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Abb. 98: Aktivierung von aromatischen Methylgruppen

CH3 CH2OH

C O H

COOH

OR

DNA-Addukte P 450

P 450

P 450

337 338 341 R = SO3H

339

340 342 R = Ac Phase 2

Tatsächlich geben gerade die Sulfatester 341 von benzylischen Alkoholen im Ames-Test (-S9) stark positive Ergebnisse226 und bilden mit der DNA Addukte, die teilweise auch cha-rakterisiert wurden,227 während die entsprechenden Acetate 342 insgesamt weniger aktiv sind (schlechtere Abgangsgruppe).

Die Benzylalkohole 338 selbst zeigen dagegen auch in Gegenwart von S9-Mix nicht immer positive Ergebnisse, da im Ames-Test normalerweise keine effiziente Sulfatkonjugation statt-findeti und die Acetylierung als Aktivierung offenbar nicht immer ausreichend ist. Erst in Ge-genwart von cytosolischen Sulfotransferasen und PAPS erhält man hohe Revertantenzah-len.228 In Gegenwart von Halogenidionen (Chlorid, Bromid) wird die Aktivität der Sulfatester noch wesentlich verstärkt.229 Man nimmt an, daß intermediär Benzylhalogenide gebildet wer-den, die aufgrund ihrer höheren Hydrophobie leichter in die Bakterien eindringen können. Als starke Alkylierungsmittel sind solche benzylischen Halogenide generell genotoxisch.

Aus Metabolisierungsstudien an ortho-, meta- und para-Nitrotoluolen ist bekannt, daß die Aktivierung von Methylgruppen auch bei methylsubstituierten Nitroaromaten stattfinden kann. Neben der Hydroxylierung der Benzylgruppe hat man hier zusätzlich als Folgereaktion die Oxidation zu Carbonsäuren beobachtet. Beim 4-Nitrotoluol wurden beispielsweise 4-Nitrobenzylalkohol,ii 4-Nitrobenzoesäure und 4-Nitrobenzylsulfat als Metaboliten eindeutig nachgewiesen.36 Einige solcher Metaboliten wie 4-Nitrobenzylacetat und 4-Nitrobenzoesäure sind im Ames-Test deutlich stärker mutagen197,230 als das Nitrotoluol selbst, während 4-Nitro-benzylalkohol zumindest in TA100+S9 inaktiv ist.230

i Die am Fremdstoffmetabolismus beteiligten Sulfotransferasen sind hauptsächlich im Cytosol lokalisiert und werden daher nicht in der S9-Fraktion angereichert. Auch PAPS als Coenzym fehlt im S9- Mix.

ii 4-Nitrobenzylalkohol tritt dabei nur intermediär auf und wird durch Konjugation z.B. in 4-Nitrobenzyl-glucuronid überführt.

F.4.2 Ergebnisse

Es liegt nahe anzunehmen, daß vergleichbare Vorgänge für die erhöhte Mutagenität der Me-thyl- und eventuell EMe-thyl-substituierten Amino- und Nitroaromaten in Gegenwart von S9-Mix verantwortlich sind. Da es keine Daten über die Mutagenität der möglichen Metaboliten (Al-kohol, Carbonsäure) gab und nicht klar war, ob die Aktivierung der Methylgruppe bei den in dieser Arbeit untersuchten Systemen wirklich zu einer Zunahme der Mutagenität führt, wur-den die entsprechenwur-den Verbindungen hier untersucht. In Testserie 4-I wurwur-den 4'HOCH2 -4NBp 122, 4'(1HO)Et-4NBp 123 und 4'HO2C-4NBp 124 als potentielle Metaboliten von 4'Me-4NBp 94 und 4'Et-4NBp 95 zusammengefaßt. 4'BrCH2-4NBp 125, das als Metabolit im Ames-Test sicherlich nicht gebildet wird, aber als Modellverbindung für die hydrolyse-empfindlichen Sulfate oder Acetate dienen kann,231,226 wurde ebenfalls getestet (Tabelle 40).

Tabelle 40: Mutagenitätsdaten der möglichen Metaboliten von 4'Me-4NBp 94 und 4'Et-4NBp 95 Dosis Revertanten, Induktionsfaktoren (Testserie-4-I)

TA98 TA100

Verbindung

(µg/Platte)

-S9 +S9 -S9 +S9 Positiv-Kontrollea

Negativ-Kontrolleb

DMSO

2940 33/28/47

1945 51/38/80

1051 179/182/99

2336 156/193/99

NO2

HO

4'HOCH2-4NBp 122

0 6.25 12.5 25 50 100

33 126 169 338 651 1454

1.0 3.8 5.2 10.3 19.9 44.5

51 478 650 957 1100 548

1.0 9.4 12.8 18.8 21.6 10.7

179 367 546 837 1216 0

1.0 2.0 3.0 4.7 6.8 0.0

156 2108 2184b 1722 729 0

1.0 13.5 14.0 11.0 4.7 0.0

NO2

HO

4'(1OH)Et-4NBp 123

0 5 10 20 50 100 500

28 45 77 75 179 0 0

1.0 1.6 2.7 2.6 6.3 0.0 0.0

38 169 244 250 0 0 0

1.0 4.4 6.4 6.5 0.0 0.0 0.0

182 254 356 412 750 1046 0

1.0 1.4 2.0 2.3 4.1 5.7 0.0

193 312 437 593 1087 1920 0

1.0 1.6 2.3 3.1 5.6 10.0 0.0

NO2 HOOC

4'HO2C-4NBp 124

0 5 10 20 100 500 2500

28 245 430 752b 229 0 0

1.0 8.6 15.2 26.5 8.1 0.0 0.0

38 267 429 583 273 0 0

1.0 7.0 11.2 15.2 7.1 0.0 0.0

182 653 681 1020b 1326 1241 0

1.0 3.6 3.7 5.6 7.3 6.8 0.0

193 426 690 896 1323 1089 123

1.0 2.2 3.6 4.6 6.9 5.7 0.7

NO2 Br

4'BrCH2-4NBp 125

0 6.25 12.5 25 50 100 500

47 842b 415 370 270 48 0

1.0 17.8 8.8 7.8 5.7 1.0 0.0

80 379 810b 977 635 529 0

1.0 4.8 10.2 12.3 8.0 6.6 0.0

99 297 610 687 1090 192 0

1.0 3.0 6.2 7.0 11.1 1.9 0.0

99 624 850 931 1314 315 0

1.0 6.3 8.6 9.4 13.3 3.2 0.0

a TA98-S9 1-Nitropyren 2.5 µg; TA100-S9 Natriumazid 5 µg; TA98+S9 und TA100+S9 2-Aminoanthracen 2.5 µg. b Markiert die höchste Dosis, die in die Regressionsanalyse miteinbezogen wurde.

Da die Tests der einzelnen Substanzen (in DMSO) zu unterschiedlichen Zeitpunkten erfolg-ten, unterscheiden sich die Spontanrevertanten teilweise recht stark. Aufgrund der erwarteten hohen Aktivität und Cytotoxizität für die Hydroxymethyl- und die Brommethylverbindung wurde die Dosierung bei 122 und 125 auf maximal 500 µg begrenzt.

Tatsächlich erwies sich 4'HOCH2-4NBp 122 als sehr aktiv in beiden Salmonella Stämmen und induzierte etwa um den Faktor 10 - 20 höhere Revertantenzahlen als 4'Me-4NBp 94 ohne Hydroxygruppe. Genau wie bei 4'Me-4NBp 94 wurde die Mutagenität in Gegenwart von S9-Mix noch wesentlich gesteigert, besonders auffällig in TA100 (Faktor 7!). Abgesehen vom Test in TA98-S9, bei dem man über den gesamten Dosisbereich einen linearer Anstieg der Mutagenität beobachten konnte, kam es in den anderen Fällen zu deutlichen cytotoxischen Reaktionen, die in TA100±S9 jeweils bei 100 µg zu einem vollständigen Absterben der Bak-terien führten. Die benzylische Hydroxygruppe der Ethylverbindung 4'(1HO)Et-4NBp 123 bewirkte ebenfalls hohe Aktivitäten in TA98 und TA100, die in Gegenwart von S9-Mix wei-ter zunahmen. In TA100+S9 trat allerdings keine so starke Aktivitätssteigerung auf, wie bei 4'HOCH2-4NBp 122. Aufgrund der Cytotoxizität von 123 starben bei Dosierungen > 50 µg (TA98) bzw. > 100 µg (TA100) alle Bakterien ab.

Bemerkenswerterweise hatte die Anwesenheit der Carboxylgruppe im Vergleich zum entspre-chenden Benzylalkohol eine noch weitere Zunahme der Aktivität zur Folge, und die Carbon-säure 4'HO2C-4NBp 124 induzierte in Abwesenheit des S9-Mixes noch höhere Revertanten-zahlen als 4'HOCH2-4NBp 122. Dabei fällt auf, daß im Gegensatz zum Alkohol 122 gerade bei dieser Verbindung, die selbst nicht weiter oxidiert werden kann, durch Zugabe von S9-Mix keine Erhöhung der Mutagenität auftrat. Auch hier ergaben sich bei höheren Konzentra-tionen wieder starke cytotoxische ReakKonzentra-tionen. Das stärkste mutagene Potential in TA98 in Abwesenheit von S9-Mix wurde schließlich bei dem Benzylbromidderivat 4'BrCH2-4NBp 125 beobachtet, das allerdings unter diesen Bedingungen schon bei 10 µg so sehr cytotoxisch war, daß hier nur ein Meßwert (6.25 µg) verwertet werden konnte. In TA98+S9 und in TA100-S9 erreichte 4'BrCH2-4NBp 125 relativ zu 4'HO2C-4NBp 124 nur eine geringfügig höhere Mutagenität, in TA100+S9 war es jedoch wieder wesentlich aktiver.

In Tabelle 41 sind die Revertantenzahlen der Verbindungen 122 - 125 denen der normalen 4'-Methyl- und 4'-Ethyl-substituierten 4-Nitrobiphenyle (94 und 95) gegenübergestellt. Zur besseren Vergleichbarkeit der Mutagenitätsdaten wurden alle Werte auf dieselben Spontanre-vertantenzahlen skaliert.

Tabelle 41: Überblick über die Mutagenitäten der möglichen Metaboliten von 4'Me-4NBp 94 und 4'Et-4NBp 95

Verbindung Revertanten/(10 nmol)

TA98-S9 TA98+S9 TA100-S9 TA100+S9

4NBp 1 3.76 6.78 11.55 21.02

4'Me-4NBp 94 2.39 12.27 2.41 29.25

4'Et-4NBp 95 1.06 3.75 2.39 13.08

4'HOCH2-4NBp 122 36.27a 102.57a 69.00a 491.11a 4'(1HO)Et-4NBp 123 15.72a 88.34a 48.13a 63.34a 4'HO2C-4NBp 124 114.97a 112.94a 104.74a 90.83a 4'BrCH2-4NBp 125 292.50a 142.89a 144.60a 366.81a

a Skaliert auf Spontanrevertantenzahlen vom Test mit 4NBp (Tabelle 29).

Abb. 99: Überblick über die Mutagenitäten der möglichen Metaboliten von 4'Me-4NBp 94 und 4'Et-4NBp 95

TA98 TA100

94 95 122

123 124 125

-S9 0 +S9

50 100 150 200 250 300

Rev/nmol

94 95 122

123 124 125

-S9 0 +S9

100 200 300 400 500

Rev/nmol

Die experimentellen Daten belegen, daß die potentiellen Metaboliten 122, 123 und 124, die durch die Aktivierung des Methyl- oder Ethylsubstituenten gebildet werden können, alle we-sentlich stärker mutagen sind als die Ausgangsverbindungen 1, 94 und 95. Die Bildung dieser Metaboliten ist also sehr wahrscheinlich für die erhöhte Aktivität von 1, 94 und 95 in Gegen-wart von S9-Mix verantwortlich. Nicht entschieden werden kann, welcher Metabolit genau diesen Effekt verursacht. Aufgrund ihrer sehr viel höheren Aktivität ist jedoch klar, daß es bereits ausreicht, wenn nur wenige Prozent der entsprechenden Verbindungen gebildet wer-den.

F.4.3 Diskussion

Die hohe Mutagenität der "Nitrobenzylalkohole" 122 und 123 selbst ist leicht verständlich.

Durch die Aktivierung der Benzylposition steht bei diesen Verbindungen neben der Reaktion

über den Stickstoff (nach Bildung der Nitreniumionen) schließlich ein weiteres elektrophiles Reaktionszentrum zur Verfügung, das DNA-Addukte bilden kann. Da Hydroxydionen aber schlechte Abgangsgruppen sind, müssen diese in Salmonella durch Acetylierung vorher akti-viert werden. 4'BrCH2-4NBp als Modellverbindung für einen solchen Ester zeigt, daß die Verbesserung der Abgangsgruppe in der Tat eine weitere Zunahme der Aktivität bewirkt. In-teressanterweise ist nach einer Studie von Booth 4-Hydroxymethylbiphenyl ohne Nitrogruppe im Ames-Test nicht aktiv,232 so daß offenbar nur bei gleichzeitiger Anwesenheit der elektro-nenziehenden Nitrogruppe Adduktbildung über die Benzylposition möglich ist. Die hohe Mu-tagenität von 4'HO2C-4NBp ist dagegen eher auf den elektronenziehenden Effekt der Car-boxylgruppe zurückzuführen, da diese selbst keine elektrophilen Eigenschaften hat. Durch Absenkung des LUMOs kann die Nitrogruppe einerseits leichter reduziert werden, anderer-seits werden das Hydroxylamin und dessen Ester stabilisiert und so ihre Lebensdauer und die Wahrscheinlichkeit einer Reaktion mit der DNA erhöht. Die hohe Aktivität der Carboxylver-bindung in beiden Teststämmen steht damit in gutem Einklang mit den QSAR-Vorhersagen, die sich aus den Analysen über den Einfluß elektronischer Faktoren aus Abschnitt D.3.3 erge-ben.