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Gender Mainstreaming

Im Dokument Gender Mainstreaming bei Trägern der (Seite 102-105)

Kerstin Schachtsiek

5.2.1 Gender Mainstreaming

Gender Mainstreaming ist in Deutschland seit Ende der 1990er Jahre gesetzlich verankert. Der Öffentliche Dienst hat sich zur Umsetzung der Strategie für Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern verpfl ichtet. Dieses wurde inzwi-schen in vielen Institutionen forciert. Die Fachdis-kussionen zum Sinn einer geschlechtergerechten politischen Strategie wie Gender Mainstreaming wurden und werden bis heute kontrovers ge-führt57. In den Jahren 1993 – 2006 wurden zu-dem einzelne empirische Forschungsprojekte durchgeführt, die die Umsetzung von Gender Mainstreaming wissenschaftlich begleitet und

56 Ausschnitte dieses Artikels wurden in 2009 von der Autorin Kerstin Schachtsiek im Rahmen des Masters Gender Studies an der Universität Bielefeld verfasst.

57 Vgl. Hagemann-White, Carol (2001), Frey, Regina/ Kuhl, Mara (2003); Dreas, Susanne/ Klenk, Tanja (2004), Stiegler, Barba-ra (2005; 2009)

evaluiert haben58. Dennoch ist die Wirksamkeit des Gender Mainstreaming in der Jugendhilfe in Deutschland bisher nicht umfassend evaluiert, so Maria Bitzan auf der Tagung der Bundesar-beitsgemeinschaft Mädchenpolitik im Dezember 2009. Damit basieren Annahmen zu Widerstän-den und Erfolgen des Gender Mainstreaming in der Kinder- und Jugendhilfe auf Hypothesen, die empirisch unzureichend untersucht sind.

Der vorliegende Praxisbericht zeigt exemplarisch auf, dass die Umsetzung von Gender Mainstrea-ming bei den Jugendhilfeträgern ein facetten-reiches Bild ergibt: fundiertes Wissen über Gender Mainstreaming ist durch die Schulungen bei den hier befragten Trägern vorhanden. Die Prinzipien sind partiell in der formalen Organisationsstruktur verankert worden. Gleichzeitig fi nden auf der An-gebotsebene viele geschlechtersensible Projekte

58 Vgl. Karsten, Maria-Eleonora (2000); Olk, Thomas et al (2003); FUMA Fachstelle Gender NRW (2006); Helming, Elisabeth/

Schäfer, Reinhild (2006)

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statt, deren Nachhaltigkeit überwiegend gege-ben ist, aber maßgeblich abhängig ist vom En-gagement der MitarbeiterInnen sowie von einer Personalentwicklung, die Gender-Kompetenzen systematisch einbettet.

Neben dem analytischen Blick auf die syste-matische Implementierung von Gender Main-streaming in die Prozesse und Strukturen der Organisation sind gesellschaftspolitische Rah-menbedingungen der Kinder- und Jugendhilfe als Katalysator oder „Verhinderer“ innovativer Prozesse der Geschlechtergerechtigkeit zu be-nennen. Einrichtungen der Kinder- und Jugend-hilfe werden durch die in § 9 Abs. 3 SGB VIII be-nannte „Gleichberechtigung von Mädchen und

Jungen“ auf unterschiedliche Lebenslagen von Mädchen und Jungen aufmerksam gemacht. Die pädagogische Arbeit mit den Mädchen und Jun-gen greift dieses in ihren Angeboten und Pro-jekten auf, hinterfragt traditionelle Geschlechter-konstrukte und zeigt alternative Lebensweisen auf. Rahmenbedingungen bilden neben dem KJHG die Ausführungen dazu sowie Kinder- und Jugend(förder)pläne des Bundes, der Länder und der Kommunen. Sie formulieren notwendige Aus-sagen für die Praxis der Kinder- und Jugendhilfe.

Die Kinder- und Jugend(förder)pläne sind jedoch in unterschiedlichem Maße verbindlich. Das heißt, dass in ihnen zwar Ziele, Aufgaben und Pfl ichten der Kinder- und Jugendhilfe fi xiert sind, die Träger jedoch selten daraus konkrete – etwa fi nanzielle oder beraterische – Ansprüche ableiten können.

Manche Kinder- und Jugend(förder)pläne unter-stützen die Praxis der geschlechtersensiblen Mädchen- und Jungenarbeit daher (nur) ideell, andere Bundesländer untermauern die in den Plänen festgelegten Ziele mit einem fi nanziellen Budget. Beispielsweise hat der Kinder- und För-derplan des Bundes 2009 Gender Mainstreaming als Leitprinzip verankert59. In allen Projektanträ-gen soll Gender Mainstreaming als Querschnitt berücksichtigt werden. Eine Vorreiterrolle nimmt auf Landesebene Nordrhein-Westfalen ein. Mit der Position 4.2 – Geschlechtsspezifi sche Mäd-chen- und Jungenarbeit stellt er im Kinder- und Jugendförderplan NRW60 auch ein Finanzbudget (2007 in Höhe von 644.051 €/ Jahr) bereit. Die-ser fördert zum einen Projekte der Mädchen-

59 Vgl.: http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Abteilung5/

Pdf-Anlagen/kjp-richtlinien-2009,property=pdf,bereich=bmfsfj,spr ache=de,rwb=true.pdf: 2009: 784 und 787

60 Vgl. Kinder- und Jugendförderplan NRW: 2006: 17

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und Jungenarbeit direkt und zum anderen auch indirekt über institutionelle landeszentrale Trä-ger der Mädchen-, Jungen- und Genderarbeit61, die die Träger beraten, qualifi zieren, vernetzen und zwischen den AkteurInnen aus Praxis, Wis-senschaft und Politik vermitteln. Leider überragt die Antragszahl qualitativ guter geschlechtersen-sibler bzw. geschlechtsspezifi scher Projekte das Budget um ein Vielfaches, so dass im Jahr 2007 nur 24 % der Anträge bewilligt werden konnten.

Das weist auf einen hohen Bedarf der Basis hin sowie auf motivierte Fachkräfte, die Mädchen- und Jungenarbeit verwirklichen wollen.62

Die Umsetzung auf Ebene der Kommunen offen-barte 2007: „69 % der Förderpläne beschreiben in einem eigenen Kapitel die geschlechterdiffe-renzierte Kinder- und Jugendarbeit. [Aber] Le-diglich 20 % der Förderpläne enthalten konkrete Maßnahmen. Es gibt zwar festgeschriebene kommunale Ziele und Bestandsbeschreibungen, es fehlt aber noch an konkreten Umsetzungs-strategien“,63 resümiert Mareile Kalscheuer vom Landesjugendamt Westfalen. Wichtig zu benen-nen ist, dass es weniger den MitarbeiterInbenen-nen in der pädagogischen Arbeit an Ideen fehlt, als vielmehr, dass diese in den politischen Aushand-lungsprozessen der Gremien nur geringen Nie-derschlag in den kommunalen Förderplänen fi n-den. Die zunehmende Finanznot der Kommunen bei gleichzeitiger hoher Verantwortlichkeit für die vielfältigen Aufgaben der Kinder- und

Jugendhil-61 Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Mädchenarbeit NRW, LAG Jungenarbeit, LAG Autonome Mädchenhäuser/ feministische Mäd-chenarbeit und deren Fachstelle Interkulturelle MädMäd-chenarbeit und FUMA Fachstelle Gender NRW

62 Quelle: Thoma: Die Einzelförderpositionen des Kinder- und Jugendförderplans NRW: 06-2008

63 Kalscheuer: 2007: 8

fe (85 % aller Ausgaben wurden 2007 durch die Kommunen getragen)64 lassen die Vermutung zu, dass sich zukünftig die Lage für innovative An-gebote und Projekte der refl ektierten Arbeit mit Mädchen und Jungen neuen Herausforderungen gegenüber sieht.

Wenn die Umsetzung von Chancengleichheit in der Kinder- und Jugendhilfe weiterhin ein Ziel bleibt, müssen bewährte Strategien und Konzepte wie Gender Mainstreaming bundesweit evaluiert sowie Rahmenbedingungen geschaffen werden, die sowohl fachlich-inhaltliche als auch fi nanziel-le Anreize bieten. In den nanziel-letzten Jahren werden aber zunehmend neue Konzepte – die Diskrimi-nierung abbauen sollen – diskutiert,65 ohne dass belastbare Ergebnisse für die Wirksamkeit des

„Erprobten“ vorliegen. Hochkonjunktur hat das Diversity Management. Dieses geht vom Ansatz her tatsächlich über das Gender Mainstreaming hinaus, weil es mehrere Benachteiligungskatego-rien66 in den Blick nimmt und damit auch Mehr-fachdiskriminierungen erfassen kann. Das klingt zunächst vielversprechend.

64 Vgl. www.kinder-jugendhilfe.info (Powerpointpräsentation IJAB 2009)

65 Vgl. Stiegler 2009: 18; MGFFI 2007: Diversity-Management in Nordrhein-Westfalen, Vorteil durch Vielfalt

66 Merx/ Vassilopolou unterscheiden zwischen: Geschlecht, Alter, ethnischer Herkunft, Hautfarbe, sexueller Orientierung und physischer oder psychischer Befähigung) vgl. http://www.idm-diversity.org/fi les/Merx-Vassilopoulou-AGG_Diversity.pdf: 25 Sepehri /Wagner unterscheiden zwischen den wahrnehm-baren sog. „harten“ Eigenschaften – wie Herkunft, Ethnie und Geschlecht – und ihren kaum wahrnehmbaren Eigenschaften – wie Religiosität, sexuelle Ausrichtung, Werteorientierungen.

Außerdem bilden die individuellen Kenntnisse und praktischen Fä-higkeiten eine Kategorie. ausführlich vgl. Sepehri/ Wagner 2002:

Kapitel 4: 126-133 + 137

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Doch was verbirgt sich hinter Diversity-Ansät-zen?

Warum erscheinen sie für die Politik und das Management der Kinder- und Jugendhilfe so reizvoll?

Was bringen sie in der Praxis den Mitarbeiter-Innen und Kindern wie Jugendlichen in der Kin-der- und Jugendhilfe wirklich an Neuerungen in der Umsetzung von Chancengleichheit?

5.2.2 Diversity Management – Was verbirgt

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