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2. ChipTech, meine Doktorarbeit und ich

2.2 Ich, der Owner eines Themas bei ChipTech-OI

2.2.3 Being owned

Dame von der Personalabteilung bei mir. Ich fülle den üblichen Bewerbungsbogen aus. Auf Nachfrage erfahre ich, dass es um einen Zwei-Jahres-Vertrag geht. Mein Gehalt kenne ich noch nicht.

Oktober, Jahr 1: Schon Anfang Oktober kommt der Vertrag. So erfahre ich mein Gehalt.

Weil es laut Thalmann in der Personalabteilung Verzögerungen gab, fange ich nicht am 01.10., sondern erst am 18.10. an.

Hätte Thalmann nicht – wie ich später erfahren habe – das Thema statt meiner getrieben (weil auch er, wie ich später realisierte, dadurch an Ownership und Sichtbarkeit innerhalb der Organisation gewann) und die entscheidenden Manager von seinem Sinn überzeugt: Diese Doktorarbeit hätte vielleicht nie stattgefunden. Doch dank dieses tatkräftigen Fürsprechers machte ich den zweiten, den entscheidenden, Schritt ,hinein’.

sich kurz- und mittelfristig auszahlt, in das Projekt zu investieren. Im meinem Fall zahlte die Firma der Forscherin sogar Geld – womit rechtfertigt die Forscherin diese Ausgabe?

Die Feldforschung vor dem Feld zu verbergen, ist in diesem Kontext schlichtweg unmöglich, ihre Rechtfertigung könnte jedoch ebenfalls schwierig werden, denn schließlich ist es genau das Wesen der Feldforschung, dass sie keine Statistiken und quantitative Daten liefern wird.

Ihr Nutzen ist nicht messbar im betriebswirtschaftlichen oder – in diesem Fall ebenfalls relevanten – mathematisch-naturwissenschaftlichen Sinne. Gleichzeitig haben die Entscheidungsträger des Unternehmens, die über die Durchführung des Forschungsvorhabens entscheiden, eventuell keinerlei Vorstellung vom Wesen einer Feldforschung. Darüber hinaus ist es für sie nicht relevant, sich das Konzept ,Feldforschung’ zu eigen zu machen. Umso wichtiger wird da die attraktive Verpackung des Forschungsprojekts. Oder, wie mir mein Betreuer in der zweiten Woche meiner OI-Tätigkeit sagte:

„Worüber Du Dir mal Gedanken machen solltest…: Wichtig ist das Marketing. Dass Du Dein Thema verkaufen kannst, das ist der Schlüssel. Ich bin so ein Typ…, Du solltest auch eine Standard-Powerpoint in der Schublade haben. Da solltest Du Dir mal Gedanken machen. Das ist dann auch eine gute Übung für Dich.“

Was nützlich ist und was nicht, liegt dabei nicht im Ermessen des Ethnologen: Hierbei hat er sich nach den Vorstellungen des Managements zu richten. Außerdem muss er den Verdacht ausräumen, eine Gefahr für die Etablierten zu sein. Schwer zu ziehen ist dabei die so wichtige Linie zwischen ethnographischer Forschung und Auftragsarbeit für das Management.49 In der Rolle eines Doktoranden war ich sicherlich eines der unwichtigsten Mitglieder des Unternehmens: Um mein Ziel zu erreichen, musste ich mich daher den Mächtigen gegenüber wichtig genug machen.

Folgende Szene soll als Beispiel für diesen so wichtigen Sachverhalt dienen: Am 04.11., Jahr 1, traf ich mich mit einem der drei Department-Manager im Unternehmensbereich OI, deren Abteilungen mit Indien zusammen arbeiten. Die Abteilung dieses Managers, nennen wir ihn Stefan Rabl, ist eine der zahlenmäßig größten Abteilungen bei OI. Das Wohlwollen von Stefan Rabl gegenüber meiner Arbeit war also wichtig für mein Fortkommen: Er würde Türen öffnen können oder schließen. Wie sich später erfuhr, war Stefan Rabl erst im Nachhinein von meiner Einstellung informiert worden, aus seiner Sicht also übergangen worden.

Einige Tage vor unserem ersten Treffen hatte ich Stefan Rabl eine E-Mail geschickt mit einer kurzen Einleitung zu meinem Promotions-Vorhaben (Wir hatten uns zuvor einmal informell gesehen). Eigentlich wollte ich mich bereits zum Interview mit ihm treffen, doch er hatte in seiner Antwortmail vom Mittwoch die Aufgabe redefiniert: Ihm ginge es darum, „das

49 Siehe O’ Neill (2001) und Chapman (2001).

methodische Vorgehen und die Zielsetzung zu besprechen“. Ich überarbeitete mein Konzept noch einmal und schickte ihm die aktualisierte Version mit meiner Terminbestätigung.

Im Feldtagebuch halte ich das Gespräch wie folgt fest:

Feldtagebuch: Gekürzte Szene vom 04.11., Jahr 1

Das Gespräch beginnt für mich unangenehm, das ist auch daran ersichtlich, dass mir nicht – wie von fast allen anderen OI-Managern – das Du angeboten wird. Stefan Rabl hat mein Konzept ausgedruckt, einige Stellen mit blauem Textmarker markiert und ein gelbes Post-It mit Anmerkungen auf die erste Seite geklebt. Wir quetschen uns an den Besprechungstisch direkt neben seinem Schreibtisch (auch sein Büro ist klein, kaum acht Quadratmeter, und mehr als eng). Ich leite ein und sage: „Sie wollten mit mir ja über das methodische Vorgehen und die Zielsetzung sprechen…“ Stefan Rabl sagt: „Ja, was mich natürlich am meisten interessiert, ist: Was bringen Sie denn dem Unternehmen? Warum glauben Sie, dass Sie für diese Untersuchung geeignet sind?“ Und: „Wenn Sie ChipTech mit diesem Stipendium unterstützt, dann sind das immerhin zwei, zweieinhalb Entwickler in Bangalore, und das kommt dann auch noch auf unsere Kosten drauf.“ Ich spreche von fachlicher, beruflicher und persönlicher Kompetenz. Stefan Rabl fragt mich noch einmal, warum meine Untersuchung sich für ihn rechnen sollte. Ich werde mutig und sage ihm, dass ich billiger sei als eine Unternehmens-Beratung und im Wesentlichen das Gleiche täte. Stefan Rabl sagt: „Solange sie auch genauso gut sind…“ und zweifelt noch einmal an, dass sich meine Einstellung gelohnt habe. Ich sage: „Dass ich hier bin, das kann ich ja nun nicht mehr ändern.“ Er sagt, ganz schnell: „Es sind schon solche Projekte abgebrochen worden, das kann ganz schnell gehen. Wenn sich Ihre Arbeit für die Firma nicht rechnet, sind Sie ganz schnell weg vom Fenster.“

Ich frage Stefan Rabl also, was er sich von meiner Arbeit erwarte. Er sagt es mir (er hat es aufgeschrieben), und zwar schön durchnummeriert:

1) Eine Analyse der Erwartungshaltungen auf beiden Seiten 2) Eine Zusammenstellung der Befindlichkeiten

3) Grundlegende Dinge, auf die man in der täglichen Arbeit achten sollte

4) Der Fokus sollte auf den Ingenieuren und der Entwicklung liegen, denn: In Bangalore gibt es oben [er meint das höhere Management, also sich selbst, A.d.V.]

viel Erfahrung mit dem Westen

5) Plus eventuell ein Bild der de facto Abhängigkeiten Bangalore – Großstadt. Das betrifft die organisatorische Seite: Welche Arbeitspakete wurden nach Bangalore ausgelagert, läuft das gut oder nicht?

Ich sage: „Dann sage ich Ihnen mal, was ich dafür von Ihnen brauche“, und wir fangen an, die Modalitäten zu diskutieren. (…)

Nachdem ich somit das Okay für Mitarbeitergespräche erhalten hatte, habe ich sie geführt.

Einen Monat später präsentierte ich erste Ergebnisse in Stefan Rabls Management Circle – sein wöchentliches Abteilungsmeeting mit all seinen direkten Untergebenen – in Form einer Powerpoint-Präsentation. Im Mangement-Circle präsentieren ist ein geflügeltes Wort bei ChipTech-OI: Es beschreibt einen Vorgang des ,Gehör-findens’ bei den Mächtigen. Auch ich präsentierte erfolgreich und erkaufte mir so ein zweites Treffen von 30 Minuten. Ton und Art der Interaktion werden sich dabei deutlich ändern.

Feldtagebuch: Gekürzte Szene am 02.12., Jahr 1

Als ich Stefan Rabls Vorzimmer betrete, begrüßt mich die Sekretärin – die mich beim ersten Mal keines Blickes gewürdigt hat – auf English. „Do you want a cup of coffee?“ Ich sage: “Ja, vielen Dank.” Sie sagt: “Ach, Sie sprechen Deutsch.” Ich sage: „Ja, ich hab mich ja noch gar nicht offiziell vorgestellt, Entschuldigung, Jasmin Mahadevan.“ Sie führt mich in Stefan Rabls Zimmer, ich setze mich an den Besprechungstisch und trinke meinen Tee.

Stefan Rabl kommt mit etwa zwei Minuten Verspätung, Budget-Verhandlungen hätten sich gezogen. Damit er in sein Zimmer passt, muss ich aufstehen und mich bauchwärts an den Tisch lehnen. Er krebst hinter mir hindurch und schließt die Tür.

Wir sitzen wieder. Ich berichte von meinen ersten Gesprächen innerhalb der Abteilung und meinem Eindruck davon – denn berichten muss ich. Stefan Rabl hört zu, fragt oft nach, so lange, bis ich mich winde. So geht das eine Viertelstunde lang, dann sagt er: „Wollen wir uns nicht endlich duzen?“ Ich sage: „Sehr gern“. Wir lachen, Stefan Rabl sagt: „Stefan“, ich sage: „Jasmin“, und wir geben uns die Hand. Dann sagt er: „So, dann lass uns doch jetzt mal die einzelnen Teams durchgehen“, und gibt mir seine detaillierte Einschätzung der Situation mit Bangalore. Er erzählt, wo es aus seiner Sicht läuft und wo nicht, und was dort die Probleme seien. Der Ton hat sich geändert: Offenbar habe ich den Eingangstest bestanden und meine neue Aufgabe bekommen.

Danach geht es zum gemeinsamen Mittagessen, wir plaudern scheinbar zwanglos über dies und das. Man beginnt zu verstehen, wie der andere tickt und was er nutzen mag. (…)

Was hat sich zwischen dem ersten und dem zweiten Gespräch geändert? Zwei wesentliche Dinge, interpretiere ich im Nachhinein. Zum einen hat Stefan Rabl die Kontrolle gewonnen:

Er hat klar gemacht, dass das Spiel nach seinen Regeln zu spielen sei, und ich habe die Regeln akzeptiert. Zum zweiten habe ich bereits einen ersten Nutzen meiner Arbeit geliefert, Informationen, die für Stefan Rabl interessant sind.

So, oder so ähnlich war der Ablauf mit allen Personen, von denen ich zur Durchführung meiner Feldforschung abhängig war. Selbstredend wurden mir in diesem Prozess auch Fragen gestellt wie: „Was geht in Bangalore vor?“, „Wer arbeitet gut zusammen und wer schlecht?“,

„Wer sind die High-Performer, wer sind die Low-Performer?“, „Auf welchen Manager in Bangalore kann ich verzichten, auf welchen nicht?“ und viele mehr. Stets lehnte ich das Weitergeben von Namen ab, mit der Begründung, dass ich nichts mehr erfahren würde,

„wenn die Leute mir nicht mehr vertrauen“. Meistens blieb ich meinen Idealen treu, doch hin und wieder wurde dieser Druck kombiniert mit der Aussicht auf Belohnungen. Eine Möglichkeit der Kontrolle des Managements ist die Ablehnung von Reiseanträgen. So hieß es: „Wenn Du Ergebnisse zu Thema X lieferst, dann sollte einem weiteren Aufenthalt in Bangalore nichts mehr im Wege stehen.“ Oder umgekehrt: „Deine Ergebnisse sind noch nicht gut genug, leider können wir einer Reise nach Bangalore nicht zustimmen.“ Dieser Druck zwang mich, mein Forschungsprojekt immer wieder neu zu verteidigen, zu begründen, zu präsentieren und im Unternehmen präsent zu machen. So änderte mein Ownership seine Essenz, meine wissenschaftliche Forschung ihren Fokus. Auch der Name meines Promotionsvorhabens, nämlich „OI Cross-Site Project“, entstand in diesem Prozess der Instrumentalisierung. Zu Beginn hatte ich mein Vorhaben noch unter dem Titel „Intercultural PhD-Project“ auf einer Vielzahl von Meetings präsentiert. Diese Präsentationen dienten aus Sicht meines Betreuers einem doppelten Ziel, nämlich:

„Du musst bekannt werden im Unternehmen, die Leute müssen Dich kennen und was Du machst, sonst erreichst Du gar nichts.“

und:

„Du musst die Leute packen in ihrer Denke. Ein Ingenieur [Begriff schließt hier Manager mit ein, A.d.V.] kann sich sonst nichts darunter vorstellen, was Du machst.“

Dieser Lernprozess des Ingenieure in ihrer Denke packen vermittelte mir erste Vorstellungen davon, was nützliches Wissen aus Sicht der Akteure sei. Hinweise darauf gibt etwa folgende Aussage meines Betreuers über eine meiner ersten Präsentationen. Er beurteilte sie wie folgt:

„Vielleicht hast Du etwas zu oft research gesagt. Das solltest Du vielleicht vermeiden, denn dann denkt jeder sofort, Du meinst Vorfeldforschung. Und das heißt dann sofort, dass man frühestens in zwei, drei Jahren mit ersten Ergebnissen rechnen kann, die überhaupt erst zeigen, ob das Projekt in der Realität umsetzbar ist oder nicht.“

Der Standortleiter von OI-Bangalore gab mir im Februar 2005 per E-Mail folgenden Tipp50:

„Don’t name it [your project, A.d.V.] ,intercultural’ – otherwise, everybody will expect you to talk about French revolution and Indian Caste System which is very far away from the real issues. Nobody would then expect any practical outcome at all.

50 Ich hatte allen indischen Managern vorab die Powerpoint-Folien geschickt, mit denen ich mein Vorhaben in Bangalore präsentieren wollte. Dies ist ein übliches Vorgehen, um nächsten Schritte eines Projekts abzusichern.

And without engineers expecting practical outcome, they won’t waste their time on you. Thus, my suggestion is to keep it pragmatic and to name it ,cross-site’ because this is what you are actually dealing with. Besides that, I would keep the ,PhD’ out of it in order not to make it too theoretical.”

Diese beiden Aussagen geben bereits erste Hinweise auch eine wichtige Unterscheidung zwischen zwei Kategorien von Wissen, nämlich (praktisch relevantes) Erfahrungswissen einerseits und (praktisch irrelevantes, universitäres) theoretisches Wissen andererseits. Aus Sicht der beiden Manager war es für mich wesentlich, nicht innerhalb des theoretischen Wissensbereichs kategorisiert zu werden. Gleichzeitig zeigt die Aussage des Managers aus Bangalore, dass Kultur im Feld als etwas verstanden wird, dass außerhalb der eigenen technischen Realität liegt: Auch als ,interkulturell’ sollte meine Arbeit nicht eingestuft werden. Somit kennt er offensichtlich den externen Diskurs, der nationalkulturelle Unterschiede als für die Zusammenarbeit beeinträchtigend ansieht und grenzt sich davon ab.

Im Versuch-und-Irrtum-Verfahren setzte sich so binnen fünf Monaten der Titel „OI Cross-Site Project“ für meine Tätigkeit durch. Dieser Begriff verdeutlicht aus Sicht derer, die ihn durch ihre Kommentare schufen, einerseits, dass es sich um ein internes Projekt von OI handelt, andererseits ist „Cross-Site Project“ konkreter und praxisbezogener als „Intercultural PhD-Project“. Fortan machte ich also weder etwas Interkulturelles, noch forschte ich.

Stattdessen war ich im offiziellen Sprachgebrauch „responsible for the OI Cross-Site Project“. Und responsible oder verantwortlich sein bedeutet: Man hat Macht bekommen, die in Form von Ownership offiziell festgeschrieben wurde.

Nach zwei Monaten Feldforschung in Großstadt lieferte ich dem Management einen ersten Zwischenbericht in Form einer Powerpoint-Präsentation ab. Nach diversen Runden hinter den Kulissen, in denen Manager in mühsam erkämpften Einzelgesprächen ihre Meinung zu diesen Folien abgaben – vieles auch als irrelevant ablehnten – durfte ich die weichgezeichnete Version meiner Ergebnisse schließlich im OI-Management Circle, dem höchsten Meeting im Bereich , präsentieren. Mein Ziel in derartigen Veranstaltungen, war es stets, mich möglichst prägnant auf möglichst wenigen Powerpoint-Folien möglichst nützlich zu machen – schließlich würde mein weiterer Zugang (die Genehmigung von Reiseanträgen!) von dieser Übung abhängen. Im Idealfall würden in diesem Gremium alle Manager meinen Vorschlägen zustimmen – somit hätte ich das Okay für mein weiteres Vorgehen erhalten.

Die Wahrnehmung der OI-Manager von Nützlichkeit deckte sich dabei zunächst nicht mit meiner Vorstellung: Bei allen kam vor allem der Vorschlag an, monatliche ,Cross-Site

Workshops’ (meine Begriffswahl) abzuhalten, in denen sich ,Cross-Site Key Actors’

(ebenfalls meine Begriffswahl) aus verschiedenen OI-Gruppen zur regelmäßigen Diskussion von Themen der Zusammenarbeit, der so genannten Cross-Site Cooperation, treffen. Dieser Vorschlag erschien mir damals marginal, ich ließ mich jedoch überreden – welche Wahl hatte ich schon? – und im Nachhinein erwies sich die Abhaltung dieser Workshops als Glücksgriff für mich. Denn nur durch sie wurde ich wirklich zum Owner des Cross-Site Projects.