hibernierendem Myokard (“hibernation”) schlechter verstanden [142]. Aus-lösender Faktor ist eine Verminderung des myokardialen Blutflusses (entweder dauer-haft in Ruhe oder repetitiv unter Belastung), die zu einer chronischen linksventriku-lären Kontraktionsstörung führt [143]. Nach Normalisierung des Blutflusses ist diese Kontraktionsstörung komplett oder partiell reversibel.

Der Begriff “hibernation“ (“Winterschlaf”) stammt aus der Zoologie und bezeichnet dort die adaptative Reduktion des Energieverbrauchs in Situationen mit eingeschränk-ter Energiezufuhr. Diamond et al. [72] vermuteten 1978 erstmals, daß auch das Herz im Zustand eines “funktionellen Winterschlafs” existieren kann. Rahimtoola [302] griff diesen Begriff 1985 auf und charakterisierte hibernation — angeregt durch die teilwei-se deutliche Besteilwei-serung der linksventrikulären Funktion nach Bypass–Operation — als einen pathophysiologischen Zustand, in dem eine (dem reduzierten Blutfluß entspre-chende) Reduktion von ventrikulärer Kontraktilität und Metabolismus besteht. Durch

dieses neue Gleichgewicht in hibernierendem Myokard wird eine Nekrose vermieden und nach Reperfusion kann eine normale oder annähernd normale Funktion wieder hergestellt werden.

Das Konzept von “hibernation” beinhaltet eine Regulationsleistung des minderperfun-dierten Myokards, durch die eine fortgesetzte Imbalance zwischen Substratangebot und –bedarf vermieden wird. Zur Beschreibung dieses Phänomes wurde von Ross [329] der Begriff “perfusion–contraction matching” eingeführt. Die gegenseitige Anpassung von Perfusion und Kontraktion läßt sich in den verschiedensten pathophysiologischen Si-tuationen nachweisen [329] und soll auch hibernierendem Myokard zugrunde liegen.

Hibernierendes Myokard kann somit nicht als “ischämisch” im traditionellen Sinn be-zeichnet werden.

Das Konzept von “hibernation” wirft die Frage nach einer Definition des Ischämie-begriffs auf. Hearse [137] unterscheidet die biochemische und die physiologische Ischämie. Die biochemische Ischämie entspricht der Imbalance zwischen Substratan-gebot und –bedarf. Das Herz versucht (durch unterschiedliche äußere Faktoren stimu-liert), die Kontraktion auf Kosten des eigenen metabolischen Gleichgewichts aufrecht zu erhalten. Diese Situation führt, sofern sie nicht unterbrochen wird, zum Zelltod.

Durch die Mechanismen des “perfusion–contraction matching” ist die Zelle in der La-ge, die biochemische Ischämie zu vermeiden und sich einem verminderten Substrat-angebot auf Kosten der Organfunktion anzupassen. Dieser Zustand wird als physiolo-gische Ischämie bezeichnet. Bei physiolophysiolo-gischer Ischämie kann das Herz den Körper somit nicht über die gesamte Bandbreite möglicher Aktivitätszustände unterstützen. In hibernierendem Myokard besteht nach dieser Definition eine physiologische Ischämie [143], eine Steigerung der kontraktilen Funktion kann nur auf Kosten des metaboli-schen Gleichgewichts erfolgen [144] [354].

In Abhängigkeit von der Dauer der Flußreduktion unterschied Ross [329] Kurzzeit–

und Langzeit–Hibernation. Bei Langzeit–Hibernation handelt es sich um den hypo-thetischen Zustand eines langdauernden Perfusions–Kontraktions–Gleichgewichts bei reduzierter Ruheperfusion. Während für Kurzzeit–Hibernation tierexperimentelle Mo-delle existieren, konnte die Existenz von Langzeit–Hibernation bislang nicht belegt werden. Insbesondere aufgrund von Ergebnissen klinischer Studien wird die Exi-stenz eines über mehrere Monate (oder Jahre) anhaltenden Perfusions–Kontraktions–

Gleichgewichts mit reduzierter Ruheperfusion in Frage gestellt [404]. Als alternatives Konzept soll die chronische Dysfunktion durch repetitive Ischämiereize mit nachfol-gendem stunning (repetitives stunning) verursacht sein [24].

1. KORONARE HERZKRANKHEIT 17 Akute Ischämie. Die akute Ischämie entspricht einer Imbalance zwischen Substra-tangebot und –bedarf (biochemische Ischämie) und führt über die Mechanismen des

“perfusion–contraction matching” zu einer Kontraktionsstörung. Die Stimuli, die bei biochemischer Ischämie zu einer Kontraktionseinschränkung führen, sind bislang nicht zweifelsfrei identifiziert. Die Abnahme des intrazellulären ATP–Gehaltes als kausaler Faktor konnte allerdings ausgeschlossen werden [6]. Weitere potentiell bedeutsame Pa-rameter sind die Funktion ATP–abhängiger Kalium–Kanäle [66] [357], die Abnahme des Phosphorylierungspotentials [44], die Abnahme der bei ATP–Hydrolyse freiwer-denden Energie (freie Enthalpie G) [165] [233], die Abnahme des intrazellulären pH [184], eine Störung der Ca2+–Homöostase [172] [187] [192] und die Akkumula-tion von anorganischem Phosphat [197] [251]. Anorganisches Phosphat könnte über eine Bindung an kontraktile Proteine [308], eine Desensibilisierung der Myofibrillen für Ca2+ [169] und/oder eine Inhibierung der myofibrillären ATPase [344] zu einer Kontraktionsstörung führen.

Kurzzeit–Hibernation. Der Begriff des Kurzzeit–Hibernation entstammt Tierexpe-rimenten, in denen für einen beschränkten Zeitraum (Tage, maximal Wochen) eine Re-duktion des Koronarflusses provoziert wurde. Im Unterschied dazu wird bei Langzeit–

Hibernation eine über Monate bis Jahre währende Einschränkung des Koronarflusses vermutet.

Wie bei akuter Ischämie ist auch für Kurzzeit–Hibernation die Ursache der Kontrak-tionsminderung nicht geklärt. Der ATP–Gehalt in hibernierendem Myokard ist redu-ziert [188] [271] [290] [338] [434], der Gehalt an Phosphokreatin steigt aber nach einem initialen Abfall wieder auf normale Werte an [290]. In gleicher Weise ist auch die freie EnthalpieG der ATP–Hydrolyse nur in der Anfangsphase vermindert [233].

Die Normalisierung von Phosphokreatin–Gehalt undG weist trotz des verminderten ATP–Gehalts darauf hin, daß eine für die (reduzierte) Kontraktion ausreichende Ener-giemenge zur Verfügung steht.

Aufgrund der Untersuchung von isolierten Kardiomyozyten äußerten Budinger et al.

[31] die Vermutung, daß Mitochondrien durch partielle Inhibierung der Cytochrom–

Oxidase während Hypoxie als Sauerstoffsensor agieren und eine Abnahme des ATP–

Verbrauchs auslösen können. Die Abnahme von kontraktiler Aktivität und Energie-verbrauch könnte über eine reduzierte Ansprechbarkeit hibernierenden Myokards auf Ca2+ vermittelt sein [144], ATP-abhängige Kalium-Kanäle und Adenosin sind dabei ohne Bedeutung [282] [357].

Nicht alle Herzen, die einer Restriktion des Koronarflusses unterzogen werden, über-leben und normalisieren ihre Funktion. Bislang ist ungeklärt, ob ein Triggermechanis-mus das Myokard dafür prädisponiert, während einer Flußreduktion den pathophysio-logischen Zustand des Hibernierens einzunehmen [143]. In tierexperimentellen Stu-dien konnten metabolische Veränderungen der Kurzzeit–Hibernation erzeugt werden, indem ein Stimulus (graduelle Flußreduktion oder 10–minütiges Sistieren des Koro-narflusses) dem eigentlichen Ischämiereiz vorausging [90] [155] [355] .

Langzeit–Hibernation. Langzeit–Hibernation wird in klinischen Situationen ver-mutet, die mit einer chronischen Reduktion des Koronarflusses einhergehen (stabi-le und instabi(stabi-le Angina pectoris, akuter Myokardinfarkt, linksventrikuläre Dysfunk-tion/Herzinsuffizienz) [142]. Ungeklärt ist die Frage, ob “hibernation” dabei durch repetitives stunning oder eine chronische Reduktion des Ruheflusses hervorgerufen wird [24]. Beim Versuch, diese Frage zu beantworten, werden gleiche experimentel-le Ergebnisse (insbesondere die Bestimmung des regionaexperimentel-len myokardiaexperimentel-len Blutflusses mittels PET) teilweise unterschiedlich interpretiert [37] [142] [405]. Unabhängig von der Pathogenese besteht die klinische Konsequenz bei Nachweis von hibernierendem Myokard regelhaft in der Revaskularisation.

In chronisch hibernierendem Myokard lassen sich charakteristische morphologische Alterationen nachweisen: u.a. ein Verlust an Myofilamenten [81] [82] [360], ein Ver-lust an sarkoplasmatischem Retikulum [10] [93], charakteristische Verformungen der Mitochondrien [10] [81] [82] und eine Zunahme an interstitiellem Bindegewebe [9]

[82] [93] [360]. Die (unterschiedlich ausgeprägten) morphologischen Alterationen in hibernierendem Myokard erklären die unterschiedlich lange Dauer bis zur Normalisie-rung der Herzfunktion nach Reperfusion.