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Der Ames-Test beruht auf der quantitativen Bestimmung von Rückmutationen bei genetisch veränderten Stämmen von Salmonella typhimurium, die nicht in der Lage sind, Histidin zu synthetisieren (Histidin-Mangelmutanten). Durch bestimmte Basensubstitutions- oder Le-serastermutationen (je nach eingesetztem Stamm, siehe Tabelle 5) können diese wieder zum Wildtyp revertieren. Da nur die Revertanten (der Wildtyp) auf Nährböden ohne Histidin über-leben und zu sichtbaren Kolonien heranwachsen, kann ihre Anzahl durch einfaches Auszählen bestimmt werden (Abb. 13). Unter normalen Bedingungen finden auch ohne Zusatz einer Testsubstanz einige solcher Rückmutationen statt, die zur Bildung von Spontanrevertanten führen. Wird eine Substanz zugesetzt, die selbst Mutationen induziert, entstehen zusätzlich weitere Revertanten, deren Anzahl ein Maß für die Mutagenität darstellt.

Abb. 13: Verlauf des Ames-Tests

Bakterien + S9-Mix + Testsubstanz

Inkubieren

Revertanten-Kolonien mutagen ! Ausplattieren

Der Ames-Test wurde bewußt so konstruiert, daß er genotoxische Effekte hochsensitiv nach-weist. Die meisten verwendeten Bakterienstämme (TA-Stämme) enthalten neben den verän-derten Genabschnitten des Histidin-Operons noch Deletionen im DNA-Reparatursystem (uvrB-Gen), so daß die Bakterien nicht mehr in der Lage sind, induzierte fehlerhafte DNA-Bereiche auszubessern, und damit die Empfindlichkeit gegenüber mutagenen Substanzen steigt. In einige Stämme hat man außerdem das Plasmid pKM101 eingebaut, das neben Genen für die Ampicillin-Resistenz ein besonders anfälliges Reparatursystem (SOS-Repair) enthält und die Empfindlichkeit weiter erhöht. Eine rfa-Mutation (deep rough factor) bedingt einen partiellen Verlust der Lipopolysaccharid-Barriere auf der Bakterienzellwand, so daß ihre

Permeabilität erhöht ist und größere Molekülei leichter ins Zellinnere gelangen können.62 Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Genotypen der TA-Stämme, die Ames für allgemeine Mutations-Tests empfiehlt.63 Die meisten Untersuchungen wurden mit TA98 und TA100 durchgeführt.

Tabelle 5: Empfohlene Teststämme

Teststamm Mutationsort Mutationstyp Zellwand Reparatur Plasmid TA100 hisG46 Basensubstitution rfa ∆ uvrB pKM101

TA102 hisG428 ochre – Mutation rfa + pKM101

TA97 hisD6610 Leseraster rfa ∆ uvrB pKM101

TA98 hisD3052 Leseraster rfa ∆ uvrB pKM101 TA1535 hisG46 Basensubstitution rfa ∆ uvrB -

TA1538 hisD3052 Leseraster rfa ∆ uvrB -

Naturgemäß ist der Metabolismus höherer Lebewesen sehr viel komplexer als bei Salmonella typhimurium, das beispielsweise zwar Enzyme für die O-Acetylierung (OAT) besitzt, nicht aber für die O-Sulfatierung oder N,O-Transacetylierung.64 Da in Bakterien also bestimmte und vielleicht die entscheidenden mutationsauslösenden Metaboliten gar nicht gebildet wer-den, sind die Ergebnisse solcher Tests (insbesondere, wenn sie negativ sind) nur unter Vorbe-halt auf die Mutagenität in Säugetieren oder dem Menschen übertragbar. Eine entscheidende Verbesserung des Ames-Test besteht darin, die fehlende Metabolisierungsmöglichkeiten durch Zugabe eines Aktivierungssystems (S9-Fraktion, ein Gemisch verschiedener Aktivie-rungsenzyme), das man aus homogenisierter Rattenleber gewinnt, zu simulieren. Um mög-lichst hohe Enzymkonzentrationen zu erhalten, wird den Ratten vorher ein Gemisch polychlo-rierter Biphenyle injiziert, die eine Induktion der Enzyme bewirken. Durch Zusatz von ver-schiedenen Co-Faktoren (z.B. Glukose-6-phosphat) zur S9-Fraktion erhält man den sogenann-ten S9-Mix.ii Man ermittelt die Mutagenität der Testsubstanzen normalerweise getrennt mit und ohne S9-Mix.

Bei aromatischen Aminen unterscheiden sich die Mutagenitätsraten erfahrungsgemäß mit und ohne S9-Mix sehr stark. Die Bakterienstämme enthalten von Natur aus wenig leistungsfähige Monooxygenasen, so daß kaum Oxidationen zum Hydroxylamin stattfinden und die Revertantenanzahl dementsprechend gering ist. Der S9-Mix liefert solche Monooxygenasen.

i Benzo[a]pyren z. B. kann normale Zellwände schlecht durchdringen.

ii Je nach Substanz, die zur Enzyminduktion verwendet wurde, können sich S9-Fraktionen in ihrer Aktivität stark unterscheiden.

tantenanzahl dementsprechend gering ist. Der S9-Mix liefert solche Monooxygenasen. Es wird verstärkt Hydroxylamin gebildet werden und die Mutagenität nimmt stark zu. Bei Nitro-aromaten ist die Mutagenität dagegen nicht an den Zusatz des Säugetieraktivierungssystems gebunden. Die Salmonella-Teststämme verfügen nämlich über wirkungsvolle Nitroreduktasen und ermöglichen damit die entscheidende Umwandlung zum Hydroxylamin auch ohne S9-Mix.i

C.2 Spezialstämme

Die Aussagekraft des Ames-Test wurde in den letzten Jahren durch die Entwicklung einer Reihe neuer Bakterienstämme, bei denen spezielle Enzyme ausgeschaltet oder ergänzt wurden, wesentlich erwei-tert. Solche Systeme erlauben es, die Bedeutung der entsprechenden Metabolisierungsschritte, und damit den Aktivierungsmechanismus für einzelne Testsubstanzen, zu untersuchen. Eine Auswahl fin-det sich in Tabelle 6.

Tabelle 6: Spezialstämme zur Untersuchung der Aktivierungswege

Teststamm Beschreibung Referenz

TA100NR wie TA100, aber Nitroreduktase ausgeschaltet Rosenkranz65 TA100/1.8-DNP wie TA100, aber OAT ausgeschaltet McCoy66 YG1026 wie TA100, aber Nitroreduktase überexpremiert Watanabe67 YG1029 wie TA100, aber OAT überexpremiert Watanabe68 TA98NR wie TA98, aber Nitroreduktase ausgeschaltet Rosenkranz65 TA98/1.8-DNP6 wie TA98, aber OAT ausgeschaltet Rosenkranz65 YG1021 wie TA98, aber Nitroreduktase überexpremiert Watanabe67 YG1024 wie TA98, aber OAT überexpremiert Watanabe68

YG7125 wie TA1535, aber OAT deletiert Espinosa-Aguirre64 YG7129 wie TA1538, aber OTA deletiert Espinosa-Aguirre64 TA1538/AOR wie TA1538, zusätzlich CYP1A2, NADPH-P450 Kamataki69

Durch den S9-Mix werden Testsubstanzen wie Amine vor Eintritt in die Zelle metabolisiert. Statt der stabilen Testsubstanzen müssen die reaktiven und häufig sehr instabilen Metaboliten durch die Bakte-rienwand zur DNA wandern. Bei TA1538/AOR findet durch den Einbau der Oxidoreduktase die Akti-vierung innerhalb des Bakteriums statt und die Empfindlichkeit für Amine, insbesondere für hetero-aromatische, wird stark erhöht. Mittlerweile hat man ausgehend von TA100 auch neue Stämme

i In der Literatur werden Nitroaromaten, die im Ames-Test ohne S9 aktiv sind, häufig als direkte Mutagene be-zeichnet. In Sinne der exakten Definition ist das falsch, da nur die Nitrosoverbindungen und die aktivierten Hy-droxylamine bzw. Hydroxamsäuren elektrophile Eigenschaften haben.

struiert, mit denen die Mutationsspezifität bestimmt werden kann.70 Hieraus kann man ableiten, wel-che Basen durch das ultimale Kanzerogen angegriffen und welwel-che Art von Basensubstitutionsmutatio-nen durch die Mutagene induziert werden. Solche Untersuchungen sind wesentlich einfacher durchzu-führen als die klassischen Methodeni zur Adduktanalyse. Im Vergleich zu den Standard-Teststämmen TA98 und TA100 und einigen ihrer Varianten (TA98NR, TA98/1.8DNP6) hat man die neuen Spezial-stämme bisher nur in relativ wenigen Untersuchungen verwendet und Vergleiche sind dementspre-chend kaum möglich. Ein Überblick der jüngsten Fortschritte bei der Entwicklung neuer Ames-Stämme stammt von Josephy.71

In dieser Arbeit wurden die Standard-Teststämme TA100 und TA98 mit und ohne metabolische Akti-vierung verwendet. Einige Substanzen wurden auch mit TA98NR untersucht.

C.3 Durchführung

Um eine möglichst hohe Reproduzierbarkeit der Testergebnisse zu gewährleisten, hat Ames eine standardisierte Arbeitsvorschrift entwickelt, die im folgenden kurz skizziert ist.

Die Histidin-bedürftigen Bakterienstämme (his-) werden für einige Stunden in einer Nährlösung bis zu einer bestimmten Zelldichte gezüchtet (~ 108 Zellen). Ein Aliquot der Bakterienlösung vermischt man mit einer Lösung der zu untersuchenden Substanz (1 - 5000 µg) in DMSO oder einem anderen Lö-sungsmittel,ii setzt gegebenenfalls das metabolisierende System (S9-Mix) zu, verteilt diese Mischung auf Agarplatten mit einem Selektivnährboden (Minimal-Glucose-Agarplatten) und inkubiert. Die ge-ringen Mengen des im Agar vorhandenen Histidins erlauben allen Bakterien einige Zellteilungen, während derer die Mutationen stattfinden können. Ein Teil dieser Mutationen bewirkt die Reversion in den Wildtyp (his+). Ist schließlich alles Histidin verbraucht, wachsen innerhalb von zwei Tagen nur noch die revertierten Bakterien (his+) zu deutlich sichtbaren Kolonien heran, die ausgezählt werden.

Zur Bestimmung der Spontanrevertantenzahl dient eine Negativkontrolle, bei der nur Lösungsmittel ohne Testsubstanz zugesetzt wird (Lösungsmittel-Kontrollwert). Die Kolonien, die nach Abzug der Spontanrevertantenzahl übrigbleiben, zeigen die zusätzlichen, durch den Teststoff induzierten Muta-tionen an. Um die Funktionalität des Testsystems und des S9-Zusatzes zu verifizieren, werden außer-dem Positivkontrollen durchgeführt, bei denen statt der Testsubstanz bekannte, stark mutagene Ver-bindungen zugesetzt werden. Üblich ist die Verwendung von 2-Aminoanthracen (2-AA) 61 , 1-Nitropyren (1-NP) 62, 4-Nitro-ortho-phenylendiamin (NOPD) 63, Natriumazid oder N-Methyl-N'-nitro-N-nitrosoguanidin (MNNG) 64 (Abb. 14).

i z.B. 32P-Labeling

ii z.B. THF

Abb. 14: Substanzen für die Positivkontrolle

NH2

O2N

NH2 NH2

NO2

NH N

NH NO2 NO

H3C

61 62 63 64

Da der Ames-Test als biologisches Verfahren immer eine gewisse Variabilität zeigt, wird jede Probe dreifach bestimmt und die mittlere Revertantenzahl errechnet. Trotz Standardisierung und Mittelwertbildung treten in Ames-Labors im Verlauf von Monaten immer wieder Schwankungen auf. So schwankt auch die Zahl der Spontanrevertanten: bei TA98 normaler-weise zwischen 30 und 50 und bei TA100 zwischen 120 - 170, z.T. treten aber auch stärkere Abweichungen auf. Zur Ermittlung einer Dosis-Wirkungs-Beziehung wird der Test bei ver-schiedenen Substanzkonzentrationen durchgeführt.

Eine Substanz gilt als mutagen, wenn man mit steigender Konzentration eine reprodu-zierbare, konzentrationsabhängige Zunahme der Revertantenzahlen beobachtet und die Revertantenzahl das Doppelte des Lösungsmittelkontrollwerts überschreitet.

C.4 Cytotoxische Reaktionen

Nur im Idealfall ist die Beziehung zwischen Dosis und induzierter Revertantenzahl über den gesamten getesteten Konzentrationsbereich linear. Häufig reagieren die Testsubstanz oder ihre Metaboliten in höheren Konzentrationen cytotoxisch, so daß ein Teil der Bakterien ab-stirbt. Da die Mutationszahl direkt mit der Anzahl der lebenden Bakterien korreliert ist, ent-stehen im Vergleich zu einer nicht toxisch wirkenden Substanz mit der gleichen Mutagenität weniger Revertantenkolonien. Es wird also eine geringere Mutagenität vorgetäuscht. Im Falle hoher Cytotoxizität sterben schließlich alle Revertanten ab. Cytotoxischen Reaktionen müssen daher bei der Interpretation der Meßergebnisse immer mitberücksichtigt werden. In der Regel tritt bei geringen Testkonzentrationen die Cytotoxizität deutlich hinter die Genotoxizität zu-rück, so daß dieser Konzentrationsbereich zur Bestimmung der Dosis-Wirkungs-Beziehung genutzt werden kann. In Abb. 15 ist eine typische Dosis-Wirkungs-Beziehung dargestellt.

Abb. 15: Dosis-Wirkungs-Beziehung

0 100 200 300 400 500

0 5 10 15 20

Dosierung in µg ohne S9-Mix

mit S9-Mix Induktionsfaktor

Wie der unterschiedliche Kurvenverlauf mit und ohne S9-Mix belegt, wird offensichtlich auch die Cytotoxizität durch den S9-Mix beeinflußt. Nur bei niedrigen Konzentrationen kann die Cytotoxizität vernachlässigt werden und der Mutagenitätsanstieg erfolgt näherungsweise linear. Bei den hohen Dosierungen überwiegt dagegen die Cytotoxizität und die Revertanten-zahlen nehmen stark ab oder fallen sogar auf Null.

C.5 Bewertung und Vergleichbarkeit der Testergebnisse

Die Ergebnisse des Ames-Tests werden von vielen Faktoren beeinflußt. Hierzu gehören neben der Reinheit der Testsubstanz, Abweichungen von dem Standard-Protokoll (Zeitangaben, Zu-sammensatzung der Puffer, Präinkubation, etc.), die Qualität des verwendeten Agars, aber auch die Konzentration, Zusammensetzung und Aktivität des S9-Mixes. Eine Vergleichbar-keit mit publizierten Daten ist daher nicht in jedem Fall gegeben. Schlußfolgerungen, die auf Ames-Daten aus verschiedenen Laboren basieren, sind daher nur unter Vorbehalt möglich, besonders dann, wenn exakte Angaben über das Testprotokoll fehlen.

Um eine hohe Vergleichbarkeit aller Mutationsergebnisse dieser Arbeit zu gewährleisten, wurde der Ames-Test für alle Substanzen im selben Labor unter denselben Bedingungen (Ma-terial, Durchführung) von denselben Mitarbeitern nach dem Standard-Protokoll durchgeführt.

Verbindungen einer Testserie, in der bestimmte Strukturfaktoren nur in kleinen Schritten ver-ändert wurden, wurden zudem – wenn möglich – immer im direkten Vergleich zueinander getestet.

Da der Ames-Test ursprünglich nur zur Beurteilung diente, ob eine Substanz mutagen ist oder nicht, und erst seit einigen Jahren auch quantitative Struktur-Mutagenitäts-Untersuchungen durchgeführt werden, haben sich neben den Vorschlägen von Ames (1983) eine Anzahl weite-rer Methoden zur Quantifizierung des mutagenen Potentials entwickelt. In den meisten älteren Arbeiten wurden die Struktur-Wirkungs-Kurven einfach nur nebeneinander dargestellt und graphisch verglichen. Wesentlich objektiver ist die Berechnung des mutagenen Potentials

nach einer Regressionsanalyse über den linearen Bereich der Dosis-Wirkungs-Kurve. Das mutagene Potential ergibt sich dann aus der Steigung der Regressionsgerade und sollte in Re-vertanten/nmol Testsubstanz angegeben werden.i Eine genaue Grenze, ab der eine Verbin-dung als mutagen beurteilt werden muß, wird durch dieses Verfahren nicht definiert, da die entsprechenden Werte von der Konzentration der Bakterien, der Anzahl der Spontanrevertan-ten und dem betrachteSpontanrevertan-ten Teststamm abhängt. Diese Methode hat sich in den letzSpontanrevertan-ten Jahren in der Literatur weitgehend etabliert und wurde auch in dieser Arbeit angewendet.

Neben den Revertanten selbst werden üblicherweise auch sogenannte Induktionsfaktoren (IF) angegeben, die eine Beurteilung der Mutagenität einer Verbindung unabhängig von den Schwankungen bei den Spontanrevertanten erlauben. Die Induktionsfaktoren für die jeweili-gen Konzentrationen werden ermittelt, indem man die Revertantenzahlen durch den Lö-sungsmittelkontrollwert dividiert. Der Negativkontrolle (Spontanrevertantenzahl) wird also der Induktionsfaktor 1 zugeordnet. Werden Induktionsfaktoren von 2 oder mehr erreicht, gilt die Substanz als mutagen. Auch hier ist ein direkter Vergleich der Induktionsfaktoren nur im linearen Bereich sinnvoll.

i Ames empfiehlt zwar die Angabe in Revertanten/µg Testsubstanz, aus chemischer Sicht ist die Umrechnung in Revertanten/nmol Testsubstanz sinnvoller. Häufig wird das mutagene Potential auch als log(Rev/nmol) angege-ben.

D Struktur-Mutagenitäts Beziehungen