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Geschichtete Sichtbarkeiten

Trendsetter und Kleidercodes in Porträtfotografien vom osmanischen Balkan

„Ein bulgarischer Nationalheld? Oder ein türkischer Bimbaschi?“ Unter die-sem ebenso doppeldeutigen wie sprichwörtlich fraglichen Titel findet sich im Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek ein männliches Fotoport-rät verzeichnet, das vom Wiener Fotografen Ludwig Angerer aus der Zeit des Krimkrieges stammt (Abb. 1).1 Die beiden jeweils mit Fragezeichen versehenen ethnischen Zuschreibungen „bulgarisch“ und „türkisch“ könnten aus heutiger Sicht gegensätzlicher nicht sein. Gilt doch der „Türke“ laut der weitverbreiteten essentialistischen Geschichtsdeutung der osmanischen Epoche als Erzfeind des

„Bulgaren“ schlechthin und kämpfte doch gerade der „bulgarische Nationalheld“

gegen die fünfhundertjährige Unterdrückung des „türkischen Bimbaschi“.2

1 Teile dieses Aufsatzes erschienen in leicht veränderter Form zuerst auf Englisch unter dem Titel: The Heroic Lens. Portrait Photography of Ottoman Insurgents in the Nineteenth-Cen-tury Balkans – Types and Uses, in: The Indigenous Lens? Early Photography in the Near and Middle East (= Studies in Theory and History of Photography, Vol. 8), hg. von Markus Ritter und Staci G. Scheiwiller, Berlin/Boston De Gruyter, 2018, S. 237–256.

Zu Abb. 1: Das Porträt ist Teil einer Serie von verschiedenen Volkstypen, die Angerer wäh-rend des Krimkrieges auf den Gebieten des heutigen Rumänien aufgenommen hat und welche eindeutig betitelte Aufnahmen von Wallachen, Albanern, Bulgaren, Makedoniern, Zigeunern und anderen ethnographischen Typen in Rumänien aus dem Jahr 1855 enthält.

Das Konvolut enthält insgesamt 25 Fotos und trägt den Titel „Fotografien aus Rumänien“.

Zur Entstehungsgeschichte der Fotoserie siehe Anton Holzer: Im Schatten des Krimkrieges.

Ludwig Angerers Fotoexpedition nach Bukarest (1854 bis 1856). Eine wiederentdeckte Foto-serie im Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, in: Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie 24, 2004, Heft 93, S. 23–50, hier S. 32. Holzer geht leider weder auf die Fotografie selbst noch auf ihren Titel ein.

2 Bimbaşı: osmanotürk. wörtlich Kopf (başı) von Tausend (bin) war ein militärischer Titel im Osmanischen Reich, der mit dem heutigen Major vergleichbar wäre.

Abb. 1: Ludwig Angerer: „Ein bulgarischer Nationalheld? Oder ein türkischer Bimbaschi?“, Bukarest (?), um 1855, Salzpapier, 25 x 19 cm, Bildarchiv, Österreichische Nationalbibliothek, Pk 4400, 12.

Die im Titel angedeutete Austauschbarkeit zweier ethnischer Identitäten im ehe-maligen Osmanischen Reich mag aus der nationalen Perspektive einen neural-gischen Affekt auslösen oder gar als Affront aufgefasst werden. Sie wirft jedoch zugleich grundsätzliche Fragen auf über die visuelle Klassifizierung ethnischer Zugehörigkeit in imperialen Kontexten: über Möglichkeiten und Grenzen der fotografischen Kategorisierung des imperialen Subjekts, über die selbst- und fremdbestimmte Sichtbarkeit von Ethnizität im imperialen Zeitalter, über die historische und kulturelle Verschiebung ethnischer Kategorien im fotografischen Bild und nicht zuletzt über die begriffliche Diskrepanz ethnischer Zuschreibun-gen in fotografischen Quellen.

Da es sich bei dem Titel des Fotoporträts um eine nachträgliche Zuschrei-bung handelt,3 stellt sich die Frage, wer tatsächlich der Porträtierte war und von wem, wann und warum das Bild seine Bezeichnung erhalten hat. War es der Fotograf selbst oder war es vielmehr der posthume Autor des ambivalenten Bild-titels, der nicht so recht um die ethnische und professionelle Identität des Foto-grafierten wusste? Oder war es Mitte des 19. Jahrhunderts für Außenstehende unmöglich, die unterschiedlichen Ethnien, die das Osmanische Imperium be-völkerten, nach ihren äußerlichen Merkmalen zu unterscheiden? Oder waren die äußerlichen Merkmale bestimmter Volksgruppen so ähnlich und daher aus-tauschbar, war das Aussehen von Bulgaren und Türken gar gleich, dass sie nicht voneinander zu unterscheiden waren? Oder bestand zum Zeitpunkt der Bild-entstehung einfach keine Notwendigkeit der klaren ethnischen Unterscheidung nach äußerlichen Merkmalen, so dass sich bei der posthumen Beschriftung des Bildes, also erst im Rückblick, eine eindeutige ethnische Kategorisierung als pro-blematisch erwies? Ist der Titel also einfach der Unwissenheit oder der Imagina-tion des Außenblicks geschuldet?

Diese Fragen stehen am Anfang meiner Überlegungen zur Visualisierung von Identität in Fotografien vom osmanischen Balkan aus dem 19. Jahrhundert. An-ders als die inzwischen etablierte Forschung zu Orientalismus in der Foto grafie und den damit einhergehenden Fremdzuschreibungen von Identität4 schreiben sich meine Überlegungen in ein noch relativ junges Forschungsfeld ein, das sich zunehmend der Selbstkonstruktion von Identität in imperialen Kontexten wid-met. Wenn von ethnischer Identität in der Fotografie des Osmanischen Reiches die Rede ist, dann ist in der Regel die fremdbestimmte Konstruktion von „Volks-typen“ gemeint, wie sie etwa in Fotografien für ein westliches Publikum fabriziert wurden oder als Dispositiv imperialer Herrschaft fungierten. In diesen Typen-fotografien ist der Mensch passives Objekt, das lediglich als Träger bestimmter ethnischer, religiöser oder professioneller Zeichen dient. Ausgestattet mit ver-meintlich eindeutig identifizierbaren Eigenschaften fanden Typenfotografien aus

3 Auf meine Nachfrage beim Abteilungsleiter des Bildarchivs der Österreichischen National-bibliothek, Peter Prokop, ob der Bildtitel von Angerer selbst stammt oder ob es sich dabei um eine nachträgliche Interpretation handelt, bekam ich die Antwort, dass „der ‚sogenannte‘

Titel aus der unter dem Foto befindlichen Bleistiftnotiz [besteht], die wer weiss dort hinge-schrieben hat. Ich denke eindeutig eine nachträgliche Interpretation. Interessant wäre wer wirklich abgebildet ist“ (Zitat aus E-Mail-Korrespondenz vom 5. Dezember 2013). An dieser Stelle danke ich Peter Prokop für seine Hilfe und die wertvollen Hinweise.

4 Siehe etwa Photography’s Orientalism. New Essays on Colonial Representation, hg. von Ali Behdad and Luke Gartlan, New York 2013. Engin Özendes: From Sébah & Joaillier to Foto Sabah. Orientalism in Photography, Istanbul 1999. Nancy Micklewright: Orientalism and Photography, in: The Poetics and Politics of Place. Ottoman Istanbul and British Orientalism, hg. von Zeynep Inankur, Reina Lewis, and Mary Roberts, Istanbul 2011, S. 99–114.

dem Osmanischen Reich vor allem Absatz als Souvenirbilder beim westlichen Touristen oder Sammler, oder sie gingen ein in ethnographische Alben für ein westliches Publikum wie etwa das Fotobuch der osmanischen Regierung für die Wiener Weltausstellung 1873.5 Zugleich dienten Typenfotografien von Volks-gruppen oder Berufen auch der Sicherung imperialer Macht, wie das großange-legte Fotoprojekt von Abdülhamid II. zeigt, mit dem der Sultan den osmanischen Menschen mitsamt seiner Lebensräume vermessen ließ.6

Indes ist in der Forschung zur Geschichte der Fotografie im osmanischen und postosmanischen Raum immer noch viel zu wenig über die individuelle Nutzung dieser modernen visuellen Technologie und die privaten fotografischen Praktiken bekannt. Erste Impulse zur Erforschung von visueller Selbstrepräsen-tation und der selbstbestimmten Konstruktion von Identität in der Fotografie des Osmanischen Reichs stammen von Nancy Micklewright und Michelle L.

Woodward.7 Beide haben die Praktiken der individuellen Aneignung und aktiven

5 Les costumes populaires de la Turquie en 1873. Ouvrage publié sous le patronage de la Com-mission impériale ottomane pour l’Exposition universelle de Vienne [Elbïse- iʽOsmanie].

Texte par Son Excellence O[sman] Hamdy Bey commissaire général et Marie de Launay membre de la Commission impériale et du jury international; Phototypie de [Pascal] Sébah, Konstantinopel 1873. Siehe dazu Ahmet Ersoy: A Sartorial Tribute to Late Tanzimat Otto-manism: The Elbïse-ï ʽOsmānïyye Album, in: Muqarnas 20 (2003), S. 187–207, sowie ders.:

Architecture and the Late Ottoman Historical Imaginary. Reconfiguring the Architectural Past in a Modernizing Empire, Burlington 2015.

6 Eine Auswahl von Fotografien dieses Projekts, die sich an ein westliches Publikum richteten und unter dem Namen „Abdul Hamid II Collection“ bekannt sind, befinden sich heute als identische Sammlungen jeweils in der Library of Congress in Washington D.C. und in der British Library in London. Die komplette Fotosammlung der Library of Congress wurde di-gitalisiert, http://www.loc.gov/pictures/collection/ahii/, letzter Zugriff: 07.08.2019. Ein erster Versuch, diese Sammlung zu erforschen, unternahm Carney E.S. Gavin: Imperial Self-por-trait. The Ottoman Empire as Revealed in the Sultan Abdul Hamid II.’s Photographic Albums Presented as Gifts to the Libr. of Congress (1893) and the British Museum (1894), Duxbury, MA. 1988. Für eine formale Analyse der Fotosammlung siehe den nicht unumstrittenen Ver-such von Wendy M. K. Shaw: Ottoman Photography of the Late Nineteenth Century: An

‘Innocent’ Modernism? In: Hisotry of Photography 1, 2009, S. 80–93. Siehe zudem Nancy Micklewright: In the Service of the Empire. Ottoman Official Photography, in: Archaeolo-gists & Travelers in Ottoman Lands, Exhibition, Philadelphia, Penn Museum, 2010, http://

www.ottomanlands.com/sites/default/files/pdf/Micklewrightessay_0.pdf, letzter Zugriff:

07.08.2019). Über einzelne Aspekte der Fotosammlung wie die fotografische Darstellung von Schülern und Studenten siehe William Harper: Ottoman School Portraits: The Visualization of Students in the Hamidian Gift Albums, unpublished paper at the conference „The Ot-toman Empire in the Age of Modernity: Political and Cultural Representations“, Graduate Workshop in Ottoman Studies, May 9th, 2014, University of Oxford.

7 Nancy Micklewright: Late Ottoman Photography. Family, Home and New Identities, in:

Transitions in Domestic Consumption and Family Life in the Modern Middle East, hg. von

Anwendung von Fotografie in der osmanischen Hauptstadt beleuchtet. Dagegen bleibt die äußerst rege und intensive fotografische Produktion für individuelle Zwecke außerhalb der Hauptstadt, namentlich in den europäischen Provinzen, nach wie vor unterbelichtet.8 Dies ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass in den Nachfolgestaaten des Osmanischen Reiches die Geschichte der Fotogra-fie in der Regel aus der je eigenen nationalen Perspektive erforscht wird. Somit geriet der gemeinsame osmanische Ursprung der frühen Fotografie im heutigen Südosteuropa aus dem Blick. Die nationale Vereinnahmung fotografischer Arte-fakte aus der osmanischen Zeit verhinderte schließlich die Gesamtschau auf die ehemals eng miteinander verflochtene fotografische Produktion in der Region.

Die vorliegende Analyse versucht, dieses noch kaum erforschte Feld zumin-dest ansatzweise zu erschließen. Anhand historischer Fotoporträts von Männern griechischer, albanischer, serbischer und bulgarischer Herkunft möchte ich ver-suchen, den äußerst dynamischen Prozess nachzuzeichnen, in dem diese ehe-mals osmanischen Volksgruppen eine selbstbestimmte Sichtbarkeit und Identität mit Hilfe der Fotografie erlangten. Dabei werde ich einige grundlegende Aspekte diskutieren, die mir symptomatisch für den osmanischen Kontext erscheinen und die historisch in eben jenem multiethnischen Spannungsfeld zwischen dem

„bulgarischen Nationalhelden“ und dem „türkischen Bimbaschi“ verortet wer-den können.

Typen

Ein bulgarischer Nationalheld? Oder ein türkischer Bimbaschi? Die ethnische Zugehörigkeit des Mannes auf dem Foto von Angerer wird sicherlich nie eru-iert werden können. Sicherlich lässt sich jedoch sein ‚Beruf‘ feststellen, denn es

Relli Schlechter, New York 2000, S. 65–83; Nancy Micklewright: Personal, Public, and Polit-ical (Re)Constructions: Photographs and Consumption, in: Consumption Studies and the History of the Ottoman Empire, 1550–1922, hg. von Donald Quataert, Albany, N.Y. 2000, S. 261–88; Michelle L. Woodward: Between Orientalist Clichés and Images of Moderniza-tion: Photographic Practice in the Late Ottoman Era, in: History of Photography 27, 4, 2003, S. 363–374.

8 Die Geschichte der Fotografie in privaten Kontexten in den außereuropäischen Provinzen des Reiches wie Anatolien oder den Arabischen Provinzen ist in den letzten Jahren ebenfalls vermehrt in den Fokus der Forschung gerückt. Siehe etwa zur Fotografie im arabischen Raum die Monographie von Stephen Sheehi: The Arab Imago. A Social History of Portrait Pho-tography 1860–1910, Princeton 2016. Zur Anwendung der Fotografie im Umfeld armenischer Revolutionäre im Osmanischen Reich siehe Elke Hartmann: Shaping the Armenian Warrior:

Clothing and Photographic Self-Portraits of Armenian Fedayis in the Late 19th and Early 20th Century, in: Fashioning the Self in Transcultural Settings: The Uses and Significance of Dress in Self-Narratives, hg. von Claudia Ulbrich and Richard Wittmann, Würzburg 2015, S. 93–115.

handelt sich wohl sehr wahrscheinlich um eine ‚typische‘ Darstellung eines os-manischen irregulären Söldners, eines Baschibozuk. Vielleicht war dessen ethni-sche Herkunft bulgarisch, vielleicht auch türkisch. Bestimmt aber war der Mann kein bulgarischer Nationalheld und auch kein türkischer Bimbaschi. Während osmanische Offiziere nach der Kleiderreform von 1829 eine Uniform nach west-lichem Vorbild zu tragen hatten, die bis zum Zusammenbruch des Osmanischen Imperiums verhältnismäßig unverändert blieb, durchliefen „bulgarische Natio-nalhelden“ mehrere Phasen der Kleidungsfindung, bis sie in den 1870er Jahren ebenfalls die westliche Militäruniform für sich entdeckten.

Im Zuge der umfassenden Reformen Mahmuds II., der die Zentralisierung des bürokratischen Apparats und des fiskalen Wesens sowie die Neuordnung des Mi-litärs einleitete, erließ der Sultan 1829 eine neues Kleidergesetz, das eine zentrale Rolle in den Bemühungen um die Modernisierung des osmanischen Staates spielte.

Nachdem Mahmud II. im Jahr 1826 das Janitscharenkorps zerschlagen hatte, un-ternahm er auch radikale Maßnahmen auf dem Gebiet der Kleiderordnung sowohl im Beamtenwesen als auch im Militär. Selbst Kleidung durfte nicht mehr an die traditionelle Elitetruppe des Sultans, die Janitscharen, erinnern. Ausgerechnet der Turban, das Erkennungsmerkmal des muslimischen Mannes und des Orientalen schlechthin, sollte der Mahmudschen „Kleiderrevolution“9 zum Opfer fallen und durch den roten osmanischen Fez ersetzt werden. Anfänglich war der Fez eine mi-litärische Kopfbedeckung, doch mit der Zeit fand er eine breite gesellschaftliche Anerkennung, so dass er allmählich obligatorischer Teil der Kleidung des städti-schen Bürgers wurde. Gerade unter Juden und Christen erfreute sich der Fez gro-ßer Beliebtheit, denn er war analog zum französischen bonnet rouge Symbol der angestrebten Gleichheit aller Religionen und Völker im Osmanischen Reich und damit einer fortschrittlichen Gesinnung. Als sichtbares Zeichen des sich modern gebenden Mannes wurde der Fez gleichermaßen von osmanischen Beamten, bul-garischen Handwerkern und serbischen Intellektuellen getragen.

Die Kleiderreform war nicht nur ein symbolischer Akt, wie in der Tanzimat-Ära allzu oft geschehen.10 Sie hatte auch weitreichende politische und soziale Konsequenzen. Die Uniformierung des bürokratischen Apparates und des Mi-litärs war eine wichtige Disziplinierungsmaßnahme, die einerseits die Kontrolle

9 Donald Quataert: Clothing Laws, State, and Society in the Ottoman Empire, 1720–1829, in:

International Journal of Middle East Studies 3, 1997, S. 403–425, hier S. 412.

10 Der Begriff Tanzimat bezeichnet die Reformperiode im Osamanischen Reich, die in den 1830er Jahren ansetzte und bis in die 1870er Jahre andauerte. Der Hatt-ı Scherif von Gülhane (1839), Reformedikt oder Edles Schreiben, sowie der Hatt-ı Hümâyûn (1856), Großherrli-ches Schreiben, waren die beiden Meilensteine der osmanischen Reformen, dessen Kern die Auflösung des Millet-Systems war. Damit wurden alle ethnischen Minderheiten zu gleich-rangigen Untertanen des Sultans erklärt. Beide Reformversprechen wurden allerdings nie tatsächlich eingelöst.

über die Repräsentanten und Untertanen des Sultans garantierte und andererseits die Egalisierung der osmanischen Subjekte bedeutete. Das Gesetz zielte darauf ab, „to eliminate clothing distinctions that long had separated the official from the subject classes and the various Ottoman religious communities from one an-other“.11 Die sichtbare Unterscheidung zwischen den verschiedenen religiösen Gruppen der Muslime und Nichtmuslime sollte somit auf lange Sicht abgeschafft werden. Gerade die militärischen Uniformen wie die des „türkischen Bimbaschi“

blieben während der gesamten Epoche des Tanzimat und darüber hinaus fast un-verändert, was sich auch an den überlieferten Fotografien feststellen lässt. Roger Fenton, der wohl bekannteste Fotograf des Krimkrieges, der im Auftrag der bri-tischen Krone auch die verbündete Armee der Osmanen Mitte der 1850er Jahre mit der Kamera begleitete, hinterließ mehrere Fotografien osmanischer Militärs, die eine Uniform nach westlichem Vorbild und den Fez tragen. Ähnlich gekleidet waren auch Vertreter diverser militärischer Ränge, welche auf unzähligen Foto-grafien aus der Regierungszeit Abdulhamids II. (1876–1909) dokumentiert sind.

Der Zeitpunkt der Kleiderreform war nicht zufällig. Sie fiel in die Endphase des fast ein Jahrzehnt dauernden Unabhängigkeitskampfes der Griechen, die eine der größten christlichen Ethnien unter osmanischer Herrschaft bildeten.

Donald Quataert schreibt dazu:

More specifically, [the Sultans] action came at the very moment when the success of the rebel Greeks was so gravely challenging his hold on non-Muslim Ottomans. At this crucial moment, he [Mahmud II] renegotiated Ottoman identity, stripping it of its reli-gious component.12

Trotz der osmanischen Reformbemühungen wurde der Unabhängigkeitskampf der Griechen, dem 1830 die Gründung eines unabhängigen griechischen König-reiches folgte, zum Vorbild weiterer Unabhängigkeitsbewegungen im Reich. Und es war nicht zuletzt der Dresscode der griechischen Rebellen, der viele Nachah-mer unter den Angehörigen der verschiedensten Völker auf dem Balkan fand.

Bevor die bulgarische Nationalbewegung in den 1870er Jahren die Militäruni-form für sich entdeckte, stand sie unter dem anhaltenden Einfluss griechischer Kleidungskultur. Davon zeugen die zahlreich überlieferten Porträtfotografien

„bulgarischer Nationalhelden“ aus der Frühphase der bulgarischen National-bewegung. Der eigentliche Trendsetter für die griechische Revolutionskleidung war jedoch der albanische Krieger mit seiner traditionellen Tracht.

Verglichen mit der verhältnismäßig beständigen Uniform des „türkischen Bimbaschi“ durchlief die äußere Erscheinung des „bulgarischen

Nationalhel-11 Quataert 1997, S. 403.

12 Quataert 1997, S. 413.

den“ eine rasante und zugleich komplexe Entwicklung, die von der griechischen Nationaltracht bis zur militärischen Uniform reichte. Diese unterschiedlichen Entwicklungen – die verhältnismäßig stabile offizielle Kleidung einerseits und die sich äußerst dynamisch verändernde Kleidung im privaten Bereich anderer-seits – lassen sich wohl mit dem Grad an Partizipationsmöglichkeiten erklären.

Während die osmanische Militärreform das Resultat eines von oben verordneten Aktes der Macht und ihrer Stabilisierung war, handelten bulgarische Männer ihr Image selbständig und fernab von der Machtzentrale aus. Nur innerhalb einer Dekade erfuhr das Aussehen des national gesinnten Bulgaren eine bemerkens-werte Transformation, die im Wesentlichen drei Typen von Kleidungsstilen bzw.

Dresscodes hervorbrachte. Diese repräsentieren das gesamte Spektrum ethni-scher Kleidung im osmanischen Europa des 19. Jahrhundert. Für die bessere Un-terscheidung habe ich sie den albanisch-griechischen Typus, den türkisch-monte-negrinischen Typus sowie den ungarisch-rumänischen Typus genannt.

Während die ersten beiden Typen sich im Verlauf der 1860er Jahre parallel herausbildeten und gleichwertig nebeneinander bestanden oder sich ergänz-ten, kam der dritte Typus ein Jahrzehnt später auf; er reüssierte schließlich als Vorbild für die offizielle Uniform der bulgarischen Nationalgarde von heute.

Mit jedem dieser drei Kleidungstypen waren auch bestimmte Charaktereigen-schaften verbunden, die durch die Kleidung zum Ausdruck gebracht werden konnten und entsprechend ostentativ zur Schau gestellt wurden, allen voran in Form fotografischer Porträts. An diesem Transformationsprozess der Kleidung lässt sich mithin der ideologische Wandel der bulgarischen Nationalbewegung ablesen.

Der albanisch-griechische Typus

Die Ursprünge des sich albanisch-griechisch gebenden „bulgarischen Natio-nalhelden“ lassen sich bis auf das frühe 19. Jahrhundert zurückverfolgen, ge-nauer auf den Beginn der griechischen Unabhängigkeitsbewegung der frühen 1820er Jahre. Die griechischen Rebellen, Klephten wie Armatolosen, trugen die Tracht albanischer Söldner, die sich einer besonderen militärischen Reputation erfreuten und für ihren Mut bewundert wurden. Die wohl älteste überlieferte selbstbestimmte Darstellung vor der fotografischen Kamera in der albanisch-griechischen Tracht ist die des Klephten Panagiotis Naum, der sich auf einer Daguerreotypie knapp zwei Jahrzehnte nach Ende des griechischen Unab-hängigkeitskampfes verewigen ließ.13 Diese älteste überlieferte Fotografie eines

13 Das Porträt befindet sich im Ελληνικό Λογοτεχνικό και Ιστορικό Αρχείο (ΕΛΙΑ), der Helle-nischen Archivgesellschaft für Literatur und Geschichte (ELIA), Athen.

griechischen Unabhängigkeitskämpfers, die zudem als das erste fotografische Porträt eines Griechen gilt, wurde von Filippos Margaritis in Zusammenar- beit mit dem Franzosen Philibert Perraud um 1847/1848 aufgenommen. Sie zeigt den aus dem zentralmakedonischen Edessa stammenden Kriegsvetera- nen in einem reich bestickten Fermeli, der weißen Fustanella und dem unver-kennbaren Farion, der roten Kappe mit langer schwarzer Troddel, die neben der Fustanella das eigentliche Erkennungsmerkmal der griechischen Unabhängig-keitskämpfer war.14

Vor Margaritis Kamera posierten auch andere Kriegsveteranen mit Farion und Fustanella, darunter der legendäre Christodulos Hatzipetros, dessen Ganz-körperporträt zu den frühesten Aufnahmen eines griechischen Klephten gehört (Abb. 2). Sie ist als handkolorierte Version überliefert und vermittelt deshalb auch einen Eindruck von der Farbenpracht und aufwendigen Ausschmückung des albanisch-griechischen Kleidungstyps. Hatzipetros’ Porträt kam eine

Vor Margaritis Kamera posierten auch andere Kriegsveteranen mit Farion und Fustanella, darunter der legendäre Christodulos Hatzipetros, dessen Ganz-körperporträt zu den frühesten Aufnahmen eines griechischen Klephten gehört (Abb. 2). Sie ist als handkolorierte Version überliefert und vermittelt deshalb auch einen Eindruck von der Farbenpracht und aufwendigen Ausschmückung des albanisch-griechischen Kleidungstyps. Hatzipetros’ Porträt kam eine