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Hintergründe und Methoden der Analyse im sekundären Feld

2. ChipTech, meine Doktorarbeit und ich

2.3 Hintergründe und Methoden der Analyse im sekundären Feld

sollte. Vijay nennt dies: „I want you to be our enabler. I want you to give us [in Bangalore, A.d.V.] voice.“ Damit nimmt er die postkoloniale Interpretation des Verhältnisses der beiden Standorte vorweg, auch das Wort enabling stammt aus seinem Mund: Er verwendet es im postkolonialen Sinne (siehe Kapitel 4.4). Vijays Wunsch kam ich gerne nach, schon aufgrund meiner eigenen Ausgangslage, dass nur er mir mehr Zeit in Bangalore würde verschaffen können.

Ich gab also nach meinen ersten beiden Wochen in Bangalore Empfehlungen zur Verbesserung der dortigen Situation ab. Somit habe ich mein Feld stark beeinflusst und zudem eingegriffen in das Machtverhältnis zwischen den Standorten, aber hoffentlich zu Gunsten des Schwächeren. Gleichzeitig musste ich dies tun, denn es waren diese Empfehlungen, mit denen ich mich aus Vijays Sicht nützlich machte, so dass er die Notwendigkeit einer Verlängerung meines Aufenthalts von zwei auf vier Wochen gegenüber dem Global Unit Manager in Großstadt begründen konnte.55 Kurz vor Ablauf dieser vier Wochen hatte Vijay einen weiteren Auftrag für mich. Er trug ihn an mich heran und fragte mich: „How much more time do you need?“ Ich sagte: „Two weeks.“ Er sagte: „[Vorname des Global Unit Managers] will kill me“ und lachte. So war also der Pakt geschlossen, statt vier Wochen blieb ich sechs. Mit der Annahme dieses Auftrags – der Bewertung eines Group Managers für das höhere Management – überschritt ich aus meiner Sicht die Grenzen des wissenschaftlich Zulässigen, gleichzeitig kämpfte ich genau um meine wissenschaftliche Arbeit: Ich wollte – musste – diese Doktorarbeit zu Ende bringen, dafür schienen vier Wochen Bangalore nicht genug.

Also ließ ich mich ein auf das Spiel, um ihm – und somit mir – Macht zu verschaffen. Fast jeden Abend führten Vijay und ich in seinem Büro lange Gespräche, in denen er sich einen Blick hinter die Machtkulisse in Großstadt verschaffte und seine Ziele, Probleme und Wahrnehmungen mit mir diskutierte. Er profitierte also ganz persönlich von meinem Aufenthalt in Bangalore; ich selbst wurde durch meine Zeit dort zur einzigen Person bei ChipTech-OI, die Sichtweisen so gut wie aller Schlüsselpersonen der standortübergreifenden Zusammenarbeit kannte, und somit ebenfalls ein wenig mächtig.

Unterschiede, den Mitarbeiter von Stabsstellen außerhalb von OI auf die dortigen Mitarbeiter projezierten, beispielsweise in vorgeschriebenen Trainingsmaßnahmen für OI-Mitarbeiter.

Diese Seite der Trainer56 und Personalentwickler57 wollte ich ebenfalls nachvollziehen.

Um der Komplexität des primären OI-Feldes gerecht zu werden, bewegte ich mich daher zunehmend auch auf benachbarten Feldern. So interagierte ich in Großstadt und Bangalore mit diversen Stabsabteilungen bei ChipTech sowie den externen Anbietern interkultureller Trainings. Außerhalb der Unternehmensgrenzen bewegte ich mich auf dem Feld der ,Interkulturalisten’: Ich nahm an Indien-Trainings externer Anbieter teil und hielt gleichzeitig selbst Trainings für angehende interkulturelle Trainer ab, um ein grundsätzliches Verständnis für deren Selbstbild zu entwickeln. Die so gewonnenen Kontextinformationen wurden in Feldtagebüchern festgehalten und flossen in die vorliegende Arbeit ein.

Der Zugang zum Feld der ,Interkulturalisten’ war mir aufgrund meiner eigenen Berufserfahrung als interkulturelle Trainerin problemlos möglich. Bereits im September 2003 hatte ich begonnen, Workshops für angehende Trainer, Personalentwickler und allgemein Interessierte zu geben; diese Tätigkeit setzte ich – in Absprache mit ChipTech – fort. Ferner nahm ich an SIETAR-Konferenzen58 teil und hatte als Mitglied Zugang zu Vereins-Informationen. So erhielt ich die Möglichkeit, interkulturelle Indientrainer zu interviewen.

Schwieriger gestaltete sich der Zugang zu anderen Unternehmen. Zunächst ermöglichte es mir ein externer Anbieter interkultureller Trainings bei ChipTech, einige seiner Veranstaltungen teilnehmend zu beobachten. Auf einer SIETAR-Konferenz gewann ich zudem einen interkulturellen Trainer59 als Partner. Diese Person, die anonym bleiben möchte, erklärte sich bereit, mich an ihren Indientrainings in Unternehmen teilnehmen zu lassen. Einige Personalentwickler stimmten dieser Idee zu; nachdem ich jeweils eine Vertraulichkeitserklärung unterzeichnet hatte, erhielt ich so in der Rolle der (unbezahlten) Trainerassistenz Zugang zu diesen Trainings. Den Teilnehmern wurde ich als eine Praktikantin des Trainers vorgestellt. Die explizite Einwilligung der Teilnehmer zur Verwendung der so erhobenen Daten wurde nicht eingeholt, da sowohl der beteiligte Trainer als auch die beteiligten Personalentwickler dies ablehnten, um der jeweiligen interkulturellen Maßnahme gegenüber den Teilnehmern keinen experimentellen Charakter zu verleihen. Aus diesem Grund gehen keinerlei Aussagen der Teilnehmer aus den beobachteten Maßnahmen in

56 Zur Verwendung des Begriffs siehe das Glossar.

57 Zur Verwendung des Begriffs siehe das Glossar.

58 SIETAR (Society for Intercultural Education, Training and Research) ist das Hauptforum interkultureller Praktiker in Deutschland und darüber hinaus.

59 Anmerkung: Ich verwende die männliche Form als Platzhalter, die Person könnte auch weiblich sein.

diese Arbeit ein; auch gegenüber Verantwortlichen des jeweiligen Unternehmens oder über Unternehmensgrenzen hinweg erfolgte keinerlei Berichterstattung meinerseits.

Qualitative Interviews, von denen ich Mitschriften und Gedächtnisprotokolle anfertigte, waren die Haupt-Methode meiner Erhebung im sekundären Feld innerhalb und außerhalb von ChipTech; flankierende teilnehmende Beobachtung fand auf Konferenzen und in interkulturellen Trainings statt. Dieses Vorgehen halte ich für legitim, weil es nicht Ziel meines Vorgehens war, das sekundäre Feld in seiner Tiefe zu verstehen, sondern lediglich, Teilaspekte dieses Feldes im Hinblick auf das primäre Feld zu interpretieren. Folgende Datenbasis liegt meiner Analyse des sekundären Feldes zugrunde60:

1) Trainings und Workshops: insgesamt 34 Tage. Ich beobachtete zehn Veranstaltungen für Ingenieure (zweimal mit indischen Ingenieuren), drei Veranstaltungen für nicht-technische Experten sowie vier Veranstaltungen für nicht-technische Mitarbeiter. Die Veranstaltungen fanden in neun Großunternehmen statt. Zudem leitete ich sechs moderierte

Veranstaltungen für interkulturelle Trainer und Personalentwickler zur Gewinnung von Daten über das sekundäre Feld.

2) Interviews und informelle Gespräche:

- 15 qualitative Interviews mit Stabsstellen-Mitarbeitern von ChipTech.

- Je zwei qualitative Interviews mit vier interkulturellen Beratern als Anbieter und Organisatoren interkultureller Trainings (also insgesamt acht Interviews).

- Fünf qualitative Interviews mit fünf Indien-Trainern.

- Acht qualitative Interviews mit acht Verantwortlichen für Personalentwicklung aus acht Unternehmen (fünf davon technische Unternehmen).

- Informelle Interaktionen mit ca. 50 Trainern und Personalentwicklern auf sieben Kongressen und Tagungen.61

- Informelle Interaktionen mit den Teilnehmern der unter Punkt 1) aufgeführten interkulturellen Veranstaltungen.

3) Sonstige Informationsquellen

- Informationen über das Netzwerk und den E-Mail-Newsletter von SIETAR (Society of Intercultural Education, Training and Research) Deutschland.

- Informationen unter www.interkulturelles-portal.de62 und www.dialogin.com63.

60 Anmerkung: In diese Analyse wurden sämtliche Veranstaltungen, die ich als kommerzielle Indien-Trainerin gegeben habe, nicht miteinbezogen.

61 Bei dieser informellen Interaktion legte ich nicht immer offen, dass ich Erkenntnisse aus diesem Gespräch eventuell für diese Arbeit heranziehen würde. Erstens war dies kaum vorherzusehen, zweitens kannten mich die Beteiligten als interkulturelle Trainerin. Dieser Rolle hätte ich durch ein solches Offenlegen widersprochen.

Wichtig ist, dass es sich bei dieser Datenerhebung nicht um eine geschlossene, eigenständige Feldforschung in der ansonsten üblichen Tiefe und Dichte handelt; sie war vielmehr als Interpretations-Hilfe angelegt und ist unter den geschilderten Bedingungen zu betrachten.

Zugrunde liegt ihr ein Verständnis des Feldes, das einleitend bereits deutlich gemacht wurde.

Die Frage, inwieweit es möglich ist, derart nah an der eigenen Praxis zu forschen und darüber fundiert zu reflektieren, kann ich nicht abschließend beantworten. Jedoch zieht sich diese Tatsache, nämlich dass das Feld und ,ich' in vielen Kontexten kaum zu trennen war, grundsätzlich durch diese Arbeit und ist nicht auf diesen Aspekt beschränkt.