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Intermedialität und Multimedialität werden häufig als zentrales Merkmal digitaler Literatur genannt. Vor allem bei den in dieser Arbeit zu untersuchenden Hypermedialen Fiktionen steht diese Eigenschaft im Vordergrund. Wie in Kapitel 2.4 Merkmale digitaler Literatur beschrie-ben, nutzen Suter und Simanowski den Begriff Intermedialität, während Winko und Piestrak-Demirezen von Multimedialität bzw. von Hypermedialität (als Verbindung von Hypertext und Multimedialität) sprechen. Dies ist dem Umstand zu schulden, dass die Termini oft nicht trennscharf voneinander unterschieden werden.318 Das folgende Kapitel wird sich dieser Un-terscheidung widmen und darlegen, warum in dieser Arbeit dem Begriff Intermedialität der Vorzug gegeben wird. Anschließend wird der Begriff näher erläutert.

Ein häufig angeführtes Kriterium zur Unterscheidung der beiden ist, dass Multimedialität ein Nebeneinander darstellt, während es sich bei Intermedialität um ein Zusammenwirken mehre-rer Medien handelt.319 Dies macht auch Müller deutlich, wenn er erklärt:

„Ein mediales Produkt wird dann inter-medial, wenn es das multi-mediale Nebeneinan-der medialer Zitate und Elemente in ein konzeptionelles MiteinanNebeneinan-der überführt, dessen (ästhetische) Brechung und Verwerfung neue Dimensionen des Erlebens und Erfahrens eröffnen.“320

Simanowski kritisiert diesen Trennungsversuch zwar, da es kein klares Unterscheidungskrite-rium gibt, wann ein Nebeneinander zu einem Miteinander wird, spricht sich dann aber den-noch selbst für den Begriff der Intermedialität aus, um das Zusammenspiel der Medien

317 Simanowski 2001a, S. 11.

318 Vgl. Heibach 2003, S. 93.

319 Vgl. Simanowski 2002c, S. 16.

320 Müller, Jürgen E. (1998): Intermedialität als poetologisches und medientheoretisches Konzept. Einige Refle-xionen zu dessen Geschichte. In: Helbig, Jörg (Hg.) (1998): Intermedialität. Theorie und Praxis eines interdiszip-linären Forschungsgebiets. Berlin, S. 31–40. Hier: S. 31f.

66 vorzuheben.321 Auch in dieser Arbeit soll daher der Begriff Intermedialität genutzt werden, um dieses Miteinander der unterschiedlichen Medien, wie es in Hypermedialen Fiktionen vorkommt, in den Vordergrund zu stellen. Damit deutlich wird, was mit diesem Miteinander gemeint ist und da es sich bei Intermedialität um einen komplexen Begriff handelt, muss im Folgenden noch näher darauf eingegangen werden.

Der Begriff Intermedialität ist in den 90er Jahren zu einem zentralen Schlüsselbegriff gewor-den.322 Medien sollen nicht mehr getrennt voneinander betrachtet werden sondern in ihrer gegenseitigen Bezugnahme.323 Prinzipiell versteht man unter Intermedialität, wie Werner Wolf es formuliert,

„das Überschreiten von Grenzen zwischen konventionell als distinkt angesehenen Kommunikationsmedien, wobei solches Überschreiten sowohl innerhalb von einzelnen Werken oder Zeichenkomplexen als auch zwischen solchen vorkommen kann.“324

Durch die Verbindung zwischen den einzelnen Medien sollen die eigenen Möglichkeiten er-weitert und somit ein Mehrwert geschaffen werden.325 Hierbei gibt es verschiedene Möglich-keiten, wie Medien miteinander in Bezug gesetzt werden. Zwei Modelle, die versuchen, die verschiedenen Formen der Intermedialität zu gliedern, finden sich bei Rajewsky326 und Wolf.327 Diese sollen im Folgenden dargelegt werden.

Intermedialität ist, wie Rajewsky deutlich macht, als ein Oberbegriff „für die Gesamtheit aller Mediengrenzen überschreitenden Phänomene“328 zu verstehen. In ihrem Werk Intermedialität versucht sie den Begriff und seine verschiedenen Ausprägungen darzulegen. Dabei unter-scheidet sie zunächst zwischen Intermedialität, Intramedialität und Transmedialität. Während Intermedialität über die Mediengrenzen hinausgeht, bleibt Intramedialität innerhalb dieser Grenzen. Dazu zählen solchen Formen, in denen beispielsweise ein Film auf einen anderen Film anspielt. Der Verweis bleibt innerhalb derselben Medienform. Neben diese beiden Be-griffe setzt sie noch den Begriff Transmedialität, welcher sich auf Phänomene bezieht, die in

321 Vgl. Simanowski 2002c, S. 16ff.

322 Vgl. Yoo 2007, S. 152.

323 Vgl. Rajewsky, Irina O. (2002): Intermedialität. Tübingen/Basel, S. 1.

324 Vgl. Wolf, Werner (2002): Intermedialität: Ein weites Feld und eine Herausforderung für die Literaturwissen-schaft. In: Foltinek, Herbert/Leitgeb, Christoph (Hg.) (2002): Literaturwissenschaft: intermedial – interdiszipli-när. Wien, S. 163–192. Hier: S. 167.

325 Vgl. Wirth, Uwe (2007): Intermedialität. In: Anz, Thomas (Hg.) (2007): Handbuch Literaturwissenschaft.

Band 1 Gegenstände und Grundbegriffe. Stuttgart/Weimar, S. 254–264. Hier: S. 254ff.

326 Vgl. Rajewsky 2002.

327 Vgl. Wolf 2002.

328 Rajewsky 2002, S. 12.

67 unterschiedlichen Medien aufgegriffen werden, aber keinem Ursprungsmedium zugeordnet werden können. Sie sind daher medienunspezifisch. Als Beispiel nennt sie das Aufgreifen mythischer Stoffe in unterschiedlichen Medien oder die Form der Parodie, die in allen Medien genutzt wird und nicht an ein bestimmtes Medium gebunden ist.329

Auch Wolf unterscheidet, wie Rajewsky, zwischen Intramedialität und Intermedialität. Der Begriff Transmedialität hingegen wird bei ihm dem Begriff der Intermedialität untergeordnet.

Als Dachbegriff für seine Gliederung von Intermedialität wählt Wolf Intermedialität im wei-ten Sinne, welchen er in eine werkübergreifende und werkinterne Intermedialität unterteilt (die werkinterne Intermedialität bezeichnet Wolf auch als Intermedialität im engen Sinne).

Bei beiden Unterformen geht es um das Überschreiten von Mediengrenzen. Während jedoch bei werkinterner Intermedialität die medialen Bezugnahmen innerhalb des Werkes erkennbar sind und diese so zur Generierung der inhaltlichen Bedeutung beitragen, ist dies bei der werk-übergreifenden Intermedialität nur im Vergleich mit anderen Medien möglich.330 Der werk-übergreifenden Intermedialität ordnet Wolf, den eben schon genannten Begriff der Transme-dialität unter, den er wie Rajewsky als „medienunspezifische Phänomene [bezeichnet], die gerade deshalb in mehreren Medien auftreten und insofern indirekte Beziehungen zwischen ihnen stiften können.“331

Neben der Transmedialität nennt er als zweiten Unterpunkt der werkübergreifenden Interme-dialität die intermediale Transposition. Anders als bei der TransmeInterme-dialität gibt es hier ein Postmedium, welches sich eines Werkes eines Prämediums bedient und dies im eigenen Me-dium umsetzt. Ein typisches Beispiel ist die Literaturverfilmung. Es handelt sich also um die Überführung einen Werkes von einem Medium in ein anderes. Die Übersetzung kann sich sowohl auf Inhalt als auch auf die formalen Aspekte beziehen. Für die inhaltliche Ebene und deren Deutung ist es nicht wichtig, dass es sich hier um eine Form von Intermedialität han-delt.332

Auch für Rajewsky zählt die intermediale Transposition zu einer Unterform der Intermediali-tät, auch wenn diese bei ihr den Namen Medienwechsel trägt. Daneben unterscheidet sie noch innerhalb von Intermedialität die Formen der Medienkombination und der intermedialen Be-züge.333 Auch hier lässt sich wieder eine Parallele zu Wolf erkennen, bei dem sich diese bei-den Formen unter dem Punkt werkinterne Intermedialität anordnen. Anders als Rajewsky spricht er nicht von intermedialen Bezügen sondern von intermedialen Referenzen. Ebenfalls

329 Vgl. ebd., S. 12f.

330 Vgl. Wolf 2002, S. 165-177.

331 Ebd., S. 170.

332 Vgl. ebd., S.171f.

333 Vgl. Rajewsky 2002, S. 15-18.

68 stellt die Medienkombination bei ihm nur einen Unterpunkt dar, der sich unter dem Begriff Plurimedialität anordnet und welchem hier noch der Terminus Medienmischung gegenüber-steht.334 Dennoch meinen beide Autoren dieselben Phänomene, die im Folgenden dargelegt werden sollen. Rajewsky bezeichnet Medienkombination „als ein mediales Zusammen-spiel“335 und nennt in diesem Zusammenhang auch die Begriffe Multimedialität, Medien-Fusion und Plurimedialität, was wiederum zeigt, dass sie und Wolf nur eine andere Struktu-rierung der Begriffe vornehmen.336 Plurimedialität und Medienkombination beziehen sich darauf, dass mehrere Medien innerhalb eines Mediums miteinander verknüpft werden, wie dies beispielsweise bei illustrierten Büchern oder den Hypermedialen Fiktionen der Fall ist.

Die einzelnen Medien sind noch als solche erkennbar und tragen aber alle durch ihre Eigen-schaften und ihr Zusammenwirken zur Bedeutungsgenerierung bei.337 Dieses Zusammenspiel kann soweit verschmelzen, dass sich daraus neue, eigenständige Medien entwickeln. Ein Bei-spiel für ein solches Phänomen, welches von Wolf als Medienmischung bezeichnet wird, ist der Tonfilm.338 Die Trennung zwischen Medienkombination und Mischung ist jedoch flie-ßend zu sehen.

Die Kategorie Intermediale Bezüge (nach Rajewsky) oder Intermediale Referenz (nach Wolf) meint, dass sich ein Werk auf ein bestimmtes Werk eines anderen Mediums oder die spezifi-schen Merkmale eines anderen Mediums bezieht, dabei ist dieses Fremdmedium nicht selbst anwesend, sondern es wird nur darauf referenziert,339 was Rajewsky wie folgt zusammenfasst:

„[Es] werden Elemente und/oder Strukturen eines anderen, konventionell als distinkt wahrgenommenen Mediums mit den eigenen, medienspezifischen Mitteln thematisiert, simuliert oder, soweit möglich, reproduziert.“340

Wie Rajewsky in diesem Zitat deutlich macht, gibt es auch hier unterschiedliche Abstufungen der intermedialen Bezüge, die Wolf in explizite und implizite Referenz unterscheidet. Unter explizite Referenz versteht er, dass ein Medium ein anderes Medium an sich oder ein einzel-nes Werk eieinzel-nes anderen Mediums erwähnt oder thematisiert, ohne dabei die Medienspezifik des anderen Mediums zu imitieren. Darunter fällt beispielweise die Nennung eines Bildes oder eines Films im Roman. Demgegenüber steht die implizite Referenz, welche die Nach-ahmung medienspezifischer Merkmale eines Medium in einem anderen Medium

334 Wolf 2002, 172-177.

335 Rajewsky 2002, S. 15.

336 Vgl. ebd., S. 15 sowie Wolf 2002, S. 172f.

337 Vgl. Rajewsky 2002, S. 15.

338 Vgl. Wolf, 2002 S. 172f.

339 Vgl. ebd., S. 174f. sowie Rajewsky 2002, S. 16f.

340 Rajewsky 2002, S. 17.

69 net.341 Dazu zählt beispielsweise, wie Rajewsky anführt, eine filmische Schreibweise in der Literatur, welche sich Techniken des Films bedient und diese auf das eigene Medium anwen-det.342

Die Darstellung der Modelle von Wolf und Rajewsky machen deutlich, dass es sich bei In-termedialität um ein komplexes Forschungsfeld handelt, in dem sich verschiedene Formen des medialen Zusammenspiels anordnen lassen. Im Folgenden soll, damit es zu keiner Verwechs-lung kommt und ein einheitliches Verständnis der Begriffe vorliegt, die Klassifizierung von Rajewsky verwendet werden. Abschließend ist noch zu den beiden Modellen der Intermedia-lität zu betonen, dass die drei Formen Medienwechsel, Medienkombination und intermediale Bezüge sich nicht gegenseitig ausschließen und durchaus gemeinsam auftreten können.343 Wirth hingegen ordnet diese Kategorien hierarchisch an. Seine vierstufige Skala beginnt er auf Stufe Null mit der Thematisierung eines Mediums in einem anderen oder, wie Wolf es nennt, mit der expliziten Intermedialität. Stufe Eins umfasst die Form des Medienwechsels und Stufe Zwei die Medienkombination. Auf Stufe Drei ist die zweite Form (bei Wolf impli-zite Intermedialität) der intermedialen Bezüge angesiedelt, also die Imitation spezifischer Merkmale eines anderen Mediums.344

Wenn in den Merkmalsbeschreibungen digitaler Literatur von Intermedialität gesprochen wird, beziehen sich die Autoren dabei auf die Form der Medienkombination. Daher ist für die vorliegende Forschungsarbeit vor allem diese Form der Intermedialität von Bedeutung. Auch in Hypermedialen Fiktionen werden Bild und Text und teilweise auch Ton miteinander ver-knüpft, wodurch ein mediales Zusammenwirken entsteht. Wie Rajewsky zeigt, entsteht dadurch eine neue Dynamik, die es zu untersuchen gilt. Welche Medien werden wie mitei-nander verknüpft und welche Funktionen der Bedeutungsgenerierung nehmen sie damit ein?345 Natürlich können in Hypermedialen Fiktionen auch die beiden anderen Formen vor-kommen. Bevor die in dieser Arbeit durchgeführte Fallanalyse dargestellt wird, beschäftigt sich das nächste Kapitel zunächst damit, wie in Hypermedialen Fiktionen eine Erzählung kon-struiert werden kann.

341 Vgl. Wolf 2002, S. 174ff.

342 Vgl. Rajewsky 2002, S. 16f.

343 Vgl. ebd., S. 17f.

344 Vgl. Wirth 2007, S. 262f.

345 Vgl. Rajewsky 2002, S. 18-22.

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