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5. Erziehung

5.3. Erziehung und Gewissenlosigkeit

Ebenso, wie die verschiedenen Auffassungen von Gewissen, sind unterschiedliche Ansichten bezüglich Gewissenlosigkeit in dieser Arbeit dargestellt worden. Auf diese Darstellungen von Gewissenlosigkeit wird in diesem Abschnitt in Verbindung mit Erziehung näher eingegangen, im Zusammenhang mit Kerstiens, Arendt und Shklar.

5.3.1. LUDWIG KERSTIENS

Ausgehend von dem vorher erläuterten Zusammenhang von Gewissen und Werteerziehung in Verbindung mit Kerstiens, kann angenommen werden, dass Erziehung sehr wohl einen Einfluss auf Gewissenlosigkeit hat. Wenn angenommen wird, dass Gewissen, laut Kerstiens, die Funktion hat, den Menschen zum Guten hinzuführen und dieses Gute mit gesellschaftlichen Normen und Werten übereinstimmt, zielt Werterziehung gerade darauf ab, diese Werte und Normen emotional zu verinnerlichen. Das bedeutet demnach, dass Werteerziehung, also Erziehung zu einem „sozialen“ Gewissen, Gewissenlosigkeit entgegenwirken und vorbeugen kann. Gewissenhafte Menschen sind, laut Werteerziehung nach Kümmel, als Menschen zu sehen, die sich norm- und wertekonform verhalten, wohingegen Menschen, die gegen die allgemeinen Vorschriften verstoßen, als gewissenlos angesehen werden können, da sie ihr Handeln nicht mehr nach dem Guten, also den Normen und Werten, ausrichten.

Erziehung, auf Kümmel bezogen (vgl. Kümmel 2009, 13f.), die auf dieses emotionale Verinnerlichen und Verankern der Werte abzielt, kann als beste Vorbeugung von Gewissenlosigkeit gesehen werden.

Wie gesagt, bezieht sich diese Erziehung auf das Emotionale, wodurch die Gefühlslage von Bedeutung ist. Bei der Werteerziehung geht es, laut Kümmel darum, dass sich die Menschen mit den Gesetzen und Vorgaben der Gesellschaft identifizieren und diese emotional verankern. Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Erziehung bei der Einhaltung der Normen und Werte auf die Initiierung eines guten Gefühls abzielt sowie bei Zuwiderhandlung ein schlechtes Gefühl im Menschen hervorrufen will. Die Schuldgefühle, die durch die Erziehung bei dem Verstoß gegen die gesellschaftlichen Vorschriften, aufkommen, sollen

verhindern, dass ein Mensch denselben Verstoß noch einmal begeht. Eine Werteerziehung, deren Ziel es ist, den Menschen Schuldgefühle zu initiieren müsse doch das beste Mittel gegen Gewissenlosigkeit sein.

Kerstiens meint jedoch, der Mensch kann sich aufgrund der individuellen Sozialisation „in ein Verhalten einspielen, das unreflektiert abläuft, ohne daß das Gewissen aktualisiert wird. In bestimmten Handlungsbereichen kann das Gewissen verstummen“ (Kerstiens 1987, 21). Diese Problematik hat Kümmel auch erwähnt. Er meint, dass bei der Werteerziehung die Kritik und die Widerspruchsfreiheit sowie Reflexion fehlen, da sie auf unbewusster Nachahmung und Anpassung beruhen (vgl. Kümmel 2009, 13f.). Die Menschen fühlen sich, seiner Meinung nach, oft von der Gesellschaft getragen und handeln in Wertegesellschaften, oft ohne auf ihre Gewissen zu hören. Kerstiens meint, sie streben häufig nicht mehr das eigentlich Gute, das Bestmöglich an, sondern orientieren sich an einem akzeptablen Handeln, wodurch es zu moralischen Abweichungen kommt (Kerstiens 1987, 49f.). Es kann aber auch sein, so Kerstiens, dass sich Menschen gegen die Schuldgefühle wehren und ihr schlechtes Gewissen bekämpfen, indem sie sich von diesem absondern und es nicht mehr aussprechen lassen, denn niemand will sich wirklich schlecht fühlen.

Wenn das geschieht und sich das schlechte Gewissen nicht mehr meldet oder wie Kerstiens sagt, wenn das Gewissen verstummt, muss durch Erziehung versucht werden dieses verstummte Gewissen wieder zu wecken. Denn Menschen ohne schlechtes Gewissen, haben, bezugnehmend auf Kerstiens, nur mehr ein gutes Gewissen und wie gesagt, ist dieses das eigentlich Schlechte, da es dem Menschen Selbstsicherheit gibt in seinem Handeln (vgl. ebd. 66ff. u. 71ff.). In einer Gesellschaft, die sich an einer Werteethik und Werteerziehung orientiert, können demnach Menschen ohne schlechtes Gewissen, als gewissenlos bezeichnet werden und es muss somit versucht werden, ihr verstummtes Gewissen durch Erziehung wieder zu wecken.

5.3.2. HANNAH ARENDT

Gewissenlosigkeit, bezogen auf Hannah Arendt, kann mit dem Verlust der Persönlichkeit gleichgesetzt werden. Der gewissenlose Mensch steht nicht mehr im Dialog mit seinem Selbst, da er der Denktätigkeit und dem damit verbundenen

Erinnern nicht nachkommt oder nicht in der Lage dazu ist, so Arendt (vgl. Arendt 2003, 70f. u. 81f. u. 91f.). Wenn davon ausgegangen wird, dass, wie in einem vorigen Abschnitt bereits erwähnt, Gewissen, nach Hannah Arendt, nicht erzogen werden kann, so wird Erziehung auch keinen Einfluss auf Gewissenlosigkeit haben. Im Gegenteil, Gewissenlosigkeit wirkt sich auf die „Erziehung zur Wirklichkeit“, nach Kümmel, aus. Denn, wenn angenommen wird, dass Gewissen Voraussetzung für eine „Erziehung zur Wirklichkeit“ ist, bedeutet das, dass Gewissenlosigkeit diese Form der Erziehung verhindern und ihr sogar entgegenwirken kann. „Erziehung zur Wirklichkeit“ verlangt, wie bereits bei Kümmel erwähnt, eine innere Beteiligung der ganzen Person (vgl. Kümmel 2009, 165). Nach Arendt fehlt Gewissenlosen jedoch die Persönlichkeit, weshalb sie nicht als Personen gesehen werden können, da sie sich selbst verloren haben (vgl. Arendt 2003, 85). Wenn gewissenlose Menschen keine Personen sind, dann können sie demnach auch nicht zur Wirklichkeit erzogen werden, da die Voraussetzung dafür nicht gegeben ist. Eine „Erziehung zur Wirklichkeit“, deren Aufgabe und Ziel der Umgang mit Widersprüchen ist, wie sie Kümmel beschreibt, ist somit bei Gewissenlosen nicht möglich. Gewissenlose Menschen stehen, laut Arendt, nicht im Dialog mit ihrem Selbst, weshalb sie auch die Widersprüche, die das Selbst einlegt nicht wahrnehmen und somit nicht lernen damit umzugehen.

Sie leben widerspruchsfrei, da sie, ihr zu Folge, nicht „Zwei-in-Einem“ sind. Wenn das „Widerspruch-einlegende-Selbst“, wie es Weiß beschreibt (vgl. Weiß 2004, 191), als Voraussetzung für eine Wirklichkeitserziehung nach Kümmel gesehen wird, ist eine solche Erziehung bei Gewissenlosen nicht möglich. Daraus lässt sich schließen, dass eine „Erziehung zur Wirklichkeit“ auch keinen Einfluss auf Gewissenlosigkeit hat.

Werden die sogenannten Mitläufer, wie Arendt sie nennt, die sich im Nationalsozialismus der Allgemeinheit anschlossen und damit gleichschaltet haben, genauer in den Blick genommen, lässt sich eine weiterer Aspekt feststellen. Diese Mitläufer, bei Arendt, können als gewissenlos bezeichnet werden, da sie sich für die Gesellschaft entschieden haben, indem sie die Urteile und Wahrnehmungen anderer Menschen in ihre Urteilsfindung mit einbezogen haben. Sie meint, damit sind sie nicht mehr gänzlich im Dialog mit ihrem Selbst gewesen und haben sich geweigert, selbst darüber nachzudenken, was sie tun,

sie haben sich einfach der Mehrheit angeschlossen. Aufgrund dessen haben sie ihre Persönlichkeit, ihr Gewissen verloren, so Arendt. Diese Mitläufer haben sich, ihr zu Folge, der Gesellschaft angeschlossen, die über Nacht ihre kompletten Wertvorstellungen verändert und der Situation und Regierung angepasst hat. Sie sind einer Moral gefolgt, die, nach Arendt, einem reinen Wertekanon gleicht und mit der Moral bei Kerstiens gleichgesetzt werden kann (vgl. Arendt 2003, 10f. u.

15f.). Moralisch gut ist im Fall von Kerstiens das, was von der Gesellschaft als gut und sozial angemessen angesehen wird und den gegebenen Werten und Normen entspricht. Ausgehend von dieser Annahme kann gesagt werden, dass die Mitläufer, bei Arendt, gewissenlos gehandelt haben, weil sie sich an das moralisch Gute, wie es Kerstiens nach gesehen werden kann, gehalten haben. Das bedeutet demnach, dass eine Werteerziehung zu Gewissenlosigkeit, nach dem Verständnis von Arendt, führen kann.

Werteerziehung zielt, laut Kümmel, auf gesellschaftliche Anpassung ab. Arendt meint aber, dass der Mensch, wie Kant es ausdrückt, zuerst sich selbst gegenüber verantwortlich ist und dann erst anderen gegenüber (vgl. Arendt 2003, 34f.), was als Gegensatz zur Werteerziehung gesehen werden kann. Erst, wenn der Mensch im Einklang mit sich selbst ist, so Arendt, weiß er mit wem er zusammenleben will und kann dadurch eine Gesellschaft wählen, die für ihn passend ist und nicht umgekehrt. Eine Erziehung, die sich auf Werte und Normen und der Anpassung an diese bezieht, schließt, mit Kümmel gesagt, jegliche Kritik und Widerspruche aus (vgl. Kümmel 2009, 13f.). Somit wirkt sie gegen das Gewissen, wie es Arendt sieht, da sie ein Nachdenken über die eigenen Handlungen überflüssig macht, solange den gegebenen Normen und Werten entsprochen wird. Diese Form der Erziehung macht das Urteilen überflüssig und lässt dem Menschen keine Wahl seiner Gesellschaft. Aus diesem Grund kann gesagt werden, dass die Werteerziehung einen Beitrag zu Gewissenlosigkeit, nach Arendt, leistet, der jedoch nicht als vorbeugend gesehen werden kann. Gewissenlosigkeit gesehen, als Verlust der Persönlichkeit, wie bei Arendt, verhindert somit eine „Erziehung zur Wirklichkeit“, da deren Voraussetzung das Gewissen ist. Wirklichkeitserziehung kann aus diesem Grund auch keinen Einfluss auf Gewissenlosigkeit nehmen.

Einzig Werteerziehung kann somit einen Beitrag zu Gewissenlosigkeit liefern. Eine werteorientierte Erziehung, die, laut Kümmel, Anpassung sowie Verinnerlichung und Verankerung von Normen und Werten zum Ziel hat (vgl. ebd. 13f.), handelt

demnach dem Gewissen nach Arendt entgegen, da sie ein Urteilen und Wählen sowie das Nachdenken und Erinnern überflüssig bzw. unnötig macht. Wichtig ist der Gesellschaft und ihren Vorschriften widerspruchslos zu folgen, was Menschen, laut Arendt, zu Mitläufern macht und somit Gewissenlosigkeit fördert.

5.3.3. JUDITH SHKLAR

Wenn Gewissen als eigener „Sinn für Ungerechtigkeit“, wie Weiß meint, bezeichnet wird, müsse gewissenlosen Menschen somit dieser Sinn fehlen, was wie bereits aufgezeigt, aber widersprüchlich ist, da Menschen ohne Vorstellung von ungerechter Behandlung kein moralisches Wissen haben und somit nicht moralische leben können, so Shklar (vgl. Shklar 1992, 145). Kant hat dieses moralische Wissen jedoch bei jedem Menschen vorausgesetzt, weshalb es unmöglich ist, dass ein Mensch selbst nie Ungerechtigkeit erfährt (vgl. Arendt 2003, 27f.). Die Frage ist jedoch, was als moralisch angesehen wird. Wenn Moral als Wertekanon betrachtet wird, ist es durchaus möglich, das Gewissenlose einen

„formellen Sinn für Ungerechtigkeit“ haben und diesen auf sich selbst beziehen können, da sich dieser Sinn, laut Shklar, lediglich auf die allgemein anerkannten Vorschriften, Gesetze und Werte einer Gesellschaft bezieht (vgl. Shklar 1992, 173). Wie bereits bei Arendt erwähnt, können diese Werte und Normen jedoch unterschiedlich ausgelegt und verändert werden, von Land zu Land sowie von Person zu Person (vgl. Arendt 2003, 10f. u. 120).

Gewissen, gesehen als eigener „Sinn für Ungerechtigkeit“, beinhaltet, laut Weiß, jedoch nicht nur die Ungerechtigkeit, die einem von anderen zugefügt wird, sondern auch, wenn der Mensch sich selbst gegenüber ungerecht wird (vgl. Weiß 2008, 73). Gewissenlose können davon ausgehend nur teilweise einen eigenen

„Sinn für Ungerechtigkeit“ entwickeln, da sie, laut Arendt, keine Personen sind.

Menschen, die gewissenlos sind, sind, ihr zu Folge, nicht „Zwei-in-Einem“, weil sie sich nicht an ihre Handlungen erinnern oder darüber nachdenken (vgl. Arendt 2003, 77f.). Sie stehen nicht im Dialog mit ihrem Selbst, so Arendt, weshalb dieses Selbst demnach auch keinen Widerspruch einlegen kann, wenn sie ungerecht gegenüber sich selbst handeln oder der Widerspruch einfach nicht gehört wird.

Aus diesem Grund werden Gewissenlose nicht in der Lage sein zu erkennen, wenn sie ungerecht gegenüber sich selbst sind. Selbst wenn gewissenlose

Menschen einen voll ausgeprägten eigenen Ungerechtigkeitssinn haben, reicht dieser, laut Weiß, alleine nicht aus, um die eignen Ungerechtigkeitserfahrungen auf andere zu übertragen (Weiß 2007, 97). Für die Übertragung auf andere Menschen bedarf es, ihr zu Folge, zusätzlich zur eigenen Erfahrung der Ungerechtigkeit, der Fähigkeit der Reflexion und des Mitgefühls. Ohne diese Fähigkeiten ist es Menschen nicht möglich einen „Sinn für Ungerechtigkeit“

gegenüber anderen zu entwickeln, so Weiß (vgl. Weiß 2007, 98f.), womit davon ausgegangen werden kann, dass Gewissenlosen diese Fähigkeiten nicht besitzen.

Das bedeutet, Werteerziehung kann eventuell dazu beitragen, dass gewissenlose Menschen einen Sinn für formelle Ungerechtigkeit für sich selbst entwickeln. Sie hat, dem zu Folge, aber keine Auswirkung auf den „Sinn für Ungerechtigkeit“

anderen gegenüber, wenn gewissenlose Menschen nicht in der Lage sind, ihre Empfindung zu reflektieren und Mitgefühl für andere Menschen zu entwickeln.

Eine an Werte gebundene Erziehung kann jedoch, wie im vorigen Abschnitt bei Arendt bereits erwähnt, zu Gewissenlosigkeit beitragen und diese fördern, da sie Menschen zu Mitläufern der Gesellschaft macht, indem Urteilen und Nachdenken durch die Anpassung an die Allgemeinheit überflüssig werden, was passive Ungerechtigkeit fördert.

Das bedeutet, Erziehung, speziell Werteerziehung, vermag den „formellen Sinn für Ungerechtigkeit“ bei Gewissenlosen zu beeinflussen. Ohne zu reflektieren oder Mitgefühl für andere kann jedoch, wie bei Weiß erwähnt, kein Ungerechtigkeitssinn anderen gegenüber entwickelt werden (vgl. Weiß 2008, 98f.). Eine solche Erziehung, die, laut Kümmel, auf die Verinnerlichung von Normen und Werten abzielt, ist daher sogar in der Lage zu Gewissenlosigkeit beizutragen und diese zu fördern, indem sie Menschen durch Anpassung zu Mitläufern macht, die nichts mehr hinterfragen oder selbst urteilen.

5.3.4. FAZIT

Wie sich bei der Verbindung von Erziehung und Gewissen schon herausgestellt hat, kommt es beim Einfluss der Erziehung auf Gewissenlosigkeit darauf an, wie diese verstanden wird.

In Bezug auf Kerstiens kann davon ausgegangen werden, dass die Einhaltung gesellschaftlich anerkannter Werte, Normen und Gesetze als gewissenhaft und der Verstoß dagegen als gewissenlos gesehen wird. Die Aufgabe der Werteerziehung ist, laut Kümmel, die Verinnerlichung der allgemeinen Vorschriften (vgl. Kümmel 2009, 13f.) und das Initiieren eines schlechten Gewissens, wenn diese Vorschriften nicht befolgt werden. Ziel der Erziehung ist demnach, in Bezug auf Kerstiens, somit das Aufkommen von Schuldgefühlen bei Regelverstößen, da davon ausgegangen werden kann, dass ein Mensch aufgrund dieser Gefühle einen solchen Verstoß nicht noch einmal begeht, denn niemand fühlt sich gerne schlecht. Aus diesem Grund kann es, laut Kerstiens, auch sein, dass sich Menschen gegen diese Schuldgefühle wehren, indem sie gegen ihr schlechtes Gewissen ankämpfen. Er meint, sie lassen es nicht mehr sprechen und sondern sich davon ab, weil sie sich nicht schlecht fühlen wollen (vgl. Kerstiens 1987, 21 u.

71). Wenn das schlechte Gewissen dadurch verstummt, muss durch Erziehung versucht werden, dieses wieder zu erwecken, so Kerstiens. Die Abwesenheit eines schlechten Gewissens bedeutet für ihn die Anwesenheit eines guten, was aber wie bereits erwähnt, das eigentlich Schlechte ist. Davon ausgehend sind in einer wertorientierten Gesellschaft die wirklich Gewissenlosen, jene Menschen, die kein schlechtes Gewissen haben, da die Werteerziehung auf der Vermittlung von Schuldgefühlen beruht.

Ausgehend von Arendt, sind gewissenlose Menschen, menschliche Wesen ohne Persönlichkeit, da sie sich selbst verloren haben. Sie stehen nicht im Dialog mit sich selbst, weshalb ihnen das Personenhafte fehlt, so Arendt (vgl. Arendt 2003, 77f.). Da Gewissen mit Arendt angenommen, Voraussetzung von Wirklichkeitserziehung ist, kann gesagt werden, dass eine solche Erziehung keinen Einfluss auf Gewissenlosigkeit hat, sondern im Gegenteil, Gewissenlosigkeit Wirklichkeitserziehung unmöglich machen kann. Da gewissenlosen Menschen, nach Arendt, das Personenhafte fehlt, fehlt ihnen demnach die Voraussetzung für eine „Erziehung zur Wirklichkeit“, die, Kümmel zu Folge, die innere Selbstbeteiligung der ganzen Person verlangt (vgl. Kümmel 2009, 165). Kernpunkt der Wirklichkeitserziehung ist, laut Kümmel, dass der Mensch mit Widersprüchen umgehen kann (vgl. ebd. 181), was bei Gewissenlosen nicht der Fall ist, da sie nicht im Dialog mit ihrem

„Widerspruch-einlegenden-Selbst“ stehen. Arendt folgend, kann davon ausgegangen werden, dass eine Werteerziehung zu Gewissenlosigkeit beiträgt, weil sie Menschen durch Anpassung zu Mitläufern macht. Eine wertorientierte Erziehung zielt auf die emotionale Verankerung von Werten und Normen sowie deren Einhaltung ohne Reflexion, Hinterfragen oder Urteilen, ab, so Kümmel (vgl. Arendt 2003, 13f.).

Ohne sich selbst ein Urteil zu bilden wird der Mensch, Arendt folgend, zu einem Mitläufer der Gesellschaft, der sich anpasst und nicht selbst über seine Handlungen nachdenkt, was, somit mit Gewissenlosigkeit gleichgesetzt werden kann. Werteerziehung hat demnach Einfluss auf Gewissenlosigkeit, da sie diese fördert und dazu beiträgt. So beeinflusst eine „Erziehung zur Wirklichkeit“

Gewissenlosigkeit nicht, sondern wird von dieser verhindert bzw. gehemmt.

Wenn es um den „Sinn für Ungerechtigkeit“ bei Shklar geht, kann davon ausgegangen werden, dass Werteerziehung einen Beitrag zum formellen Ungerechtigkeitssinn leistet. Durch die Verinnerlichung von Normen und Werten zielt diese Erziehung darauf ab, dass ein Mensch erkennt, was formell gesehen gerecht oder ungerecht ist und somit auch, ob ihm aufgrund dessen ein Unrecht von anderen zugefügt wird oder nicht. Um diesen Sinn jedoch auf andere umzulegen bedarf es, laut Weiß, der Reflexion und des Mitgefühls (vgl. Weiß 2007, 98ff.), worauf Werteerziehung keinen Einfluss hat. Da Gewissenlose, bezugnehmend auf Arendt, keine Personen sind, können sie lediglich teilweise einen eigenen Ungerechtigkeitssinn entwickeln. Sie können sich selbst gegenüber nicht ungerecht sein, wenn sie nicht mit ihrem Selbst im Dialog stehen. Ohne die Erfahrung des eigenen „Sinns für Ungerechtigkeit“ kann, in Bezug auf Weiß, auch der „Sinn für Ungerechtigkeit“ gegenüber anderen nicht entwickelt werden (vgl.

Weiß 2008, 70ff.). Erziehung, kann demnach, in Form einer Werteerziehung, zu einem „formellen Sinn für Ungerechtigkeit“ bei Gewissenlosen beitragen. Ohne Reflexion und Mitgefühl wird sich aus diesem jedoch kein Ungerechtigkeitssinn anderen gegenüber bilden, so Weiß. Indirekt beeinflusst diese Form der Erziehung somit den „Sinn für Ungerechtigkeit“ schon, da sie Gewissenlosigkeit fördert, indem sie Menschen zu Mitläufern, wie Arendt sie beschreibt, macht.

Daraus lässt sich schließen, dass, je nachdem wie Gewissenlosigkeit interpretiert wird, eine Beeinflussung von Erziehung stattfindet oder nicht. Werteerziehung hat auf Gewissenlosigkeit, bezogen auf Kerstiens, dann eine Wirkung, wenn ein

schlechtes Gewissen vorhanden ist und damit Schuldgefühle hervorgerufen werden. Verstummt dieses schlechte Gewissen, so muss die Erziehung, laut Kerstiens alles daran setzen, es wieder zu wecken. Ausgehend von Arendt, hat also „Erziehung zur Wirklichkeit“ keinen Einfluss auf Gewissenlosigkeit, sondern kann im Gegenteil von dieser gehemmt werden. Werteerziehung kann jedoch zu Gewissenlosigkeit beitragen, da sie Menschen durch Anpassung zu Mitläufern macht. Was auch indirekt Auswirkungen auf den „Sinn für Ungerechtigkeit“, bei Shklar hat.

5.4. ZUSAMMENFASSUNG

Friedrich Kümmel unterscheidet eine Werteerziehung von einer „Erziehung zur Wirklichkeit“ (vgl. Kümmel 2009, 13f.), was Ausgangspunkt dieses Kapitels gewesen ist. Je nach Verständnis von Gewissen und Gewissenlosigkeit ist der Einfluss von Erziehung unterschiedlich.

Gewissen nach Kerstiens gesehen, als menschliche Eigenart dem Guten zu folgen und das Handeln danach auszurichten, wird somit von Erziehung beeinflusst, da das Gute aufgrund einer Ethik bestimmt wird. Basiert, laut Kerstiens, eine Gesellschaft auf einer Werteethik, kann Gewissen durch Werteerziehung beeinflusst werden, indem die Werte und Normen durch Erziehung verinnerlicht und emotional verankert werden, so Kümmel. Dabei geht es auf Kerstiens bezogen, um das Vermitteln eines guten Gefühls – auch Sicherheitsgefühl, Selbstsicherheit oder gutes Gewissen genannt – wenn die Vorschriften eingehalten werden und das Vermitteln eines schlechten Gefühls, des sogenannten schlechten Gewissens, bei einem Regelbruch. Aus diesem Grund ist, seiner Meinung nach, ein gutes Gewissen eigentlich schlecht und ein schlechtes Gewissen sozusagen gut, da es dem Menschen seine Verfehlungen und damit das Gute aufzeigt. Schuldgefühle treten, in Bezug auf Kerstiens dann auf, wenn gegen die gesellschaftlichen Vorschriften verstoßen worden ist und sie sollen dafür sorgen, dass es nicht zu wiederholten Verstößen kommt, denn niemand will sich gerne schlecht oder schuldig fühlen. Aufgrund dieses Gefühls wehren sich, Kerstiens zu Folge, manche Menschen gegen ihr schlechtes Gewissen, indem sie nicht mehr darauf hören und dagegen abstumpfen.

Menschen ohne schlechtes Gewissen, fühlen sich somit nicht schuldig, wenn sie

gegen allgemeine Regeln oder Vorschriften verstoßen und können somit als gewissenlos bezeichnet werden. Eine wertorientiert Erziehung hat in diesem Fall dafür zu sorgen, dieses verstummte Gewissen wieder zu wecken (vgl. Kerstiens 1987,14 u. 19 u. 49 u. 28-38 u. 71 sowie Kümmel 2009, 13ff.).

Bei Arendt sieht das anders aus, da sie von einem anderen Gewissensverständnis ausgeht. Sie sieht Gewissen als „Zwei-in-einem“ sein des Menschen, was bedeutet, mit dem eigenen Selbst im Dialog zu stehen, durch die Tätigkeit des Denkens und durch Erinnern an die eigenen Handlungen. Erst dadurch wird der Mensch vom rein menschlichen Wesen zu einer Person, so Arendt. Davon ausgehend, dass „Erziehung zur Wirklichkeit“, nach Kümmel, auf der inneren Selbstbeteiligung der ganzen Person beruht, kann gesagt werden, dass Gewissen, verstanden wie bei Arendt, als Voraussetzung für eine Wirklichkeitserziehung gesehen werden kann. Erst, wenn der Mensch

Bei Arendt sieht das anders aus, da sie von einem anderen Gewissensverständnis ausgeht. Sie sieht Gewissen als „Zwei-in-einem“ sein des Menschen, was bedeutet, mit dem eigenen Selbst im Dialog zu stehen, durch die Tätigkeit des Denkens und durch Erinnern an die eigenen Handlungen. Erst dadurch wird der Mensch vom rein menschlichen Wesen zu einer Person, so Arendt. Davon ausgehend, dass „Erziehung zur Wirklichkeit“, nach Kümmel, auf der inneren Selbstbeteiligung der ganzen Person beruht, kann gesagt werden, dass Gewissen, verstanden wie bei Arendt, als Voraussetzung für eine Wirklichkeitserziehung gesehen werden kann. Erst, wenn der Mensch