• Keine Ergebnisse gefunden

Ideen, Normen und Ziele globaler Sozialpolitik

der Kontext transnationaler Diffusionsprozesse

6.2 Ideen, Normen und Ziele globaler Sozialpolitik

Global betrachtet sind Entwicklungsdisparitäten, Armut und soziale Unsicherheit Phänomene, von denen viele Menschen betroffen sind. Deshalb wird soziale Entwicklung global durch Armutsbekämpfung, Einführung von Sozialstandards und den Ausbau sozialer Sicherungssysteme gefördert.

Inzwischen existieren zahlreiche internationale soziale Standards, Rechte und entwicklungspolitische Ziele, bei denen es um den Schutz der Menschenrechte, um Armutsbekämpfung und Inklusion geht (zum Einfluss internationaler Normen auf Lateinamerika vgl. CEPAL 2015, S. 93). Global agierende Akteure definieren sich über die in internationalen Institutionen und im Völkerrecht verankerten gemeinsamen Normen und Werte (Brock & Albert, 1995, S. 259–285). Die Bekämpfung von Armut, Entwicklungsdisparitäten und Exklusion wird als eine durch transnationale Kooperation wahrzunehmende Aufgabe betrachtet.

6.2.1 Das Recht auf soziale Sicherheit als basales soziales Menschenrecht

„Jeder hat als Mitglied der Gesellschaft das Recht auf soziale Sicherheit und Anspruch darauf, durch innerstaatliche Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit sowie unter Berücksichtigung der Organisation und der Mittel jedes Staates in den Genuss der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen, die für seine Würde und die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unentbehrlich sind.“ Artikel 22, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, 1948 In der Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 wird die „Freiheit von Not“ benannt. Gemäß dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPWSKR) von 1966 ist das Recht auf soziale Sicherheit ein basales soziales Menschenrecht (Artikel 9 und 11). In Artikel 9 wird das Recht auf soziale Sicherheit formuliert. (Der Pakt wurde 1978 von Peru ratifiziert.) Die Menschenrechte verpflichten den Staat, die Menschenrechte zu achten, zu schützen und zu gewährleisten.

Bezogen auf die wirtschaftlichen und sozialen Rechte bedeutet dies auch die Pflicht, soziale Leistungen bereitzustellen. Im Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen gewinnt das Recht auf soziale Sicherheit seit 2006 mehr Aufmerksamkeit (Leisering et al., 2006, S. 16) und wird seither aus dem Postulat der Menschenwürde abgeleitet. Trotz der zunehmenden Diskussionen um die Durchsetzung sozialer Menschenrechte existiert in den meisten Entwicklungsländern kein einklagbares Recht auf soziale Grundsicherung und die schwache Ausprägung der Einklagbarkeit von sozialen Rechten wird weiterhin beklagt (Brühl & Nölke, 2009, S. 163;

Tittor, 2009, S. 260).

6.2.2 Das entwicklungspolitische Ziel der globalen Armuts-reduzierung

Im Jahr 1987 veröffentlichte die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen den nach ihrer Vorsitzenden benannten Brundtland-Bericht. Mit der Definition des Begriffs nachhaltige Entwicklung und der Proklamation, dass Nachhaltigkeit auch auf eine weltweite Grund-bedürfnisbefriedigung zielt, d.h. elementare Existenzsicherung und grund-legende Bildung, beeinflusste der Bericht die internationale Debatte über Entwicklungspolitik und Armutsminderung maßgeblich. In den 1990er Jahren erlangte das Thema der Armutsreduzierung immer stärkere inter-nationale Aufmerksamkeit. Armut wurde zunehmend als globales Problem gesehen, das global gelöst werden muss. Im Jahr 1990 begann das Entwick-lungsprogramm der VN, über den Human Development Index (HDI) die Dimensionen Gesundheit, Bildung und Lebensstandard (Lebenserwartung, Alphabetisierungs- und Einschulungsquote) und ein gewichtetes Pro-Kopf-Einkommen der Länder im jährlich erscheinenden Human Development Report abzubilden, während die Weltbank Armut in Entwicklungsländern als absolute Armut (Unterschreiten von 1 US$ pro Tag) und Armut (Unter-schreiten von 2 US$ pro Tag) definierte. Ende der 1990er wurde das Thema Armut schließlich von den meisten IOs (Weltbank, IWF, EU etc.) priorisiert und seither steht die Armutsbekämpfung weltweit auf der Agenda ganz oben.

Die UN-Generalversammlung erklärte die Jahre 1997–2006 zum Jahrzehnt der Armutsbekämpfung und im Bericht „In größerer Freiheit“ beschreibt der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan Armut als „threats to peace and security“ (United Nations, 2005, S. 24–25). Anfang der 2000er Jahre gaben über zwei Drittel der Bevölkerung der OECD-Geberländer an, dass die EZ-Mittel vor allem zur humanitären Nothilfe und Armutsreduktion verwendet werden sollten (McDonnell, Solignac Lecomte, & Wegimont, 2003). Im Jahr 2000 wurde von einer Arbeitsgruppe aus Vertretern der VN, der Weltbank, des IWF und des OECD/DAC als erstes Ziel der MDGs die Ausrottung extremer Armut formuliert. Der World Development Report von 2000/2001, „Attacking Poverty“ (World Bank, 2000b), definierte Armut als mehrdimensionales Phänomen und stellte soziale und ökonomische Ziele gleichberechtigt nebeneinander. In den Leitlinien zur Armutsbekämpfung des OECD/DAC von 2001 (OECD/DAC, 2001) wurden fünf Dimensionen des menschlichen Wohlergehens genannt: (a) die Fähigkeit, Einkommen zu erzielen; (b) Menschenrechte und politische Partizipationschancen; (c) die Möglichkeit, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen; (d) die Fähigkeit,

auf ökonomische und andere Schocks zu reagieren; und (e) der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung, sauberem Wasser, ausreichender Ernährung und Wohnraum.

Bereits auf dem Sozialgipfel in Kopenhagen im Jahr 1995 wurde anerkannt, dass neben strukturellen Maßnahmen (Infrastruktur und Institution Building) Erfolge bei der Armutsbekämpfung nur durch den Aufbau sozialer Sicherungssysteme (Grundbildung, Basisgesundheit, Ernährung) erzielt werden können. Inzwischen wird der Stärkung sozialer Sicherungssysteme eine strategische Rolle bei der Armutsbekämpfung zugemessen und soziale Sicherung gilt als weltweites Instrument zur Armutsbekämpfung und als Voraussetzung für wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Zahlreiche Studien bestätigen die Wechselwirkungen zwischen sozialer Sicherung und Armutsreduzierung und belegen, dass Grundsicherung positive Wirkungen bei der Bekämpfung individueller Armut haben kann. Auch in Lateinamerika konnte die Förderung sozialer Sicherungssysteme einen bedeutenden Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leisten (Sottoli, 1999).

Gleichzeitig entstanden andere Instrumente der Armutsbekämpfung (z.B. CCT-Programme), die als wichtige Innovationen der Sozialpolitik angesehen werden.

Da Armut oft mit Exklusion verbunden ist und Gewalt und Kriminalität begünstigt, steht inzwischen das Ziel der sozialen Inklusion neben dem der Armutsbekämpfung. Laut Leisering, Buhr und Traiser-Diop spielt soziale Grundsicherung über das Ziel der Armutsverminderung hinaus eine Rolle als Komponente einer integrierten Politik sozialer Inklusion, d.h. soziale Grundsicherung schafft die Voraussetzung individueller Teilhabe (Leisering et al., 2006, S. 255).

6.3 Zentrale globale sozialpolitische Akteure und