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3 Ausgewählte Risikofaktoren für Essstörungen: Untersuchungen an einer

3.3 Studie 3 – Qualitatives Interview:

3.3.2 Fragestellungen und Hypothesen

3.3.5.1 Inhaltliche Diskussion der Fragestellungen

Die gefundenen Ergebnisse stimmen weitestgehend mit den quantitativen Befunden der Studien 1 (vgl. Kapitel 3.1) und 2 (vgl. Kapitel 3.2) überein.

Konform mit den Ergebnissen von Jacobi und Fittig (2008), Jacobi, Hayward et al.

(2004), Jacobi und Neubert (2005) sowie Stice (2002a) gaben mehr HR-Frauen als NR-Frauen an, mit ihrem Körper unzufrieden zu sein. Welche große Rolle die Körperun-zufriedenheit für die betroffenen Frauen spielt, zeigen die vielfältigen Alltagssituatio-nen, in welchen laut Angaben der Frauen die Unzufriedenheit ausgelöst wird (vgl.

Tabelle 3.60). Insbesondere in sozialen Situationen (wie z. B. beim Kennenlernen neuer Leute oder bei der Partnersuche) rücken die vermeintlichen eigenen körperlichen Män-gel in den Fokus der Frauen und lösen bei diesen mitunter stark aversive Gefühle wie Trauer, Ärger und Scham bezüglich des eigenen Körperselbsts aus (Stice, 2002a: „Kör-perunzufriedenheit als Risikofaktor für negative Emotionalität“; vgl. Kapitel 2.3.3.2).

44 Berechnet wurde der Chi2-Test. Ebenso wurde der entsprechende exakte Test hoch signifikant (Diehl

& Staufenbiel, 2007, Kap. 42).

Ebenso konsistent mit den Befunden quantitativer Studien sind die Mehrzahl der von den Frauen geäußerten subjektiven Gründe für die erlebte Körperzufriedenheit bzw.

Körperunzufriedenheit (vgl. Tabelle 3.61 und Tabelle 3.62): Übergewicht, niedriges Selbstwertgefühl, wahrgenommener soziokultureller Druck, schlank zu sein, und man-gelnde soziale Eingebundenheit können als empirisch gut bestätigte Risikofaktoren für die Entwicklung einer Essstörung gelten (vgl. Kapitel 2.3.3.2).

Weitere – in quantitativen Studien bislang eher weniger untersuchten – Konstrukte, die bei der Entwicklung von Körperzufriedenheit bzw. von Körperunzufriedenheit und Essstörungen eine Rolle spielen könnten, sind nach den subjektiven Angaben der Frau-en „SelbstwirksamkeitserwartungFrau-en bezüglich der Gewichtskontrolle“, „Allgemeine Lebenszufriedenheit“, „stabile Partnerschaft und Freundschaftsbeziehungen“, „Bedeut-samkeit von Schlankheit in der Herkunftsfamilie“ und „Mangelnde Disziplin bezüglich Sport und/oder Essen“. Es wäre sicherlich lohnenswert, diese Konstrukte sowohl in quantitativen als auch in qualitativen Studien zukünftig noch differenzierter zu untersu-chen.

Die von der Mehrzahl der Frauen geäußerten positiven Assoziationen bezüglich des Themas „schlank sein“ (vgl. Tabelle 3.63) decken sich mit der Botschaft „thin is beauti-ful“ und „beautiful is good“ (Striegel-Moore et al., 1986, S. 247) und sprechen für eine hohe Internalisierung des in der westlichen Gesellschaft verbreiteten Schlankheitsideals.

Allerdings kann das in der Werbewirtschaft verbreitete Credo „nur schlanke Models erhöhen den Umsatz“ nach den vorliegenden Befunden nicht bestätigt werden, wie fol-gende Aussage einer Probandin zeigt: „Ich denke mir oft, dass, wenn Firmen mit der Normalfrau werben würden, dann würden sie vielleicht mehr Profit machen. Sieht man ja bei Dove, die haben ja diese Kampagne gemacht. Und ich glaube, die haben ihren Umsatz verdoppelt. Und ich verstehe nicht, warum das nicht mehr machen können.“

(Probandin 16ER16, HR).

Diäten gelten als empirisch gut bestätigter Risikofaktor für die Entwicklung von Ess-störungen (vgl. Kapitel 2.3.3.2). Auch wenn Diäten mit negativen Erfahrungen verbun-den waren (vgl. Tabelle 3.64) und generell sehr kritisch sowohl von verbun-den HR- als auch den NR-Frauen gesehen wurden (vgl. Tabelle 3.66), führten – im Einklang mit Befun-den zahlreicher quantitativer Studien – deskriptiv mehr HR-Frauen und deren Bezugs-personen Diäten durch als NR-Frauen und deren BezugsBezugs-personen (vgl. Abbildung 3.8 und Abbildung 3.9). D. h., das vorhandene semantische Wissen bezüglich Diäten führte nur bei einem Teil der Frauen dazu, dass auf die Durchführung von

Diätverhaltenswei-sen gänzlich verzichtet wurde. Als die in diesem Zusammenhang möglicherweise be-deutsamen Variablen kristallisierten sich in der vorliegenden Studie insbesondere die Konstrukte „Übergewicht“ und „Vorleben von Diätverhaltensweisen in der Herkunfts-familie“ heraus. Als Auslöser für Diätverhaltensweisen wurden von den betroffenen Frauen wiederum insbesondere soziale Auslöser wie beispielsweise „Präsentation des Körpers im Schwimmbad“ oder „Kennenlernen eines potenziellen neuen Partners“ ge-nannt (vgl. Tabelle 3.65).

Bezüglich der Medialen Präsentation des Schlankheitsideals und die Auswirkungen von Modelbildern auf die Psyche und das Verhalten von NR- und HR-Frauen fand sich in Übereinstimmung mit experimentellen Studien (vgl. Kapitel 3.2), dass v. a. die Frau-en mit einem hohFrau-en Risiko für EssstörungFrau-en von tiefergehFrau-endFrau-en negativFrau-en GefühlFrau-en (vgl. Tabelle 3.68) nach der Betrachtung solcher Bilder berichteten.

Das Bewusstsein, dass viele der in Zeitschriften und im Fernsehen gezeigten Bilder bearbeitet sind und nicht der Realität entsprechen, erwies sich hierbei als Schutzfaktor für die Auslösung negativer Emotionen und Diätverhaltensweisen. Dieser Befund unter-stützt die Forderung einiger Autoren, bei der Prävention von Essstörungen (vgl. Kapitel 2.2) insbesondere die Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen zu stärken.

Zudem sprechen die vorliegenden Ergebnisse dafür, dass im Rahmen von Präventi-onskonzepten insbesondere eine realistische Auseinandersetzung mit dem Thema „Mo-dels“, „Modelbilder“ sowie dem propagierten „Schlankheitsideals“ erfolgen sollte, da das Leben bzw. der Modelberuf – neben negativen Assoziationen – auch deutlich mit neutralen bis positiven Assoziationen in Verbindung gebracht wurde (vgl. Tabelle 3.69).

Die in Tabelle 3.70 aufgeführten subjektiven Gründe für den Konsum von Modemag-zinen und Modereportagen betonen insbesondere wieder den sozialen Aspekt (z. B.

„Diskussionsstoff für Gespräche mit Freunden“).

Lediglich für HR-Frauen spielten negative Kommentare/Hänseleien von Peers wäh-rend der Schulzeit eine wichtige Rolle (vgl. Tabelle 3.75) mit zumeist negativen Aus-wirkungen auf die Psyche und das Verhalten der betroffenen Frauen (vgl. Tabelle 3.71).

Ebenso wie die von den Frauen genannten Gründe für die negativen Auswirkungen die-ser Kommentare auf ihre Psyche und ihr Verhalten (vgl. Tabelle 3.72) stimmen diese Ergebnisse mit den Befunden zahlreicher Studien überein, die von schädlichen Auswir-kungen von Einflüssen der Peergruppe berichten (z. B. Bell & M. J. Cooper, 2005; Ber-ger et al., 2005; Eisenberg et al., 2005; Ghaderi, 2001; Neumark-Sztainer et al., 2002;

Oliver & Thelen, 1996; Paxton et al., 1999; Stormer & Thompson, 1996; Thompson et al., 1999, S. 151-174).

Negative Kommentare seitens des Partners oder der Eltern spielten in der vorliegen-den Studie keine große Rolle für die befragten Frauen (vgl. Tabelle 3.75). Auch fanvorliegen-den sich keine Unterschiede zwischen NR- und HR-Frauen. Insgesamt sind die Befunde diverser Studien bezüglich der Rolle negativer Kommentare seitens des Partners oder der Eltern weniger eindeutig als die Rolle von Peers. In einigen Studien (z. B. Presnell et al., 2004) wurden keine Einflüsse von negativen Kommentaren seitens des Partners oder der Eltern gefunden, wohingegen andere Studien (z. B. Schwartz, Phares, Tantleff-Dunn & Thompson, 1999) von negativen Auswirkungen berichten.

Rodgers und Chabrol (2009) äußern in ihrem aktuellen Review hierzu: „Attempts to determine the relative importance of different sources of influence have not led to conclusive findings“ (S. 142) und “attempts to evaluate the relative importance of different sources of sociocultural pressures on body image disturbance and disordered eating have therefore met with moderate success” (S. 143).

Nicht vollständig auszuschließen ist jedoch, dass die Probandinnen aus Gründen so-zialer Erwünschtheit in der vorliegenden Studie nichts Negatives über ihre Partner und ihre Eltern sagen wollten.

Der von Männern aus der Sicht der Probandinnen bevorzugte Frauentyp (vgl.

Tabelle 3.74) entspricht im Großen und Ganzen dem in der Gesellschaft verbreiteten Schlankheits- und Schönheitsideal. Dieser Befund kann erklären, weshalb Frauen bei der Partnersuche Körperunzufriedenheit erleben (vgl. Tabelle 3.60) und das Kennenler-nen eines potenziellen neuen Partners zur Durchführung von Diätverhaltensweisen führt (vgl. Tabelle 3.65).