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4. Die Entstehung von Depressionen

4.1. Die Depression als multifaktorielles Geschehen

Es gibt verschiedene Erklärungsmodelle aus unterschiedlichen Fachbereichen, die sich mit der Entstehung von Depressionen beschäftigen. Viele Ansätze vergangener Zeiten aus der Biologie, der Psychologie und der Soziologie widmeten sich der Thematik, mit dem Anspruch die tatsächlichen Hintergründe des Krankheitsbildes in ihrem jeweiligen Fachbereich zu finden. Mittlerweile sind Experten zu der Meinung gekommen, dass die

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vorausgesetzt wird, signifikant häufiger beide Zwillinge im Laufe ihrer Leben an einer depressiven Störung leiden als dies bei zweieiigen Zwillingen der Fall ist (McGuffin, Katz, Watkins, & Rutherford, 1996; Kendler, Pedersen, Neale & Mathé, 1995). Diese Zwillingsstudien haben besondere Bedeutung, da bei Zwillingen das soziale Umfeld zu-meist sehr ähnlich aussieht und dieser Faktor in Bezug auf die Entwicklung von Depres-sionen somit minimiert wird. Weitere Untersuchungen haben zudem nachgewiesen, dass Adoptiveltern von depressiven Kindern im Vergleich zu den leiblichen Eltern weniger häufig an depressiven Störungen leiden (Nevermann & Reicher, 2009, S. 175). Folglich sind diese Studien zum Schluss gekommen, dass das Risiko im Verlauf des Lebens an einer Depression zu leiden bei Kindern depressiver Eltern höher ist als bei Kindern psy-chisch gesunder Eltern. Eine Meta-Analyse von Sullivan, Neale und Kendler (2000), die sowohl Zwillingsstudien als auch Studien mit Adoptivfamilien miteinbezogen hat, ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Vererbbarkeit einer Major Depression bei 31% bis 42% liegt. Es wird davon ausgegangen, dass dieser Wert unter Berücksichtigung anderer Formen der depressiven Störung nochmals höher liegt. McGuffin et al. (1996) haben ei-nen Wert für die Heritabilität von depressiven Episoden ermittelt, der sogar bei 48% bis 75% liegt. Diese Studien liegen zeitlich gesehen schon etwas weiter zurück, da in der momentanen Forschung vielmehr nach spezifischen Genen gesucht wird, die mit einer erhöhten Vulnerabilität gegenüber depressiven Erkrankungen zusammenhängen (McIn-tosh, Sullivan & Lewis, 2019, S.5).

4.2.2. Mangel an Neurotransmittern und Störungen des Hormonhaus-halts

Ein weiterer Aspekt der biologischen Entwicklungstheorien befasst sich mit dem Mangel gewisser Neurotransmitter, die für die Übertragung von Informationen zwischen den Ner-venzellen unseres Gehirns zuständig sind und eine Rolle in unserer Affektregulation spie-len. Mit depressiven Störungen wird vor allem eine verminderte Verfügbarkeit der Neu-rotransmitter Serotonin, Noradrenalin und Dopamin in Verbindung gebracht. Die größte Aufmerksamkeit kommt dabei dem Botenstoff Serotonin zu. In Bezug auf die gerade eben angesprochene biologische Veranlagung wird beispielsweise ein Gen untersucht, das für die Serotonin-Wiederaufnahme Bedeutung hat (Klicpera et al., 2019, S.96). In den 1950er Jahren erkannten Ärzte, dass eine ernstzunehmende Anzahl von Patienten, denen ein Bluthochdruckmedikament verschrieben wurde, in Depressionen verfiel. Bei Nach-forschungen fand man heraus, dass die Medikamente die Konzentration von Serotonin

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und Noradrenalin senkten und weitere Untersuchungen folgten (Müller, 2009, S.67). Ne-meroff (2002) behauptet folglich, dass viele Studien einen Mangel an Serotonin bei an Depressionen Leidenden nachgewiesen haben und dass solch ein Mangel bei Menschen zu depressiver Symptomatik führe. Castrén (2005) vermeldet hingegen, dass die Daten-lage der Forschung aus den vergangenen Jahrzehnten bezüglich der Beziehung zwischen Serotonin-Spiegel und Depressionen widersprüchlich ist und Belmaker und Agam (2008) kommen sogar zum Schluss, dass keine vorangegangenen Studien eine Wechselwirkung nachhaltig stützen. In den vergangenen Jahren erklären Experten wie Daut und Fonken (2019) wiederum, dass Unregelmäßigkeiten im Serotonin-Haushalt sehr wohl mit dem Auftreten von Depressionen korrelieren, gehen dabei aber nicht zwangsmäßig von einem Mangel an Serotonin aus. Cowen und Browning (2015) bekräftigen diese Aussage eines Zusammenhangs, geben aber an, dass die früher vertretene, einseitige These eines Sero-tonin-Mangels nicht mehr haltbar ist. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass weitere For-schung notwendig ist, um das Zusammenspiel von Neurotransmittern und depressiven Störungen besser zu verstehen. Dass die Datenlage in diesem Bereich nicht eindeutig ist, ist erschreckend, wenn man bedenkt, dass die Verschreibung vieler Antidepressiva auf einer verminderten Verfügbarkeit gewisser Botenstoffen beruht.

Weitere Störungen des Hormonsystems werden in Verbindung mit Depressionen immer wieder diskutiert. Beispielsweise konnte bei Untersuchungen festgestellt werden, dass der Gehalt von Kortisol, eines Stresshormons, bei depressiven Personen signifikant höher ist (Müller, 2009, S. 69). Zudem setzen sich Forscher mit Unregelmäßigkeiten anderer Hor-mone und deren Bezug auf die Entstehung von depressiven Störungen auseinander, bis-lang ohne einstimmige, gesicherte Ergebnisse. Die Frage nach Ursache und Folge ver-kompliziert das Unterfangen. Da auftretende Ungleichgewichte im Hormonhaushalt me-dikamentös behandelt werden, spielen sie im Rahmen dieser Arbeit jedoch eine unterge-ordnete Rolle.

4.2.3. Biologische Rhythmusstörung

Des Weiteren wird angenommen, dass Depressionen eine biologische Rhythmusstörung zugrunde liegen kann. Diese Rhythmusstörungen kamen in den Fokus, als die Abhän-gigkeit der Stimmungslage depressiver Menschen von der Tages- und Jahreszeit erkannt wurde. An dieser Stelle seien die vorhin bereits erwähnte saisonal abhängige Depres-sion sowie Schlafstörungen als Beispiele genannt (Klicpera et al., 2019, S. 95). Eine

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Meta-Analyse von Lee, Myung, Cho, Jung, Yoon und Kim (2017), in der festgestellt wurde, dass Menschen, die Nachtschichten leisten müssen, ein höheres Risiko für die Entwicklung einer depressiven Störung haben, unterstützt die Annahme des Zusammen-hangs mit biologische Rhythmusstörung.

4.3. Psychologische Erklärungsansätze

Eine genetische Vulnerabilität sowie Störungen des biologischen Rhythmus bieten zwar einen Nährboden für die Bildung von Depressionen, jedoch hängt diese auch von einer Vielzahl anderer Faktoren ab. Somit ist es natürlich möglich, dass Menschen mit geneti-scher Veranlagung während ihres ganzen Lebens nie an einer Depression erkranken oder aber umgekehrt, dass bei Menschen ohne eine solche Veranlagung dennoch eine depres-sive Störung auftritt. Auch in der Psychologie wurden im Laufe der Zeit unterschiedliche Erklärungstheorien für die Entstehung von Depressionen entwickelt, die alle ihre Berech-tigung haben.

Dass belastende Ereignisse eine Person aus der Bahn werfen und in eine depressive Ver-stimmung münden können, ist unumstritten. Damit ist jedoch nicht die Frage geklärt, wa-rum manche Menschen Belastungen besser verarbeiten als andere. Wie vorhin bei den biologischen Ansätzen, versuchen die psychologischen Modelle dieser Frage auf den Grund zu gehen. Dabei wird von im Vorhinein entstandenen kognitiven Dysfunktionen ausgegangen, die die Ausbildung einer Depression wahrscheinlicher machen. Aufgrund dessen bewerten Personen mit hoher psychischer Vulnerabilität ihr Leben bzw. sich selbst eher als negativ, verglichen mit Personen ohne solch eine erhöhte Vulnerabilität (Groen

& Petermann, 2011, S. 92). Einige Theorien, die auf dysfunktionalen Kognitionen beru-hen, seien im folgendem kurz erläutert.

4.3.1. Kognitives Modell der Depression nach Beck

Das wohl bekannteste kognitive Modell zur Entwicklung von Depressionen ist das von Aaron T. Beck (1970), das von negativen kognitiven Mustern ausgeht, die bei manchen Menschen stärker ausgeprägt sind als bei anderen. Diese Schemata können zu unbegrün-deten, willkürlichen und einseitigen Schlussfolgerungen führen. Durch sie kann es zu ei-nem negativen Selbstbild, einer ständigen pessimistischen Bewertung von neuen Erfah-rungen und einer negativen Zukunftserwartung kommen und in weiterer Folge zur Aus-bildung einer Depression. Die schadenden Konzepte entstehen durch systematische

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Denkfehler wie der Übergeneralisierung und Personalisierung von Ereignissen, der Über-wertung von Vorfällen oder einer rein bipolaren Wahrnehmung (Beck, Rush, Shaw &

Emery, 2010, S. 41–47). Ein Beispiel aus dem schulischen Kontext wäre ein Schüler, der im Sportunterricht erst als einer der Letzten von einem Team ausgewählt wird und daraus schließt, dass ihn niemand mag, alle gegen ihn sind und er unzureichend oder wertlos ist.

4.3.2. Lerntheoretisches Modell der Depression nach Lewinsohn

Aufbauend auf lerntheoretischen Erkenntnissen, nach denen ein gezeigtes Verhalten einer Person durch eine darauffolgende Konsequenz negative oder positiv verstärkt werden kann, konstruierte Lewinsohn (1974) sein Verstärker-Verlust-Modell der Depression.

Dem behavioristischen Lernansatz zufolge kann ein bestimmtes Verhalten eine positive Verstärkung, zum Beispiel in Form von Anerkennung, oder eine negative Verstärkung, das heißt eine Wegnahme eines unangenehmen Reizes, erfahren. In beiden Fällen wird die Wahrscheinlichkeit, dass das Verhalten erneut gezeigt wird, erhöht, wohingegen sie durch negative Konsequenzen gesenkt wird (Kopp & Mandl, 2014, S. 29–31). Nach Le-winsohn können Depressionen aufgrund der Abwesenheit von Verstärkern entstehen. Im sozialen Kontext ist damit beispielsweise das Fehlen von Lob und Zuwendung gemeint.

Aber auch das Bestehenbleiben abweisender Reaktionen auf gezeigtes Verhalten kann hier erwähnt werden. Hier kommt es zu keiner negativen Verstärkung. Durch das Aus-bleiben von solchen Verstärkern kann es bei Personen zur Verminderung ihres aktiven Verhaltens und zu depressiven Störungen kommen. Demnach tragen Personen, die aus ihrer Umwelt hauptsächlich negative Konsequenzen erfahren, ein höheres Risiko für die Ausbildung einer Depression (Lewinsohn, 1982, S. 25–27). Oft seien dies Menschen mit eingeschränkten sozialen Fähigkeiten, die keine positiven, sondern vorrangig negative Rückmeldungen auf ihr Verhalten oder ihre Handlungen erhalten. Andererseits könnte auch einfach das Umfeld einer betroffenen Person vorwiegend negative Reaktionen an-bieten, ohne einen nachvollziehbaren Grund dafür (Klicpera et al., 2019, S. 86; Le-winsohn, 1985, S. 150–153). Kinder, die in der Schule häufig Opfer von Mobbing den, können als Beispiel für einen Fall größtenteils negativer Erfahrungen betrachtet wer-den. In Bezug auf das Modell von Beck können auch Personen, die sich in erster Linie auf negative Rückmeldungen der Umwelt konzentrieren, unter diesem Aspekt gesehen werden.

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4.3.3. Modell der erlernten Hilflosigkeit von Seligman

Das Modell von Seligman (1975), das ebenfalls auf lerntheoretischen Überlegungen ba-siert, beschreibt das Phänomen, bei dem eine Person, nachdem sie über eine gewisse Zeit wiederholt negative Konsequenzen erlebt hat, ohne diese verhindern zu können, die scha-denden Konsequenzen auch nicht mehr abwenden kann, wenn später die Möglichkeit dazu besteht. Die Person verfällt somit in einen Zustand der Hilfslosigkeit (Gasteiger-Klicpera, Julius & (Gasteiger-Klicpera, 2008, S. 249; Seligman, 1992, S.212 - 213). Dieser Zustand hat dann etwas mit der subjektiven Wahrnehmung der Unkontrollierbarkeit einer Situa-tion von Seiten des betroffenen Individuums zu tun, die aus objektiver Perspektive nicht nachvollziehbar ist. Die Hilflosigkeit entsteht durch eine Generalisierung der früheren negativen Erlebnisse, die nicht abgewendet werden konnten. Demgemäß wird angenom-men, dass man auch nicht in der Lage ist zukünftige Ereignisse positiv zu beeinflussen.

Die entstandene Hilflosigkeit der Person hat ein motivationales Defizit zur Folge. Zudem kann der Zustand auch ein emotionales Defizit, zum Beispiel in Form einer Depression, nach sich ziehen (Stiensmeier-Pelster, 2013, S. 7–9). Als Beispiel aus der Schulwelt gel-ten Kinder und Jugendliche, die über einen gewissen Zeitraum ständig überfordert wur-den und deshalb in solch einen Zustand der Hilfslosigkeit geraten, durch wur-den sie in wei-terer Folge auch nicht mehr in der Lage sind, angemessene Aufgaben zu bewältigen.

4.3.4. Modell der Selbstkontrolle nach Rehm

Bei diesem Modell, das in erster Linie von Lynn P. Rehm (1977) geprägt wurde, wird bei Personen, bei denen mangelnde Selbstkontrolle zu erkennen ist, von einer höheren Vul-nerabilität gegenüber depressiven Störungen ausgegangen. Dies bezieht sich vor allem auf die Selbstbeobachtung und die Selbstevaluierung (Kaslow, Rehm & Siegel, 1984, S.

606–607). Menschen mit mangelnder Selbstkontrolle stellen dem Modell nach sehr hohe Leistungserwartungen an sich selbst, während die Kriterien für die negative Bewertung der eigenen Person sehr niedrig liegen. Somit werden die selbst vorgenommenen Ziele selten erreicht, was zu geringer Selbstbelohnung, aber häufiger Selbstkritik führt. Zudem tendieren Menschen mit gestörter Selbstkontrolle dazu, die wenigen Erlebnisse, die als Erfolg wahrgenommen werden, auf äußere Faktoren zurückzuführen (Essau, 2007, S.

112). Ein Kind, dass die aus objektiver Sicht guten schulischen Leistungen aufgrund der unrealistisch hohen Erwartungshaltung ständig als Misserfolge interpretiert, wäre bei-spielhaft für jemanden mit mangelnder Selbstkontrolle.

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4.3.5. Problemlösungsmodell von Nezu et al.

Nach dem Modell von Nezu, Nezu und Perri (1989) spielen etwaige Probleme, die nicht oder nur ungenügend bewältigt werden können, eine bedeutende Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung einer Depression. Wenn Personen unzureichende oder defizitäre Problemlösefähigkeiten mitbringen, sind sie demnach besonders anfällig für die Entwick-lung von depressiven Störungen. Diese Mängel in der Problembewältigung können fünf unterschiedliche Bereiche betreffen:

▪ Das Wahrnehmen und Definieren eines Problems

▪ Den Entwurf mehrerer Lösungsstrategien

▪ Die Entscheidung für eine passende Strategie

▪ Die Ausführung der Problemlösung

▪ Das Überprüfen des Erfolgs der gewählten Strategie (Klicpera et al., 2019, S. 92) Mangelnde Problemlösefähigkeiten können zur Selbstabwertung und Hilflosigkeit füh-ren. Dies, gepaart mit den nicht bewältigten Problemen, kann die Ausbildung von De-pressionen begünstigen (Mehler-Wex, 2008, S. 65). Jugendliche, die Probleme herunter-spielen, ihnen aus dem Weg gehen oder den Rückzug suchen, anstatt soziale Schwierig-keiten aktiv beseitigen zu wollen, können als Beispiel für unpassende Bewältigungsstra-tegien angesehen werden.

4.4. Psychosoziale Belastungen und Risikofaktoren

In den vorangegangenen Unterkapiteln wurden Erklärungsmodelle erläutert, die versu-chen die biologisversu-chen und psychologisversu-chen Voraussetzungen, die die Entwicklung einer Depression begünstigen, zu klären. Nun sollen häufig auftretende Belastungen, mit denen Jugendliche konfrontiert werden, und die bei gegebener Vulnerabilität eine Depression auslösen können, diskutiert werden. Diese psychosozialen Belastungsfaktoren können mithilfe der bereits erörterten Modelle interpretiert werden.

4.4.1. Kritische Lebensereignisse und täglicher Stress

Kritische Lebensereignisse gehören zu den offensichtlichsten Risikofaktoren für die Ent-wicklung einer Depression. Das klassische Beispiel hierfür wäre der Todesfall einer na-hestehenden Person. Es ist natürlich, dass Menschen daraufhin in eine Trauerphase

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verfallen. Wird diese jedoch nicht bewältigt, kann es zur Ausbildung einer depressiven Episode kommen (Bernhardt, 2019, S. 128). Auch Trennungen von Bezugspersonen, wie sie beispielsweise bei Scheidungen vorkommen können, gelten als einschneidende Ereig-nisse (Nevermann & Reicher, 2009, S. 183). An dieser Stelle sei auch die psychodyna-mische Theorie von Sigmund Freud erwähnt, die davon ausgeht, dass solche Trennungs- und Verlusterfahrungen in der frühen Kindheit in manchen Fällen vorerst verdrängt wer-den und nicht sofort, aber Jahre später zu depressiven Störungen führen (Lang-Langer, 2009, S. 19–20). Weitere kritische Ereignisse für Kinder und Jugendliche können bei-spielsweise Unfälle, schwerwiegendere Erkrankungen oder ein Wechsel der Schule oder des Wohnorts darstellen. (Haider, 2008, S. 58). Als extreme Erlebnisse, die eine Depres-sion nach sich ziehen können, seien die körperliche Gewalt (Lindert et al., 2014, S. 369) gegenüber oder der sexuelle Missbrauch (Maniglio, 2010, S. 637) von Kindern und Ju-gendlichen erwähnt. Studien dazu streichen hervor, dass depressive Störungen auch mit Verzögerung von mehreren Jahren nach einer Misshandlung im Kindesalter auftreten können.

In vielen Fällen bilden sich jedoch Depressionen aus, ohne ein solch extremes Ereignis in der Anamnese des bzw. der Betroffenen. Es reichen häufig wiederkehrende Belastun-gen, wie Streitigkeiten im Familienbund oder schulische Probleme, um eine depressive Episode auszulösen. Diese Konflikte nehmen im Jugendalter in vielen Fällen zu (Groen

& Petermann, 2011, S. 77, 96). Weitere Belastungen, die regelmäßig auftreten können, werden im weiteren Verlauf des Kapitels aufgezeigt.

4.4.2. Familiäre Situation

Im täglichen Zusammenleben geht der Trend weg von der Großfamilie und zur Kernfa-milie. Zudem steigt die Zahl der Einzelkinder, wodurch das familiäre Netzwerk, das im Falle von emotionalen Krisen oft als Auffangbecken fungiert, schrumpft. Scheidungen wurden bereits im Rahmen der kritischen Lebensereignisse angesprochen, aber auch das Leben in den häufiger auftretenden „Patchwork-Familien“, gemeinsam mit Stiefge-schwistern oder einem Stiefelternteil, birgt oftmals Spannungspotential für Kinder und Jugendliche (Nevermann & Reicher, 2009, S. 153). Im Umkehrschluss kann ein breites und funktionierendes familiäres Umfeld als Schutzfaktor gesehen werden, der die Wahr-scheinlichkeit an einer Depression zu erkranken, verringert.

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Ein weiterer Aspekt ist, dass sich Probleme der Eltern negativ auf die psychische Gesund-heit ihrer Kinder auswirken. Diese können vielfältiger Natur sein und gehen von partner-schaftlichen Schwierigkeiten über körperliche Erkrankungen, die Arbeitsüberlastung und den Alkoholmissbrauch bis hin zur Arbeitslosigkeit der Eltern und Armut der Familie.

Diese Umstände können sich nicht nur direkt, sondern auch indirekt, über ein frustriertes Verhalten der Eltern gegenüber den Kindern auswirken (Nevermann & Reicher, 2009, S.

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Trotz der Zunahme der Wichtigkeit von Beziehungen zu Gleichaltrigen in der Zeit der Pubertät (Mietzel, 2019, S. 364), behält die Eltern-Kind-Beziehung eine wichtige Bedeu-tung und kann bei konfliktbehaftetem Charakter eine große BelasBedeu-tungsquelle darstellen (Klicpera et al., 2019, S. 93; Siegler, 2016, S. 376; Müller-Rörich, Hass, Margue, van der Broek & Wagner, 2013, S. 224). Eine gestörte Beziehung zwischen Eltern und Kind kann beispielsweise eine schlechte Kommunikationsbasis, erzieherische Unsicherheiten, Ver-nachlässigungen, Zurückweisungen, Gleichgültigkeiten sowie Wutanfälle beinhalten, die dem Selbstwertgefühl des Kindes schaden und zu depressiven Verstimmungen führen können. Lob, Zuneigung und Anerkennung fehlen hingegen, was das Kind in Anbetracht des Modells von Lewinsohn ohne positive Verstärker von Zuhause zurücklässt. In man-chen Familien kommt es sogar zum emotionalen Missbrauch von Kindern und Jugendli-chen, in Form von Beschimpfungen, Feindseligkeiten oder Erniedrigungen, was häufig zu Depressionen führt (Shapero et al., 2014, S. 218; Gibb, Chelminski, & Zimmerman, 2007, S. 262).

Unter anderem ist bei psychisch kranken Eltern die Beziehung zum eigenen Kind häufig gestört. Auch ohne ein konfliktreiches Verhältnis ist die Belastung für Kinder oder Ju-gendliche hierbei aber bereits sehr stark (Herpertz-Dahlmann & Remschmidt, 2000, S.

225–229). Falls es sich bei der psychischen Störung des Elternteils um eine Depression handelt, ist das Risiko für den Nachwuchs besonders hoch. In diesem Fall muss man beim Kind, zusätzlich zur Belastung eines depressiven Elternteils als Interaktionspartner, von einer genetischen Vulnerabilität gegenüber depressiven Störungen ausgehen (Weissman et al. 2016, S. 1029; Mars et al., 2012, S. 50).

4.4.3. Schulische Faktoren und Beziehung zu Gleichaltrigen

Bei Jugendlichen werden die Beziehungen zu den Gleichaltrigen mit Beginn der Pubertät immer wichtiger. Schaffen sie es nicht, sich in einer sozialen Gruppe von Gleichaltrigen

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zu integrieren, stellt dies einen Risikofaktor für die Entwicklung einer Depression dar.

Dies kann durch die eigenen eingeschränkten sozialen Fähigkeiten begründet sein, die wiederum gestörten familiären Umgangsweisen entspringen können. Die Ablehnung von anderer Jugendlicher kann psychisch schwer belasten. Zudem fehlt dadurch, bei Auftre-ten anderer Belastungen, eine Möglichkeit der sozialen Unterstützung (Groen & Peter-mann, 2011, S. 83). Ein fehlender Freundeskreis kann aber auch durch Mobbing bedingt sein. Dabei werden Kinder und Jugendliche wiederholt beschimpft, schikaniert, ausge-schlossen oder körperlich angegriffen, was oftmals im Rahmen des Schullalltags passiert.

Dies widerfährt zumeist Jugendlichen, die sich durch irgendein Merkmal von der Mehr-heit abheben. Beispiele hierfür wären das äußere Erscheinungsbild, die Sprache oder Aus-drucksweise oder eine körperliche oder geistige Einschränkung (Rosen, Scott & Deornel-las, 2017, S. 2–3). Häufig ist zu beobachten, dass auch Mitschüler und Mitschülerinnen, die sich nicht direkt am Mobbing beteiligen, die gemobbte Person aus Angst, selbst in dieselbe Position zu geraten, meiden (Ross, Lund, Sabey & Charlton, 2017, S. 27–28).

Dem Opfer der Angriffe werden dadurch wieder sämtliche positiven Verstärker aus der Gruppe der Gleichaltrigen genommen und depressive Störungen können sich ausbilden (Schirra, 2020, S.30; Mehl, 2020, S. 126). In manchen Fällen kommt es zusätzlich zu Cyber-Mobbing, bei dem die Anfeindungen über soziale Medien fortgesetzt werden und Betroffene auch in den eigenen vier Wänden nicht mehr davor gefeit sind (Schenk, 2020, S. 274). Viele Studien haben bei Opfern von Cyber-Mobbing ein erhöhtes Depressions- und Suizidrisiko nachgewiesen (Machmutow, Perren, Sticca & Alsaker, 2012, S. 413;

Schenk & Fremouw, 2012, S. 32).

Der Schulalltag birgt viele weitere Herausforderungen mit denen Kinder und Jugendliche lernen müssen umzugehen. Der tägliche Schulstress sowie der Druck, schulische Erwar-tungshaltungen zu erfüllen, können zu depressiven Symptomen führen (Moksnes, Løhre, Lillefjell, Byrne & Haugan, 2016, S. 355). Ein wiederholtes Versagen beim Erbringen von Leistungen kann dieselben Auswirkungen nach sich ziehen und der Vergleich mit Mitschülern und Mitschülerinnen beeinträchtigt die Psyche im negativen Sinne. Außer-dem können sowohl chronische schulische Überforderung als auch Unterforderung die Ausbildung einer Depression vorantreiben. Diese Zusammenhänge sollte man jedoch nicht nur einseitig betrachten, denn es kann auch eine vorangehende depressive Störung

Der Schulalltag birgt viele weitere Herausforderungen mit denen Kinder und Jugendliche lernen müssen umzugehen. Der tägliche Schulstress sowie der Druck, schulische Erwar-tungshaltungen zu erfüllen, können zu depressiven Symptomen führen (Moksnes, Løhre, Lillefjell, Byrne & Haugan, 2016, S. 355). Ein wiederholtes Versagen beim Erbringen von Leistungen kann dieselben Auswirkungen nach sich ziehen und der Vergleich mit Mitschülern und Mitschülerinnen beeinträchtigt die Psyche im negativen Sinne. Außer-dem können sowohl chronische schulische Überforderung als auch Unterforderung die Ausbildung einer Depression vorantreiben. Diese Zusammenhänge sollte man jedoch nicht nur einseitig betrachten, denn es kann auch eine vorangehende depressive Störung