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3 Entwicklung eines Erhebungsinventars

7 Entwicklung und Durchführung einer betrieblichen Intervention

7.2 Gesundheitszirkel und deren Wirksamkeit

Erst allmählich verbreitet sich in Unternehmen die Erkenntnis, dass die Aufrechter-haltung und Förderung der Gesundheit nicht nur eine persönliche Angelegenheit von Individuen ist, sondern auch zu den Aufgaben des Arbeitgebers zählt. Abgesehen von ergonomischen Gefährdungen und Schadstoffen am Arbeitsplatz, für die sich Vorgesetzte aufgrund rechtlicher Verpflichtungen zur Arbeitssicherheit verantwortlich fühlen, war lange Zeit die vorherrschende Auffassung, dass Mitarbeiter für ihre per-sönliche Gesundheit ausschließlich Eigenverantwortung haben und sich durch ent-sprechend verantwortliches Gesundheitsverhalten (z. B. gesunde Ernährung, Bewe-gung, Vermeidung von Risikosport) um den Erhalt selbst zu kümmern haben. Unbe-nommen der Richtigkeit dieser Aussage, kann inzwischen jedoch als hinreichend gesichert gelten, dass psychosoziale Belastungen am Arbeitsplatz zur Gesundheits-beeinträchtigung der Mitarbeiter maßgeblich beitragen, und es deshalb auch dem Arbeitgeber obliegt, für eine Vermeidung solcher psychosozialer Belastungen in der Arbeit Gewähr zu tragen. Das Arbeitsschutzgesetz aus dem Jahr 1996 formuliert die klare Verpflichtung des Arbeitgebers, auch solche nachgewiesenen Gefährdungen regelmäßig zu analysieren und zu dokumentieren.

Vor diesem Hintergrund und angesichts struktureller Veränderungen in den Fehlzei-ten der Unternehmen – insbesondere der Zunahme von Arbeitsunfähigkeit durch psychische Erkrankungen, aber auch alternde Belegschaften – gerät das betriebliche Gesundheitsmanagement mehr und mehr in den Blickpunkt der strategischen Perso-nalarbeit in Unternehmen. Ein ganzheitliches betriebliches Gesundheitsmanagement wird auch in der Luxemburger Deklaration der Europäischen Union (1997, aktuali-sierte Fassung von 2007) gefordert, in der auch Leitlinien für eine betriebliche Ge-sundheitsförderung formuliert werden. Zu den Kernaspekten zählen: Partizipation (Einbezug der gesamten Belegschaft), Integration (Berücksichtung der Gesundheits-förderung bei allen wichtigen Entscheidungen), Projektmanagement (Systematik der Maßnahmen von der Planung bis zur Erfolgskontrolle) sowie Ganzheitlichkeit (Ver-knüpfung von Verhaltens- und Verhältnisprävention, von Risikoreduktion und Ausbau von Gesundheitspotenzialen).

Gemeinsam ist allen Programmen zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) der Fokus auf organisationale und psychosoziale Bedingungen der Mitarbei-tergesundheit. Mitarbeiterpartizipation spielt – gemäß der Luxemburger Deklaration – sowohl bei Schwachstellenanalysen wie auch bei der Lösungsentwicklung die ent-scheidende Rolle. Gerade beim Thema Gesundheit ist der Einbezug der Mitarbeiter wichtig, wenn nicht gar zwingend, geht es doch um höchst individuelle Vorausset-zungen, Verarbeitungsweisen und Auswirkungen. Ziel ist, Mitarbeiter darin zu be-stärken und sie dazu zu befähigen, Lösungen für Probleme im eigenen Arbeitsbe-reich zu entwickeln und umzusetzen. Hauptziele des BGM bestehen gemäß den Präventionszielen der Ottawa Charta (WHO, 1986) darin, Arbeitsbedingungen so zu organisieren und zu verändern, dass schädigende Faktoren der Arbeit abgebaut und gesundheitsfördernde Merkmale verstärkt werden. In Deutschland begannen Unter-nehmen bereits in den 1980er Jahren mit der Umsetzung solcher BGM-Programme.

Ein stärkeres Interesse ließ sich jedoch erst verzeichnen, nachdem Krankenversiche-rungen einen gesetzlichen Präventionsauftrag erhalten hatten und weitere rechtliche Grundlagen wie das Arbeitsschutzgesetz in Kraft getreten waren (vgl. Ulich & Wülser, 2005).

Gesundheitszirkel (GZ) verfolgen im Rahmen des BGM eine Interventionsstrategie, die eine arbeitsbezogene Organisationsentwicklung mit gesundheitlicher Zielsetzung am besten repräsentiert. Bei GZ handelt es sich um Diskussionsgruppen, die im Be-trieb gebildet werden, um Lösungen für eine Verbesserung potenziell gesundheits-schädigender Arbeitsbedingungen zu entwickeln (vgl. Westermayer & Bähr, 1994).

Ähnlich wie bei anderen Problemlösegruppen, die sich aus Mitarbeitern des Betriebs rekrutieren (z. B. Qualitätszirkel; vgl. Zink, Ritter & Machauer-Bundschuh, 1992), wird davon ausgegangen, dass Mitarbeiter die besten Experten ihrer Arbeit sind und die-se Expertidie-se genutzt werden sollte, um die Arbeitssituation zu verbesdie-sern (Branden-burg & Slesina, 1994). Während Qualitätszirkel primär auf die Verbesserung von Produkten und betrieblichen Abläufen abzielen, steht bei GZ explizit die Gesundheit der Mitarbeiter als Zielgröße im Vordergrund. Ganz im Einklang mit Konzepten zum Abbau arbeitsbedingter Gesundheitsbeeinträchtigungen, wie etwa dem „Demand-Control Model“ (Karasek, 1989), bemühen sich GZ darum, schädigende Arbeitsbe-dingungen – wie etwa die Kombination aus hoher Belastung und geringem Einfluss – zu reduzieren bzw. Ressourcen am Arbeitsplatz (z. B. Autonomie, soziale Unterstüt-zung) zu stärken.

Zwei Grundmodelle von GZ lassen sich unterscheiden. Im „Berliner Modell“ (Fric-zewski, 1994) beschäftigen sich Mitarbeiter des Unternehmens unter Anleitung eines externen Moderators mit einer Analyse und dem Umgang mit stressrelevanten Be-dingungen ihrer Arbeit. Verbesserungsvorschläge werden an einen Steuerkreis wei-tergeleitet, an dem Vertreter der Unternehmensleitung, der Personalabteilung, des Gesundheitsdienstes, der Mitarbeitervertretung und ggf. weitere Experten teilneh-men, die Vorschläge diskutieren und ihre Implementierung steuern und überwachen.

Im „Düsseldorfer Modell“ (Slesina, 1994) setzen sich die Teilnehmer, bei ansonsten vergleichbarer Zielsetzung und Arbeitsweise des GZ, aus verschiedenen Hierarchien im Unternehmen zusammen. Vor- und Nachteile der beiden Modelle liegen auf der Hand: So zeichnen sich GZ nach dem Düsseldorfer Modell dadurch aus, dass eine umfassendere Sichtweise bzw. breitere Expertise, gerade auch zur Lösung der Prob-leme, durch den Einbezug unterschiedlicher Bereiche und Hierarchien besteht. Das Berliner Modell hingegen hat seine Vorzüge in der demokratischeren Struktur unter breiter Beteiligung der Mitarbeiter. Zudem ist mehr Offenheit zu erwarten, wenn keine Vorgesetzten oder andere Experten an den GZ teilnehmen (vgl. Westermayer, 1998). Diese Grundmodelle haben sich, auch aufgrund ihrer jeweiligen Vor- und Nachteile, weiterentwickelt und in der betrieblichen Praxis angenähert. So sind GZ nach dem Düsseldorfer Ansatz flexibler in der Zusammensetzung der Teilnehmer geworden, während GZ nach dem Berliner Modell einen intensiveren und zeitnahen Austausch mit anderen Experten zulassen, auch um die erarbeiteten Lösungen bes-ser umsetzen zu können. Ebenfalls ist eine stärkere Verzahnung der GZ mit anderen Maßnahmen der Organisationsentwicklung in den Unternehmen zu verzeichnen, und es wird darüber hinaus empfohlen, GZ systematisch in das System betrieblicher Ma-nagementprozesse zu integrieren (Schröer & Sochert, 1997).

Angesichts der zunehmenden Bedeutung von GZ und ihrer Wichtigkeit im Zuge von BGM, stellt sich die Frage nach deren Wirksamkeit. Aust und Ducki (2004) haben in einem Review 11 wissenschaftliche Studien näher untersucht, in denen die Ergeb-nisse von insgesamt 81 betrieblichen GZ in 30 verschiedenen Unternehmen berichtet werden. Davon wurden mehr als die Hälfte (43 GZ) in Unternehmen der Stahlindust-rie, 12 GZ in der chemischen Industrie und 5 GZ in Krankenhäusern durchgeführt.

Die restlichen GZ streuen breit über Branchen und Unternehmen. Nur in drei Studien

wurden Kontrollgruppen zur Überprüfung der Effekte von GZ einbezogen, in keiner der Studie fand ein randomisiertes Untersuchungs-Kontrollgruppen-Design Anwen-dung. Insofern muss die bisherige wissenschaftliche Evidenz für die Wirksamkeit von GZ noch als unzureichend bezeichnet werden. Zumeist wurden retrospektive Vorher-Nachher-Vergleiche im Urteil der GZ-Teilnehmer herangezogen, um deren Wirksam-keit zu belegen, teilweise wurden Vergleiche mit den Urteilen nicht-teilnehmender Kollegen im Betrieb als Referenzgrößen verwendet. Ebenso verbesserungsfähig sind nach Ansicht der Autoren (Aust & Ducki, 2004) die zur Evaluation herangezogenen Maße. Ganz überwiegend handelt es sich um „weiche“ Indikatoren der Arbeitszufrie-denheit, um Angaben zur Anzahl umgesetzter Verbesserungsvorschläge, oder um Beurteilungsaspekte zu Arbeitsbedingungen. Gesundheitsindikatoren wurden nur in fünf Studien verwendet, wobei überwiegend Selbstberichte der Mitarbeiter zu ihrem Gesundheitsstatus genutzt wurden. Nur vereinzelt (vgl. Friczewski, Brandenburg, Jenewein, Lienecke, Schiwon-Spies & Westermayer, 1990) wurden „harte“ Gesund-heitsparameter (z. B. Cholesterol, Triglycerine) einbezogen, um die positive Wirkung von GZ auf die körperliche Gesundheit der Mitarbeiter zu evaluieren. Dabei zeigten sich bei den GZ-Teilnehmern statistisch bedeutsame Verbesserungen im Längs-schnitt. In fünf von sieben Studien, in denen auch Fehlzeiten auf Basis von Unter-nehmensangaben oder aus Statistiken der Betriebskrankenkassen als Außenkriteri-um einbezogen wurden, ließen sich positive Ergebnisse verzeichnen. Jedoch wurden hier meist weder Kontrollgruppen, noch statistische Vergleiche berechnet, sondern lediglich Häufigkeiten im Vorher-Nachher-Vergleich betrachtet. Die einzige Studie, bei der eine Kontrollgruppe einbezogen wurde und zudem statistische Tests auf Un-terschiede in den Fehlzeiten durchgeführt wurden, kam zu keinen signifikanten Ver-besserungen.

Als Fazit muss mit Aust und Ducki (2004) festgehalten werden, dass bislang keine wissenschaftlichen Befunde zur Wirksamkeit von GZ nach strengen Kriterien der epi-demiologischen Forschung vorliegen. Zwar haben sich in zahlreichen Studien be-triebliche Verbesserungen infolge der Arbeit der GZ verzeichnen lassen, viele frucht-bare Vorschläge wurden umgesetzt und deren Effekte wurden von Teilnehmern der GZ wie auch von anderen Mitarbeitern der Unternehmen positiv etwa im Sinne der Zufriedenheit oder gemessen an subjektiven Befindens- und Gesundheitsindikatoren erlebt. Eine strenge Prüfung der spezifischen Wirksamkeit von GZ mit einem hoch-wertigen randomisierten Untersuchungs-Kontrollgruppen-Design steht bislang jedoch noch aus. Auch angesichts der Multikausalität unterschiedlichster Faktoren für die Genese von Gesundheit sind solche strengen Nachweise – gerade im betrieblichen Kontext, der sich bekanntlich schwer kontrollieren lässt – zwar nicht unmöglich, aber doch recht schwierig umzusetzen. Ungeachtet dessen haben sich GZ in Bezug auf die Identifizierung von Belastungen und Veränderungsmöglichkeiten durchaus be-währt und konnten nachweislich dazu beitragen, dass Belastungen faktisch verrin-gert, Ressourcen aufgebaut und gesundheitliche Beschwerden reduziert wurden (Slesina, 2001; Sochert, 1999; vgl. auch Ulich & Wülser, 2005).

7.3 Beschreibung der betrieblichen Intervention –