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Der akteurszentrierte Institutionalismus als Forschungsheuristik

Kategorie 6 „Gestaltungsoptionen“: Hier werden alle Ideen und Vorschläge der Interviewpartner zur Verbesserung von transnationalen

5.4 Der akteurszentrierte Institutionalismus als Forschungsheuristik

Da für die Untersuchung von GG, MLG und Lern- und Diffusionsprozessen neben Policy-Analysen auch akteurs- und institutionenorientierte Ansätze relevant sind, soll der akteurszentrierte Institutionalismus an dieser Stelle als Forschungsheuristik ergänzt werden. Bei diesem Ansatz, der zum Ziel hat, komplexe Makrophänomene zu erfassen, „wobei Verstehen hier nicht wie bei Max Weber Sinnverstehen bedeutet, sondern Einsicht in Verursachungszusammenhänge“ (Mayntz, 2009b, S. 83), stehen Institutionen und ihre Interessen verfolgende Akteure im Mittelpunkt.

Das politische Handeln spielt eine große Rolle und wird beschrieben als

„Ergebnis der Interaktionen zwischen strategisch handelnden, aber begrenzt rationalen Akteuren, deren Handlungsmöglichkeiten, Präferenzen und Wahrnehmungen weitgehend durch Normen des institutionellen Rahmens bestimmt werden, innerhalb dessen sie interagieren“ (Scharpf 2000, S. 319). Der Ansatz geht also davon aus, dass politische Entscheidungen das Produkt von Interaktionen zwischen intentional handelnden Akteuren sind.

Die Interaktionen werden durch den institutionellen Kontext, in dem sie stattfinden, strukturiert und ihre Ergebnisse dadurch beeinflusst (Scharpf, 2000, S. 17). Institutionen können demnach das Handeln der Akteure fördern, aber auch hemmen.

Bei Institutionen handelt es sich nicht nur um rechtliche Regeln für Akteure, sondern auch um „soziale Normen, die von den Akteuren gewöhnlich beachtet werden und deren Verletzung durch Reputationsverlust, soziale Missbilligung, Entzug von Kooperation und Belohnung sanktioniert wird“

(Scharpf, 2000, S. 77). Der Ansatz betont den Einfluss von Institutionen auf die Wahrnehmungen, Präferenzen und Fähigkeiten von Akteuren und ihre Interaktionsformen. Institutionen sind nach Scharpf die wichtigsten Einflussgrößen auf und Informationsquellen über Akteure und Interaktionen (Scharpf, 2000, S. 77). Der institutionelle Kontext der Interaktion sagt bereits einiges über die Akteure und ihre Optionen aus. Mayntz und Scharpf definieren Institutionen als eine Determinante des Handelns, ansonsten gehen sie auf motivationale, kognitive und relationale Orientierungen ein. Institutionelle Regeln sind in diesem Konzept nur eine Teilmenge der motivationalen Orientierung, die auch „Standardinteressen“ wie Autonomiesicherung oder Wachstum beinhaltet. Mayntz und Scharpf gehen davon aus, dass „Standardinteressen das Handeln eines jeden Individuums oder korporativer Akteure anleiten“ (Mayntz & Scharpf 1995, S. 54) und „im

Kern auf ein langfristig erfolgreiches Bestehen gerichtet“ sind, d.h. auf das Überleben eines Akteurs durch „physisches Wohlergehen, Handlungsfreiheit und die Verfügung über wichtige Ressourcen, zu denen auch Macht und soziale Anerkennung gehören“ (Mayntz & Scharpf 1995, S. 54). Kognitive Orientierungen beinhalten das Tatsachenwissen der Akteure – einschließlich ihrer Wahrnehmungen, Deutungen und Erwartungen.

Die Grundelemente des akteurszentrierten Institutionalismus sind 1. ins-titutionelle Kontexte, 2. Akteure, 3. deren Handlungsorientierungen, 4. Akteurskonstellationen und 5. Interaktionsformen. Der institutionelle Kontext beeinflusst den Policy-Prozess, der in Abbildung 6 in der Mitte repräsentiert wird. Die Fähigkeit politische Entscheidungen zu treffen, ist abhängig vom Problem, der Akteurskonstellation und den institutionalisier-ten Interaktionsformen.

Abbildung 6: Der Gegenstandsbereich der interaktionsorientierten Policy-Forschung

Akteure Fähigkeiten Handlungs-orientierungen

Akteurs- konstellationen Probleme

Institutioneller Kontext

politische Ent-scheidungen

Interaktions-formen

Sozialpolitik Quelle: Scharpf (2000, S. 85)

Akteure

Die Akteure, die am Politikprozess beteiligt sind und Entscheidungen treffen, zeichnen sich durch bestimmte Fähigkeiten, Wahrnehmungen und Präferenzen aus. Fähigkeiten sind die Handlungsressourcen, die es einem Akteur ermöglichen, ein Ergebnis zu einem gewissen Grad zu beeinflussen:

Humankapital, finanzielle oder technologische Ressourcen, Informationen etc. Die wichtigsten Ressourcen sind institutionelle Regeln, durch die Kompetenzen zugewiesen und Partizipationsrechte oder das Recht zur Entscheidung verliehen oder beschränkt werden. Wahrnehmungen und Präferenzen (Handlungsorientierungen) werden durch ein Problem aktiviert und beziehen sich auf die Problemursachen und die Ergebnisse. Die

Handlungsorientierungen werden vom institutionellen Kontext beeinflusst (Scharpf, 2000, S. 86). Sie können stabil sein oder durch Lernen oder Argumente verändert werden. Entscheidend sind die Wahrnehmungen der Akteure und die Interpretation der Situation, aus der sich ihre Handlung ergibt. Akteure handeln nicht komplett informiert, sondern gemäß den ihnen zur Verfügung stehenden Informationen.

Akteurskonstellationen

Das Handeln der Akteure wird nicht nur durch ihren institutionellen Kontext, ihre Wahrnehmungen, Präferenzen und Handlungsressourcen ermöglicht und begrenzt, sondern auch durch das Handeln anderer Akteure.

Entscheidend ist die Akteurskonstellation, die die beteiligten Akteure, ihre Strategieoptionen und die damit verbundenen Ergebnisse und Präferenzen der Akteure in Bezug auf diese Ergebnisse beschreibt (Scharpf, 2000, S. 87). Akteurskonstellationen können anhand von Merkmalen beschrieben werden: Anzahl involvierter Akteure, Heterogenität der Akteure und ihrer Ressourcenausstattung etc. Die Akteurskonstellation beschreibt ein statisches Bild und nicht die Interaktionen, aus denen die politischen Entscheidungen hervorgehen (Scharpf, 2000, S. 90). Akteurskonstellationen können empirisch z.B. durch eine Netzwerkanalyse, erhoben werden.

Interaktionsformen (Modi)

Der akteurszentrierte Institutionalismus hebt die „verschiedenen Modi sozialer Handlungskoordination“(Mayntz & Scharpf, 1995, S. 60) und damit Governance-Formen als für ihn analytisch zentral hervor. Mayntz und Scharpf nennen als Interaktionsformen bzw. „als abstrahierte Grundformen sozialer Handlungskoordination einseitiges Handeln, einseitige oder wechselseitige Anpassung, die Verhandlung, die Abstimmung und die hierarchische Entscheidung (Steuerung), weil diese ein Kontinuum zwischen einem Höchstmaß an Autonomie einzelner Akteure an dem einen und einem Höchstmaß an kollektiver Handlungsfähigkeit an dem anderen Ende bilden“ (Mayntz & Scharpf, 1995, S. 61). Einseitiges Handeln kann ohne institutionelle Struktur stattfinden, Verhandlungen hängen von Strukturen ab und hierarchische Steuerung ist auf institutionelle Arrangements angewiesen. Wenn sich der Interaktionsmodus verändert, kann eine Akteurskonstellation unterschiedliche Ergebnisse hervorbringen.

Die offene Koordinierung hält Scharpf für einen möglichen „Ausweg aus dem Dilemma, dass die Problemlösungsfähigkeit auf nationaler Ebene

für einige Probleme nicht mehr ausreicht“ (Scharpf, 2002b, S. 282f.). Bei der offenen Methode der Koordinierung (OMK), wie sie im Jahr 2000 in auf dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs in Lissabon ins Leben gerufen wurde (Europäischer Rat, 2000), um gesellschaftliche Inklusionsprozesse europaweit zu stärken (Preunkert, 2009, S. 27), behalten Nationalstaaten zwar die gesetzgeberische Verantwortung, gleichzeitig wird z.B. Sozialpolitik zu einem gemeinsamen Interesse erklärt und es werden Lern- und Diffusionsprozesse europaweit angestoßen. Policy-Lernen nimmt inzwischen einen wichtigen Platz im institutionalistischen Ansatz ein.

Die Interaktionsformen werden vom institutionellen Kontext und Regeln (formelle Verfahren etc.) beeinflusst. Um diese Kontexte zu beschreiben, benutzt Scharpf die Begriffe „Netzwerke, Regime, Zwangsverhandlungssysteme, hierarchische Organisationen und der Staat“

(Scharpf, 2000, S. 91). Regime sind „normative Bezugsrahmen, die die Verhandlungen zwischen einer formell festgelegten Anzahl von Akteuren steuern, die sich dazu bereit erklärt haben, bestimmte Interessenpositionen anderer Parteien zu respektieren, Ziele gemeinsam zu verfolgen und bei zukünftigen Interaktionen bestimmte Verfahren zu beachten“ (Scharpf, 2000, S. 241). Regime „gewinnen zunehmend Einfluss auf die Definition dessen, was überhaupt als nationales Interesse angesehen werden soll“

(Scharpf, 2000, S. 243).

Der akteurszentrierte Institutionalismus, der davon ausgeht, dass politische Ergebnisse durch die Akteurskonstellation und Interaktionsformen beeinflusst werden, besitzt ein großes Erklärungspotenzial und gibt

„Werkzeuge zur Erklärung der Ergebnisse bestimmter politischer Interaktionen an die Hand“ (Scharpf, 2000, S. 94). Deshalb wird er zur Bestimmung der Problemlösungsfähigkeit von Interaktionssystemen am Beispiel Peru herangezogen. Der Ansatz soll dabei helfen, die Akteurskonstellationen im globalen und nationalen sozialpolitischen Kontext und die Interaktionszusammenhänge besser zu verstehen, bspw.

zu identifizieren, welche globalen Akteure sozialpolitisches Wissen (Erfahrungen, Ideen, Modelle etc.) senden und welche nationalen Akteure sich über das Wissen informieren und dieses dann im nationalen Kontext umsetzen.

5.5 Kausale Rekonstruktion zur Analyse transnationaler