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ÜBER DIE ANSTEHENDEN PARLAMENTSWAHLEN UND DIE AKTUELLE ENTWICKLUNG IN DER TÜRKEI

Im Dokument nEo-oSmAniSCHE tRÄumE PAPERS (Seite 78-82)

ISTANBUL, 2. JUNI 2011

Der Countdown läuft. Am 12. Juni 2011 finden die Parlamentswahlen statt. Am Wahltag werden die WählerInnen nicht nur über eine neue Regier-ung entscheiden, sondern auch ob eine neue fassung in die Wege geleitet und wie diese Ver-fassung möglicher Weise aussehen wird und ob in der »Kurdenfrage« eine friedliche Lösung zu erwarten ist.

Die Analysten sagen einen erneuten Wahlsieg der AKP-Regierung voraus, die jedoch nicht so hoch sein wird, wie in den letzten Wahlen. Obwohl Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan seinen Wahlkampf betont nationalistisch gestaltet, um auch die Wählerschaft der neofaschistischen MHP (Partei der nationalistischen Bewegung) an sich zu binden, scheint die MHP laut Umfragen ihren Wiedereinzug in das Parlament noch nicht verpasst zu haben. Auch die größte Oppositions-partei CHP (Republikanische VolksOppositions-partei) unter der Führung von Kemal Kilicdaroglu ist dabei, ihr Stimmenanteil zu erhöhen. Aufgrund der hohen Wahlhürde von 10 Prozent wird die prokurdische BDP (Partei des Friedens und der Demokratie) es wieder mit unabhängigen KandidatInnen ver-suchen. Das gemeinsam mit 17 linken und so-zialistischen Parteien gegründete Linksbündnis (Block der Arbeit, des Friedens und der Freiheit) wird wohl mit bis zu 30 Abgeordneten wieder eine Fraktion bilden können.

Bei einer oberflächlichen Betrachtung scheint der Wahlkampf in der Türkei »Normal« zu verlaufen.

Aber in einem Land wie die Türkei ist nichts

»Normal« und jederzeit ist mit außergewöhn-lichen Entwicklungen zu rechnen. Man muss nicht wie der kurdische Menschenrechtler und Rechtsanwalt Mahmut Alinak den Teufel an die Wand malen - Alinak rechnet mit einem blutigen Bürgerkrieg nach den Wahlen. Doch so abwegig ist seine Angst nicht. Daher wird in dieser Analyse wird der Versuch unternommen, vor den anste-henden Wahlen die aktuelle Situation wieder zu geben und mögliche Szenarien aufzuzeigen, die mit Sicherheit auch in Europa ihre Auswirkungen haben werden.

DIE POLARISIERUNG DER GESELLSCHAFT

Die Wahlen finden in einer polarisierten ge-sellschaftlichen Situation statt, in der ein kleiner Funke das Potential birgt, binnen kurzer Zeit sich zu einem Flächenbrand zu entwickeln. Die jüng-ste Studie des renommierten Forschungsinstituts KONDA zeigt, wie weit sich die gesellschaftliche Polarisierung entwickelt hat. In einem Interview mit der Tageszeitung Özgür Gündem erklärt der KONDA-Geschäftsführer Bekir Agirdir, dass sich die Polarisierung in zwei Bereichen, in der »Kur-denfrage« und zwischen »Totalitarismus und De-mokratisierung« verfestigt habe.

Laut der KONDA-Studie sind rund 55 Prozent der türkischen Gesellschaft der Auffassung, dass »die Regierung dabei ist, die Justiz zu unterwerfen«.

45 Prozent sei, unabhängig von jeglichen Repres-sionsmaßnahmen der Regierung der Meinung, dass sich »das Land demokratisiere«. Agirdir weist daraufhin, dass diese polarisierende Parteinahme sich zu einem Lebensstil entwickelt habe, was sein-er Meinung nach ein großes Problem darstelle.

Denn: »Wenn es eine politische Polarisierung wäre, gäbe es Lösungsmöglichkeiten. Die Par-teiführer bräuchten nur ihre Wahlkampfsprache zu ändern. Aber diese Polarisierung zeigt sich in einer Achse der absoluten AKP-Gegnerschaft und AKP-Anhängerschaft. (…) Hieraus resultie-ren zwei große Gefahresultie-ren: Erstens, wir sprechen mehr und mehr eine Gewaltsprache, die bald in der praktizierten Gewalt münden kann. Während heute Frauen, die Minirock tragen, angepöbelt werden, werden sie Morgen Opfer einer Gewalt-tat. Oder, während heute einige bei dem kurdisch-en Lebkurdisch-ensmittelhändler nicht mehr einkaufkurdisch-en, werden sie später diesen Lynchen. Das Beispiel der Statue, welcher niedergerissen wurde, weil sie dem Ministerpräsidenten nicht gefiel, spricht Bände. Die zweite Gefahr ist, dass wir den Willen zum Zusammenleben verlieren. Daraus wächst das Risiko, dass diejenigen, die denken, dass zur Veränderung eine Wahl nicht ausreicht, sich Wege suchen können, mit außergewöhnlichen Mitteln die Macht zu erlangen«.

Agirdir sieht in den Ergebnissen der Studie die Bestätigung der gesellschaftlichen Spaltung in

»Laizisten und Antilaizisten«, wobei die »Kur-denfrage« eine weitere Polarisierung ausmache.

Gerade in der »Kurdenfrage« scheine ein großes Hindernis vor der Entwicklung eines notwendi-gen gesellschaftlichen Konsenses zu stehen. Die KONDA-Studie macht den, sich besonders in den westlichen Teilen der Türkei verankernden Ultra-nationalismus als das größte Hindernis dafür aus.

Laut der Studie will fast die Hälfte der TürkInnen (über 47 Prozent) keinen kurdischen Nachbarn, keinen kurdischen Geschäftspartner oder keinen angeheirateten Kurden bzw. Kurdin in der Fami-lie. Umgekehrt denken 22 Prozent der KurdIn-nen ähnlich. Agirdir: »Wenn wir bald die Sprache der Gewalt nicht ändern, wird sich der Anteil der kurdenfeindlichen TürkInnen 2013 auf mehr als 67 Prozent erhöhen«. Dabei gibt es innerhalb der ParteienanhängerInnen kaum Unterschiede: 47 Prozent der AKP-AnhängerInnen, 43 Prozent der CHP-AnhängerInnen und 69 Prozent der MHP-AnhängerInnen zeigen offene Kurdenfeindlich-keit und rassistische Einstellungen.

Welche Auswirkungen diese Feindlichkeit zur Folge hat, zeigen die Ereignisse der letzten Tage.

Gerade, als dieser Artikel verfasst wurde, berich-teten die Agenturen, dass in Hopa, einer Kleinstadt an der Grenze zu Georgien, nach einer Wahlkamp-fveranstaltung von Erdogan bei den Ausschreitun-gen eine Person ums Leben gekommen ist. An-griffe auf Veranstaltungen des Linksbündnisses sowie einzelne Lynchversuche gehören zu den täglichen Nachrichten der Fernsehsender. Dabei macht die Gewalt nicht vor KurdInnen halt: Selbst StudentInnen, die gegen die Hochschulpolitik demonstrieren wollen, werden als »Terroristen«

beschimpft und von Passanten angegriffen. Wer eine BDP-Fahne trägt oder sich offen als Unter-stützerIn des Linksbündnisses zeigt, läuft Gefahr als »PKKler« bzw. »kurdischer Terrorist« ange-griffen zu werden.

WAHLKAMPF ALS MOTOR DER ESKALATION

Die Behandlung der »Kurdenfrage« als eine Frage der inneren Sicherheit, somit das Favorisie-ren der militärischen Lösung und die seit mehr als 30 Jahren regierungsamtlich und staatlich geschürte chauvinistische Stimmung gegen die kurdische Bevölkerung rächt sich. Während sog-ar Teile der konservativen Kräfte des Landes die

»Kurdenfrage« als eine Schlüsselfrage, die vor allen Problemen des Landes steht, akzeptieren, versäumt man die radikale Veränderung der ge-sellschaftlichen Dynamik zu sehen.

Sicher, im Rahmen des sog. Heranführungspro-zesses der Türkei in die EU wurden einige we-nige Maßnahmen ergriffen. Immerhin sprechen

staatliche Stellen heute davon, dass es eine kur-dische Frage gibt und diese einer Lösung bedarf.

Doch das hat an der Behandlung des »Problems«

als Frage der inneren Sicherheit nichts geändert.

Selbst die Chance, mit der prokurdischen BDP-Parlamentsfraktion zu sprechen und diese als ein Gesprächspartner anzuerkennen und somit Möglichkeiten für eine friedlich-demokratische Lösung zu suchen, wurde nicht ergriffen. Im Ge-genteil; die BDP-Fraktion wurde ausgegrenzt, als

»politische Terroristen« diffamiert, von der par-lamentarischen Einflussnahme und staatlichen Fördertöpfen, die allen anderen Fraktionen zuste-hen, ausgeschlossen. Weder die Regierung, noch die anderen Oppositionsparteien waren für eine Änderung der Wahlhürde von 10 Prozent oder der antidemokratischen Parteien- und Wahlgesetzen.

Mit dem Beginn des Wahlkampfes baute die AKP ihre Strategie auf einer offenen nationalistischen Grundlage und verschärfte ihre politischen Aus-sagen gegen die kurdische Bewegung. Die Tat-sache, dass die nationalistische Strömung in der AKP über eine große Mehrheit verfügt, die ide-ologische Gegnerschaft der AKP gegen kollektive Rechte und das herrschende Paradigma, dass die einzige Gemeinsamkeit nur das »Muslim-Sein«

ist, hat sicherlich einen großen Anteil daran. Aber auch die Strategie, mit radikalem Nationalismus die MHP unter die Wahlhürde zu drücken und dadurch die Chance einer verfassungsgebenden Zweidrittelmehrheit im Parlament zu erhalten ist ein Grund dafür. Doch die letzten Umfragen zei-gen, dass diese Strategie wahrscheinlich nicht auf-gehen wird. Denn alle Umfrageinstitute sehen die MHP, wenn auch mit knappen Ergebnissen, im nächsten Parlament. Wie dem auch sei, am Abend des 12. Juni werden wir alle klüger.

Während die MHP ihre nationalistische Anhän-gerschaft noch gut zu organisieren weiß, ist die CHP dabei – je nach Ort ihrer Wahlkampfkundge-bungen – mit moderaten Tönen in der »Kurden-frage« sich auf die soziale Frage und die Probleme der alewitischen Minderheit zu konzentrieren.

Diese Taktik scheint sich für die CHP auszu-zahlen, denn die Umfrageinstitute sehen die Stei-gerung der CHP-Stimmen vor.

Alle Kommentatoren der gängigen Medien sind sich darüber einig, dass sich die sog. »Öffnung-spolitik« der AKP entzaubert habe und daher die AKP besonders in den kurdischen Gebieten Stim-men verlieren werde. Dass auch die AKP-Führung ähnliche Schlussfolgerungen zieht, zeigt sich in der Aufstellung der Kandidaten in den kurdisch-en Gebietkurdisch-en. Währkurdisch-end bei dkurdisch-en letztkurdisch-en Wahlkurdisch-en vor allem bekannte kurdische Persönlichkeiten auf-gestellt wurden (Erdogan sprach nach den Wahlen davon, dass die AKP mit 75 kurdischen

Abgeord-neten die größte kurdische Partei sei), sind jetzt viele dieser Abgeordnete nicht mehr aufgestellt worden.

Dass die AKP in den kurdischen Gebieten Stim-menanteile verlieren wird, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Daran haben vor allem die prokurdische BDP und die immense Politisierung der kurdischen Bevölkerung einen entschiedenen Anteil. Die BDP hat es geschafft, nicht nur mit dem Aufbau eines Linksbündnisses große Teile der türkischen Linken an sich zu binden, sondern auch mit der Aufstellung von PKK-kritischen, konservativ-islamisch orientierten kurdischen Persönlichkeiten den AKP-Einfluss in der kurd-ischen Bevölkerung zurückzudrängen.

Doch mit der Gründung des Linksbündnisses (Wahlmanifest unter: http://murat-cakir.blogspot.

com/2011/05/wahlmanifest-des-linksbundniss-es-in-der.html) begannen auch die juristischen Angriffe. So hat Mitte April die Hohe Wahlkom-mission beschlossen, 7 KandidatInnen des Links-bündnisses nicht zuzulassen. Darunter waren auch amtierende Abgeordnete wie die BDP-Co-Vorsitzende Gultan Kisanak und Sabahat Tuncel, die mit dem landesweit höchsten Stimmenanteil aus dem Gefängnis heraus gewählt wurde. In der Folge der Veröffentlichung dieses Beschlusses kam es zu zahlreichen spontanen Demonstra-tionen in den kurdischen Gebieten. Die Polizei griff sehr hart gegen die Demonstrierenden durch – einige DemonstrantInnen kamen ums Leben.

An den Demonstrationen beteiligten sich Hun-derttausende, darunter viele Frauen, so dass bin-nen weniger Tage der Beschluss durch die Hohe Wahlkommission selbst gekippt und die Kandida-tInnen wieder zugelassen wurden. Es war ein Sieg der Spontaneität der Volksmassen.

Auch nach dem Angriff der Armee gegen eine Guerillagruppe, in der 10 Guerillas getötet wur-den, kam es zu zahlreichen Demonstrationen.

Etwa 2.000 ZivilistInnen in der Nähe der türkisch-irakischen Grenze übertraten die Staatsgrenze und brachten die dort getöteten Guerillas in das türkische Gebiet – obwohl Grenzsoldaten sie mit Schüssen zu hindern versuchten. In den nächsten Tagen wurden die Guerillas in ihren Heimatorten mit der Teilnahme von 50 bis 60.000 Menschen beerdigt. Erstmals in der Geschichte der Türkei fand ein massenhafter Grenzübertritt statt.

Weitere Aktionen des zivilen Ungehorsams, so wie das »zivile Freitagsgebet«, wo zehntausende Gläubige nicht mehr in den Moscheen, also hinter den vom Staat gestellten Imamen, sondern ge-meinsam auf öffentlichen Plätzen beteten, finden heute noch massenhaft statt. Ministerpräsident Erdogan beschimpfte die »zivilen Freitagsgebete«

als »mißbrauch des Islams durch Terroristen«

und verlor dadurch viele Sympathien innerhalb der gläubigen Teile der kurdischen Bevölkerung.

Diese Ereignisse sind ein Beleg dafür, welche Grade die Radikalisierung der kurdischen Bev-ölkerung erreicht hat. In den Fällen des Be-schlusses der Hohen Wahlkommission und der Erschießung der Guerillas haben zahlreiche türkische Kommentatoren, aber auch PolitikerIn-nen der AKP und CHP Kritik an staatlichen und militärischen Stellen ausgeübt. Doch beide Er-eignisse hatten nicht zur Folge, dass der nation-alistische Wahlkampf der AKP zurückgefahren wurde und die chauvinistische Stimmung in der türkischen Bevölkerung abnahm.

WAS KÖNNTE PASSIEREN?

Man braucht kein Analyst zu sein, um zu erken-nen, welche Gefahren die derzeitige Entwicklung in der Türkei beinhaltet. Auch wenn von heute auf Morgen ein blutiger Bürgerkrieg, wie sie es von Mahmut Alinak beschrieben wird, nicht unbed-ingt zu erwarten ist, könnte ein »weiter so« der Regierung zu einer Gewalt-Tsunamie führen, der dann alles, was vor ihr steht, mitreisen und das Land in den Abgrund treiben kann. Die Tatsache, dass die USA und die EU an einer »wirtschaftlich und militärisch stabilen Türkei« (Klaus Naumann) interessiert sind und das türkische Kapital auf eine weitergehende Demokratisierung, somit auf eine gewisse Normalisierung der Zustände drängt, könnte die Entscheidungsträger der Türkei moti-vieren, nach den Wahlen einige Reformschritte zu unternehmen.

Doch derzeit sieht es nicht danach aus: In den Me-dien wurde die Kundgebung des Regierungschefs in Diyarbakir am 1. Juni mit Spannung erwartet.

Einige Kommentatoren äußerten ihre Hoffnung, dass nun Erdogan einige »positive Signale« ge-ben würde. Aber Erdogan verschärfte seinen Ton weiter. Bei seiner Rede verglich er die CHP und die BDP, die seiner Meinung nach kooperieren würden, mit dem »zivilem Faschismus« und ern-tete viele Enttäuschungen. Nun liegen die Hoff-nungen auf der Rede des Regierungschefs am Wahlabend.

Die eigentliche Chance liegt aber darin, dass das Linksbündnis gestärkt ins Parlament einziehen und somit das Zünglein an der Waage werden kann. Es steht außer Frage, dass die AKP auch diese Wahlen gewinnen wird. Aber die Umfrage-institute sehen keine Zweidrittelmehrheit der AKP vor. Dies scheint nicht sehr wahrscheinlich zu sein. Die CHP wird aus den Wahlen gestärkt ins Parlament einziehen. Damit wird die AKP für eine, von ihr stets versprochene Verfassungsän-derung auf die CHP und die von den unabhängi-gen KandidatInnen zu gründende BDP-Fraktion angewiesen sein. Ob jedoch diese

Verfassung-sänderung grundsätzliche Schritte in Richtung einer echten Demokratisierung sein wird, ist eine schwache Wahrscheinlichkeit, würde aber viele Chancen für die friedliche Lösung der »Kurden-frage« schaffen.

Abdullah Öcalan, der im Gefängnisinsel Imrali inhaftierte Kurdenführer, hat in den Gesprächen mit seinen Anwälten erklärt, dass eine Gruppe von staatlichen Vertretern mit ihm verhandele und er sich, wenn bis zum 15. Juni 2011 keine Signale für eine friedliche Lösung der »Kurdenfrage« entsandt würden, zurückziehen werde. Am Abend des 12.

Juni wird eine Ansprache von Erdogan erwartet, in der er wahrscheinlich einige Versprechungen machen wird. Falls er in dieser Ansprache, selbst wenn diese vorerst wage sein sollten, Schritte für eine Verfassungsänderung ankündigen und sym-bolträchtige Aussagen in Richtung der kurdischen Bewegung machen sollte, könnte ein langer, aber friedlicher Weg für die Demokratisierung des Landes eröffnet werden.

Aber die Fortführung der bisherigen Politik könnte katastrophale Folgen haben. Unlängst haben sowohl die BDP, als auch die PKK erklärt, dass sie in diesem Fall die de facto Autonomie der kurdischen Gebiete erklären werden. Dies könnte von den militärischen Machthabern als eine of-fene Kriegserklärung aufgefasst werden, der die Fortführung des Krieges gegen die PKK bedeuten würde. Doch diesmal würde der Krieg nicht in den Bergen bleiben. Die Wahrscheinlichkeit, dass es einen bewaffneten Volksaufstand in den kur-dischen Gebieten geben wird, ist sehr hoch.

Die Erklärungen der PKK-Führung und von Öca-lan, dass das kurdische Volk sich auf einen mögli-chen »revolutionären Volksaufstand« vorbereiten solle, sind keine leere Drohungen. Ein Krieg wie in den Jahren 1992-1993 würde die bewaffneten Auseinandersetzungen in die kurdischen Städte tragen. Dies wiederum hätte fatale Folgen für den Westen der Türkei: Die möglicherweise steigende Zahl von getöteten Soldaten, eine »kurdische In-tifada« und Bombenanschläge in den größeren Metropolen würde die kurdenfeindliche Stim-mung im Westen in Gewaltakten gegen alles kur-disch Aussehende und auch gegen Linke münden lassen. Da hat Alinak leider recht: das wäre ein blutiger Bürgerkrieg und womöglich das Ende der Türkei, wie wir sie kennen.

Jugoslawische Zustände wird man sagen – mit einem Unterschied. Die Gewalt würde nicht an den Grenzen der Türkei halt machen, sondern die Straßen Europas zum Schlachtfeld der kurdischen und türkeistämmigen MigrantInnen verwandeln.

Was dann dies für die europäischen Demokratien, insbesondere für die Diskussionen über die inne-re Sicherheit z. B. in Deutschland oder über den

Einsatz der Bundeswehr im Inneren bedeuten würde, kann man sich leicht ausmalen.

In Deutschland wird man ein solches Katastro-phen-Szenario sich nicht vorstellen können. Si-cherlich gibt es auch im türkischen Staat Gremien und Stellen, welche die derzeitige Entwicklung verfolgen und im Gefahrenfall mögliche Entlas-tungsschritte einleiten könnten. Immerhin ist die Eskalation der Gewalt, den man später sehr schwer in Griff nehmen kann, für keinen der Entscheidungsträger der Türkei von Interesse.

Womöglich liegt darin die Hoffnung für eine, wie auch geartete Entspannung.

Wie die Parlamentswahlen am 12. Juni nun auch ausgehen werden, eines steht fest: die Entscheid-ungsträger der Türkei sind gehalten sich zu ents-cheiden: Entweder für die »Strada Infernale« oder für die nachhaltige Sicherung der territorialen Integrität des Landes, welches nur über die An-erkennung der kurdischen Realität zu erreichen ist. Ohne Zweifel: die Türkei steht vor einem his-torischen Umbruch, deren Auswirkungen wir in Europa in zwei Wochen anfangen werden zu spüren. Bereiten wir uns auf jeden Fall darauf vor;

nichts wird so sein, wie früher...

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