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beispielhaft für die Krise der Parteiendemo-kratie. Das Mueßer Holz wird oft als „Prob-lemviertel“ und „Brennpunkt“ beschrieben.

Die Kinderarmut und die Arbeitslosigkeit sind

hoch, die Wahlbeteiligung gering. „Platten-bauten und Menschen in Jogginghosen prägen das Viertel“, kommentierte 2017 Fokus On-line. \ Auch wir erlebten in unseren Gesprä-chen vor Ort viel Frust. Das Vertrauen in die Parteien sei hier am Boden. Es herrsche die Haltung vor, dass sich ja doch nichts ändere, dass man vor allem die Benachteiligten hier-her verdränge und abschiebe. Allerdings ist auch im Mueßer Holz viel in Bewegung. Ver-eine wie Die Platte lebt oder Projekte wie ZiMT – Zukunft im Mueßer Holz bringen die Bewohnerinnen und Bewohner neu in Kontakt, kümmern sich um das Zusammenleben. \ Aus dem Mueßer Holz kommt eine Idee, die Schu-le machen könnte. Wie wäre es, hier Block-parlamente einzuführen? Das sind Versamm-lungen, die eine neue politische Teilhabe von unten ermöglichen sollen. In der Kneipe oder

im Park treffen sich Menschen aus dem Vier-tel, die alle Bevölkerungsgruppen vertreten – die Alten, die Jungen, die Empfänger*innen von Sozialhilfe oder die Einzelhändler*innen.

Gemeinsam berät man über die aktuellen Ent-wicklungen des Blocks und entscheidet über ein eigenes Budget, mit dem Projekte vor Ort umgesetzt werden können, zum Beispiel die Erneuerung eines Spielplatzes. \ Ideengeber Thomas Littwin erhofft sich von den Block-parlamenten, dass wieder mehr Menschen ein Gefühl dafür bekommen, wie viel die Demo-kratie mit ihrem eigenen Alltag zu tun hat.

Sie werden wieder gehört und sind politisch neu gefragt. So könne sich das gesellschaft-liche Klima im ganzen Stadtteil verbessern.

Aktuell ist Littwin dabei, das Konzept zu ver-feinern und in Schwerin dafür zu werben.

TS

IDEE AUS SCHWERIN

BLOCKPARLAMENTE

Straßenbesetzung der Bewegung Extinction Rebellion in London 2019.

Die EU war einmal eine Art Super-Utopie. Für das Euro-pa von morgen brauchen wir jetzt neue Ideen – auch, wenn sie erst mal verrückt erscheinen.

Vor 500 Jahren schrieb ein gewisser Thomas Morus ein dün-nes Büchlein über eine vielleicht oder auch nicht existie-rende Insel im Atlantik, auf der die Menschen in Frieden, Glück, Harmonie, Wohlstand, Recht und Gleichheit lebten.

Er nannte sie „Utopia“. Das Buch sollte ein Jahrtausendbest-seller werden und ein neues Literaturgenre begründen. Mo-rus beendet sein Buch mit der Betrachtung, dass er es für unmöglich hält, dass sich dessen Ideen je in Europa durch-setzen werden. Für lange Zeit behielt er recht. Europa war ein Kontinent, der vor allem für das gewaltige Scheitern sei-ner utopischen Ideen bekannt war. Aber nach dem Platzen der gigantischsten Dystopien des 20. Jahrhunderts mach-te Europa tatsächlich ernst mit der Idee, endlich Frieden, Sicherheit und Wohlstand zu schaffen.

Die Insel der Seligen

Vor 65 Jahren haben sich die Europäer vorgenommen, Thomas Morus’ Europaskepsis zu widerlegen. Europa sollte sich nicht weiter selbst bekriegen, sondern nachhaltig befrie-den. Gelingen sollte dies, indem man Ressourcen, Macht und Souveränität teilen würde. Der Nationalstaat sollte graduell durch ein europäisches Gemeinwesen ersetzt werden. 1955 war das so etwas wie eine Super-Utopie. Selbst die Beschrei-bung des heutigen, sicherlich unperfekten Europa müsste in den Ohren der Menschen von damals wie die Erschaffung der Insel der Seligen geklungen haben: Frieden, ziemlicher Wohlstand, die Abschaffung von Grenzen und Diktaturen, Freiheit und Freizügigkeit, Ost- und Westeuropa vereinigt.

Teilen macht glücklich

Aber Utopien sollen nicht statisch werden, sie müs-sen das Morgen beschreiben. Wir brauchen ein Utopie-Up-grade für Europa, das über die Bewahrung des Status quo weit hinausgeht, das begeistert, weil es uns in die nächste Di-mension katapultiert, das uns die Richtung in die Zukunft weist, damit sie nicht ein lauwarmer Aufguss der Vergangen-heit wird. Eine Utopie für das Europa des 21. Jahrhunderts.

Wie stelle ich mir ein europäisches Utopie-Upgrade vor?

Zwei bescheidene Vorschläge: Teilen macht Euro-pa glücklich. Teilen ist das Geschäftsmodell, das uns bisher am meisten gebracht hat. Teilen macht uns stark, besser und glücklicher. Europa ist seit sechs Jahrzehnten eine Sharing Economy: Neben Kohle, Stahl, Landwirtschaft, Handel und Währung werden wir aber auch Vertrauen,

Selbstbewusst-sein, Wohlstand, Kreativität, aber auch Flüchtlinge, Krisen und Sicherheit teilen. Wir können nationale Armeen, Ge-heimdienste und Grenztruppen abschaffen und durch eine gemeinsame europäische Armee, einen europäischen Ge-heimdienst und gemeinsame europäische Grenztruppen er-setzen. Auch die zigtausend nationalen Botschaften überall in der Welt kann man ruhig abwickeln und durch europäi-sche Botschaften ersetzen. Durch dieses Teilen kommt viel Geld zusammen, das wir brauchen werden, um große uto-pische Ideen umzusetzen.

Ein Airbus für die

europäische Öffentlichkeit

Für das Europa der Zukunft brauchen wir eine euro-päische Öffentlichkeit, die Menschen verbindet und natio-nale Filterblasen aufbricht. Denn ohne die bleiben wir in unseren nationalen Welten gefangen und können den euro-päischen Wald vor lauter nationalen Bäumen nicht sehen.

Um hier in Fahrt zu kommen, sollten wir im ganz großen Stil in europäische Medien mit utopischen Übersetzungs-technologien investieren, sodass sie jeder in der Sprache sei-ner Wahl nutzen kann. Es ist Zeit für eine europäische ARD, eine europäische Le Monde und ein europäisches Facebook, alles natürlich utopisch und viel besser als die hiergenann-ten. Wir haben vor fast 50 Jahren mit Airbus gezeigt, wie man Utopien mit Industriepolitik umsetzt. Let’s do it again.

Eine funktionierende europäische Öffentlichkeit ist heute in jedem Fall so wichtig wie europäisches Fliegen damals, wahrscheinlich sehr viel wichtiger.

Das ist natürlich alles nur der Anfang. Manches da-von wird vielleicht verrückt, oder anders formuliert, uto-pisch erscheinen. So, wie die europäische Idee in den Fünf-ziger Jahren. Gut so.

Andre Wilkens ist Direktor der European Cultural Foun-dation in Amsterdam und Vorstand der Initiative Offene Gesellschaft, die er 2016 mitbegründet hat.

von Andre Wilkens

-„Offene Gesellschaft? Ihr habt sie doch nicht alle!“ oder

„Was hier passiert, sollte überall passieren!“ Sätze wie diese haben wir 2019 im ganzen Land gehört, von Schwe-rin bis Passau. Denn wir waren unterwegs – mit unse-rer interaktiven Ausstellung Die offene Gesellschaft in Bewegung .

Das Ziel: Schluss machen mit Empörungskultur, Ohn-macht, Untergang. Nutzen wir stattdessen das, was unse-re Gesellschaft ausmacht: unseunse-re Funse-reiheiten und Rechte.

Für jeweils mehrere Tage eröffnete die