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STAMMTISCH FÜR ALLE

ECOSIA

Zur Stelle sein – nicht nur, wenn’s brennt Im Sommer 2019 stand der Amazonas-Regenwald in Flammen. Vier Monate zuvor brannte die Pariser Kathedrale Notre-Dame. Beide Male war das weltweite Entsetzen groß.

Der Unterschied: Im Fall von Notre-Dame war es möglich, innerhalb weniger Tage fast eine Milliarde Euro an Spenden-zusagen für den Wiederaufbau zu mobilisieren. Beim Regen-wald ist es nicht so einfach.

Knapp zwei Drittel des Amazonas-Regenwaldes be-finden sich in Brasilien. Der brasilianische Präsident Jair Bol-sonaro verbittet sich beim Umweltschutz jede Einmischung von außen. Bolsonaro setzt auf die wirtschaftliche Nutzung der Gebiete, etwa für die Rinderzucht und den Anbau von Soja. Seit seinem Amtsantritt 2018 hat die Entwaldung dras-tisch zugenommen.

Die Welt scheint zur Tatenlosigkeit verdammt zu sein – dabei leistet der Regenwald den wichtigsten Beitrag zur Neutralisierung der weltweiten Treibhausgase. Seine Zer-störung beschleunigt den Klimawandel dramatisch.

In Momenten wie diesen zahlt es sich aus, wenn Orga-nisationen oder Unternehmen mit Ideen zur Stelle sind, um doch etwas zu tun. So hat zum Beispiel das Berliner

Unter-nehmen Ecosia bereits vor zehn Jahren eine Onlinesuchma-schine entwickelt, deren Einnahmen verwendet werden, um weltweit Bäume zu pflanzen. Jüngst verkündete eine Unter-nehmenstochter der Deutschen Bahn auf die „grüne“ Such-maschine umzustellen.

45 Suchanfragen – so viel braucht es für einen neuen Baum. Seit der Gründung 2009 konnte Ecosia laut eigenen Angaben die Pflanzung von mehr als 70 Millionen Bäumen finanzieren. Dafür arbeitet Ecosia mit regionalen Umwelt-organisationen zusammen. Mittlerweile wird die Suchma-schine so stark nachgefragt, dass rechnerisch alle 0,8 Sekun-den ein weiterer Baum gepflanzt werSekun-den kann. „Wäre Ecosia so groß wie Google, könnten wir genügend Bäume pflanzen, um 15 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen zu binden“ – so das Unternehmen auf seiner Website.

Als Reaktion auf Bolsonaros verfehlte Umweltpolitik hat sich Ecosia nun vorgenommen, eine Million zusätzliche Bäume zu pflanzen. Die Bäume sollen bis Februar 2020 ent-lang der brasilianischen Küste gepflanzt werden, um die üb-rig gebliebenen Regenwaldparzellen wieder miteinander zu verbinden. Das Beispiel zeigt, wie die Welt heute schon dauer-haft zusammenarbeiten kann – und sei es über die Wahl einer Onlinesuchmaschine.

Die Nähe zur Ostsee, der bezahlbare Wohn-raum und viel Natur: Damit lockt Mecklen-burg-Vorpommern. Und dennoch sind es vor allem junge Menschen, die wegziehen. Für die Landeshauptstadt Schwerin wiegt besonders

schwer, dass es hier keine Uni gibt. Das hat zur Folge, dass viele die Stadt zum Studieren verlassen und dann nicht wieder zurückkom-men. Wenn sich nichts ändert, wird Meck-lenburg-Vorpommern bald das Bundesland mit dem höchsten Altersdurchschnitt sein, so Prognosen. \ Eine Universität würde die Stadt wieder neu beleben – da sind sich viele Schweriner*innen einig. So entstand die Idee eine Sommer-Uni zu veranstalten, um ein jun-ges, internationales Publikum in die Stadt zu bringen, das seine neuen Perspektiven und Erfahrungen in Schwerin einbringen könnte.

Was wäre, wenn hier in den Sommermonaten

die großen gesellschaftlichen Fragen debat-tiert würden? \ Platz wäre da. So bietet sich zum Beispiel das Schweriner Schloss als ehr-würdiger Veranstaltungsort an. Auch könnte man in Schwerin nachhaltige und alternati-ve Lebens- und Wohnformen gleich mal aus-probieren – zum Beispiel auf einer Insel im Schweriner See. Die Vision: die ganze Stadt wird zur Universität. \ Im Rahmen von Die offene Gesellschaft in Bewegung haben die Ideengeber*innen ihr Konzept dem Oberbür-germeister bereits vorgestellt. Jetzt arbeiten sie mit großem Enthusiasmus an der

Umset-zung. TS

IDEE AUS SCHWERIN

SUMMER UNIVER­CITY

von Theresa Singer

ALGORITHM WATCH

Aufklärung statt Alarmismus

Sie entscheiden im Bruchteil von Sekunden, welche potenziellen Traumpartner uns eine Dating-Plattform an-zeigt oder welche Suchergebnisse wir zu sehen bekommen.

Sie berechnen die aktuell kürzeste Route zum Arbeitsplatz, schlagen eine passende Übersetzung ins Chinesische vor oder schätzen ein, wie kreditwürdig wir sind. Schon heute lenken Algorithmen unser Leben.

Doch seit Jahren lösen algorithmische Entscheidungs-prozesse große Ängste aus. Werden bald Maschinen bestim-men, wer einen Job bekommt oder eine Krankenversiche-rung? Wer konzipiert und kontrolliert die algorithmischen Verfahren? Wer greift bei Fehlern ein?

Besonders umstritten ist die datenbasierte Bewer-tung von Menschen. Das größtmögliche Horrorszenario lie-fert hier China. Peking arbeitet an einem Sozialkredit-Sys-tem, das für 2020 angekündigt ist. Das Punktesystem soll einstufen, wie „vertrauenswürdig“ eine Person ist. Einflie-ßen sollen hier neben der Polizeiakte und Finanzdaten auch das Suchverhalten im Netz und die Aktivitäten in den so-zialen Medien. Hohe Bewertungen will der Staat belohnen, geringe bestrafen. Der taz zufolge droht das größte „Volks-erziehungsprogramm (…), das die Menschheit je erlebt hat“.

Natürlich lässt sich China kaum mit demokratischen Staaten vergleichen, in denen Gesetze die personenbezoge-nen Daten der Bürger*inpersonenbezoge-nen schützen und

Diskriminie-rungen verbieten. Dennoch wird auch hier eine Menge aus-probiert. Österreich hat zum Beispiel ein System entwickelt, das bewerten soll, bei wem sich staatlich finanzierte Fortbil-dungsmaßnahmen lohnen. In Kalifornien ziehen Richter*in-nen eine Risikobewertungssoftware bei der Entscheidung zurate, ob sie jemanden auf Bewährung freilassen.

Während die einen die Menschheit schon in die digi-tale Diktatur schlafwandeln sehen, warnen die anderen vor Panikmache und fortschrittsfeindlicher Überregulierung.

Um eine differenzierte Debatte über Chancen und Gefahren der Systeme zu ermöglichen, hat sich 2016 in Ber-lin die Bürgerrechtsbewegung Algorithm Watch gegrün-det. Statt auf Alarmismus setzt die Initiative zuallererst auf Transparenz. Um die oft wenig informierte Öffentlichkeit aufzuklären, erstellt Algorithm Watch zum Beispiel einen

„Atlas der Automatisierung“. Dieser zeigt, welche Systeme in Deutschland bereits im Einsatz sind, ob im Medizinsek-tor oder an der Börse.

Die Forderung von Algorithm Watch: Algorithmi-sche EntAlgorithmi-scheidungsprozesse müssen nachvollziehbar sein, um sie einer demokratischen Kontrolle zu unterwerfen. Zu-dem pocht man darauf, dass immer noch Menschen für die Systeme in der Verantwortung stehen. „Algorithmen wer-den ja nicht im Himmel vom lieben Gott geschrieben“, sagt Mitbegründerin Katharina Zweig, Informatik-Professorin an der TU Kaiserslautern.

von Alexander Wragge

WIR …

Andrea Dieck Christoph Diepes Stefanie Dilger Hannah Doppel Philipp Drkosch Andreas Meinlschmidt

Lisa Benfer Ulrich Lilie

Julia Müller

Alexander Carius Anna Maria Link

Esra Küçük Mohammad Khanjar

Nathalie Götz

Yannis Haug-Jurgan Philip Husemann

Erik Enge Lukas Fox Hannah Göppert

Mascha Roth Franziska Schreiber Ilan Siebert Raven Musialik Jessica Neumann Justine Ohlhöft

Max Bohm Marian Burk Mina Mahmoudian Maike Carius

Xenia Kersten Susanna Kunz

Harald Welzer Andre Wilkens Alexander Wragge Theresa Singer Stefan Wegner Konstantin Welker

IMPRESSUM

Herausgeber: Initiative Offene Gesellschaft e. V.

Franklinstraße 27, 10587 Berlin www.die-offene-gesellschaft.de freunde@die-offene-gesellschaft.de Vorstand: Alexander Carius,

Andre Wilkens, Stefan Wegner, Ulrich Lilie Geschäftsführung: Philip Husemann

© Initiative Offene Gesellschaft, Berlin, Dezember 2019 Projektleitung: Alexander Wragge, Maike Carius Redaktion: Alexander Wragge, Erik Enge, Theresa Singer (TS), Maike Carius

Korrektorat: Felix Lindner

Produktion & Design: Walde+Graf Verlagsagentur und Verlag GmbH; 2xGoldstein+Schöfer

www-Boxen: Lukas Hermsmeier (LH) Druck & Herstellung:

Königsdruck (Berlin)

BILDNACHWEIS

Cover und Rückseite: Studio Incendo (CC BY 2.0); Julia Popławska; Peter van Hee-sen; Initiative Offene Gesellschaft; Aufstand der Utopien; Martin Hearn (CC BY 2.0);

Clem Onojeghuo /unsplash

S. 1: Marcos Cline-Márquez /getty images S. 4 –  5: Tim Gouw/unsplash; S. 6: Studio Incendo (CC BY 2.0); S. 7 oben: Tuane Fernandes/dpa; S. 7 unten: Anders Hell-berg; S. 8 oben: Julia Popławska; S. 8 mitte: Vollformat Berlin (CC BY-SA 2.0); S. 8 unten: Franco Baldan; S. 9 oben: Uwe Hiksch (CC BY-NC-SA 2.0); S. 9 unten: Ah-mad M.kadd / unteilbar.org (CC-BY-4.0); S. 11: Attila Magyar (CC BY-SA 2.0); S. 13:

@anni.berlin; S. 14: Peter Van Heesen; S. 18: picture alliance /Sebastian Kahnert;

S. 24: Jan Jespersen(CC BY-NC 2.0); S. 26: Ashley Green/Unsplash; S. 29: Tilman Vogler/Coconat; S. 30: Constantin Boes; S. 32 –  33: Clem Onojeghuo /unsplash;

S. 35 –  42: Darius Ramazani; S. 44 –  45: Markus Spiske/unsplash; S. 47: picture alli-ance/ ZBeuroluftbild; S. 49: greennews.ie; S. 50: Yves Sorge (CC BY-SA 2.0); S. 54:

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Wir danken allen