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Implikationen und Ausbaumöglichkeiten des einfachen mikroökonomischen Gewerkschaftsmodells

Schaubild 6.2 In Schaubild 6.2 zeigt die schraffierte Fläche zwischen der Isogewinnkurve

6.4. Implikationen und Ausbaumöglichkeiten des einfachen mikroökonomischen Gewerkschaftsmodells

Der Hauptzweck einer mikroökonomischen Betrachtung von Gewerkschaften be-steht darin, deren Handeln verhaltenstheoretisch zu fundieren und dessen makroökonomischen Auswirkungen auf Beschäftigung, Löhne, Inflation, Produk-tivität etc. besser abschätzen zu können. Wie oben bereits angesprochen, dürften hierfür eine explizitere Berücksichtigung der Interessenheterogeni-tät in einer Gewerkschaft, eine dynamische Betrachtung, eine Einbeziehung von Unsicherheit sowie eine verstärkte Beachtung politischer, sozialer und institutioneller Einflußfaktoren von Vorteil sein und mögliche Schwerpunkte zukünftiger Gewerkschaftsforschung darstellen. In diesem Zusammenhang kann Oswald (1985, 1987) zugestimmt werden, wenn er fordert, daß sich die theo-retischen Modelle stärker an beobachtbaren Fakten ausrichten sollten und daß der Graben zwischen theoretisch arbeitenden Wirtschaftswissenschaftlern und eher institutionell-deskriptiv ausgerichteten soziologisch-ökonomischen Arbeitsmarktforschern überwunden werden müsse.

Die Bedeutung solcher Fakten zeigt sich spätestens beim Sprung von der Mikro- auf die Makroebene, wo man auf ein Aggregationsproblem stößt, das darin besteht, daß sich mikroökonomische zusammenhänge und Ergebnisse, die aus der Betrachtung einer einzigen repräsentativen Gewerkschaft und eines entsprechenden Arbeitgebers gewonnen wurden, nicht unbedingt ohne Modifi-kationen auf die gesamtwirtschaftliche Ebene übertragen lassen. Hier spie-len unter anderem institutionelle Strukturen eine Rolle, wie z.B. die für die Verwendung eines passenden Gewerkschaftsmodells wichtige Frage, ob Tarifverhandlungen nur die Löhne oder auch die Beschäftigung betreffen, sowie die Frage der in einer Volkswirtschaft üblichen Verhandlungsebene.

Nach Ansicht von Pencavel (1985) macht das Aggregationsproblem besonders bei einem System dezentralisierter Verhandlungen auf Firmenebene, das für die USA typisch ist, auf Mikromodelle gestützte makroökonomische Aussagen beinahe unmöglich, während es für ein System weitgehend zentralisierter

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und meist industriespezifischer Verhandlungen mit hoher Allgemeinverbind-lichkeit wie in der Bundesrepublik Deutschland von geringerer Bedeutung sein dürfte.

Deshalb überrascht es nicht, daß die meisten theoretischen wie empirischen Untersuchungen der makroökonomischen Auswirkungen von Gewerkschaften sich auf Systeme zentralisierter Tarifverhandlungen beziehen, wobei als Beispiel gerne die skandinavischen Länder verwendet werden. In einem solchen System dürfte nicht nur die Regierung bei der Formulierung ihrer Politik die Ta-rifabschlüsse berücksichtigen, sondern auch die Arbeitsmarktparteien dürf-ten bei der Lohnfindung mögliche Reaktionen der Regierung miteinbeziehen, so daß Wirtschaftspolitik und Tarifverhandlungen als ein Spiel der Akteure Gewerkschaft, Arbeitgeber und Regierung interpretiert werden können. Wenn nun die Regierung - tatsächlich oder nur scheinbar - eine keynesianische Vollbeschäftigungspolitik verfolgt, wird die Gewerkschaft dies auszunutzen und höhere Löhne durchzusetzen versuchen, da für sie eine Vollbeschäfti-gungspolitik die in Beschäftigungsrückgängen zum Ausdruck kommenden Grenz-kosten von Lohnerhöhungen senkt, ohne deren Grenznutzen zu beeinflussen.

Im Gegensatz zu Modellen der Neuen Klassischen Makroökonomie (vgl. Sargent

& Wallace, 1976), in denen eine systematische Stabilisierungspolitik keine

Beschäftigungseffekte hat, wirkt somit bei Berücksichtigung einer nutzen-maximierenden Gewerkschaft nach dem Monopol-Modell eine staatliche Vollbe-schäftigungspolitik sogar kontraproduktiv und führt zu einer Erhöhung der Arbeitslosigkeit. 1)

Daß sich eine Volkswirtschaft mit einer nutzenmaximierenden Gewerkschaft anders verhält als ohne derartige Arbeitnehmerorganisationen demonstriert auch Shah (1985) durch eine entsprechende Ergänzung des ferner um die An-nahme vollständiger Preisflexibilität erweiterten IS-LM-Modells von

Blin-der & Solow (1973). Allerdings kommt Shah (1985), der sowohl das

Monopol-1) Ein formaler Nachweis dieser Erkenntnis findet sich erstmals bei Calm-fors (1982) und dann in weiterentwickelten Modellen von Driffill (1984, 1985), Calmfors & Horn (1985, 1986a), Gylfason & Lindbeck (1986) sowie Holmlund (1986). Im Rahmen seiner in Kapitel 4 angesprochenen Inflations-erklärung zieht auch Hayek (1974a,b) ähnliche Schlüsse. Für Hayek (1974a, S.9) "ist es eine der ernstesten Folgen der monetären Vollbeschäftigungs-politik, daß sie die Schranken beseitigt hat, die es für die Gewerkschaf-ten notwendig machen, bei ihren Lohnforderungen maßzuhalGewerkschaf-ten, nämlich die Rücksicht auf die Arbeitslosigkeit".

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Modell gewerkschaftlichen Verhaltens als auch das Modell der effizienten Verhandlungen berücksichtigt, zu dem Ergebnis, daß traditionelle wirt-schaftspolitische Instrumente wie die Erhöhung der Staatsausgaben oder die Senkung der Einkommensteuer unter den Annahmen seines Modells, zu denen keine explizite Vollbeschäftigungsregel gehört, die gewünschten positiven Beschäftigungseffekte haben können. Auch Ellis & Fender (1985, 1987), die in ihren Modellen Quantitätsbeschränkungen bzw. eine offene Volkswirtschaft berücksichtigen, und Dixon (1986), der eine Gleichgewichtsanalyse bei un-vollständiger Konkurrenz durchführt, gehen in ihren makroökonomischen Un-tersuchungen von nutzenmaximierenden Gewerkschaften aus und verdeutlichen damit die großen Anwendungsmöglichkeiten der in diesem Kapitel erörterten mikroökonomischen Modelle gewerkschaftlichen Verhaltens.

Ein weiteres Gebiet, auf dem die Annahme einer nutzenmaximierenden Gewerk-schaft Verwendung gefunden hat, stellt die Analyse der Wirkungen von Steueränderungen dar. Im Rahmen ihrer internationalen Stagflationsanalyse zeigen Bruno & Sachs (1985, Kap.9) unter Verwendung des Monopol-Modells gewerkschaftlichen Verhaltens, daß in den siebziger Jahren neben Input-Schocks vor allem die Erhöhung von Lohnsummensteuern bzw. Lohnnebenkosten zu einem Rückgang der Beschäftigung bei relativer Konstanz der Nettolöhne geführt haben dürfte, was sich mit theoretischen Überlegungen von Sampson (1983) deckt. Sampson (1984) untersucht ferner die Auswirkungen der Ein-führung einer negativen Einkommensteuer in einer Volkswirtschaft mit einer utilitaristischen Gewerkschaft, erhält allerdings keine eindeutigen Ergeb-nisse. Eine ex ante aufkolTlllensneutrale Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes bei gleichzeitiger Senkung der Einkommensteuersätze führt jedoch nach Er-kenntnissen von Sampson (1986a) bei utilitaristischen Gewerkschaften ten-denziell zu einer Erhöhung des angestrebten Optimallohnsatzes mit entspre-chenden Beschäftigungsverlusten. Hersoug (1984) beschäftigt sich mit den Auswirkungen von progressivitätsneutralen wie auch progressivitätsverän-dernden Einkommensteueränderungen auf den Lohnsatz bei Gültigkeit des Mono-pol-Modells gewerkschaftlichen Verhaltens, doch finden seine Überlegungen bei der Anwendung auf norwegische Daten durch Hersoug, Kjaer

&

R~dseth (1986) kaum empirische Bestätigung.

Ungeachtet mancher Schwierigkeiten verdeutlichen derartige makroökonomi-sche Analysen sowie allgemeine Gleichgewichtsmodelle die Wichtigkeit einer

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adäquaten Modellierung gewerkschaftlichen Verhaltens und seiner gesamtwirt-schaftlichen Auswirkungen. Deshalb fordert auch Oswald (1985, S.186f.) wei-tere Untersuchungen dieser Art: "there is an obvious need for good macro-economic and general equilibrium analysis; partial equilibrium models have dominated for too long. This would allow us to say more about the effects of trade unions on the level of economic welfare". Zur Analysegewerkschaft-licher Wohlfahrtseffekte unterteilen allgemeine Gleichgewichtsmodelle die Volkswirtschaft meist in einen gewerkschaftlich organisierten und einen nichtorganisierten Sektor, zwischen denen aufgrund der angenommenen Fähig-keit der Gewerkschaft, in ihrem Sektor den Lohnsatz zu kontrollieren, ein Lohnunterschied besteht. Die Durchsetzung höherer Löhne im organisierten Sektor hat dann, je nach Mobilität und sektoraler Intensität von Kapital und Arbeit, aufgrund bestehender zusammenhänge zwischen beiden Sektoren Aus-wirkungen auf die Beschäftigung, die Löhne, die Ressourcenallokation und die Einkommensverteilung in der gesamten Volkswirtschaft. Beispiele für solche gesamtwirtschaftlichen Analysen von Gewerkschaftseffekten, die aller-dings unterschiedliche Schwerpunkte und Schlußfolgerungen aufweisen, sind die Arbeiten von Johnson

&

Mieszkowski (1970), Diewert (1974), Carruth

&

Oswald (1981), Minford (1983), Lazear (1983a,b) und DeFina (1983, 1985).

Allerdings beruhen diese Modelle, wie auch Oswald (1985) einräumt, auf zum Teil stringenten Annahmen über intersektorale Beziehungen, Faktorintensi-tät und -mobiliFaktorintensi-tät, Struktur der Märkte und der Wirtschaft, Preisgestal-tung, Außenwirtschaftsbeziehungen und Höhe des Lohndifferentials (das in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der Quasi-Allgemeinverbindlichkeit von Tarifabschlüssen nicht existiert), so daß ihre Aussagefähigkeit und praktische Verwendbarkeit stark eingeschränkt ist. Deshalb soll die umstrit-tene Analyse gewerkschaftlicher Wohlfahrtseffekte in den nun folgenden Ka-piteln nicht anhand eines formalen Modells, sondern vorwiegend durch einen empirisch gestützten überblick über bestehende Positionen vorgenommen wer-den. Dabei dürfte sich auch zeigen, ob die in diesem Kapitel dargestellten Effekte nutzenmaximierenden gewerkschaftlichen Verhaltens eine hinreichende Charakterisierung gewerkschaftlicher Wirkungen darstellen, oder ob diese durch soziopolitische bzw. institutionelle Aspekte ergänzt werden müssen.

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