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C. S ICHERHEITSGEFÄHRDENDE B ESTREBUNGEN VON A USLÄNDERN

2. Veranstaltung „Ethnisierung – Radikalisierung – Gewalt?

3.1 Geschichte und Charakterisierung

Die „Arbeiterpartei Kurdistans“ (Partiya Karkeren Kurdistan, PKK) wurde 1978 von Abdullah ÖCALAN gegründet. Zu ihrer großen Anhängerschaft gehören

über-wiegend aus der Türkei stammende Kurden. In ihrer Geschichte hat sich die Organi-sation mehrfach umbenannt. Ziel der anfangs marxistisch-leninistisch geprägten Gruppierung war ursprünglich die Errichtung eines unabhängigen sozialistischen Staates „Kurdistan“. Im Jahr 1984 begann die straff hierarchisch organisierte Kader-partei mit Hilfe ihres bewaffneten Arms einen Guerillakrieg gegen den türkischen Staat. Diesen Kämpfen sollen bisher nach Angaben türkischer Behörden über 40.000 Menschen zum Opfer gefallen sein.

3.1.1 Die PKK – eine verbotene Organisation

In Deutschland versuchte die Organisation, den Kampf im Heimatland durch politi-sche, aber auch gewalttätige Aktionen zu unterstützen. Deshalb wurden die PKK und ihre im März 1985 gegründete Propagandaorganisation „Nationale Befreiungsfront Kurdistans“ („Eniya Rizgariya Netewiya Kurdistan“, ERNK) sowie weitere Neben-organisationen im November 1993 vom Bundesminister des Innern mit einem Betä-tigungsverbot belegt. Dieses Verbot umfasst auch den „Freiheits- und Demokratie-kongress Kurdistans“ („Kongreya Azadi u Demokrasiya Kurdistane“, KADEK) und den „Volkskongress Kurdistans“ („Kongra Gele Kurdistan“, KONGRA-GEL), die als umbenannte Nachfolgeorganisationen eingestuft werden.

Auf Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 2. April 2004 ist die PKK auch unter jeder dieser drei Bezeichnungen auf die Liste terroristischer Organisa-tionen der EU gesetzt worden.12 Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg am 3. April 2008 entschieden hatte, dass die PKK wegen unzureichender Begründung von dieser Liste zu streichen sei,13 nahm die EU sie mit überarbeiteter Begründung erneut in die Liste auf.14 Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 28. Oktober 2010 im Fall eines angeklagten Funktionärs fest-gestellt, dass sich die in Deutschland aktiven Anhänger der PKK als Mitglieder einer ausländischen kriminellen oder terroristischen Vereinigung strafbar machen können.

Nach dieser grundlegenden Änderung der bisherigen Rechtsprechung des BGH werden nicht mehr nur Funktionäre als Teil einer kriminellen Inlandsorganisation

12 Beschluss des Rates vom 2. April 2004 zur Durchführung von Artikel 2 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/902/EG, in: Amtsblatt der Europäischen Union L 99 vom 3. April 2004, S. 28f.

13 Urteile des EuGH T-229/02 PKK ./. Rat und T-253/04 KONGRA-GEL u. a. ./. Rat.

14 Gemeinsamer Standpunkt 2008/5867GASP des Rates vom 15. Juli 2008.

folgt, sondern jeder Angehörige der PKK ist als Mitglied der Gesamtorganisation anzusehen und somit grundsätzlich strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt. Als be-sondere Prozessvoraussetzung muss eine entsprechende Verfolgungsermächtigung des Bundesministeriums der Justiz vorliegen. (Az.: 3 StR 179/10).

Auf massiven Druck der Türkei hatte die Regierung Syriens im Herbst 1998 ÖCALAN ihre Unterstützung entzogen und ihn veranlasst, sein dortiges Exil aufzugeben. Dies wird von der PKK als Beginn eines „internationalen Komplotts“ betrachtet, welches schließlich zur Festnahme ÖCALANs am 15. Februar 1999 in Kenia und zu seiner Verurteilung zum Tode durch das Staatssicherheitsgericht Ankara am 29. Juni 1999 geführt habe. Das Urteil wurde am 3. Oktober 2002 mit der Abschaffung der Todes-strafe in lebenslange Haft umgewandelt.

Nach der Verhaftung ÖCALANs und einer anschließenden Phase der Gewalt, die auch Deutschland erfasste, begann ein längerer Abschnitt relativer Ruhe. Die PKK verkündete im September 1999 ihre sogenannte Friedensstrategie. Diese besagt, dass die PKK und ihre Nachfolgeorganisationen von ihrem ursprünglichen Ziel eines eigenständigen kurdischen Staates abrücken. Seitdem fordern sie die Anerkennung der kurdischen Identität sowie mehr Rechte und kulturelle Autonomie. Dies soll nach eigenem Bekunden der PKK auf politischem Weg und ohne Anwendung von Gewalt erreicht werden. Dabei versteht die PKK sich selbst als einzig legitime Vertreterin und Ansprechpartnerin dieser Volksgruppe und fordert den alleinigen Führungsan-spruch für sich ein.

3.1.2 Beständigkeit trotz Umbenennungen

Um die politische Neuausrichtung nach außen zu dokumentieren und sich von dem über viele Jahre geprägten Makel einer Terrororganisation zu befreien, nahm die PKK verschiedene Veränderungen vor. Insbesondere wurde sie, ebenso wie ver-schiedene Teilorganisationen, mehrmals umbenannt oder aber formal aufgelöst und unter neuem Namen wieder gegründet. So erhielt zum Beispiel der militärische Arm die Bezeichnung „Volksverteidigungskräfte“ („Hezen Parastina Gel“, HPG). Die ehe-malige Propagandaorganisation ERNK tritt seit 2004 als „Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa“ („Koordinasyona Civaka Demokratik ya Kurden Ewrupa“, CDK) auf.

Weiterhin gibt es das im Mai 2007 ausgerufene übergreifende System der „Vereinig-ten Gemeinschaf„Vereinig-ten Kurdistans“ („Koma Civaken Kurdistan“, KCK). Als eine Art kur-dische Dachorganisation soll es zum einen die kurkur-dische Identität fördern und zum anderen – bei Anerkennung der bestehenden Staatsgrenzen – zu einem staaten-unabhängigen Verbund aller Kurden in ihren jeweiligen Siedlungsräumen führen.

Dieses Vorhaben stößt in den betroffenen Staaten (Türkei, Irak, Iran und Syrien) jedoch auf grundsätzliche Bedenken und massiven Widerstand.

Die KCK sind Nachfolger der von ÖCALAN am 20. März 2005 proklamierten „Ge-meinschaft der Kommunen in Kurdistan“ („Koma Komalen Kurdistan“, KKK). Ihre Ab-sicht war es, das politische Konzept des „Demokratischen Konföderalismus Kurdistans“ umzusetzen. Am Ende sollte eine Art Verfassung für die von den Kurden besiedelten Gebiete stehen. Vorsitzender der KCK ist offiziell Murat KARAYILAN, jedoch gilt ÖCALAN als ideelle Führungsfigur. Der „Volkskongress Kurdistans“

(KONGRA-GEL), dessen Vorsitz zurzeit Remzi KARTAL innehat, nimmt im System der KCK gesetzgebende Funktionen wahr. Die 2005 proklamierte „neue PKK“ setzt sich aus besonders vertrauenswürdigen und linientreuen Kadern zusammen und soll der ideologischen Verankerung der KCK dienen.

3.1.3 Doppelstrategie der PKK

Trotz der nach außen verkündeten „Friedenslinie“ und der vielen Veränderungen seit Herbst 1999 ist die PKK noch immer eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit im po-lizeirechtlichen Sinne. Sie stellt eine Bedrohung für die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland dar und verstößt gegen den Gedanken der Völkerver-ständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (vgl.

§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 3 und 4 des Landesverfassungsschutzgesetzes). Eine grund-legende Wandlung ist nicht festzustellen: Gewalt wird nach wie vor als ein wichtiges Mittel zur Durchsetzung der Ziele angesehen.

Derzeit verfolgt die Organisation eine Doppelstrategie: Einerseits befindet sie sich in bewaffneten Auseinandersetzungen in der Türkei, andererseits bemüht sie sich um ein friedliches Erscheinungsbild in Deutschland und Europa. Doch trotz friedlich angelegter Protestaktionen kommt es immer wieder zu Anschlägen, z. B. Brandanschlägen auf türkische Einrichtungen, oder zu gewalttätigen

Ausschrei-tungen am Rande von Kundgebungen. Außerdem sind Auseinandersetzungen mit national gesinnten Türken zu verzeichnen. Bei bestimmten Anlässen kann die PKK auch in Baden-Württemberg einen großen Teil ihrer Anhänger und des Sympathisan-tenumfelds für friedliche wie auch gewalttätige Aktionen mobilisieren.

Auch an ihrem strikt hierarchischen Aufbau und der autoritären Führung haben sich bis heute keine grundlegenden Veränderungen ergeben. Eine zumindest teilweise Demokratisierung der Strukturen ist bislang nicht erfolgt – trotz mehrerer Versuche, wenigstens einzelne demokratische Elemente einzuführen und die Basis bei Entscheidungen mit einzubeziehen.