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2.5 Arten digitaler Literatur

2.5.4 Digitale Lyrik

Piestrak-Demirezen unterscheidet in ihrer Dissertation Hypermediale Fiktionen zwischen nar-rativen und lyrischen Projekten.180 Unter dem Begriff Digitale Lyrik sollen hier solche lyri-schen Werke zusammengefasst werden. Darunter fallen Projekte, die in der Tradition der vi-suellen und konkreten Poesie stehen, sowie alle Formen der Lyrik, die mit Bildern und Ton untermalt sind oder die mit den Mitteln des digitalen Mediums inszeniert werden und die so-genannten Hyperpoetry.181 Oft werden diese Formen, wie bei Simanowski oder Bachleitner auch unter den Kategorien Multimedia oder Multimedialen Dichtungen zusammengefasst.182 Um deutlich zu machen, dass es auch rein textliche Formen gibt, wurde in dieser Arbeit der allgemeine Begriff Digitale Lyrik bevorzugt. Im Folgenden werden nun verschiedene Formen der digitalen Lyrik kurz dargestellt.

179 Vgl. ebd., S. 32ff. sowie Boesken 2010, S. 61f.

180 Vgl. Piestrak-Demirezen 2009, S. 46.

181 Vgl. Bachleitner, 2010, S. 3 und S. 40.

182 Vgl. Bachleitner 2010 sowie Simanowski 2002c.

37 Werden lyrische Formen ins digitale Medium übertragen, so bieten sich neue Möglichkeiten der Gestaltung. Ein typisches Merkmal digitaler Literatur ist die Inszenierung. Dieser Insze-nierungscharakter findet sich auch in digitaler Lyrik wieder, so auch beispielsweise im Werk Raindrops von William Harris.183 Das Gedicht ist nicht statisch angeordnet, sondern die Wor-te sind in Bewegung. Das Werk erhält auf diese Weise eine zeitliche KomponenWor-te. Wie Sima-nowski anführt, ermöglicht das Medium Computer zwei neue Ebenen der Gestaltung, die es in der traditionellen Literatur noch nicht gab: die Interaktion und die Inszenierung. Im Zusam-menhang mit der Inszenierung digitaler Lyrik spricht er auch von einer Kinetisierung der Poe-sieformen.184 An zwei Beispielen sollen die neuen digitalen Möglichkeiten deutlich gemacht werden.

Digitale Lyrik kann als eine Form der Erweiterung visueller und konkreter Poesie verstanden werden. In beiden Formen spielt die Visualisierung eines Textes eine große Rolle.So schreibt Bachleitner:

„Ganz allgemein gesprochen verwendet die Visuelle Poesie Buchstaben als zeichneri-sche Elemente. Visuelle Texte können und sollen nicht linear von links nach rechts bzw.

von oben nach unten gelesen, sondern als Wortfelder, geometrische Muster oder Bilder ganzheitlich aufgefasst werden.“185

So auch in der konkreten Poesie, die sich in den 50er und 60er Jahren herausgebildet hat und in der Tradition der visuellen Poesie steht. Das Wort wird hier als Gestaltungselement einge-setzt, um so mit dem Inhalt spielen zu können. Es handelt sich dabei, wie Simanowski an-führt, um Sehtexte, die nicht mehr vorgelesen werden können und dessen Aussagen erst durch die Verknüpfung der grafische Gestaltung und der semantischen Bedeutung der Wörter deut-lich wird.186 Ein bekanntes Beispiel aus dem Bereich der konkreten Poesie ist das Werk Apfel von Reinhard Döhl.187 Döhl hat aus dem sich immer wiederholenden Wort Apfel auch visuell einen solchen geformt. Mittendrin befindet sich einmal das Wort Wurm, was so anzeigt, dass ein Wurm im Apfel steckt.

Dieses Werk hat sich Johannes Auer als Vorbild für sein Projekt worm applepie for doehl genommen und um das Merkmal der Inszenierung ergänzt. Das Wort Wurm erhält in Auers Adaption eine rote Färbung und beginnt sich zu bewegen und den Apfel tatsächlich zu ver-speisen, indem sich das Wort Wurm über die Wörter Apfel bewegt und diese verschwinden

183 Vgl. Harris, William (2008): Raindrops. Online verfügbar unter

http://community.middlebury.edu/~harris/Hyper-Poetry/raindrops.html [07.09.2012].

184 Vgl. Simanowski 2005b, S. 167f.

185 Vgl. Bachleitner 2010, S. 45.

186 Vgl. Simanowski 2005b, S. 165ff.

187 Vgl. ebd., S. 167.

38 lässt. Ebenso wird das Wort Wurm mit der Zeit größer. Dieses Vorgehen kann beliebig oft wiederholt werden.188 Auch Simanowski macht dies deutlich, wenn er schreibt:

„Er [der Wurm] frißt sich durch die Frucht und tilgt mit dem sprachlichen Signifikanten auch den visuellen. Da es sich um ein animiertes Image mit Endlos-Loop handelt, er-folgt dieser Vorgang wieder und wieder. […] Der bewegliche Wurm im Apfel steht für die Fortführung konkreter Poesie mit digitalen Mitteln.“189

Ein weiteres Beispiel für einen spielerischen Umgang mit Lyrik im digitalen Raum stammt ebenfalls von Johannes Auer und trägt den Titel Kill the Poem.190 Beide Werke gehören zu den Klassikern im Bereich der digitalen Lyrik, die immer wieder aufgegriffen werden. Bei Kill the Poem liegt keine werkimmanente Inszenierung vor, wie beim vorherigen Beispiel, die von selbst abläuft, sondern eine rezeptionsabhängige Inszenierung.

In Auers Werk Kill the Poem wird dem Leser ein Gedicht mit einem Wortspiel mit den Be-griffen keine, faxen, mit, tango, ist und ernst präsentiert. Daneben ist eine Pistole zu sehen, auf welcher der Begriff faxen steht. Fährt der Leser mit der Maus über diese Pistole, wird er mit den Worten Click and Kill dazu angehalten, die Pistole zu aktiveren und löscht damit das Wort faxen aus dem Gedicht, dabei ertönt auch ein Schussgeräusch. Danach kann der Leser nachladen und so nacheinander alle Wörter aus dem Gedicht löschen. Anschließend kann wieder von vorne begonnen werden.191 Der Leser wird in das Geschehen miteinbezogen, muss aktiv werden und erlebt so einen spielerischen Umgang mit dem Material. Die folgende Abbildung 1 verdeutlicht das Konzept des Werkes:

188 Vgl. Auer, Johannes (1997b): Worm applepie for doehl. Online verfügbar unter http://auer.netzliteratur.net/worm/applepie.htm [07.09.2012].

189 Simanowski 2002c, S. 129f.

190 Vgl. Auer, Johannes (1997a): Kill The Poem. Online verfügbar unter http://auer.netzliteratur.net/kill/killpoem.htm [07.09.2012].

191 Vgl. ebd.

39 Abbildung 1: Screenshots von Kill the poem192

In diesem Werk zeigt sich ebenfalls die Verknüpfung von Lyrik und Bild (Pistole) sowie Ton.

Was hier ein Geräusch (das Schussgeräusch) ist, kann bei anderen Projekten Musik oder Sprache sein.193 Ein weiteres Beispiel für ein Werk, das Intermedialität, Interaktivität und Inszenierung miteinander verknüpft, ist Bas Böttchers Looppool, welches seit 1998 existiert und 2010 überarbeitet wurde.194

Daneben gehört in den Bereich der digitalen Lyrik die Form der Hyperpoetry, in der entweder einzelne Teile eines Gedichts im Hypertextprinzip angeordnet oder mehrere Gedichte via Hy-perlink miteinander verbunden sind.195 Wie deutlich wird, gibt es innerhalb digitaler Lyrik eine Vielzahl von Möglichkeiten, lyrisches Material mit den spezifischen Eigenschaften des digitalen Mediums zu kombinieren.