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Global Governance zwischen Macht und Interessen, Demokratie und Legitimität

3. Verrechtlichte Koordination: Regime

4.3.4 Global Governance zwischen Macht und Interessen, Demokratie und Legitimität

„Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht. Herrschaft soll heißen, die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen gehorsam zu finden“

(Weber, 1960, S. 42f.).

Viele theoretische Ansätzen gehen davon aus, dass es bei globalen Entschei-dungen um Lösungen im kollektiven Interesse geht und weniger um Machtgewinn oder -verlust von Ebenen oder Akteuren. Der Fokus dieser Ansätze liegt auf Interaktion und Problemlösung, aber in der internati-onalen Politik geht es auch um den Gewinn und/oder Erhalt von Macht.

Auf der GG-Ebene hängen die meisten Entscheidungen zwar noch immer von der Zustimmung der Nationalstaaten ab, trotzdem „ist die Frage nach der Steuerung der Weltgesellschaft eng verbunden mit der Machtfrage“

(Reder, 2006, S. 225). Zum Beispiel können Machtunterschiede gerade deshalb verfestigt werden, weil Nationalstaaten zur Lösung von Problemen auf EZ/IZ angewiesen sind. Auf die ungleichen Machtverhältnisse in den internationalen Beziehungen, die es Industrieländern erlauben, ihre Inte-ressen gegenüber Entwicklungsländern durchzusetzen, verwies bereits die kritische Theorie (Brand, Brunnengräber, Schrader, Stock, & Wahl, 2000).

Die geringe Beachtung von Interessen- und Machtkonstellationen globaler Akteure und Institutionen in GG-Konzepten und MES-Betrachtungen werden seit langem bemängelt. Altvater und Mahnkopf kritisierten bereits, dass GG-Konzepte Macht- und Herrschaftsverhältnisse und daraus resul-tierende Interessengegensätze und Konflikte vernachlässigen (Altvater &

Mahnkopf, 1996). Curbach kritisiert, dass in Global Governance-Ansätzen das Machtgefälle zwischen den Akteuren oft zu wenig beachtet wird und dass „das Potential einer Vernetzung der Akteure idealisiert und negative Folgen ausgeklammert werden“ (Curbach, 2003, S. 152).

Auch Dirk Messner befasst sich mit Machtstrukturen und beleuchtet aus organisationstheoretischer Perspektive Hindernisse für Global Governance (Messner, 2005, S. 27–54). Er geht davon aus, dass in der Regel der Einfluss eines Akteurs mit der Bedeutung der von ihm kontrollierten Ressourcen (z.B. finanzielle Mittel, Informationen) steigt, aber „auch kleinere, finanzschwache Organisationen bzw. Akteure, die über strategische Ressourcen verfügen (Wissenschaftler, Experten), über Macht verfügen können“ (Messner, 1995, S. 212). Im Rahmen ihrer GG-Architektur benutzen Nuscheler und Messner das Machtverständnis, um nach einer zukünftigen, sinnvollen Gestaltung der Weltpolitik zu fragen. Sie entwerfen ein normativ ausgerichtetes Machtkonzept, das an die Interpretation von Hannah Arendt anknüpft: „Macht entspricht der menschlichen Fähigkeit, nicht nur zu handeln oder etwas zu tun, sondern sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln“ (Arendt, 2003, S. 45). Laut Messner „basiert Macht im 21. Jahrhundert primär auf der strategischen, organisatorischen, wissensbasierten und auf gemeinsame Problemlösung ausgerichteten Kompetenz, komplexe Interaktionen zu steuern, Kooperationen zu organisieren und durch Strukturbildung die Richtung des Wandels aktiv und zielorientiert (mit)zugestalten“ (Messner, 2001a, S. 29). Die stets gefährdete Macht der Weltgesellschaft besteht für Messner und Nuscheler darin, globale Dynamik so zu gestalten, dass möglichst viele Menschen darin integriert werden. Da bisher nicht alle Staaten gleichermaßen integriert sind, plädieren sie dafür, die Südperspektive stärker in den Ansatz aufzunehmen. Auch im Rahmen der Diskussion um Aid Effectiveness (Wirksamkeit der EZ) tauchen die Themen der Integration der Südperspektive und der Entwicklungspartnerschaften immer wieder auf. Seit dem Jahr 2005 fanden internationale Treffen in Paris (2005)‚ Accra (2008) und Busan (2011) zum Thema statt. Dennoch werden weiterhin die asymmetrischen Machtverhältnisse zwischen den Geber- und Empfängerländern kritisiert und es konnte bisher keine institutionelle Innovation zur Herstellung symmetrischer Machtverhältnisse erzielt werden. Trotz theoretischer Diskussionen und der Versuche im Rahmen der internationalen EZ ist es bisher noch nicht gelungen, die Machtfrage überzeugend in den GG-Ansatz bzw. in MES-Konzepte zu integrieren.

Eng verbunden mit der Machtfrage wird diskutiert, wer im GG-System regiert und wie demokratisch legitimiert und transparent die politischen Instanzen und Entscheidungen sind. Das GG-Konzept entspricht laut einigen Wissenschaftlern nicht den Grundsätzen der Demokratie und der Mangel an

demokratischem Mitspracherecht und öffentlichen Diskussionen werden kritisiert. Petra Dobner kritisiert „Global Governance mag aus sachlichen Gründen überall dort geboten sein, wo das Entscheidungsvermögen des Staates territorial begrenzt ist, der Problemdruck aber über den Staat hinausweist, demokratischen Standards legitimer Entscheidungsfindung aber hält sie bislang nicht stand“ (Dobner, 2010, S. 348). Einige Autoren bemängeln, dass politische Entscheidungen auf globaler Ebene von nicht legitimierten Machthabern getroffen werden und dass die Gefahr besteht, dass Global Governance Partizipation abbaut bzw. hemmt, anstatt sie zu fördern (Sack & Burchardt, 2008). Einige Wissenschaftler gehen davon aus, dass gerade die mangelnden Partizipationsmöglichkeiten dazu geführt haben, dass die Proteste der Globalisierungskritiker seit den 1990er Jahren zunehmen. Um die Legitimation politischer Entscheidungen zu gewährleisten, wird vorgeschlagen, zukünftig Partizipation sowohl in Vorfelddiskussionen als auch in Entscheidungsprozessen zu sichern.

Koehane wiederum findet es unrealistisch, hohe demokratische Standards an GG zu stellen. Was die Legitimität internationaler Organisationen und Regime angeht, kann eine Institution laut Koehane bereits dann legitim sein, wenn sie über eine „minimale moralische Akzeptabilität“ verfügt und

„komparative Vorteile“ verspricht (Koehane, 2007, S. 5f.).

Global Governance wird häufig auch als problematische neue Herrschaftsformation gesehen. Daase und Deitelhoff gehen z. B. von Herrschaftsverhältnissen im internationalen System aus, „die aber in der Regel weniger direkt und offensichtlich sind, als im Rahmen des Staates“

(Daase & Deitelhoff, 2015, S. 311). Wie Zürn in diesem Kontext treffend schreibt, geht das GG-Konzept davon aus, „dass Normen und Regeln auf einem Territorium Geltung erlangen, auch wenn dies den geäußerten staatlichen Interessen zuwiderläuft, d.h. Herrschaft und Autorität oberhalb und jenseits des Nationalstaates werden möglich. (…) Internationalen und transnationalen Institutionen erwächst eine Ebene der Governance, die außerhalb der Kontrolle einzelner Staaten und ihrer nationalen Gesellschaften liegt“ (Zürn, 2015, S. 319f.). „GG öffnet den Blick für die Struktur des globalen politischen Systems als die Summe und das Zusammenspiel aller Regelungen und somit für ein Merkmal von Herrschaft.

Gleichwohl überwiegt in der GG Autorität. (…) Der Kern dieser Autorität besteht darin, dass ihre Anerkennung zur Unterordnung des eigenen Urteils oder der eigenen Entscheidung führt, ohne notwendigerweise auf Überzeugungsprozessen oder Sanktionen bzw. Anreizen zu beruhen. (…) Es

ist vielmehr die Anerkennung der Quelle des Urteils bzw. der Entscheidung als eine vertrauenswürdige und befolgenswerte Instanz, die zur Fügung führt“ (Zürn, 2015, S. 323). Zürn beschreibt internationale Autorität als eine Form von Macht und unterscheidet zwei Grundtypen: die Autorität zu interpretieren und die Autorität Entscheidungen zu treffen. Im Rahmen von GG können diese Autoritäten Normen, Empfehlungen etc. sein. Denersten Typus nennt Zürn epistemische Autorität, die Interpretationen verfasst und auf Fachwissen und moralischer Integrität beruht. In diesem Fall schafft die Kombination aus anerkannter Expertise und Unparteilichkeit Vertrauenswürdigkeit (Zürn, 2015, S. 328). Schuppert nennt das Governance by reputation (Schuppert, 2010). Der zweite Typus der politischen Autorität formuliert Vorschriften, Regeln und Normen als bindend für ein gegebenes Kollektiv (Zürn, 2015, S. 328). Im sozialpolitischen Bereich gibt es bisher keine Autorität, die dem zweiten Typus entspricht. Die Autorin teilt Zürns Ansicht, „dass die Internalisierung eines Autoritätsverhältnisses und der dumpfe Gehorsam in der GG aufgrund der zahlreichen Institute und Einrichtungen, die die Arbeit von inter- und transnationalen Institutionen beobachten und bewerten, eher Ausnahmen darstellen dürften“ (Zürn, 2015, S. 331). Aus den Ausführungen geht hervor, das GG insgesamt sowohl von Hoffnungen als auch von Zweifeln begleitet wird. Es liegt im Auge des jeweiligen Betrachters, ob sie Probleme löst oder neue schafft. Deshalb soll auch globale Sozialpolitik, die laut Pierson hauptsächlich das Ergebnis von Verhandlungen zwischen mächtigen Organisationen ist (Pierson, 1996) und die Interaktion zwischen globalen und nationalen Akteuren nicht ohne die Betrachtung der Machtverhältnisse und Interessen untersucht werden.

Dabei wird auch geprüft, inwiefern nationalstaatliche Akteure anerkennen und akzeptieren, dass externe Akteure auf sie einwirken, es sich also um ein asymmetrisches Beziehungsverhältnis handelt.