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F.3 Einfluß von para-Alkylsubstituenten 114

F.3.4 Diskussion

über-führt werden. Auch bei den Aminen reagiert TA98 insgesamt etwas empfindlicher auf den sterischen Einfluß der Alkylreste als TA100.

volle para-Alkylgruppen bereits die Bindung an die Redoxenzyme stören und damit den ge-samten Prozeß der Mutagenese verlangsamen, ist es unwahrscheinlich, daß eine Inhibierung der oxidativen oder reduktiven Aktivierung allein für die starke Mutagenitätsreduktion der Nitroaromaten 4'iPr-4NBp 96, 4'tBu-4NBp 97, 4'tBu-2Ph5NP 105, 4'tBu-5Ph2NP 107 und 7tBu-2NF 109 oder der Amine 4'iPr-4ABp 115, 4'tBu-4ABp 116, 4'tBu-2Ph5AP 118 und 7tBu-2AF 120 verantwortlich ist. So haben die in Abschnitt D.4 vorgestellten QSAR-Studien zur Bindung an das P450-Redoxsystem keinerlei Hinweise auf einen sterischen Einfluß von para-Alkylgruppen geliefert, obwohl bei diesen Untersuchungen durchaus sterisch an-spruchsvolle Substrate miteinbezogen worden sind.90 Auch bei der Reduktion von Nitroben-zolderivaten durch Xanthin-Oxidase spielen nach einer Studie von Tatsumi sterische Faktoren keine oder allenfalls eine untergeordnete Rolle.216,111

Ein weiterer Beleg dafür, daß sterische anspruchsvolle Substituenten eher einen anderen Schritt der Mutagenese beeinflussen, ergibt sich aus den Mutagenitätsdaten der entsprechen-den Nitrosoderivate152 in Tabelle 38. Trotz der Tatsache, daß die Nitrosoverbindungen bereits aktiviert sind und sehr leicht in die Hydroxylamine überführt werden können, bewirkte der tert-Butylsubstituent immer noch eine erstaunlich deutliche Reduktion der Mutagenität. So erwies sich 4-Nitrosobiphenyl (4NOBp 89) in beiden Stämmen hochmutagen, während das para-tert-Butylderivat (4'tBu-4NOBp 335) jeweils viel weniger mutagen war (TA98: Faktor 12, TA100: Faktor 6).

Tabelle 38: Mutagenitäten alkylierter 4-Nitrosobiphenyle

Verbindung Revertanten/(10 nmol)a

TA98-S9 TA98+S9 TA100-S9 TA100+S9

4NOBp 89 35.22 - 73.05 -

4'tBu-4NOBp 335 2.93 - 13.24 -

a Die angegebenen Mutagenitäten in Revertanten/nmol wurden auf Grundlage von Ames-Untersuchungen von Haack berechnet.

Bereits in Abschnitt D.3.1 ist darauf hingewiesen worden, daß die Planarität eines aromati-schen Systems eine wichtige Struktureigenschaft ist, damit ein solches Molekül als Frame-shift-Mutagen wirken und in die DNA interkalieren kann. Diese Annahme wurde durch die Ames-Tests der 2-Nitro-/2-Aminofluorene 3, 4, 108 und 119 in dieser Arbeit untermauert. So waren die flachen Moleküle 2NF 3, 2AF 4 und auch deren Methylderivate 7Me-2NF 108 und 7Me-2AF 119 in TA98±S9 sehr viel stärker aktiv als die entsprechenden, weniger flachen Biphenylverbindungen 4NBp 4, 4ABp 2, 4'Me-4NBp 94 und 4'Me-4ABp 111 (die

Dieder-winkel zwischen den Phenylgruppen betragen etwa 40°). Durch die Einführung von raumfül-lenden Alkylgruppen geht auch die Planarität der Fluorene insgesamt verloren. Dies ist an der Kristallstruktur von 7-Adamantyl-2-nitrofluoren 7Ad-2AF 121, die im Rahmen dieser Arbeit aufgeklärt wurde, klar zu erkennen.

Abb. 91: Kristallstruktur von 7-Adamantyl-2-nitrofluoren

Konsequenterweise verlieren Verbindungen mit iso-Propyl, tert-Butyl oder Adamantylresten ihre Fähigkeit, zwischen die DNA-Basen zu interkalieren und damit ihre mutagenen Eigen-schaften in TA98. Besonders beeindruckend ist ein Vergleich von 4'Me-4NBp 94 mit 4'tBu-4NBp 97, von 7Me-2NF 108 mit 7tBu-2NF 109 bzw. von den entsprechenden Aminen.

Relativ geringe Veränderungen – nämlich der Austausch einer Methyl- gegen eine tert -Butylgruppe – überführen ein hochgradig mutagenes Molekül in einen schwach oder nicht mutagenen Stoff. Diese Verringerung der Aktivität wird nur durch Modifikation der moleku-laren Form bewirkt, während die chemische Reaktivität der Amino- oder Nitrogruppe, die elektronischen Eigenschaften des Grundkörpers oder das Ausmaß an Aromatizität weitgehend unbeeinflußt bleiben.

In TA100 werden statt Frameshift-Mutationen Basen-Substitutionsreaktionen detektiert. Die Planarität des Mutagens sollte daher insgesamt deutlich weniger wichtig sein. Setzt man ein-mal voraus, daß para-Alkylgruppen weder die NO2-Reduktion noch die NH2-Oxidation bzw.

die Adduktbildung selbst signifikant inhibieren, würde man in TA100 relativ ähnliche Induk-tionsraten für alle Verbindungen erwarten.i Dennoch zeigten die experimentellen Daten, daß es auch in TA100 einen deutlichen sterischen Effekt gibt. Spielt die Planarität der Verbindun-gen also hier ebenfalls eine Rolle?

In Kapitel B.3 wurde ausgeführt, daß die meisten aromatischen Amine und Nitroverbindun-gen, darunter 4-Amino-/4-Nitrobiphenyle und 2-Amino-/2-Nitrofluorene, in vivo und in vitro

i Auch hier könnte die geringe Aktivität der extrem hydrophoben Verbindungen durch die geringe Löslichkeit erklärt werden.

hauptsächlich C8-Desoxyguanosinaddukte bilden. Auch auf die konformative Heterogenität als Ursache für unterschiedliche Mutationsraten bei verschiedenen Addukten wurde bereits hingewiesen. Tatsächlich ist die Existenz von unterschiedlichen Konformeren bei DNA-Oligonukleotiden mit C8-Desoxyguanosinaddukten von 4-Aminobiphenyl,217 2-Amino-fluoren,218 N-Acetyl-2-aminofluoren219,220 oder 1-Aminopyren221 durch NMR-Studien (1H,

13C, 19F) und Computersimulationen zweifelsfrei bewiesen. Es konnte auch gezeigt werden, daß sich diese Konformationen bei 37 °C ineinander umwandeln können.222 In der Literatur werden zwei Klassen von Konformationen unterschieden: Bei den sogenannten "B-type"-Konformeren ragt der aromatische Rest des Addukts in die große oder kleine Furche der DNA-Doppelhelix und verändert die Gesamtstruktur der DNA relativ wenig. Anders bei den

"stacked"-Konformeren, bei denen der Adduktkörper in die Helix insertiert ist und die ur-sprüngliche Position des Guanosins einnimmt, während die Base selbst nach außen (in die DNA-Furche) gedreht wird.222 Man nimmt an, daß insbesondere solche strukturell stark ge-störten Konformere für eine hohe Mutationsrate bei der Replikation verantwortlich sind.222 Das Verhältnis der Konformere zueinander hängt dabei vom Mutagen selbst (Größe, Planari-tät, Stereochemie), von der Bindung an die DNA (Basentyp, Bindungsstelle C8, N2, etc.), aber auch von der Basensequenz um das Addukt ab. Beim direkten Vergleich von Addukt-modifizierten DNA-Oligonukleotiden beobachtete Cho, daß C8-Guanosin-Adduktbildung mit 7-Fluor-2-aminofluoren zur Einstellung einer 45:55 Mischung von "stacked"- zu "B-type"-Konformeren führte, während dieselben Oligonukleotide mit 4'-Fluor-4-aminobiphenyl-addukten ausschließlich in der "B-type"-Konformation vorlagen.222 Nach dieser und ähnli-chen Studien deutet alles darauf hin, daß der Anteil der "stacked"-Konformere mit zunehmen-der Interkalationsfähigkeit zunehmen-der Addukte generell zunimmt. Für Addukte von 4-Aminobiphenyl 2, 2-Aminofluoren 4 und 2-Aminopyren (2AP) 336 hat man beispielsweise folgende Anteile von "stacked"-Konformeren ermittelt:222

Abb. 92: Einfluß der Struktur auf die Konformation (Anteil "stacked"-Konformation)

NH2 NH2

NH2

2 ~10 % 4 ~50 % 336~100 %

Wenn bereits die Struktur des Grundkörpers einen so deutlichen Einfluß auf das Verhältnis der DNA-Konformationen ausübt, ist davon auszugehen, daß auch Substituenten, die die Mo-lekülform verändern, einen ähnlichen Einfluß haben. Besonders bei Addukten mit großen

Alkylresten, die aus dem flachen aromatischen System ein ausgeprägt dreidimensionales Ge-bilde machen, sind starke sterische Wechselwirkungen mit der DNA denkbar, die die Fähig-keit zur Interkalation und damit die konformative Freiheit einschränken. Durch Störung der Interkalation sollte das Verhältnis der Konformere zugunsten des "B-type"-Konformers ver-schoben werden. Wahrscheinlich sind solche Einflüsse auf die konformative Heterogenität für das geringere mutagene Potential der Amino-/Nitroaromaten mit sperrigen Alkylresten im Ames-Test verantwortlich.