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ÄLTERE ERKLÄRUNGSANSÄTZE

6. DIE MODERNE ÖKONOMISCHE THEORIE DER GEWERKSCHAFT 1. Das Monopol-Modell

6.1.1. Eine einfache graphische Darstellung

Die heute in der Literatur wohl am weitesten verbreitete mikroökonomische Darstellung des Gewerkschaftsverhaltens ist das sogenannte Monopol-Modell, das an die im vorigen Kapitel erwähnten Arbeiten von Fellner (1947) und Cartter (1959) anknüpft und deshalb auch als Fellner-Cartter-Modell be-zeichnet wird. l) Dabei wird davon ausgegangen, daß eine Gewerkschaft haupt-sächlich an Veränderungen der Löhne und der Beschäftigung interessiert ist und eine Zielfunktion zu maximieren sucht, die beide Variablen als Argu-mente enthält, wobei der in einer fallenden Arbeitsnachfragekurve zum Aus-druck kommende, im vorigen Kapitel dargestellte "trade off" zwischen Lohn-satz und Beschäftigung die Nebenbedingung des Maximierungsproblems dar-stellt.

Ein einfaches Monopol-Modell läßt sich auf folgenden Annahmen aufbauen, die zum Teil auch gelockert werden können: Die Gewerkschaft wird als Ver-einigung von Arbeitnehmern mit gleichen Charakteristika gesehen, die alle Beschäftigten einer Industrie umfaßt und deren Mitgliederzahl Tals exogen gegeben und fix betrachtet werden kann. Die Präferenzen der Gewerkschaft bzw. ihrer Führung seien repräsentiert durch eine quasi-konkave gewerk-schaftliche Nutzenfunktion U = U(W,B), wobei W den Nominallohnsatz und B die Höhe der (gewerkschaftlichen) Beschäftigung bezeichnen. Die Gewerk-schaft sehe sich einer Arbeitsnachfragekurve der Form B = B(W,µ) gegenüber, wobei W wieder der Lohnsatz undµ ein Vektor anderer relevanter Parameter ist. Beide Funktionen seien zweifach differenzierbar und U(.) sei eine zu-nehmende Funktion beider Variablen, während B(.) eine abzu-nehmende Funktion der Lohnhöhe darstelle. Sowohl Wals auch B seien "normale" Güter, d.h.

eine Parallelverschiebung der Arbeitsnachfrage nach rechts im W-B-Diagramm 1) Vom "Fellner-Cartter-Modell" spricht Pencavel (1984a,b), während Oswald (1984, 1985, 1986, 1987) - und mit ihm der überwiegende Teil der Gewerk-schaftsliteratur - den Ausdruck "Monopol-Modell" bevorzugt und dieses in seinen Grundzügen auf Dunlop (1944) zurückführt.

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führt dazu, daß - bei einer konstanten Grenzrate der Substitution zwischen Wund B - die Gewerkschaft sowohl einen höheren Lohnsatz als auch eine Zu-nahme der Beschäftigung anstrebt. Da von Steuern und anderen Variablen, die einen Keil zwischen den vereinbarten Lohnsatz und den tatsächlich ausbe-zahlten Verdienst treiben könnten, einstweilen abgesehen werden soll, und da das allgemeine Preisniveau Peine exogen gegebene, konstante, nicht von der Gewerkschaft beeinflußbare und daher mit P=1 normierbare Größe sein soll, entspricht der festzulegende Nominallohnsatz W auch der realen und der tatsächlich den Beschäftigten zukommenden Lohnhöhe.

Die entscheidende Annahme des Monopol-Modells besteht nun darin, daß davon ausgegangen wird, die Gewerkschaft sei stark genug, den Lohnsatz zu kon-trollieren, z.B. indem sie den Zugang zum Beruf bzw. das gesamte Arbeits-angebot (durch Überstundenverweigerung etc.) zu beschränken und die ersatz-weise Beschäftigung von Nicht-Gewerkschaftsmitgliedern zu verhindern ver-mag. Unter expliziter Vernachlässigung eines Verhandlungsprozesses wird angenommen, die Gewerkschaft setze - bei Berücksichtigung des trade-off zwischen Lohnhöhe und Beschäftigung - einen bestimmten, für sie optimalen Lohnsatz W* fest, und die Arbeitgeber einer unter vollkommener Konkurrenz stehenden Industrie bestimmten dann entsprechend ihrer Arbeitsnachfrage-funktion die Beschäftigungsmenge B*. 1l

Der für die Gewerkschaft optimale Lohnsatz W* läßt sich formal darstellen als Lösung des folgenden Optimierungsproblems:

Max U = U(W,B) (5. 1)

w

Nebenbedingung: B = B(W,µ) (6. 1)

Da eine zweifache Differenzierbarkeit beider Funktionen angenommen wird, ergeben sich nach Bildung der entsprechenden totalen Differentiale fol-1) Ein solches Verhalten unterscheidet sich vom Verhalten eines

Gütermarkt-monopolisten eigentlich nur dadurch, daß statt des Gewinns der Gewerk-schaftsnutzen maximiert wird; dies erklärt die vielleicht etwas unglück-lich gewählte Bezeichung Monopol-Modell. Analytisch ergibt sich keine Änderung, falls die Gewerkschaft die Beschäftigungsmenge und die Arbeit-geber die Lohnhöhe festlegen; vgl. Carruth & Oswald (1981) und Oswald

(1982b).

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gende Bedingungen erster und zweiter Ordnung für die Existenz eines inne-ren Maximums:

(6.2) (6.3) wobei Subskripte wiederum partielle Ableitungen nach den jeweiligen Varia-blen bezeichnen. Gleichung (6.2) läßt sich auch ausdrücken als

(6.2') und besagt, daß im Optimum, d.h. bei angenommener Erfüllung von Gleichung (6.3), die Grenzrate der gewerkschaftlichen Substitution von Löhnen und Be-schäftigung der Steigung der Arbeitsnachfragekurve entspricht.

Die einfache Struktur dieses Optimierungsproblems erlaubt eine graphische Darstellung wie in Schaubild 6.1, wo die quasi-konkave gewerkschaftliche Nutzenfunktion durch eine Schar konvexer Indifferenzkurven I und die nega-tiv geneigte Arbeitsnachfragekurve B(.) als dazugehörige Restriktion im W-B-Diagramm dargestellt sind. Die optimalen Werte von Lohnsatz (W*) und Beschäftigung (B*) ergeben sich, wie im vorigen Kapitel bereits intuitiv gezeigt, dort, wo eine Indifferenzkurve (im Beispiel !1 ) die Arbeitsnach-fragekurve tangiert.

Anhand von Schaubild 6.1 lassen sich die Auswirkungen des Gewerkschaftsver-haltens auf eine einfache Volkswirtschaft untersuchen, die folgenden übli-chen neoklassisübli-chen Annahmen genüge (vgl. Oswald, 1982a): Es werde nur ein Produkt mit Arbeit als einzigem variablen Produktionsfaktor hergestellt.

Die Produktionsfunktion F = F{B,µ), die die Ausbringungsmenge in Abhängig-keit von der Beschäftigungsmenge Bund von einem Vektorµ anderer relevan-ter Paramerelevan-ter (z.B. fixe Produktionsfaktoren oder Technologie) ausdrückt, sei dreifach differenzierbar und strikt konkav bezüglich der Beschäftigung.

Vollkommene Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und optimierendes Verhalten der Arbeitgeber führten zu einer einfachen Arbeitsangebotskurve A(W), die be-züglich der Lohnhöhe stetig zunehme. Auch auf dem Produktmarkt herrsche

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vollkommene Konkurrenz und der Produktpreis werde als Numeraire definiert.

Einfaches gewinnmaximierendes Verhalten der Arbeitgeber impliziert, daß der Lohnsatz W dem ·Grenzprodukt der Arbeit FB entspricht und daß diese Be-dingung in einer Arbeitsnachfragekurve B(W,µ) mit Steigung 1/FBB < 0 zum Ausdruck kommt.

w

H

0

l

8

o

B Schaubild 6.1

1 1 1

-=-

Fo F(.)

F

Durch den Schnitt der Angebots- und Nachfragekurven für Arbeit im Punkt C ergeben sich in Schaubild 6.1 die Gleichgewichtswerte für den - nominalen wie auch realen - Lohnsatz

w

0 , die Beschäftigungsmenge B0 und die Ausbrin-gungsmenge F0 bei vollständiger Konkurrenz auf allen Märkten. Durch das Auftreten einer Gewerkschaft, die das Arbeitsangebot kontrolliert, ver-liert die Arbeitsangebotskurve A allerdings ihre Bedeutung. Die neuen Gleichgewichtspunkte W*, B* und F* ergeben sich aufgrund der

Tangentenlö-Claus Schnabel - 978-3-631-75548-8 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 03:41:51AM via free access

sung E von gewerkschaftlichen Indifferenzkurven und der Arbeitsnachfrage.

Damit lassen sich folgende Auswirkungen einer gewerkschaftlichen Organisie-rung feststellen:

1) Das Auftreten einer Gewerkschaft führt zu einem höheren Reallohnsatz und zu geringeren Beschäftigungs- und Ausbringungsmengen.

2) Durch das neue Gleichgewicht ergibt sich nicht nur ein Beschäftigungs-rückgang von B0-B*, sondern man kann beim höheren Lohnsatz W* auch eine unfreiwillige Arbeitslosigkeit konstatieren, die der Strecke ED ent-spricht.

3) Das Realeinkommen der Eigner fixer Produktionsfaktoren (z.B. Kapital) fällt in diesem einfachen Modell infolge der gewerkschaftlichen Organi-sierung von der Fläche HCW0 auf HEW*.

4) Das dem Faktor Arbeit insgesamt zufallende Einkommen kann durch gewerk-schaftliche Aktivitäten entweder steigen oder fallen: je nach Elastizi-tät der Arbeitsnachfragekurve, deren Bestimmungsfaktoren im vorigen Ka-pitel dargestellt wurden, ist die Fläche OW*EB* entweder größer, gleich oder kleiner als die ursprüngliche Lohnsumme OW0CB0 •

Diese Ergebnisse des einfachstmöglichen Gewerkschaftsmodells behalten auch im Rahmen komplizierterer Analysen ihre Gültigkeit1), deren es bedarf, wenn man, wie im folgenden, weiteren Einflußfaktoren wie staatliche Besteuerung, Arbeitslosigkeit und Form der gewerkschaftlichen Nutzenfunktion explizite Beachtung schenken will.

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