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ÜBER DIE HINTERGRÜNDE DER NEUESTEN TÜRKISCHEN KRISE AUS DER ZEITSCHRIFT »SOZIALISMUS« 06/2007

Im Dokument nEo-oSmAniSCHE tRÄumE PAPERS (Seite 32-36)

Die Eskalation im Machtkampf in der Türkei war so sicher, wie das Amen in der Kirche. Mit einem Frontalangriff der türkischen Generäle in der Nacht vom 27. April 2007 begann ein Proz-ess, der am Ende das Land ins Chaos stürzen könnte. Interventionen und Putschdrohungen der türkischen Generäle sind allerdings wahrlich nichts Neues.

Neu ist nur die Form: Das scharf formulierte Ulti-matum der Armeeführung kam ganz im Zeichen des Informationszeitalters per Internet und än-derte schlagartig die politische Tagesordnung der Türkei.

Wer erwartet hat, dass der Prozess der Heranfüh-rung an die EU die DemokratisieHeranfüh-rung der Türkei voranbringen würde, dürfte nun bitter enttäuscht sein. Alleine der Umstand, dass eine nächtliche Putschandrohung eine solche enorme Wirkung hat, zeigt, dass die Türkei - trotz vom Westen gel-obter Reformen - keinen Schritt voran gekommen ist.

Was war geschehen? Premier Erdogan, der sich seit längerem darüber im Klaren ist, dass er nicht selbst Staatsoberhaupt werden kann, zauberte als Überraschungskandidaten für das Amt des Staatspräsidenten Außenminister Gül aus dem Hut. Die größte Oppositionspartei, die kemalist-ische CHP, witterte ihre Chance und boykottierte die Wahlen im Parlament. Als die AKP-Mehrheit trotzdem den Wahlgang eröffnete, rief die CHP das Verfassungsgericht an. Am gleichen Tag, kurz vor Mitternacht, wurde auf den Internetseiten der Armee das Ultimatum veröffentlicht.

Daraufhin überschlugen sich die Ereignisse. Am 1. Mai 2007 erklärte das Verfassungsgericht wie erwartet, dass für die Wahl des Staatspräsidenten die Anwesenheit von mindestens 367 Abgeord-neten zwingend notwendig sei. Die AKP konnte, auch beim zweiten Wahlgang nur 361 Abgeor-dnete mobilisieren. Das war das Signal für die vorgezogenen Neuwahlen. Am 3. Mai 2007 voti-erten 458 Abgeordnete dafür.

Die bürgerlichen Medien bewerteten diesen Bes-chluss als einen Ausweg aus der schwersten

Sta-atskrise, in der das Land nun gefangen ist. Doch das scheint nur eine Wunschvorstellung zu sein.

Man muss eher von einer »Ruhe vor dem Sturm«

sprechen. Denn diese Krise hat offenbart, dass die Türkei von ihrer eigenen Vergangenheit eingeholt worden ist. Längst überwunden geglaubte Prob-leme sind aktueller denn je. Die Gesellschaft ist tief gespalten und das Land steht buchstäblich am Rande eines Abgrunds. Ob sie sich aus dieser Sit-uation retten und den Weg zu einer bürgerlichen Demokratie finden kann oder aber sich in einen blutigen Bürgerkrieg hineinmanövrieren wird, werden die nächsten zwei Monate zeigen.

WARUM HAT DIE ARMEE INTERVENIERT?

Die Putschdrohung hat die AKP-Regierung und die wirtschaftliche Elite, die auf die AKP setzte, kalt erwischt. Sowohl Erdogan, als auch die Un-ternehmensverbände fühlten sich aufgrund der AKP-Parlamentsmehrheit und der Unterstützung durch die USA und die EU auf der sicheren Seite.

Die neoliberalen Vorgaben von IWF, Weltbank und EU waren umgesetzt, das Land den Speku-lationen der internationalen Finanzmärkte eröff-net und kosmetische Operationen in Sachen De-mokratisierung vorgenommen. Es schien alles in Lot zu sein. Obwohl die oppositionelle CHP und nationalistische Kreise seit einem Jahr Kam-pagnen gegen einen Staatspräsidenten aus den Reihen der AKP führten, waren viele davon über-zeugt, dass alles nach (AKP-)Plan laufen würde.

Zudem wusste man, dass die Auseinandersetzun-gen um das Amt des Staatspräsidenten ein Ne-benkriegsschauplatz war.

Allerdings handelt es sich um einen Neben-kriegsschauplatz mit hoher Symbolkraft. Der türkische Staatspräsident ist von Amts wegen der Oberbefehlshaber der Armee. Wichtige Ämter im Staat, wie Verfassungsrichter oder Mitglieder der Hochschulkommission, werden von ihm ernannt.

Die Verfassung gibt dem Staatspräsidenten viele Kompetenzen, womit er zu einem Kontrollinstanz des Regimes wird und er sitzt dem übermächtigen Verfassungsorgan, dem Nationalen Sicherheitsrat vor. Eine symbolische Bastion des laizistischen

Staates, der bis jetzt zu keiner Zeit aus der Kon-trolle der Armeeführung entlassen wurde. Ein Islamist als Staatsoberhaupt wäre eine schwer zu schluckende Kröte für die Generäle.

Dennoch ist das Amt nur ein sekundäres Problem.

Den Generälen geht es um den Status quo, also ums Regime und um ihre privilegierte Machtstel-lung im Staat, in der Politik und Wirtschaft. Wird diese Machtstellung auch nur angetastet, fliegen die Fetzen.

Die Generäle hatten ihre Intervention mit der

»Gefährdung des Laizismus« begründet. Doch auch das ist ein Scheinargument, das der Mo-bilisierung der laizistischen Bevölkerungsteile dient – mit Erfolg, wie man an den Massende-monstrationen der letzten Wochen sehen konnte.

Die militaristische Clique hat es mit der Hilfe der staatshörigen Medien geschafft, die Massen gegen die AKP-Regierung auf die Straße zu bringen.

Dabei waren es die Militärs selbst, die den laizis-tischen Grundkonsens gefährdet und den poli-tischen Islam stets gefördert haben. In der jüng-sten Geschichte der Türkei hat die Armeeführung drei Mal (1960, 1971 und 1980) die Macht gewalt-sam an sich gerissen. Mehrere Male wurden Ul-timaten gestellt oder gedroht, zu putschen. Erst vor einigen Wochen wurde ein geheimer Putsch-plan öffentlich. Doch kein einziges Mal waren die islamistischen Kräfte direkte Angriffsziele der Interventionen und Machtübernahmen. Es war die Militärjunta unter dem Diktator Evren, die nach 1980 die Zahl der Religionsschulen verviel-facht und Anhänger des politischen Islams in der Bürokratie in Amt und Würde gebracht hat.

Der politische Islam war stets als ein Gegenge-wicht gegen die aufkeimende Gewerkschafts- und linke Oppositionsbewegung und im Besonderen gegen die kurdische Bewegung gedacht. Auch bei der jüngsten Intervention geht es nur schein-bar gegen die Islamisten. Solange sie kontrolliert werden können, dürfen sie sich austoben und or-ganisieren. Aber wehe, wenn sie so stark werden, so dass der Westen sie als einzigen Ansprechpart-ner ansieht.

DREITEILUNG DER GESELLSCHAFT

Während die westlichen Medien nur den Laizis-mus-Aspekt in ihrer Berichterstattung berücksi-chtigt haben, wurden die eigentlichen Adressaten des Ultimatums - bewusst? - vergessen. Unmiss-verständlich hat die Armeeführung die gesamte kurdische Bevölkerung und die linke, sozialist-ische Opposition im Lande zu Staatsfeinden erk-lärt. Die Aussage im Ultimatum, dass »alle, die dem Verständnis ›Glücklich ist der, der sagen kann, ich bin Türke‹ widersprechen, sind Feinde der Republik Türkei und werden es bleiben« ist eine offene Kriegserklärung.

Dies findet in der gespaltenen türkischen Gesell-schaft fruchtbaren Boden. Seit mehreren Jahren wird eine rassistisch-nationalistische Stimmung geschürt. Ein Großteil der Bevölkerung in der westlichen Türkei ist offen kurdenfeindlich. Kurd-Innen, die aufgrund des Krieges im Südosten aus ihren Dörfern oder Städten vertrieben wur-den, sind als ZwangsbinnenmigrantInnen im Westen unerwünscht. Die bewusste Ethnisierung der sozialen Frage und der Kriminalität in den Großstädten, das medial inszenierte Beschwören von Bedrohungsszenarien, Massenbegräbnisfei-ern für gefallene Soldaten, an denen hochrangige Generäle und Offiziere teilnehmen, antiimperi-alistisch gefärbte Nationalismuspropaganda und die Stigmatisierung der kurdischen und linker Oppositionsparteien als »Separatisten« hat ein gesellschaftliches Klima erzeugt, das quasi in Lynchjustiz mündet.

Proteste gegen die Beisetzung erschossener »Ter-roristen« auf städtischen Friedhöfen, das Verja-gen von kurdischen Saisonarbeitern und ihrer Familien aus den Städten, das Skandieren kur-denfeindlicher Parolen in Fußballstadien, Mas-senverprügelungen vermeintlicher »PKK-Anhän-gern«, auch wenn es »nur« protestierende linke Studierende sind u.v.a.m. gehören zum Alltags-bild der heutigen Türkei. Ein Massenwahn, der sogar so weit geht, dass nun Bevölkerungsteile bewaffneten Kampfhandlungen mit PKK-Kämp-fern als Zuschauer beiwohnen! So berichtete die Tageszeitung Hürriyet am 7. Mai 2007: »Über 1.000 Zivilisten haben in Hatay Soldaten, die auf der Terroristenjagd waren, angefeuert... Nach der Vernichtungsoperation haben Dorfbewohner die erfolgreichen Soldaten mit Lebensmitteln be-schenkt«. Bedarf diese Nachricht noch weiterer Kommentare?

Während 20.000 Mann starke Armeeeinheiten mit Unterstützung von Sikorsky-Kampfhub-schraubern vier- bis sechsköpfige kurdische Gue-rillagruppen jagen und von »Vernichtungsope-rationen« berichtet wird, versucht die einzige legale kurdische Partei DTP in Zusammenarbeit mit kleineren linken und sozialistischen Parteien, sich auf die vorgezogenen Neuwahlen vorzuber-eiten. Nach Presseberichten wird dabei die Un-terstützung von unabhängigen KandidatInnen favorisiert.

In den kurdischen Gebieten sind die Vorbereitun-gen so weit vorangeschritten, dass in Wahlkreisen, in denen mindestens zwei KandidatInnen gewählt werden könnten, Frauen die/den einen und Män-ner die/den andere/n KandidatIn wählen sol-len, um die Chancen zu vergrößern. Doch ob es dazu kommen wird, dass das kurdisch-türkische Wahlbündnis überhaupt unabhängige Mandate

erringen kann, scheint zweifelhaft zu sein. Denn weder ist die sehr hohe 10%-Hürde gesenkt wor-den, noch ist die Zulassung von unabhängigen KandidatInnen sicher.

Zudem hat die türkische Armee mit ihrem »be-waffneten Wahlkampf« begonnen. Die massiven Militäroperationen und die mögliche Verhängung des Kriegsrechts im Südosten der Türkei werden den kurdischen Wahlkampf mehr als behindern.

Schon jetzt gehen türkische Analysten davon aus, dass nach dem 22. Juli 2007 keine DTP-Abgeord-neten im Parlament sitzen werden.

Linke in der Türkei sprechen heute davon, dass die politische Landschaft längst in eine türkische und kurdische geteilt ist. In den kurdischen Gebieten bemühen sie sich nicht mal um die Organisier-ung eigener ParteigliederOrganisier-ungen. Auch die kurd-ische Bevölkerung im Südosten der Türkei scheint sich damit abgefunden zu haben. Zahlreiche in der Türkei geborene junge KurdInnen ziehen in den Nordirak, um dort auf kurdischen Univer-sitäten zu studieren. Das kurdische Autonomiege-biet im Nordirak, reich an Erdölvorkommen und mit relativ hohem Pro-Kopf-Einkommen, hat für die kurdische Bevölkerung im unterentwickelten Südosten der Türkei eine hohe Anziehungskraft.

Sowohl der Chef des Autonomiegebietes, Barzani, als auch der irakische Staatspräsident Talabani, selbst ein Kurde, sympathisieren offen mit der kurdischen Bevölkerung in der Türkei. Die DTP lässt die Sympathiebekundungen nicht unbeant-wortet.

Diese, im Nordirak entstandene neue Situation, der Umwälzungsprozess im Nahen Osten und die langfristigen US-Pläne für die Region verschärfen so die Widersprüche der türkischen Machthaber.

Daher spricht Armeechef Büyükanit in diesem Zusammenhang von der Gefährdung des strate-gischen Schutzes der territorialen Einheit des Landes und benennt im Unterton die USA als Schuldigen für diese Entwicklung.

Unverhohlen hatte Büyükanit sowohl bei sei-nem Washington-Besuch, als auch auf seiner Pressekonferenz am 12. April 2007 in Ankara, eine militärische Intervention in Nordirak ge-fordert. Verschiedene Tageszeitungen hatten da-nach über die Pläne, eine 400 km breite und 50 bis 60 km tiefe Pufferzone auf dem Staatsgebiet des Irak an der Grenze einzurichten, spekuliert.

Dass derartige Pläne längst in den Schubladen der Militärs liegen, ist in der Türkei ein offenes Geheimnis. Allerdings ist noch nicht darüber ent-schieden, ob die Generäle das riskieren wollen.

Die Politik der letzten zwei Jahrzehnte und die jüngsten Entwicklungen haben einen tiefen Spalt zwischen den kurdischen und den übrigen Teilen der Bevölkerung der Türkei entstehen

las-sen. Aber nicht nur diese Spaltung zerrüttet die gesellschaftlichen Fundamente. Es geht eine weitere Spaltung, ein kultureller Riss durch die Mitte dieser Gesellschaft, die zu kitten, große En-ergien erfordern wird. Dabei handelt es sich um die sich zusehends verschärfenden Frontstellun-gen zwischen zwei Bevölkerungsteilen, deren Le-bensgeschichten, Auffassungen und Traditionen grundverschieden sind.

Auf der einen Seite steht ein Teil der türkischen Bevölkerung, der sich seit der Gründung der

»modernen« Türkei von den Eliten benachteiligt fühlt. Das sind Menschen, die zumeist aus den anatolischen Gebieten stammen, die eine konser-vative, türkisch-islamische Weltsicht haben, inz-wischen über größere ökonomische Ressourcen verfügen und die neue Mittelschicht ausmachen.

Gemeinsam mit den weiten Teilen der "Unter-schicht" bilden sie die Wählerschaft der AKP und sind als solche eine nicht zu unterschätzende poli-tische Kraft geworden. Diese heterogene Gruppe ist geeint in dem Willen, gegen den als paterna-listische Bevormundung verstandenen Laizismus vorzugehen und mit der Hilfe der neuen Poli-tikerklasse aus den eigenen Reihen ihren »An-teil« an den politischen und wirtschaftlichen Res-sourcen des Landes einzufordern.

Auf der anderen Seite stehen die alten »modern-en« Mittel- und Oberschichten. Dabei handelt es sich um eine westlich orientierte Gruppe, die sich stets als aufgeklärte Türken definiert hat und sich vom Erstarken der AKP in ihrer Lebensweise bed-roht fühlt. Diese, von Teilen der türkischen Linken als »weiße Türken« oder »die türkische Schweiz«

bezeichnete Gruppe setzt gegen die »antilaizis-tische Gefahr« auf die Macht der Armee und des Regimes. Das kommt auch nicht von ungefähr, denn ein Großteil der Richter, Staatsanwälte, Of-fiziere und der Bürokratie stammt aus der Gruppe der »weißen Türken«.

In den Auseinandersetzungen der letzten Wochen hat sich das Paradoxe dieser Spaltung offenbart:

während die westlich orientierten, laizistisch-en »weißlaizistisch-en Türklaizistisch-en« sich von dlaizistisch-en Wertlaizistisch-en der westlichen Demokratie abwenden und teilweise mit nationalsozialistisch anmutenden Parolen sich noch stärker an das militärische Vormund-schaftsregime festklammern, setzen die nicht-westlich orientierten Schichten auf die Stärkung der parlamentarischen Demokratie, weil sie nur so eine Chance sehen, ihre wirtschaftlichen und politischen Interessen zu schützen. Daher ist es kein Zufall, wenn sich die islamische AKP in ihrer politischen Ausrichtung als europafreundlichste Partei präsentiert.

DAS SCHEITERN DER DEMOKRATIE Á LA TURK Diese Dreiteilung der türkischen Gesellschaft, gepaart mit der Unfähigkeit der Politik, wenn auch nur minimale demokratische Lösungen zu

präsentieren, macht aus der Türkei ein Pulverfass, das durch einen kleinen Funken hochgehen und die gesamte Region in einen Flächenbrand verset-zen kann. An dieser Situation haben die Parteien im Parlament eine gehörige Mitschuld.

Sowohl die Regierungs- als auch Oppositionspar-teien haben sich davor gescheut, die von der Mil-itärjunta 1982 durchgesetzte antidemokratische Verfassung so zu ändern, dass damit die Ent-wicklung einer bürgerlichen Demokratie möglich geworden wäre. Sämtliche »demokratischen Re-formen«, die im Rahmen der EU-Beitrittsverhan-dlungen umgesetzt wurden, haben am Kern der Verfassung, aus der die Militärs ihre Macht schöp-fen, nichts geändert.

Im Gegenteil: Lange glaubten Erdogan und die AKP, dass sie an der Macht teilhaben konnten, wenn sie die Machtverhältnisse nicht antasten.

In der Kurdenfrage setzte die AKP statt auf Dia-log und politische Lösung auf Eskalation. Ihr Regierungshandeln war wesentlich von einer neo-liberalen Wirtschafts-, Steuer- und Finanzpolitik, massivem Sozialabbau, Maßnahmen zur weit-eren Schwächung der Gewerkschaften und der Verschärfung von innenpolitischer Repression geprägt. Während die AKP-Regierung, wie am 1.

Mai 2007 in Istanbul, mit Polizeigewalt Gewerk-schaften, soziale Bewegungen und linke Opposi-tionsgruppen bekämpfte, provozierte sie mit einer ignoranten und parteiischen Personalpolitik in der Bürokratie, laizistische Abwehrhaltungen.

Auch nach der Intervention der Generäle demon-strierte die AKP-Regierung ihre Unfähigkeit.

Der nationalistischen und rechtspopulistischen Haltung der Oppositionsparteien hatte sie nichts anderes entgegenzusetzen als von kurzfristi-gen Machtinteressen geleitete Wahlrechts- und Verfassungsänderungen. Obwohl der amtier-ende Staatspräsident nach dem geltamtier-enden Recht diese Verfassungsänderung ablehnen muss, hat die AKP-Mehrheit die Wahl des neuen Staats-präsidenten durch das Volk beschlossen. Die 10%-Hürde jedoch bleibt weiterhin bestehen. Eine Konsensfindung im Parlament scheint - außer in der Frage der vorgezogenen Neuwahlen - prak-tisch nicht möglich. So tritt die Türkei in einem polarisierten und vergifteten Klima in die Phase der Neuwahlen.

WAS WIRD/KÖNNTE GESCHEHEN?

Aufgrund der vorgezogenen Neuwahlen sind sich viele politische Beobachter einig: »Eine weit-ere Eskalation der militärischen Einflussnahme ist nicht zu erwarten«. Das trifft wohl zu - aber nur bis zum Wahltag. Was danach passieren wird, hängt vom Wahlausgang ab. Derzeit zwingt die 10-Prozent-Hürde zu Parteifusionen. Im rech-ten Spektrum haben sich die Parteien DYP und

ANAP zur »Demokratischen Partei« zusam-mengeschlossen. Die CHP fusioniert mit der Partei des verstorbenen Bülent Ecevit. Die neofa-schistische MHP wittert aufgrund der angeheiz-ten nationalistischen Stimmung neue Chancen.

Und der mächtige Unternehmerverband TÜSIAD geht nach der Kritik der Generäle an der AKP auf Wartestellung.

In dieser Situation wird es für die AKP schwer, ihr Wahlergebnis von 2002 zu halten. Unmöglich ist das aber nicht. Auch wenn die »weißen Türken«

auf eine Regierung ohne die AKP hoffen, könnte diese Hoffnung nur im Falle des Einzugs einer vi-erten Partei in Erfüllung gehen. Falls ein Bündnis von unabhängigen kurdischer und linker Abgeor-dneten in das Parlament einziehen sollte, könnte es das Zünglein an der Waage werden, was aber von den Militärs als Super-GAU bewertet wird.

Wie auch immer die Wahlen am 22. Juli 2007 aus-gehen werden, demokratisch und gerecht werden sie auf keinen Fall sein.

Und die Generäle? Es gibt viele innen- und außenpolitische sowie strategische Faktoren, die das weitere Handeln der Armeeführung beein-flussen. Der Machterhaltungswillen ist wohl die größte Motivation. Daher bin ich, entgegen der herrschenden Meinung der Auffassung, dass sich die türkische Krise noch in diesem Jahr verschär-fen wird. Die Generäle haben sich zu weit aus dem Fenster gelehnt und verfügen über eine militante zivile Struktur, so dass ein Zurückweichen insbe-sondere in der Kurdenfrage nicht wahrscheinlich erscheint. Auch die kurdische Bevölkerung ist nicht mehr gewillt, wie bisher regiert zu werden.

Wenn ihnen mutwillig der Weg ins Parlament wieder versperrt werden sollte, werden sie sich wahrscheinlich dem bewaffneten Widerstand zu-wenden. Das würde eine weitere Eskalationsstufe bedeuten, die Auswirkungen in der gesamten Re-gion, aber auch in Europa hätte. Dann erwarten uns blutige, kriegerische Jahre, was nicht zu wün-schen ist.

Im Dokument nEo-oSmAniSCHE tRÄumE PAPERS (Seite 32-36)