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Gotthilf Heinrich Schubert – Traumtheorie und Ästhetik

2. Naturphilosophie, Traumtheorie und Ästhetik zu Beginn des 19. Jahrhunderts

2.2 Gotthilf Heinrich Schubert – Traumtheorie und Ästhetik

Mit den Vorlesungen zu Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft von 1808 und der Symbolik des Traumes von 1813/1814 produziert Gotthilf Heinrich Schubert zwei der grundlegenden Werke romantischer Traumforschung, die die Bedeutung des Traums für die Romantik konstituieren:

Der Traum, der Somnambulismus, die Begeisterung und alle erhöhten Zustände unserer bildenden Natur führen uns in schöne, noch nie gesehene Gegenden, in eine neue und selbsterschaffene, reiche und erhabene Natur, in eine Welt voller Bilder und Gestalten.133

Erst die Beachtung der Nachtseiten als »von vielen verkannte[…] Erscheinun-gen« soll über alle »Theile der Naturwissenschaft« ein »Licht […] verbreite[n]«,

127 Vgl. Schelling, Über das Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur (wie Anm. 43), Zitate 312.

128 Vgl. Beierwaltes, Einleitung (wie Anm. 86), 10.

129 Schelling, Über das Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur (wie Anm. 43), 292.

130 Vgl. auch Schweizer, Anthropologie (wie Anm. 77), 97.

131 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Aphorismen zur Einleitung in die Naturphilosophie, Abt. I, Bd. 7: 1805–1810, in: Ders., Sämmtliche Werke, hg. von Karl Friedrich August Schelling, [Nach-druck der Ausgabe Stuttgart/Augsburg 1860], Darmstadt 1960, 140–197, hier 142, Permalink:

http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10046896-5 (Zugriff vom 20.08.2014).

132 Sandkühler, Schelling (wie Anm. 45), 123.

133 Gotthilf Heinrich Schubert, Die Symbolik des Traumes, 4. Aufl., Leipzig 1862, 188, Permalink:

http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10044872-7 (Zugriff vom 20.08.2014).

»in welchem sich diese leichter und glücklicher zu einem Ganzen vereinigen ließen«.134 Die vermeintliche Paradoxie zwischen Nacht und Licht zeigt die Neu-bewertung des Unbewussten bereits zu Beginn des Textes an.

Schubert trifft 1808 nach seiner Ankunft in Dresden, wo er seine vielbeachteten Vorlesungen hält, auf den Kreis um Friedrich Schlegel, auf Heinrich von Kleist und Caspar David Friedrich.135 Seine Abhandlungen werden von den Zeitgenos-sen stark rezipiert, das belegen die hohen Auflagen, die Erwähnung seiner Person oder seiner Schriften und die Verwendung seiner Begrifflichkeiten in zeitgenös-sischen Romanen und Texten. Schubert polarisiert – er ist einerseits sehr ange-sehen und wird zum Beispiel mit Johannes Kepler und Isaac Newton verglichen, andererseits erntet er auch teilweise vernichtende Kritik.136 Die Untersuchungen Schuberts sind vor allem beeinflusst von den Thesen Schellings, dessen naturphi-losophische Vorlesungen Schubert regelmäßig besuchte: »Für die letzten Stunden Ihrer Vorlesung, theuerster Lehrer, sage ich Ihnen herzlich Dank, sie waren mir mehr werth als ich es mit Worten sagen kann.«137 Die naturphilosophische Herlei-tung der Synthese dualistischer Prinzipien dient Schubert als Grundlage für seine eher empirisch orientierte Untersuchung von diversen metaphysischen Phänome-nen. Sich auf Schellings Begriff »Weltseele«138 berufend, beschreibt Schubert das zugrunde liegende Prinzip als

diese gemeinsame Seele, die über allen schwebend, in Allem lebend, Alles weiß und sieht […] unendlich weit erhaben über jener Seele der Natur, ein all-umfassender, allwaltender, allbegründender, sich selbst erkennender Geist.139 Die Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft beginnt Schubert also mit den Untersuchungen zu einem ursprünglichen Zustand. Ziel dieser

134 Gotthilf Heinrich Schubert, Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft, Dresden 1808, Zitate  2, Permalink: http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10044375-8 (Zugriff vom 20.08.2014). [Es wird in der Regel aus dieser, der ersten Ausgabe, zitiert. Die zweite Auflage erhält jedoch teilweise Ersetzungen und Ergänzungen, weshalb bei relevanten Passagen ggf. aus jener Auflage zitiert wird.]

135 In der Darstellung der Bildungsgeschichte der Natur in den Ansichten einer Nachtseite der Natur-wissenschaft bezeichnet Schubert Caspar David Friedrich als »eine[n] meiner Freunde«. Schu-bert, Nachtseite (wie Anm. 134), 303. Vgl. auch Beguin, Traumwelt (wie Anm. 9), 130f.

136 Vgl. Dietrich von Engelhardt, Schuberts Stellung in der romantischen Naturforschung, in: Alice Rössler (Hg.), Gotthilf Heinrich Schubert. Gedenkschrift zum 200. Geburtstag des romantischen Naturforschers (Erlanger Forschungen, 25), Erlangen 1980, 11–36, hier 24. In der Autobiographie Bruchmanns wird z.B. »der berühmte […] Schubert«, »der vortreffliche […] Schubert« erwähnt.

Vgl. Enzinger, Bruchmann (wie Anm. 52), 201, Zitate 209, 316. E.T.A Hoffmann schreibt in der Kreisleriana über den »versteckten Poeten (um mit Schubert zu reden)«. Ernst Theodor Amadeus Hoffmann, Fantasiestücke in Callot’s Manier. Werke 1814, Bd. 2,1, hg. von Hartmut Steinecke, in:

Ernst Theodor Amadeus Hoffmann, Sämtliche Werke, hg. von Hartmut Steinecke, Wulf Sege-brecht, Frankfurt a.M. 1993, 448.

137 Schubert an Schelling, März 1803, in: Schelling, Briefwechsel 1800–1802 (wie Anm. 107), 421.

138 Schelling, Von der Weltseele (wie Anm. 73), 257.

139 Gotthilf Heinrich Schubert, Die Urwelt und die Fixsterne, Eine Zugabe zu den Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft, Dresden 1822, 14, Permalink: http://nbn-resolving.org/

urn:nbn:de:bvb:12-bsb10060671-1 (Zugriff vom 20.08.2014).

Untersuchungen ist, Erkenntnisse darüber zu erlangen und die verloren gegan-gene Harmonie von Mensch und Natur wiederherzustellen:

Zuerst soll in der Urgeschichte des Menschen erkannt werden: daß die innigste Harmonie seines Wesens mit der ganzen äußern Natur, der ursprüngliche Zustand desselben war. Hierauf soll in aller Naturwissenschaft derselbe ewige Bund, dieselbe Beziehung des Einzelnen auf das Ganze wiedergefunden wer-den, und wenn sich hierdurch auf einen Moment der allgemeine Sinn und Geist der Natur vor der Seele verklärt, möge das Gemüth lernen, daß die Kräfte des Einzelnen nur für das Ganze, nur in Harmonie mit diesem sind, und daß es das höchste Ziel, der höchste Beruf des Lebens sey, daß das Ein-zelne sich selber und sein ganzes Streben, dem allgemeinen, heiligen Werk des Guten und Wahren zum Opfer bringe.140

Schubert hatte bereits in einem früheren Werk vermeintliche empirische Beweise für einen ursprünglichen Zustand der Einheit angeführt:

Die mächtige Anziehung des Magnets gegen den geliebten Pol, oder gegen gleiche des Magnetismus fähige Körper, die Anziehung an die Elektrizität, die heftige Neigung mit welcher sich chemische Körper vermischen, und der unwiderstehliche Trieb, mit welchem sich im Organischen die beyden Geschlechter zur Vermählung aufsuchen, geben uns den Grad der Wollust (die Erhöhung des innren Lebens) bey der Vereinigung zu erkennen.141

Die Natur und der Mensch bilden für Schubert strukturelle Analogien. Die Natur spiegele sowohl das sinnliche und als auch das innere, geistige Leben des Menschen:

Wie dem Menschen aus der ihn umgebenden Natur das Bild seines eigenen sinnlichen Daseins von allen Seiten zurückstrahlt, so findet er in derselben auch sein inneres, geistiges Leben abgespiegelt. Der Geist der Natur scheint sich mit denselben Gedanken, mit denselben Problemen zu beschäftigen, welche auch dem unserigen am meisten anliegen.142

140 Ders., Nachtseite (wie Anm. 134), 23.

141 In dem Textdokument heißt es weiter: »Endlich im Menschengeschlecht, giebt es einen höhe-ren und beständigehöhe-ren Genuss, welcher ungleich mächtiger ist als der auf dem Gegensatz des Geschlechts ruhende. Und eben dieser erhabenste und glühendste Genuss, schafft die Seeligen, welche seiner fähig sind, zu einem vollkommnen Organ des ewigen Weltgeistes. Es ist alles was wir Wollust nennen, ein vollkommneres Offenbarwerden, Erscheinen des höchsten Lebens, wel-ches an den Einzelnen vorübergeht, und es giebt keine Wonne, welche nicht aus der innigeren Nähe der heiligen Tiefe alles Seyns käme. Alle Dinge, wenn sie in der glühendsten Vermäh-lung mit dem Ganzen, ein Universum geworden sind, werden von dem mächtigen Lebens athem ergriffen, und dieses Ergriffenwerden, das Nachklingen jenes ewigen Wehens erscheint ihnen als höchster Genuss. Sie vergehen, oder die individuelle Kraft in ihnen wird geschwächt, je mächtiger sie ein Ganzes, ein Organ des Weltgeistes wurden (je höher die Wonne war), weil sie, im Genuss eines allmächtigsten inneren Lebens, der Aussenwelt minder bedürfen, minder nach aussen wirken, sie hören endlich ganz auf dieses Einzelne zu seyn«. Gotthilf Heinrich Schubert, Ahndungen einer allgemeinen Geschichte des Lebens, Leipzig 1806, 230, Permalink: http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10044370-1 (Zugriff vom 20.08.2014).

142 Ders., Symbolik des Traumes (wie Anm. 133), 43.

Schubert kommt zu dem Schluss, dass das höchste Prinzip, aus dem die Natur, als die »älteste noch vor Augen liegende Offenbarung Gottes an den Menschen«143, hervorgegangen ist, auch in uns selbst tätig ist, sobald wir träumen:

Dasselbe Prinzip, aus welchem die ganze uns umgebende Natur hervor gegangen, zeigt sich unter andern auch in uns, bei der Hervorbringung jener Traum- und Natur-Bilderwelt thätig, obgleich gerade diese Thätigkeitsäuße-rung, in dem jetzigen Zustande, nur ein sehr untergeordnetes Geschäft der Seele ist.144

Dieses Prinzip ist im »innere[n] Mensch[en]« vorhanden und beinhaltet alles Vergangene und Zukünftige:

Wenn jener innere Mensch, in welchem denn doch, so wenig er sich dessen in seinen chemischen Archäusarbeiten bewusst wird, der Grund aller Entwick-lungen und Begebenheiten nach außen enthalten ist und welcher in einem Boden wurzelt, in dessen astralischen Conjunctionen und Oppositionen die Geschichte aller gleichnamigen Einzelnen, wie die noch unentfaltete Blüthe in der Zwiebel zu erkennen ist; wenn, sage ich, jener innere Mensch einmal zum Wachen und zum Bewusstsein Seiner gebracht ist, vermag er freilich über vieles, was vergangen ist oder künftig, Rede und Antwort zu geben.145 Der Zustand zwischen Leben und Tod, der mit weiteren unbewussten Zuständen verwandt ist, ist für Schubert ein weiterer Beweis für eine »ewige[…] Natur«:146

Offenbar deuten jene tieferen Eigenschaften, welche zuweilen wie hohe Fremdlinge, bey einem unvollkommnen Daseyn verweilen, auf Etwas, das über die eigenthümlichen Gränzen der gegenwärtigen Kräfte und Bestrebun-gen weithinaus geht, und was nicht eine Wirkung der jetziBestrebun-gen UmgebunBestrebun-gen, welche weit unter ihm sind, seyn kann.147

Auch der Somnambulismus148 scheint Schubert eine Bestätigung seiner Thesen für die Existenz eines übergeordneten Prinzips:

Schon im Zustand des Somnambulismus tritt […] jenes liebende Vermögen wieder mit der höheren Region in Berührung, empfängt aus ihr ein Licht,

143 Ders., Symbolik des Traumes (wie Anm. 133), 70.

144 Ders., Symbolik des Traumes (wie Anm. 133), 38.

145 Gotthilf Heinrich Schubert, Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft, 2. bearb.

Aufl., Dresden 1818, 321, Permalink: http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10044376-3 (Zugriff vom 20.08.2014).

146 Ders., Nachtseite (wie Anm. 134), 381, Zitat 382.

147 Ders., Nachtseite (wie Anm. 134), 381f.

148 Diesen Zustand hatte auch Friedrich Wilhelm Joseph Schelling beschrieben als einen, »den wir mit Recht einen höheren nennen und als ein wachendes Schlafen oder schlafendes Wachen anse-hen könnten«, in: Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Clara oder über den Zusammenhang der Natur mit der Geisterwelt. Ein Gespräch (1809), hg. von Manfred Schröter, Stuttgart 1862, 96, Permalink: http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10044311-5 (Zugriff vom 20.08.2014).

worinnen ihm die ganze in seinem Umfang liegende […] Welt, über die Schranken der Zeit und des Raumes hinüber klar wird.149

Den Doppelschlaf zweier Somnambuler und ihre damit einhergehende beson-dere Verbindung führt Schubert auf die Existenz einer »gemeinsame[n] Seele«

zurück.150 Eine weitere Bestätigung für diese sieht er in der uneingeschränkten Wahrnehmung innerhalb des hypnotischen Zustands:

Das 16-jährige Mädchen, das Heinecken fast ein ganzes Jahr lang magneti-sierte […] stund […] mit verschlossenen Augen auf, verrichtete weibliche Arbeiten, schrieb, ja sie gieng sogar aus, wusste auf der Straße immer wo sie war, und erkannte und bemerkte alle Gegenstände, die ihr begegneten.151 Neben der Naturphilosophie Schellings beschäftigt Schubert sich auch mit den Untersuchungen des Neurologen Johann Christian Reil (vgl. Kap. 2.4.2), der zwei polare Nervensysteme (Cerebral- und Gangliensystem) im menschlichen Kör-per annimmt.152 Unter Berücksichtigung jener Forschungen führt Schubert den Traum auf die Arbeitsweise des Gangliensystems zurück, das als Zentrum der

»innern Gefühle und Neigungen« nicht dem Willen unterworfen sei – im Gegen-satz zum zerebralen Nervensystem, das die zentralen Fähigkeiten wie Bewusst-sein, Vernunft und sinnliche Wahrnehmung steuere:153

Wir unterscheiden im menschlichen, sowie überhaupt in allen vollkomme-nern thierischen Körpern zwei einander ziemlich entgegengesetzte Pole des Nervensystems: jenes der Sinne und der willkürlichen Bewegungsorgane (das Cerebralsystem) und das meist in der Brust und Bauchhöhle gelegene, sogenannte Gangliensystem, aus welchem vorzugsweise die Eingeweide der Brust und des Unterleibes, sowie die Blutgefäße ihre Nerven erhalten. […]

Während der Lebensbewegungen und Regungen des wachen Zustandes und durch dieselben ziehen die Nerven des obern (des Cerebral-) Systems eben jenen gröbern Nahrungsstoff, jenen bindenden Träger des höhern Nerven-princips an sich, welcher im Gangliarsystem das Vorherrschende ist.154

Das »Überfüllen« des zerebralen Systems während des Tages und eine damit einhergehende Senkung der Empfindlichkeit der Nerven dieses Systems – ein Zustand, in dem sich gewöhnlich die Gangliarnerven befänden – führe zu einer Umkehrung der Aktivität der Systeme und rufe Schlaf und Traum hervor.155 Diese binäre Gliederung des menschlichen Nervensystems war zu Beginn des 19.  Jahrhunderts von großer Aktualität und allgemein anerkannt. Schubert kann

149 Schubert, Symbolik des Traumes (wie Anm. 133), 227f.

150 Ders., Urwelt (wie Anm. 139), Zitat 14.

151 Ders., Nachtseite (wie Anm. 134), 338.

152 Vgl. Tobias Leibold, Enzyklopädische Anthropologien. Formierungen des Wissens vom Men-schen im frühen 19. Jahrhundert bei G.H. Schubert, H. Steffens und G.E. Schulze (Studien zur Kulturpoetik, 13), Würzburg 2009, 43, 67, 200f.

153 Vgl. Schubert, Symbolik des Traumes (wie Anm. 133), 182, Zitat 182.

154 Ders., Symbolik des Traumes (wie Anm. 133), 128f.

155 Vgl. Ders., Symbolik des Traumes (wie Anm. 133), 132f., Zitat 132.

damit die Plausibilität seiner Thesen durch naturwissenschaftliche Untersuchun-gen fundieren und den Traum bzw. die unbewussten Phänomene auch physisch verorten. Auch hier liegt letztlich das triadische Modell der Naturphilosophie zugrunde, innerhalb dessen sich die polaren Nervensysteme, die sich in unbe-wusst und beunbe-wusst gliedern, in einer Synthese vereinigen.156

Die Sprache des Traumes nennt Schubert die Sprache der Seele, die einem anderen »Gesetz der Association« folge als die Sprache im wachen Zustand: »Jene ist zum Theil ausdrucksvoller, schnell und viel umfassender, der Ausgedehntheit in die Zeit viel minder unterworfen, als diese. Die letztere müssen wir erst erler-nen, dagegen ist uns jene angeboren.«157 Neben dem zeitlichen Aspekt verweist er auch auf die räumliche Unabhängigkeit der Traumsprache, indem er als weitere wichtige Eigenschaft die Analogie der Traumsprache in allen Ländern nennt.158 Die auf Bildern basierende Sprache

knüpft das Morgen geschickt ans Gestern, das Schicksal ganzer künftiger Jahre an die Vergangenheit an […] Eine Art zu rechnen und zu combiniren, die ich und du nicht verstehen; eine höhere Art von Algebra, noch kürzer und bequemer als die unserige, die aber nur der versteckte Poet in unserm Innern zu handhaben weiß.159

Schubert bezeichnet »jenes innere Organ, was dem Geiste die Traumbilder reflectirt« als »versteckte[n] Poet[en]«.160 Schelling hatte den unbewussten Teil der Kunstproduktion ja auch schon mit der »Poesie« bezeichnet, bei Schubert drückt sich die Analogie von Poesie und Traum zum ersten Mal aus. Die Seele könne im Traum mit ihrer Bildersprache ebenso dichten wie die Wortsprache im Wachen.161 Schubert präferiert die Bildersprache, weil »jene Abbreviaturen und Hieroglyphensprache der Natur der Seele in mancher Hinsicht angeeigneter erscheine, als unsere gewöhnliche Wortsprache.«162 Die Hieroglyphe steht hier nicht nur für Bildhaftigkeit, sondern auch für Authentizität, Ursprünglichkeit, Natürlichkeit und Universalität.163 Die Analogien zwischen »hieroglyphische[n]

Bildersprachen« und der »Traumbildersprache« sind für Schubert Anlass zur

156 Vgl. Leibold, Anthropologien (wie Anm. 152), 201–205.

157 Schubert, Symbolik des Traumes (wie Anm. 133), 6, 9.

158 Vgl. Ders., Symbolik des Traumes (wie Anm. 133), 12f.

159 Ders., Symbolik des Traumes (wie Anm. 133), 10.

160 Ders., Symbolik des Traumes (wie Anm. 133), 8, 10. Vgl. insb. auch Kap. »Der versteckte Poet«, 78–95.

161 Vgl. Ders., Symbolik des Traumes (wie Anm. 133), 15.

162 Ders., Symbolik des Traumes (wie Anm. 133), 8f.

163 »Eine Aura von Authentizität haftet ihr an, die sie als reinen Spiegel des Urbilds kennzeich-net.« Barbara Hunfeld, Zur »Hieroglyphe« der Kunst um 1800, in: Aleida Assmann/Jan Assmann (Hg.), Hieroglyphen. Stationen einer anderen abendländischen Grammatologie, Bonn 2002, 281–296, hier 282. Zur Systematik des Hieroglyphen-Begriffs vgl. Aleida Assmann/Jan Assmann, Hieroglyphen, altägyptische Ursprünge abendländischer Grammatologie, in: Dies. (Hg.), Hiero-glyphen. Stationen einer anderen abendländischen Grammatologie, Bonn 2002, 9–25.

Hoffnung, den »verloren gegangenen Schlüssel« einst wiederzufinden.164 Die Bil-der des Jahres- und Lebenszeitenzyklus von Caspar David Friedrich (zum Beispiel Abb. 3) nimmt Schubert als Beispiel, um den Zusammenhang zwischen Lebens-zeiten, Tageszeiten und der Bildungsgeschichte der Natur zu erläutern, »sollte es auch geschehen, dass die Worte hinter seinem Pinsel weit zurückblieben.«165 Er reflektiert damit das Potenzial von Bildern als Repräsentationen des Absoluten und erhebt die Kunst – im Sinne Schellings – zu einer seiner Ausdrucksformen.