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Erklärungsgrößen für Wandel in der peruanischen Sozialpolitik

3 Die Sozialpolitik und der Wandel des Systems sozialer Sicherung in Peru

3.6 Erklärungsansätze für Wandel in der Sozialpolitik (Reformfähigkeit)

3.6.2 Erklärungsgrößen für Wandel in der peruanischen Sozialpolitik

In den vorausgegangenen Kapiteln wurde bereits dargestellt, dass die Notwendigkeit für sozialpolitische Reformen in Peru besteht. Im Zentrum dieses Kapitels steht die Analyse der Gründe für die peruanische Sozialreformpolitik, die auf einem unübersichtlichen politischen Feld stattfindet. Es werden vor allem nationale, aber auch erste internationale Erklärungsgrößen aufgezeigt, die Peru zu sozialpolitischen Reformen veranlasst haben.

Auch in Peru hat das soziale Sicherungssystem seine Geschichte, doch zeichnet es sich durch keine hohe Pfadabhängigkeit aus. Sozialpolitische Entscheidungen der Vergangenheit hatten keinen allzu großen Einfluss auf

spätere Entscheidungen; politische Veränderungen wurden nur beschränkt durch institutionelle Rahmenbedingungen blockiert. Die peruanische Sozialpolitik ist auch kaum aus Parteienkonkurrenz oder -herrschaft ableitbar. Die sozialpolitische Programmatik der Parteien ist eher schwach ausgeprägt und sie sind daher eher ineffiziente Reformakteure.

In Peru existieren „interne“ Faktoren und institutionelle Bedingungen, die Einfluss auf die Sozialpolitik ausüben: der Problemdruck, die innenpolitische Nachfrage nach Sozialpolitik, das Einkommensniveau, das Vorhandensein von Ressourcen, politischer Klientelismus und die Angst um internationale Wettbewerbsfähigkeit. Als „externer“ Faktor kann der Einfluss von Entwicklungszusammenarbeit und internationalen Konventionen gelten.

Diese internen und externen Einflussfaktoren werden in der Literatur angeführt und wurden auch während der Interviews in Peru immer wieder als Gründe für Sozialreformen genannt. „Es gibt seit Jahren politischen Druck bzw. Stimmen von innen und außen, die darauf hinweisen, dass Peru sich nicht genügend um soziale Angelegenheiten und die vulnerable Bevölkerung kümmert.“ 01 (E)

Vor allem in den vergangenen Jahren bewirkte der Druck durch soziale Probleme Veränderungen in der Sozialpolitik: weitverbreitete Armut, soziale Ungleichheit und gleichzeitig Wirtschaftswachstum zwang die Regierungen, mit sozialpolitischen Maßnahmen zu reagieren. Vor allem der Regierungswechsel 2011 machte dies deutlich. „Die Notwendigkeit wurde immer größer, uns als Land nicht nur darauf zu konzentrieren, makroökonomische Stabilität zu garantieren, sondern auch auf den Kampf gegen die Armut und Ungleichheit. Deshalb wurde das MIDIS gegründet und ein auf einem Kreislauf basierendes Kausalitätsmodell eingeführt:

Inklusion fördert das Wachstum und Wachstum fördert die Inklusion, wobei beide Aspekte gleich wichtig sind.“ 19 (E)

In den Interviews wurde bestätigt, dass der Problemdruck ein entscheidender Faktor für die sozialpolitischen Reformen in Peru war. Von nahezu allen Interviewpartnern wurden die Verschärfung der Unterschiede bei der Einkommensverteilung und die Ausgrenzung von Bevölkerungsteilen als wesentliche Gründe für Reformen genannt. „Es gab eine ständige Enttäuschung darüber, dass die Marktwirtschaft keine Chancen für diejenigen brachte, die über keine gute Bildung, Gesundheit usw.

verfügen.“ 04 (A) Obwohl das nominale BIP in Peru über sechs Prozent und das BIP pro Kopf über fünf Prozent wuchs, und obwohl die Armut und

die extreme Armut stark reduziert wurden, verringerten sich die sozialen Unterschiede nicht. Die Unterschiede im Zugang und in der Qualität der sozialen Basisdienstleistungen wie Gesundheit und Bildung waren und sind noch immer groß. Vor allem die Landbevölkerung profitierte kaum vom Wirtschaftswachstum, aber auch innerhalb der Städte gab und gibt es Bevölkerungsteile, die keinen Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen haben: Wasserversorgung, Abwassersystem, Strom, Gesundheits- und Bildungssystem. Soziale Indikatoren wie die Unterernährungsquote stagnierten. Es war nicht erkennbar, dass der wirtschaftliche Wohlstand auch die benachteiligten Bevölkerungsgruppen erreichte. Anstatt die gesellschaftliche Kohäsion zu stärken, führten die Wachstumsprozesse eher zu einer Polarisierung. „Die benachteiligten Gruppen entfernten sich immer mehr von den Gruppen, die in Wachstumsprozesse eingebunden waren. Man musste politisch aktiv werden, um diese Gruppen zu fördern, aber auch damit diejenigen, denen es gut geht, sich bewusst werden, dass sie sich um die Benachteiligten kümmern müssen. Es musste als nationales Problem betrachtet und angepackt werden.“ 24 (E) Auch der Ausbruch sozialer Konflikte und Forderungen der Bevölkerung führten dazu, dass die Politik ihren Blick auf die soziale Ausgrenzung richtete. „Der Bergbau-Konflikt von Bagua im Jahr 2009 trug maßgeblich zur Einsicht bei, dass man die Bedürfnisse der indigenen Bevölkerung berücksichtigen müsse, um die Regierungsfähigkeit des Landes nicht zu gefährden. Die Einsicht wurde uns eingeprügelt.“ 26 (A) Außerdem beeinflusste das öffentlich formulierte Interesse von NGOs, Zivilgesellschaft und Wissenschaft den Sozialpolitikwandel. Dies spiegelt sich in der hohen Anzahl politischer Entscheidungen zur Sozialpolitik pro Jahr wider. Dass das gestiegene Pro-Kopf-Einkommen und der Ressourcenreichtum Einfluss auf die politischen Präferenzen und die erhöhte die Aufmerksamkeit für Sozialpolitik hatte, kann nur vermutet werden.

Von einigen Befragten wurde der politische Klientelismus als Grund für Reformentscheidungen genannt. Vor allem in armen Regionen werden Sozialleistungen (Güter oder Dienstleistungen) gegen politische Unterstützung, z.B. in Form von Wählerstimmen, getauscht. „Viele Sozialprogramme zielten darauf ab, die Regierung zu konsolidieren. Einige Regierungen versuchten auf illegale Weise ihre Kontinuität zu sichern, z.B.

durch das Erkaufen von Wählerstimmen über Sozialprogramme.“ 10 (C)

„Die großen Programme besitzen diesbezüglich eine wichtige politische Antriebskraft, besonders JUNTOS und Qali Warma.“ 35 (C)

Als externe Erklärungsfaktoren wurden der Einfluss von EZ/IZ und globale Trends genannt. Internationale Wissenschaftler, EZ-Agenturen und die internationale Entwicklung der Sozialpolitik hatten und haben einen Einfluss auf Sozialreformentscheidungen in Peru: Bis in die 1990er Jahre setzte Peru zur Sicherung der internationalen Unterstützung Politiken um, die von externen Akteuren wie der Weltbank als notwendig erachtet wurden. Beispiele sind die unter der Regierung Fujimori vom IWF und der Weltbank vorangetriebenen Strukturreformen, die große Auswirkungen auf die soziale Situation Bevölkerung hatten. Obwohl sich diese Situation in den vergangenen Jahren gewandelt hat und Peru sowohl finanziell, als auch

„technisch“ unabhängiger ist, kommen noch immer Impulse von multi- und bilateralen Akteuren, die seit vielen Jahren in Lateinamerika Erfahrungen mit sozialpolitischen Maßnahmen und ihren Wirkungen haben. „JUNTOS z.B., seinerzeit ein revolutionäres Programm, entstand im Jahr 2005, weil die Weltbank direkte Transferleistungen weltweit förderte. In dieser Zeit wurde auch die Einführung des ergebnisorientierten Haushalts von Externen gefördert. Die Welle kommt in Peru an, der ergebnisorientierte Haushalt wird eingeführt und jetzt redet man von Ergebnissen und evaluiert Interventionen.“ 03 (E) Auch die jüngsten Sozialpolitikreformen haben mit dem international geförderten Fokus zu tun. „Der Einfluss der Weltbank und IDB war bei der MIDIS-Gründung und der Erarbeitung der Strategie

‚Wachstum durch Inklusion‘ bedeutend.“ 35 (C) Auch bilaterale Geber und Organisationen der VN beraten zu sozialpolitischen Themen. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) z.B. fördert eine Sozialpolitik und -entwicklung als Teil der menschlichen Entwicklung.

Statistiken, Studien und Evaluierungen der internationalen Kooperation sowie Untersuchungen zur Sozialpolitik Perus haben verstärkt seit dem Jahr 2005 sichtbar gemacht, dass die Sozialpolitik nicht die erhofften Ergebnisse erzielte. „In Peru dachte man lange Zeit, dass Interventionen im Rahmen von Programmen genügten, um die Armut zu bekämpfen, bis verschiedene Studien und Evaluierungen zeigten, dass diese isolierten Interventionen zu schwachen Resultaten führten.“ 38 (E) Die Armutsziffern und andere Statistiken internationaler Organisationen positionierten Peru im Vergleich zu den übrigen Ländern Südamerikas weit unten. Untersuchungen zur Armutsreduzierung ließen die Sozialpolitik in einem schlechten Licht erscheinen. „Aufgrund von Studien wusste man z.B., dass es notwendig ist, die Sozialpolitik zu koordinieren und dass die Bemühungen über die ST-CIAS nicht ausreichten.“ 18 (A) „Andere Studien belegten, dass

viele Sozialprogramme die gleichen Ziele verfolgten und es Dopplungen von Aufgaben und Mitteln gab, woraufhin die ersten Reformen der Sozialprogramme zur Effizienz- und Effektivitätssteigerung im Jahr 2007 eingeleitet wurden.“ 06 (E)

Auch internationale Verpflichtungen wie die Millenniumsziele (MDGs) der VN wurden von den Befragten als Grund für Sozialreformentscheidungen genannt. Eine Rolle habe auch der Blick auf die übrigen Länder der Region Lateinamerika gespielt. „Vergleiche mit anderen Ländern, die seit längerem eine federführende Instanz oder ein Ministerium für soziale Angelegenheiten haben, z.B. Kolumbien, Chile, Brasilien, führten zu Reformgedanken.“ 38 (E) Vor allem seit der MIDIS-Gründung folgte man den sozialpolitischen Moden anderer Länder und imitierte erfolgreiche Modelle. „Peru ist einem Trend in Lateinamerika gefolgt. In Mexiko und Brasilien z.B. wurden sozialpolitische Reformen schon vor vielen Jahren angestoßen. Präsident Humala hat die erfolgreichen Erfahrungen zum Teil seiner Kampagne gemacht.“ 07 (E)

Es zeigt sich, dass in Peru Sozialreformen durch eine Mischung aus nationalen Faktoren und transnationalen Lern- und Diffusionsprozessen, die meist auf Freiwilligkeit beruhten, gestaltet wurden. An dieser Stelle wird bereits deutlich, dass es sich bei Sozialpolitik um Mehrebenenpolitik handelt und nationale Sozialpolitik eng mit globaler Sozialpolitik und Global Governance in Verbindung steht. Diese Zusammenhänge zwischen nationaler und globaler Sozialpolitik werden im weiteren Verlauf genauer untersucht.

3.7 Resümee Kapitel 3: Sozialreformentscheidungen in