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2. Der Gewissensbegriff bei Ludwig Kerstiens

2.1. Gewissen

2.1.5. Gutes und schlechtes Gewissen

Das beurteilende Gewissen wird bei Ludwig Kerstiens einerseits als gutes und andererseits als schlechtes Gewissen wahrgenommen. Er meint, das gute Gewissen zeigt dem Menschen auf, dass er keine Schuld begangen hat, auch

wenn ihm ein Vorwurf von außen gemacht wird. Im Vordergrund steht für ihn jedoch das schlechte Gewissen, da es bedrängend, anklagend und belastend ist.

Es zeigt dem Menschen, laut Kerstiens, einerseits eine bereits begangene Verfehlung von Normen auf oder warnt andererseits vor einer drohenden Verletzung (vgl. Kerstiens 1987, 65). „Im einzelnen wiederum kann sich der Ruf des schlechten Gewissens auf die Übertretung eines Verbotes richten … oder auf die Nichtbefolgung eines Gebotes“ (Nipkow zit. nach Kerstiens 1987, 65).

Kerstiens meint, dass gerade das schlechte Gewissen gut ist, weil es den Menschen aufschreckt und auf das Gute hinweist (vgl. Kerstiens 1987, 66).

„In Wahrheit ist das sogenannte böse Gewissen aus sich selbst heraus nichts Böses. Es heißt böse, weil es auf das Bösesein dessen hinweist, den es trifft, weil es dessen innerstes Wissen um sein Bösesein ist. Schlecht ist nicht das Gewissen als solches, sondern das Tun des Menschen, das vom Gewissen getadelt wird.

Wenn aber so das Gewissen dem Menschen sein Bösesein kundgibt, sollte es dann nicht ganz ursprünglich im Guten wurzeln? Denn das Böse zeigt sich doch nur vom möglichen Guten her als dessen Gegenbild. So wäre also das Gute das Ursprüngliche, aber so, daß es in der Erfahrung primär als das böse Gewissen erschiene, das den Menschen auf sein Bösesein aufmerksam macht“ (Weischedel zit. nach Kerstiens 1987, 66).

Der Mensch hat nur dann ein schlechtes Gewissen, so Kerstiens, wenn er böse gehandelt hat und das Gute unterlassen hat. Demnach ist für ihn das schlechte Gewissen also eigentlich gut, weil es dem Menschen sein Fehlverhalten in Bezug auf sein Handeln verdeutlicht und das Gute aufzeigt, nachdem er sein Handeln richten soll. Ein schlechtes Gewissen deutet für Kerstiens darauf hin, dass das Gewissen noch nicht verstummt ist, sondern den Menschen weiter zum Guten führt. Er meint, es zeigt ihm, ob er dem Bild, dass er sich von sich selbst macht, dem sogenannten „Ideal-Ich“, noch entspricht oder nicht. Das schlechte Gewissen zeigt, laut Kerstiens auf, ob der Mensch vor sich selbst bestehen kann oder nicht (vgl. Kerstiens 1987, 66f.). Deshalb versteht Kerstiens das gute Gewissen als schlecht und das schlechte Gewissen als das eigentlich Gute, was im Grunde widersprüchlich ist.

Nipkow meint, „daß die Gewissenserfahrung selbst zunächst eng und streng als dunkle Schulderfahrung zu verstehen ist“ (zit. nach Kerstiens 1987, 67). Erkennt der Mensch seine Schuld an, bedeutet das, so Kerstiens, dass er sein Sein als ein

„Sein-für-andere“ versteht. Er meint, entweder genügt der Mensch dem Anspruch, der an ihn gestellt wird, oder er genügt ihm nicht und erst wenn der Mensch dem Anspruch nicht genügt, wird er schuldig. „Die Unterlassung, nicht die Begehung ist demnach der Prototyp der Sünde“ (Kuhn zit. nach Kerstiens 1987, 67). Demnach zeigt, laut Kerstiens, das schlechte Gewissen dem Menschen auf, dass er Schuld auf sich geladen hat. Das funktioniert für Kerstiens jedoch nur, wenn sich der Mensch als schuldig sieht, d.h. wenn er sich des schuldigen Handelns bewusst ist und bereit ist, dafür einzustehen, was, ihm zu Folge, als Bekenntnis der Freiheit des Menschen und zugleich als ein Zeichen seiner Würde gesehen werden kann.

Erst, wenn der Mensch die Schulderfahrung gemacht hat, meint Kerstiens, ist er in der Lage, Reue für seine Tat zu empfinden und um Verzeihung für sein Handeln zu bitten (vgl. Kerstiens 1987, 67f.). „Der Mensch muß sich annehmen, wie er ist und mit den Grenzen, die ihm nun einmal gesetzt sind. Das schlechte Gewissen ist nur dann gut, wenn es dem Menschen im Rahmen der menschlichen Möglichkeiten seine Schuld vor Augen stellt“ (ebd. 69).

Das sogenannte gute Gewissen bei Kerstiens, kann als eine Art positives Sicherheitsgefühl verstanden werden. Ein Sicherheitsgefühl, wenn einem von außen eine Schuld vorgeworfen wird, die man nicht begangen hat, eine mögliche Verfehlung verneint werden kann oder ein befürchtetes Vergehen vermieden werden kann, meint Kerstiens. Der Zweck des guten Gewissens ist der, so Kerstiens, zu wissen, dass kein Unrecht begangen worden ist und somit keine Schuld aufgeladen worden ist. Es bedeutet für ihn demnach nicht etwas Gutes getan zu haben. Mit Ludwig Kerstiens kann gesagt werden, ein gutes Gewissen ist

„nichts als die Abwesenheit des schlechten Gewissens“ (Weischedel zit. nach Kerstiens 1987, 71). Für Kerstiens ist so ein gutes Gewissen jedoch zwiespältig, weil es entweder anzeigt, dass schuldhaftes Handeln vermieden worden ist, oder weil der Mensch sich vor dem schlechten Gewissen verschließt (vgl. Kerstiens 1987, 71). Kerstiens wirft die Frage auf, ob ein gutes Gewissen nicht dazu dienen soll dem Menschen aufzuzeigen, dass er etwas Gutes getan hat? Dazu meint Reiner: „Das Bewußtsein von vollbrachten eigenen guten Taten ist kein >gutes

Gewissen<“ (zit. nach Kerstiens 1987, 71). Kerstiens versteht unter einem guten Gewissen ein Gewissen, das einem bewusst macht, nicht gegen einen Anspruch verstoßen zu haben bzw. zu verstoßen. Phänomenologisch gesehen gibt es, laut Kerstiens, einen Unterschied zwischen dem guten und dem schlechten Gewissen.

Er meint, das schlechte Gewissen kann mit einem plötzlichen Akt gleichgesetzt werden, der einem aufzeigt durch sein Handeln Schuld auf sich geladen zu haben und ruft damit Betroffenheit hervor, wohingegen das gute Gewissen als ein Akt der Erleichterung bezeichnet werden kann (vgl. Kerstiens 1987, 71f.). Wenn der Mensch sich jedoch einer guten Tat bewusst ist, kann mit Nipkow gesagt werden, dass die „Freude über gutes Handeln, die Zufriedenheit mit sich selbst“ ist (Nipkow zit. nach Kerstiens 1987, 73). Diese Annahmen sind zu hinterfragen, weshalb noch näher darauf eingegangen wird.