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Grundlagen der fragebogengestützten Erhebung

IV. Auswertung der Stakeholderbefragung

2. Grundlagen der fragebogengestützten Erhebung

Bevor die Ergebnisse der fragebogenstützten Erhebung vorgestellt werden, soll zunächst stichpunktartig skizziert werden, welche Kritikpunkte von Seiten der Verbraucherverbände vorgebracht werden und welche Aspekte von den im Rahmen der explorativen Vorstudie befragten Experten genannt wurden.

a. Kritik an der Rechtsdurchsetzung aus Verbraucherschützer-sicht

Zu den im Rahmen der Vorgespräche genannten Kritikpunkte aus Verbraucherschützersicht, die hier nur knapp referiert werden sollen, gehört u.a. die fehlende Aktivlegitimation des individuellen Verbrauchers im UWG. Die dem Verbraucher aus dem BGB zustehenden Ansprüche werden als ungenügend angesehen, zumal es kein allgemeines Vertragslösungsrecht wegen unlauteren Wettbewerbs gebe; der Ansatz der h.M., wonach das UWG dem kollektiven Verbraucherschutz (wahrgenommen vor allem durch die Verbraucherschutzverbände) diene, entspreche nicht modernem Verbraucherschutzdenken.

Ein weiterer von Verbraucherschützerseite geäußerter Kritikpunkt ist die Regelung der Gewinnabschöpfung in § 10 UWG. Dieser Anspruch sollte nach dem Willen des Gesetzgebers von 2004 gerade Streuschäden der Verbraucher effektiv begegnen.

Obwohl die Verbraucherverbände für diesen Anspruch aktivlegitimiert sind, werden die Anspruchsvoraussetzungen (insbesondere der Nachweis des vorsätzlichen Handelns, die Ermittlung des Mehrerlöses) und der Umstand, dass die eingezogenen Beträge nicht, auch nicht indirekt, der Verbraucherförderung zukommen, als Ursache dafür gesehen, dass dieser Anspruch in der Praxis nicht die erhoffte Bedeutung für den Verbraucherschutz erlangt hat.

Von Verbraucherschützerseite wird weiter ein Ausbau des kollektiven Rechtsschutzes für notwendig gehalten, um bestimmte Nachteile der bisherigen Rechtsdurchsetzung auszugleichen. 490 Große Erwartungen sind mit der Einführung einer Musterfeststellungsklage verbunden. Gefordert wird eine kollektive Entschädigung von Verbrauchern; dabei müsse die vorhandene Verbandsklage enger mit den individuellen Ansprüchen der Verbraucher verbunden werden. Verbraucher würden von einer Musterfeststellungsklage stark profitieren durch eine Verjährungshemmung durch Anmeldung im Klageregister, eine Bindungswirkung des Musterurteils, ggf.

gerichtliche Vergleiche über Geldzahlungen an Verbraucher und ein zügiges Verfahren möglich ohne Belastung mit Einzelfällen.

490 Siehe dazu insbesondere VZBV, Verbraucherrechte durchsetzen – Lücken im kollektiven Rechtsschutz schließen, September 2017, https://www.vzbv.de/sites/default/files/downloads/2017/09/20/17-09-20_kurzpapier_musterfeststellungsklage.pdf.

Als Beispielsfälle werden in diesem Zusammenhang u.a. der Fall des Berliner Energie-Unternehmens GASAG genannt, das 2005 und 2006 eine Preisanpassungsklausel verwendete, die der Bundesgerichtshof für unwirksam erklärte. Betroffen waren die Verträge von etwa 300.000 Kunden. Da es in Deutschland kein Verfahren mit Wirkung für alle Betroffenen gibt, musste sich die Verbraucherzentrale Berlin die Forderungen einzeln abtreten lassen. Wegen des bürokratischen Aufwands war das nur für 194 Be-troffene möglich.

Ebenfalls genannt wird die Klage der Verbraucherzentrale Hamburg vor dem Landge-richt Stuttgart gegen die Allianz Lebensversicherungs-AG wegen Vertragsklauseln zur Berechnung des Rückkaufwertes von Lebensversicherungen. Nach Schätzungen der Verbraucherzentrale summierten sich die Rückzahlungsansprüche allein gegen das Versicherungsunternehmen auf insgesamt 1,3 bis 4 Milliarden Euro. Für das Verfahren hatten knapp 80 Verbraucher ihre Ansprüche an die Verbraucherzentrale abgetreten.

Die Klage führte zu zwei Rückzahlungen in Höhe von 74.000 Euro und 40.000 Euro, einschließlich Zinsen – aber nur an die knapp 80 Verbraucher. Millionen andere Ge-schädigte gingen leer aus.

Hinzugekommen ist in jüngster Zeit eine generelle Kritik an dem fast ausschließlich

„private enforcement“ des UWG, die vor allem mit der digitalen Entwicklung und ihren Folgen im Zusammenhang steht. Beklagt werden Ermittlungsschwierigkeiten sowohl in Bezug auf die Sachverhaltsaufklärung als auch auf die Person des Rechtsverletzers bei neuen Geschäftsmodellen, die die Digitalisierung hervorgebracht hat. In diesem Zusammenhang werden insbesondere folgende Themen genannt:491

- Schleichwerbung, insbesondere in neuen Medien (Blogs, YouTube), - Provisionen für Rankings bei Suchmaschinen und Portalen,

- Intransparenz von Algorithmen, - Pseudo-Rabatte,

- Fake Online-Shops.

b. Häufig genannte Kritikpunkte im Rahmen der Vorstudie

In Gesprächen wurden von allen befragten Experten die Vorteile des private enforcement und dessen Effizienz betont. Es wurde jedoch auch auf bestimmte Sachverhaltenskonstellationen hingewiesen, in denen der zivilrechtliche Regelungsansatz an seine Grenzen stoßen könnte. Genannt wurden folgende Probleme der zivilrechtlichen Rechtsdurchsetzung:

- Ermittlungsschwierigkeiten bezüglich des für den Wettbewerbsverstoß Verantwortlichen (und damit der Möglichkeiten, ihn tatsächlich zur Verantwortung zu ziehen) sowie bei der Aufklärung des Sachverhalts bei

491 Siehe dazu die Stellungnahme des VZBV zum Grünbbuch Digitale Plattformen vom 26.9.2016, S. 23 f., https://www.vzbv.de/sites/default/files/16-09-22_vzbv_stellungnahme_gruenbuch_digitale_plattformen.pdf.

Zahlungsströmen, Provisionen bei Bewertungsportalen etc. Beklagt wurde durchgängig das Desinteresse einiger Staatsanwaltschaften auch bei eindeutigen Fällen der Wirtschaftskriminalität, z.B. fake online shops, Adressbuchschwindel etc. und das wohl auf Interessenkonflikte zurückzuführende Zögern der verwaltungsrechtlichen Durchsetzung, z.B.

einiger Landratsämter bei der Gewerbeuntersagung;

- die inter partes-Wirkung der für das UWG zentralen Unterlassungsverfügung;

in bestimmten Fällen sei eine „Allgemeinverbindlicherklärung“ sinnvoll (vor allem bei AGB; nicht hingegen im UWG, wo bereits kleine Änderungen des zu beurteilenden Sachverhalts bedeutsam seien);

- der fehlende Ausgleich von Verbraucherschäden und generell der Ausgleich von Schäden. § 10 UWG sei in der Praxis nicht befriedigend; es fehlten entweder rechtliche Möglichkeiten (wie Rückerstattung) und /oder Durchsetzungsanreize.

Besondere Schwierigkeiten bestünden auch bei großer Intransparenz bestimmter Branchen, etwa durch Sales Promotion (Rabatte, Zugaben, Werbegeschenke, Kopplungsgeschäfte, Sponsoring, Gewinnspiele, Preisrätsel und den aus mehreren dieser Elemente zusammengesetzten Kundenbindungssystemen). Diese würden nach Aufhebung von ZugabeVO und RabattG und der wenig kohärenten Rechtsprechung des EuGH überhandnehmen und Angebote/Marketing extrem undurchschaubar machen (ein Beispiel sei die Möbelbranche, bei der eine Untersuchung der Wettbewerbszentrale zahlreiche Verstöße ergab). Genannt wurden in diesem Zusammenhang:

- bewusst oder unbewusst undurchsichtigen Preisgestaltungen, insbesondere in Verbindung mit neuen Geschäftsmodellen wie Onlineshops, personalisierte Preise, dynamische Preise;

- neue Formen der Verschleierung des kommerziellen Charakters, z.B. bei Influencer Marketing oder Online-Bewertungsportalen; Affiliate Marketing;

- zu kurz komme der Verbraucherschutz mitunter auch bei Belästigungen (cold calling, Spam) und bei Gewinnspielen.

Kritisiert wurden von allen Befragten aber auch die unabgestimmten, inkohärenten Informationspflichten des europäischen Rechts, die die Verbraucher überforderten („information overload“), Unternehmen zu stark belasteten und insgesamt zu ständigen Streitigkeiten führten.