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2 Theoretische Grundlagen und empirische Befunde

2.2 Prävention von Essstörungen

2.2.1 Allgemeine Aspekte der Prävention

Unter Prävention versteht man laut einer Definition des schweizerischen Bundesamtes für Gesundheit (BAG) „alle (zielgerichteten) Maßnahmen und Aktivitäten, die eine be-stimmte gesundheitliche Schädigung verhindern, weniger wahrscheinlich machen oder verzögern“ (BAG, 1999, zitiert nach Dannigkeit, 2004). Dieser Begriff der Krankheits-prävention entwickelte sich in der Sozialmedizin des 19. Jahrhunderts aus der Debatte um soziale Hygiene und Volksgesundheit. Risikofaktoren von Krankheiten sollen zu-rückgedrängt werden (Vermeidungsstrategie) (Hurrelmann, Klotz & Haisch, 2004).

Von der Prävention kann der deutlich jüngere Begriff der Gesundheitsförderung ab-gegrenzt werden, der sich nach einer wegweisenden Konferenz der WHO im Jahr 1986 etablierte. Durch die Verbesserung der Lebensbedingungen (soziale und wirtschaftliche Faktoren, Umweltfaktoren, Faktoren des Lebensstils, psychologische Faktoren, Zugang zu gesundheitsrelevanten Leistungen und Institutionen) sollen Menschen eine Stärkung ihrer gesundheitlichen Entfaltungsmöglichkeiten erfahren, Schutzfaktoren und Ressour-cen sollen gestärkt werden (Promotionsstrategie) (a. a. O.).

Gemeinsames Ziel von Interventionsmaßnahmen der Prävention und der heitsförderung ist es, sowohl einen individuellen als auch einen kollektiven Gesund-heitsgewinn zu erzielen, wobei unterschiedliche Interventionsformen mit verschiedenar-tigen Wirkprinzipien unter die beiden Begriffe subsumiert werden können. Allerdings werden die Begriffe Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung in der Fachlitera-tur nicht einheitlich verwendet (a. a. O.).

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in der BRD die Gesundheitspolitik zunächst auf Medizinpolitik und einen individuell-kurativen Umgang mit Gesundheit/Krankheit re-duziert. Erst 1982 gelang mit der Deutschen Herzkreislauf-Präventionsstudie (DHP) die Etablierung des ersten größeren gemeindebezogenen Präventionsprojektes in Deutsch-land (Rosenbrock, 1998).

1986 fand in Ottawa die „1. Internationale Konferenz zur Gesundheitsförderung“ der WHO statt, deren Abschlussresolution unter der Bezeichnung Ottawa-Charta bekannt geworden ist (Hildebrandt & Kickbusch, 2006). Die Ottawa-Charta der WHO gilt als

„derzeit umfassendstes, wissenschaftlich gut untermauertes Präventionskonzept“ und

„ist heute wahrscheinlich das meistzitierte – wenngleich … keineswegs das meist be-achtete – Bezugsdokument präventiver Gesundheitspolitik in Deutschland“ (Ro-senbrock, 1998, S. 5-6).

Als zentrale Punkte wurden in der Charta bezüglich der Gesundheitsförderung u. a.

festgehalten: Realisation einer gemeindenahen Gesundheitsförderung, Gesundheitsför-derung auf allen Ebenen der Politik und mit Hilfe einer demokratischen Gestaltung und Einflussnahme der Bevölkerung, Ermöglichung eines höheren Maßes an Selbstbestim-mung über die eigene Gesundheit für alle Menschen, Verantwortung für Gesundheit liegt nicht nur bei dem einzelnen Individuum, sondern auch in der allgemeinen Politik-gestaltung (Klotter, 2002).

Im Zuge der Novellierung des Sozialgesetzbuches V (SGB V) war den Institutionen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) 1989 mit dem neu eingeführten § 20 ein allgemeiner Präventionsauftrag erteilt worden, infolge dessen die Krankenversicherun-gen eine Vielzahl von Angeboten zur Gesundheitsförderung geschaffen haben. Diese waren wissenschaftlich jedoch häufig nicht fundiert und gerieten sowohl in der Fach-welt als auch in der allgemeinen Bevölkerung in schlechten Ruf. 1996 wurde schließlich der allgemeine Präventionsauftrag an die Krankenkassen, mit Ausnahme der betriebli-chen Gesundheitsförderung, wieder aus dem § 20 des SGB V gestribetriebli-chen, da die seitens des Gesetzgebers mit dem Paragraphen verbundene Hoffnung, die Stärkung des eigen-verantwortlichen Umgangs mit der eigenen Gesundheit könne kostendämpfend wirken, nicht erfüllt wurde (Dannigkeit, 2004; Klotter, 2002).

Bei der praktischen Umsetzung der Ottawa-Charta in Deutschland können tiefsitzen-de strukturelle Hemmfaktoren (bis heute existiert kein präventionspolitisches Gesamt-konzept im Sinne nationaler Gesundheitsprogramme und die gesetzlichen Krankenkas-sen sind auf die Aufgaben der Prävention strukturell unzureichend vorbereitet), aber auch ausgesprochene Erfolgsgeschichten, wie z. B. die Aids-Prävention, konstatiert werden (Hurrelmann et al., 2004; Rosenbrock, 1998).

Insgesamt betrachtet spielen Maßnahmen zur Prävention und Gesundheitsförderung in der auf die Kuration und Therapie von Krankheiten ausgerichteten gesundheitlichen Versorgungslandschaft weiterhin eine untergeordnete Rolle. Nur ca. 4 % des gesamten

Budgets der gesetzlichen Krankenversicherung stehen für präventive Interventionen zur Verfügung (Hurrelmann et al., 2004). Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für Gesundheitsvorsorge und Verhütung von Krankheiten sind jedoch für das Jahr 2009 laut Aussage des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherung auf die Re-kordsumme von rund 5 Milliarden Euro gestiegen (DGVT, 2010).

Seit ca. 2000 wird der Präventionsgedanke, vor dem Hintergrund des demografi-schen Wandels und der damit steigenden Zahl chronisch kranker und versorgungsbe-dürftiger Menschen sowie der Verknappung finanzieller Ressourcen im Gesundheits-system, von der Gesundheitspolitik im Rahmen des Gesundheitsreformgesetzes wieder verstärkt vorangetrieben. Mit der Neufassung des § 20 SGB V haben die Krankenkassen wieder einen erweiterten Handlungsspielraum in der Primärprävention und der betrieb-lichen Gesundheitsförderung erhalten. Nach den Vereinbarungen des Koalitionsvertra-ges vom November 2005 sollten mit einem PräventionsKoalitionsvertra-gesetz Prävention und Gesund-heitsförderung zu einer eigenständigen Säule des Gesundheitswesens – neben Akutbe-handlung, Rehabilitation und Pflege – ausgebaut werden (BMG, Juli 2006). Dieses Ge-setzesvorhaben ist jedoch gescheitert und es bleibt abzuwarten, ob von der neu gebilde-ten Bundesregierung die Stärkung von Prävention und Gesundheitsförderung durch eine umfassende gesetzliche Verankerung initiiert und durchgesetzt werden kann (DGVT, 2009).

Von wissenschaftlicher wie politischer Seite werden zunehmend Qualitätsforschung und Qualitätssicherungsmaßnahmen gefordert, um die vielfältigen Methoden der Prä-vention und Gesundheitsförderung sachlich bewerten zu können (BMG, Juli 2006;

BZgA, 2002). Prinzipiell sind dabei viele verschiedene Klassifizierungen von Präventi-onsmaßnahmen und Maßnahmen zur Gesundheitsförderung möglich, wobei kritisch festgestellt werden muss, dass in der Literatur und in Studien häufig die Kategorien un-scharf abgegrenzt und inkohärente Begrifflichkeiten verwendet werden. Dies führt letzt-lich zu einem qualitativ sehr gemischten Angebot an Interventionen (Dannigkeit, 2004;

Leppin, 2004).

Beispielsweise können nach „einer der gebräuchlichsten Differenzierungen“ (Leppin, 2004, S. 32) Präventionsmaßnahmen danach unterschieden werden, ob sie das Auftreten von Neuerkrankungen in einer Population vor dem Erstauftreten verhindern sollen (Re-duktion der Inzidenzrate; Zielgruppe asymptomatische Personen; primäre Prävention), oder ob bei bereits eingetretener Erkrankung eine möglichst geringe Dauer und Intensi-tät angestrebt wird (Reduktion der Prävalenzrate; Zielgruppe gefährdete Personen;

se-kundäre Prävention). Im Rahmen der sese-kundären Prävention geht es darum, eine Er-krankung in einem möglichst frühen Stadium zu diagnostizieren bzw. Risikofaktoren möglichst früh zu beseitigen, um das Auftreten von (weiteren) Krankheitssymptomen zu verhindern. Sollen Beeinträchtigungen, die infolge der Erkrankung auftreten, abge-schwächt und der Krankheitsverlauf sowie die Prognose mittels therapeutischer Maß-nahmen günstig beeinflusst werden, spricht man von tertiärer Prävention (Fairburn, 1995; Leppin, 2004).